Ich wünschte, dass ich dein Leben hätte

linda.kabeh

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Montag 14 Uhr. Ich saß mit meiner Klasse im Matheunterricht. Es ging um quadratische Funktionen. Was viele meiner Mitschüler als den reinsten Alptraum sahen, war für mich ein Klacks. Ich hatte es noch nie besonders schwer in der Schule. Während die anderen Schüler noch an ihren Aufgaben saßen, scrollte ich mein Handy durch in der Hoffnung irgendeinen interessanten Beitrag zu finden. Der Unterricht ging noch 10 Minuten bevor wir gehen durfte. Es war jedes Mal so ätzend. Meine beiden Kumpels Nate und Mick hatten die Lösungen bei mir abgeschrieben und spielten ebenfalls an ihrem Handy herum. Unser Mathelehrer sagte nichts. Das war auch gut so. Er konnte froh sein, dass wir die letzten Minuten ruhig waren und warteten bis der Unterricht vorbei war. Nate kicherte und hielt mir den Bildschirm seines Smartphones hin: “Ey Tommy, schau dir das mal an. Sieht so aus als wollte da jemand mit auf unser Bild!” Ich sah auf den Bildschirm, wo wir drei auf dem Schulhof zu sehen waren. Im Hintergrund befand sich Lukas, unser übergewichtiger und trotteliger Mitschüler. Er hatte keine einzigen Freunde hier und ich fragte mich, ob überhaupt irgendjemand etwas mit so einem Looser zu tun haben wollte. Ich kicherte und flüsterte zurück: “Tja. Pummelchen hat sein Bestes gegeben, aber wir werden ihn einfach unkenntlich machen oder ihm einen Kackhaufen Emoji auf den Kopf setzen.” Nate und Mick kicherten noch mehr und mussten allem Anschein nach einen starken Lachanfall unterdrücken. Als ich mich beschweren wollte wie langweilig diese Unterrichtsstunde war, ergriff unser Lehrer bereits das Wort: “Ich möchte die letzten Minuten nutzen um die Ergebnisse der Aufgabe zu vergleichen. Wäre einer so freundlich die Ergebnisse an der Tafel darzustellen?” Er blickte in die Runde. Während alle mit gesenktem Blick dasaßen, verdrehte ich die Augen. War das notwendig? Verdammt, es war Montag und die letzte Stunde. Keiner hatte mehr Bock irgendwelche Ergebnisse an der Tafel darzustellen. Am Liebsten hätte ich reingerufen, ob er uns nicht einfach ein paar Minuten eher gehen lassen könnte. Er seufzte frustriert: “Lukas, würdest du bitte deine Ergebnisse präsentieren?” Meine Freunde und ich sahen uns einander kurz amüsiert an und dachten wahrscheinlich dasselbe. Lukas zögerte kurz, stand auf und ging mit gesenkten Blick vor. Auf halber Strecke drehte er sich um, weil er seinen Hefter vergaß. “Das ist so ein Trottel”, flüsterte Nate. Mick nickte zustimmend und erwiderte:” Ohja. Schau wie sein Fett bei jedem Schritt schwabbelt. Ich glaube der wird jedes Wochenende fetter. Ich glaube seine Mami mästet ihn.” Ich zuckte bei dem Wort “Mami” kurz zusammen, wollte mir aber nichts anmerken lassen und sagte stattdessen: “Er muss jetzt nur aufpassen, dass die Tafel keine Fettflecken bekommt.” Wieder versuchten beide einen Lachanfall zu unterdrücken, aber dieses Mal klappte es nicht und sie prusteten los. Niemanden schien das zu interessieren, aber mit uns wollte sich eh keiner anlegen, weil wir uns nichts gefallen ließen. Lukas stand vorn und brauchte ewig um ein Stück Kreide aufzuheben. Ich fragte mich wie man nur so trottelig sein konnte. Unsicher skizierte er seine Lösung an der Tafel. Unser Lehrer musterte ihn skeptisch: “Das, was du das zeichnest, ist keine quadratische Funktion, sondern eine lineare Funktion. Dieses Thema haben wir bereits vor zwei Wochen abgeschlossen.” Meine Freunde und ich schüttelten den Kopf und lachten. Lukas murmelte etwas vor sich hin, was keiner verstand. “Sprich doch mal ein bisschen lauter, sodass dich alle verstehen!” rief ich ihm zu. Er sah zu Boden und im nächsten Moment klingelte es und der Unterricht war zu Ende. Zügig packten wir unsere Sachen zusammen und verließen das Klassenzimmer.

