Ich bin heute Morgen mit Worten aufgewacht

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petrasmiles

Mitglied
Ich bin heute Morgen mit Worten aufgewacht.
Sie verdichteten sich, wollten Form annehmen, rangen um Bedeutung.
Fast schien es, als schubsten sie sich gegenseitig aus dem Weg.
Dann aber doch eine Reihe von Wörtern mit Gehalt – sie drängten mich aus dem Bett, wollten aufgeschrieben werden.

Aber erst schwand die Bedeutung, dann die Wörter selbst wie Fetzen eines Traums, die unter der Sonne verblassen.
Sie wehrten sich nicht, verneigen sich zum Abschied und kehren zurück zu den anderen, die noch unbewegt in der Schale ruhen.
Sind sie nun verzehrt oder sind es immer dieselben Wörter? Wer weiß das schon.

Dieses Gedicht wird auf jeden Fall nicht geschrieben werden.
 

Winterling

Mitglied
Hey, Petra,

Das kenne ich auch. Nach dem Schlaf ist man in einer Zwischenwelt, dort ruht das Gedicht oder der Text.
Und wenn man ganz wach ist, flieht er in die Dunkelheit.
Manchmal gelingt es solche Worte zu fangen.

Aber Deine Worte hier finde ich auch gut eingefangen.

Sehr gerne gelesen.

LG Winterling
 
Ihr naht euch, schwankende Worte, und entfernt euch wieder ...

Was mir hier sogleich auffiel, liebe Petra, ist der Wechsel von Worten zu Wörtern. Ich möchte darin Absicht und Interpretationsansatz erkennen. Dann würde das Wachsein mit dem Bewusstsein von noch nicht genügend konkretisierten Begriffsinhalten (Worten) einsetzen - und das Bemühen um Annäherung macht aus ihnen Wörter mit Gehalt. Anscheinend ein instabiler Aggregatzustand, bei dem sich das Formale (Wörter) vom Gehalt (Bedeutung) trennt, so dass eine poetische Verarbeitung unmöglich ist. Falls ich das hier nicht überinterpretiert habe, würde es mich von fern an Hofmannsthals Lord Chandos erinnern.

Offene Frage: Was zurücksinkt, sind das nun bloß Wörter? Falls sie nicht verzehrt und unverändert dieselben sind, möchte ich ihnen den Rang von Worten zuerkennen.

Ein Interessanter Text über die Schwierigkeit, zwischen Schlaf und Wachsein Geschautes, Geahntes produktiv werden zu lassen. Vielleicht kannte ich das früher selbst mal, heute nicht mehr. Ideen, Assoziation und Produktion setzen nun erst ein, wenn starke äußere Einflüsse einwirken.

Liebe Grüße
Arno
 

trivial

Mitglied
Liebe Petra,

die Sehnsucht und das Unverfügbare, wie Überbleibsel aus einem unverstellten (T)raum, in dem Sinnlichkeit, Ausdruck und Bedeutung zusammenfallen.

oder um frecherweise Rilke zu zitieren:

"...das Reine,
Unüberwachte, das man atmet und
unendlich weiß und nicht begehrt."

Hat mich sehr berührt.

Liebe Grüße
R
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Arno,

meist nehme ich da etwas mit, aber nicht immer stark genug. Manchmal materialisiert sich da etwas.
Die Unterscheidung von Worten und Wörtern war bewusst, wenn ich auch eine andere Interpretation vornehme. Man sagt ja, 'denk an meine Worte', nicht Wörter. Letzteres ist ja fast eher ein Gattungsbegriff.
Am Anfang waren da die Worte und ihre Bedeutung; die Verwendung von 'Wörter' ist da schon ein Hinweis, dass sie im Streben nach dem Gehalt verblassen. Man fühlt den Sinn eher, als dass die Wörter würden passen wollen - oder umgekehrt.
Auf jeden Fall purzelte da etwas herum und konnte nicht werden.
Und die Wörter in der Schale - sie müssen erst noch zu Worten werden - durch den Sinn.

Vielen Dank fürs Lesen und mitsinnieren - und danke für die Hofmannsthal-Erinnerung.

