Humor und andere vermeintliche Notwendigkeiten

Papiertiger

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Die Heizsaison hat bei mir begonnen. Ich habe deshalb meine Heizkörper entlüftet. Früher, als ich diesen Begriff noch gar nicht kannte, dachte ich, dass ich gar nichts, aber auch wirklich überhaupt nichts zustande bringen würde was sich auch nur im entferntesten Sinne als Handwerk bezeichnen ließe. Als Klempner würde ich mich trotzdem nicht bezeichnen. Kommen wir zu einem etwas unerwarteten Themenwechsel: zum Humor. Der kann ja ebenfalls wärmen, Behaglichkeit spenden und düstere, kalte Tage erträglicher machen. Was für ein wunderschönes Gleichnis, sagen Sie, verehrte Leserinnen und Leser? Herzlichen Dank! Max Goldt hat in einer seiner wundervollen Kolumnen Stellung zu dem Zitat von Charlie Chaplin bezogen, nachdem ein Tag ohne Lachen ein verlorener Tag sei. Goldt argumentierte darin sehr überzeugend, dass auch ein Tag ohne ein einziges Lachen sehr wohl ein guter, sinnvoll verbrachter Tag sein kann. In seinem Text ging es nicht um Wortklauberei oder darum anderen Menschen ihre Freude spendenden Sinnsprüche zu rauben, sondern um die Überbewertung von Humor in unseren Breiten. Mir fiel dieser Text dieser Tage wieder ein, weil mir das Leben eine Begegnung mit einem Mann bescherte, mit dem ich nun bei der Arbeit öfter zu tun haben muss, der sich berufen fühlt, lustig sein zu wollen. Er wird genährt und immer fetter gefüttert von Lachern und Zustimmung. Von mir kommen die nicht. Nun, lassen sie mich, einfach mit der Tür ins Haus fallen: Brauchen wir nicht dringend ein Humorverbot für unlustige Menschen. Ich sage ganz klar: Ja, bitte! Und wenn wir schon dabei sind, lasst uns doch auch andere grässliche Eigenarten abschaffen wie Karneval, Floskeln, inhaltliche falsche Phrasen wie „Quantensprung“ für einen großen Durchbruch, obwohl Quanten eben NICHT groß, sondern winzig klein sind. Es wird ja oft und gerne pauschal auf Social Media geschimpft, weil es die Menschen verrohe und geradezu ein Werk des Teufels sei. Ich finde das ist zu einem Teil nachvollziehbar und ich verstehe die Argumente, aber ist es nicht ganz ähnlich wie bei Drogen? „Was denn?“, fragt die irritierte Leserin hinten in der vorletzten Reihe! Nun, beides verstärkt doch nur das, was bereits vorher da war. Die Beatles wurden nicht durch THC und LSD kreative Musikgenies und ebenso wenig werden unsympathischer Langweiler durch Alkohol zu Spaßvögeln, auch wenn sie sich im Rausch so fühlen mögen. Ich habe schon viele gute, höfliche und ergiebige Gespräche auf Twitter geführt. Ich habe wunderschöne Fotos auf Instagram gesehen und massig viel nützliches Wissen auf YouTube aufgesaugt. Nicht das Werkzeug ist schuld, manche Benutzer sind einfach ungeeignet mit so einem komplexen Phänomen wie dem Internet sinnvoll umzugehen. So, ähnlich wie aus meinen Heizkörpern ist nun auch aus diesem Text die Luft raus. Nun fühle ich mich wärmer und leistungsfähiger und möchte alle Menschen dazu ermutigen: Bitte glaubt nicht, dass ihr lustig sein müsst. Ich persönlich zählte zu den schönsten Komplimenten, die ich je gehört habe ein aufrichtiges, warmes Frauenlachen, wenn ich etwas humorvolles gesagt habe und den Kommentar: „Du hast so einen trockenen Humor“. Und warum? Weil ich vorher entlüftet habe.
 



 
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