Auf dem Schulhof stand ich mit Nate und Mick und wir unterhielten uns. Die Szene, die im Klassenraum mit Lukas stattfand, war längst nicht mehr interessant für uns. Stattdessen unterhielten wir uns über die Mädels aus der Parallelklasse. Nate war mit einem Mädchen verabredet für den Nachmittag. Stolz zeigte er uns ein Foto von ihr und sagte: “Sie ist auch 14 Jahre alt, wohnt mit ihren Eltern in einem großen Haus und spielt gern Tennis.” Ich musste zugeben, dass sie sehr hübsch war, aber es fehlte mir an dem gewissen Etwas. Mir war bewusst, dass mich nahezu alle Mädchen der Klasse bewunderten. Mit meiner gebräunten Haut und den blonden Haaren sah ich aus wie ein typischer Surferboy. Ich genoss dieses Gefühl für mich und hatte nicht die Absicht mit jemanden aus meiner Klasse auszugehen. Mick schaute auf sein Handy. “Ich muss los!”, sagte er, “mein Vater ist gleich da um mich abzuholen.” Wir verabschiedeten uns und gingen getrennter Wege. Ich lief zum Ausgang des Schulgeländes, als ich das Pummelchen dort stehen sah. Sein Kopf war wie immer gesenkt. Eine Hand hielt er an seinem Mund und der Oberkörper bebte. Erst ein paar Augenblicke später erkannte ich, dass er weinte. Wie angewurzelt stand ich da und beobachtete ihn wie er sich kaum beruhigen konnte. Im nächsten Moment hielt ein Auto auf dem Parkplatz an und eine hochgewachsene, schlanke, blonde, jung aussehende Frau stieg aus, die auf Lukas zurannte und ihn in die Arme nahm. Er schluchzte noch mehr. Sie redete beruhigend auf ihn ein. Ob sie seine Mutter war? Der Glückliche. Ich wünschte, dass meine Mutter noch hier wäre um mich in den Arm zu nehmen, aber das würde ich Mick und Nate gegenüber niemals zugeben wollen. Für sie war ich ein Vorbild und wollte das auch bleiben, indem ich meine Probleme immer für mich behielt. Wir hatten uns immer mit Mick und Nate einen Spaß daraus gemacht, ob er womöglich mit dem Michellin Männchen verwandt sein könnte, aber ich hätte nie gedacht, dass seine Mutter so aussehen könnte. Ich sah mich um. Niemand bekam das mit, was soeben passierte. Zumindest sah ich keine weitere Person in der Umgebung. Ich hielt mich bedeckt, damit sie mich nicht entdecken würden. Ehrlich gesagt fühlte ich mich, als würde ich die Privatsphäre von jemanden verletzen. Ich dachte darüber nach wie Mick und Nate reagieren würden, wenn sie jetzt hier dabei wären. Sie würden sich wahrscheinlich über diese ganze Szene lustig machen, aber mir war dafür überhaupt nicht zumute. Stattdessen fühlte ich mich schlecht und schuldig. Ob es ihm täglich so erging? Ist das das Ergebnis von mir und meinen Freunden? Beschämt sah ich weg und mir wurde bewusst, was für einen Schaden wir angerichtet hatten. Es sollte doch einfach nur ein bisschen Spaß sein. Als ich wieder zurück sah, fuhr das Auto bereits los.


Ein paar Stunden später kam ich nach Hause. Ich ließ mir Zeit mit meinem Heimweg, weil ich wusste, dass mich sowieso niemand vermisste. Mein Vater saß entweder in seinem Arbeitszimmer oder war unterwegs. Wir redeten kaum miteinander. Die einzige Ansprechpartnerin, die ich jemals hatte, war meine Mutter, die ich vor ein paar Jahren verlor, weil sie Krebs hatte. Es war ungerecht. Sie war so jung. Seit diesem Zeitpunkt versuche ich jeden Tag meine wahren Gefühle zu verbergen. Mein Vater sagte immer zu mir: "Junge, du musst stark sein. Was sollen die anderen denken, wenn du nur jammerst? Das bringt sie auch nicht zurück." Nach dem Tod musste ich mir täglich diese Aussage anhören. Es war mir peinlich über meine Gefühle zu sprechen. Deswegen ließ ich es. Ich glaubte auch, dass es eh niemanden interessieren würde. Ich ging in mein Zimmer und packte meine Schulsachen aus. Meine Routine bestand immer darin mir den Stoff des heutigen Schultages noch einmal anzusehen und meine Hausaufgaben zu machen. Heute war nur irgendwas anders. Ich musste ständig an Lukas und seine Mutter denken. Ich wünschte sehr, dass ich meine Mutter noch hätte. Mein Handy vibrierte und riss mich aus meinen Vorstellungen. Nate hatte in unsere Gruppe geschrieben, dass er von seinem Date zurück war. Desinteressiert legte ich das Handy weg und ging in die Küche, um mir etwas zu Essen zu holen. Auf der Küchentheke lagen 50€. Mein Vater ließ mir manchmal Geld da, damit ich mir bei Bedarf etwas zu Essen bestellen konnte. Der Kühlschrank war gut gefüllt. Unsere Haushälterin war heute einkaufen. Statt zu Essen beschloss ich draußen Joggen zu gehen. Das Handy ließ ich bewusst in meinem Zimmer.