Liebe Grüße
Petra
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber R.,

danke für Dein Mitempfinden - ja, es sind magische Momente - für mich sind es sogar Füllhornmomente, ich kann, aber ich muss nicht. Kein Bedauern, dann eben nächstes Mal, oder so.
Ja, Rilke hat ein unglaubliches Gespür für diese Zwischenwelten. danke für das Zitat. (Und die Sterne)

Liebe Grüße
Petra
 

petrasmiles

Mitglied
Liebe Winterling,

danke für Deinen Besuch - und die 'Schwesternschaft' :)
Ich glaube, für uns Hobbyschreiber*innen sind diese Momente besonders wichtig. Wenn ich da an professionelle Autoren denke, die ein strukturiertes Pensum absolvieren. Ich denke da besonders an Joyce Carol Oates, die schreibend lebt. Bei aller Bewunderung, da warte ich doch lieber auf die Muse(n), auch wenn sie sich rar machen und/oder auf dem Absatz kehrt machen.

Einen schönen Abend noch!

Liebe Grüße
Petra
 

Perry

Mitglied
Hallo Petra,
Traumworte sind meist flüchtig, da halte Ich es mehr mit Wortträumen.
Manchmal hilft ein Notizblock auf dem Nachttischchen! ;)
LG
Manfred
 

petrasmiles

Mitglied
Manchmal hilft ein Notizblock auf dem Nachttischchen!
Aber ganz und gar nicht ... physisch muss die Schwelle schon beschritten werden, die ersten Gänge des Morgens, das Wiedererkennen von Mensch und Leben, mit dem ersten Kaffee auf den Balkon setzen - und dann in aller Ruhe in sich reinhören. Wenn der Wecker in die falsche Phase plärrte, ist das mit Wiedererkennen noch nicht passiert zu dem Zeitpunkt und wenn es soweit ist, warten die übrigen Routinen bis zum Abflug zur Arbeit, aber meistens nehme ich etwas mit, das mit einem Gefühl oder einem Gedanken begann, und nicht immer mit etwas 'Zählbarem' endet.
Aber wirklich Wichtiges - wie meinen letzten längeren Beitrag im Lupanum - da werde ich nachts wach und denke weiter und schlafe weiter und beim ersten Kaffee nimmt etwas Gestalt an - und der Bleistift hüpft.
Jedem das Seine ...

... danke für Deinen Besuch!

Liebe Grüße
Petra
 

sufnus

Mitglied
Hey Petra! :)

Die Unterscheidung von Worten und Wörtern, die Du in dem Text vornimmst, finde ich sehr schön und mir gefällt auch Arnos Aufdröselung der unterschiedlichen Ebenen - ich würde da übrigens auch mit Arno mitgehen, dass ich für die zurücksinkenden Entitäten - sofern sie nicht doch verzehrt sind, sondern es vielmehr tatsächlich "immer dieselben" sind - eher die Bezeichnung Worte erwartet hätte. :)

Interessant finde ich außerdem, dass Du den Text als Gedicht eingestellt hast und damit die etwas vertrackte Selbstwidersprüchlichkeit der letzten Zeile noch betonst. Schon an sich ist diese letzte Zeile ja - je nach Lesart - kontrafaktisch, weil ja "dieses" Gedicht (gemeint: das, welches die Leser vor sich sehen) ja offenkundig eben doch geschrieben wurde. Eine widerspruchsfreie Lesart ergibt sich nur, wenn mit "dieses Gedicht" das "nie richtig existiert habende" Gedicht gemeint ist, von welchem die Rede ist.

Ich würde nun sagen, dass auf den potentiell gedankenverwicklungsprovozierenden Aspekt noch eins drauf gesetzt wird, wenn der vorhandene Text selbst wiederum als Gedicht bezeichnet wird, obwohl auf den ersten Blick doch wie ein Prosa-Text aussieht, indem er sich gedichttypischen Zeilenumbrüchen verweigert und auch sprachlich, in dem verhältnismäßig ruhigen Erzählton, (kurz-)prosaisch anmutet.

Diese etwas paradoxe Wirkung mag ich durchaus! :)

LG!

S.
 

petrasmiles

Mitglied
ich würde da übrigens auch mit Arno mitgehen, dass ich für die zurücksinkenden Entitäten - (...) eher die Bezeichnung Worte erwartet hätte.
Tja, das ist schon so ein Dreh- und Angelpunkt, nicht wahr? Wenn die beseelten Wörter zu Worten geworden sind, liegt dann die lyrische Eigenschaft nicht schon bei ihnen? Und braucht es dann die Form überhaupt noch? Und wird dann die Selbstwidersprüchlichkeit nicht aufgelöst?
Dazu möchte ich mich gar nicht versteigen, nur ein paar Widerhaken setzen: Wenn ich an Fees wunderbare Naturgedichte denke, ist der lyrische Moment dann der des Erlebens, oder der des Aufschreibens?

Der Wahrheit die Ehre: Das Paradoxon habe ich nicht wissentlich ausgereizt - oder wie sagt es Otto Lenk so schön in seiner Signatur - Der Kopf denkt weiter als man denkt - da gebührt mir wissentlich und willentlich nur die Ehre, dieses formale Nicht-Gedicht bewusst als Gedicht eingestellt zu haben, weil es mir so sehr wie ein Gedicht erschien, wenn auch mit einem abwesenden. Mit 'dieses Gedicht' meinte ich das Nicht-Geschriebene - also kein innerer Widerspruch, aber immerhin ein 'äußerer'. (Ich hoffe, das gibt jetzt keinen Punktabzug ;) )
Ich bin da nicht so empfindlich - wenn mich jemand in die Prosasektion verschieben möchte, dann ist das für mich in Ordnung. (Obwohl Du es da sehr wahrscheinlich nicht gefunden hättest ...)

Liebe Grüße
Petra
 

Scal

Mitglied
Liebe Petra,

Dein Text ist bemerkenswert, er machte mich auf vergleichbare Erfahrungen aufmerksam.
Bildhaft angedeutet: Es ist ein "Einen Moment, bitte! - Text", ein Tor-Öffnungs-Text. Was dabei zur Erscheinung kommt, fordert dazu auf, es in ein Verhältnis zu eigenen Erfahrungen zu bringen, es tastend nachzuprüfen. Bescheinen von Erscheinendem. Phänomenologie.
Insofern entspricht Dein Text einer Ouvertüre, hat die Geste eines Auftakts. Er ist ein Zeigefinger. Hör mal zu. Forsch!

Es gibt eine innere Instanz, die wahrnimmt, ob sich etwas nähert oder ob es sich entfernt. Wenn Worte sich entfernen, werden sie zu Wörtern.
Welche Rolle wohl das Fühlen spielt, der "Gefühlshof", der Worten bzw. Begriffen eigen ist, sie umgibt? Meinem Eindruck nach haben Worte viel mit dem gefühlshaft- atmosphärischen Kontext zu tun, mit den zunächst noch nicht "greifbaren" Sätzen, in die sie wie eingebettet sind. Gelingt es, sich dieser Gefühlsspur anzunähern, schälen sie sich vielleicht so heraus, dass sie - künstlerisch oder prosaisch - in eine sagbare Form eingestaltet werden können.

"... schubsten sie sich gegenseitig aus dem Weg". Interessant. Worte leisten Widerstand, ihre inhaltliche Bedeutung grenzt ab - auch eine Art von Beziehung.
Die Thematik ließe sich auch auf das innerlich Vorgängige beim Schreiben ausweiten.

Kurzprosa oder Gedicht? Schwer einzuordnen, das ist meiner Meinung nach hier auch nicht so wesentlich. Der Text ist eine "Hinblick-Wanderung" - sie beginnt gedichtartig und schwenkt über in eine mehr berichtartige Form.

Liebe Grüße
Scal
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Scal,

das wundert mich gar nicht, dass Dir zu diesem Phänomen jede Menge einfällt - und Du den weiteren Weg, diesen 'Gefühlshof' beschreibst, als wärst Du in meinem Kopf gewesen.
Tatsächlich wird es wohl so etwas wie der Versuch sein, sich der 'Gefühlsspur' zu nähern, was mit den richtigen Wörtern gelingen kann.

Es ist mir aber auch wichtig, dass dies ein 'freier Prozess' ist, es gelingt, oder nicht, ohne Bedauern, wenn nicht.

Danke für Deinen Besuch!

Liebe Grüße
Petra
 



 
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