Am nächsten Morgen kam Lukas nicht in die Schule. Es fiel mir normalerweise nie auf, wenn er fehlte, aber heute war es anders. Mick und Nate merkten, dass etwas nicht mit mir stimmte und löcherten mich mit Fragen. “Du hast ja gestern gar nicht auf unsere Nachrichten reagiert! Was war los?” Nate sah mich erwartungsvoll an. Sein Date lief anscheinend recht gut. Ich hatte keine Lust mich zu rechtfertigen, also erwiderte ich genervt: “Ich bin gestern bei Netflix eingeschlafen.” Nate sah mich erstaunt an, erwiderte aber nichts. Das Gute an unserer Freundschaft war, dass wir nie extrem lange und tiefgründige Gespräche führten. Vor der ersten Stunde waren wir sowieso alle noch nicht ganz wach. Die Zeit wollte ich für mich nutzen. Mick stupste mich von der Seite an und sagte: “Was wohl mit Pummelchen los ist? Ihm ist wahrscheinlich die Mathestunde nicht bekommen.” Er kicherte, Nate auch. Ich ebenfalls, obwohl mir nicht zumute war. Normalerweise würde ich das lustig finden, aber in dem Moment kam es mir einfach nicht richtig vor. Der Anblick von Lukas gestern wie er dort stand und weinte, war furchtbar. Wieder fühlte ich mich schlecht. Dabei hatte er es so gut. Er hat eine Mutter, die ihn liebt. Ich wünschte mir, dass irgendein Familienmitglied mich ebenfalls lieben würde.

Der Tag zog sich schleppend dahin. Dadurch, dass Lukas heute nicht in der Schule war, war er heute kein großes Gesprächsthema. Mick und Nate hielten sich heute ebenfalls etwas zurück. Sie hatten wahrscheinlich gemerkt, dass meine Laune nicht die beste war. Ich lief nach Hause. Als ich die Straße überqueren wollte, sah ich plötzlich an der Bushaltestelle einen blonden Haarschopf, der am Boden kauerte und hastig Blätter einsammelte. Zugegebenermaßen war sie wahnsinnig hübsch und sie faszinierte mich sofort. Ohne zu zögern ging ich zu ihr und half ihr die Blätter aufzuheben. Ehrlich gesagt war ich selbst über mein Verhalten überrascht. So kannte ich mich nämlich gar nicht. Ebenfalls überrascht sah sie mich an und schenkte mir ein schönes Lächeln. Natürlich lächelte ich zurück in der Hoffnung, dass es bei ihr ebenso gut ankam wie bei den anderen Mädels. “Danke, das war sehr nett von dir,” sagte sie. “Kein Problem. Ich heiße Tommy und du?” Was besseres fiel mir leider nicht ein. Ich wollte sie unbedingt kennen lernen. “Ich heiße Roselia, aber alle nennen mich Rosi.” Rosi. Ein ungewöhnlicher Name. Ich fing an nervös zu werden, aber ich versuchte weiterhin cool zu bleiben. “Wo gehst du denn zur Schule?,” fragte ich und sah sie erwartungsvoll an. "Ich gehe auf die Regine Hildebrand Oberschule, möchte aber bald auf das Oscar Wilde Gymnasium wechseln. Ich habe heute leider nicht mehr viel Zeit. Morgen bin ich wieder hier. Wenn du magst könnten wir uns morgen weiter unterhalten." Sie lächelte mich an. Ich war so perplex und wusste nicht wie ich reagieren sollte. Zum einen ging ich selbst auf das Oscar Wilde Gymnasium und das würde bedeuten, dass wir uns öfter sehen würden, und zum Anderen erkannte ich mich selbst nicht wieder. So eine Situation, dass so jemand wie ich nicht die richtigen Worte fand, gab es noch nie. Normalerweise war ich immer schlagfertig und hatte eine coole Antwort auf Lager. Stattdessen sagte ich einfach: "ok" und nickte. Rosi sah zufrieden aus. Es kam mir vor als hätte sie das Date eher mit mir klargemacht als umgekehrt. War das denn überhaupt ein Date? Ich hatte keine Ahnung, was mich erwarten würde. "Schön. Dann sehen wir uns morgen!" Sie winkte mir noch zum Abschied zu, lief die Straße ein Stück hinunter und stieg in ein Auto. Täuschte ich mich oder war es tatsächlich das selbe Auto, was ich gestern an der Schule sah und womit Lukas abgeholt wurde? Hinter den dunklen Scheiben konnte ich niemanden erkennen und verwarf den Gedanken sofort. Stattdessen machte ich mich auf den Weg nach Hause, wo mich sowieso niemand vermissen würde.

Am nächsten Tag musste ich nicht sehr früh aufstehen, weil wir die ersten vier Stunden Ausfall hatten. Insgesamt hatte ich somit nur drei Stunden Unterricht. Heute war es endlich soweit und ich würde Rosi wieder treffen. Zugegebenermaßen war ich sehr aufgeregt, aber ich wollte es mir nicht anmerken lassen. Auf irgendwelche Kommentare konnte ich verzichten. Mick und Nate würde ich davon sowieso nichts erzählen. Bis ich mich auf den Weg in die Schule machten musste, hatte ich noch Zeit. Mein Vater war bereits unterwegs. Ich ging noch ein wenig im Haus herum und sah mir die Familienbilder mit meiner Mutter an. Ihr Anblick beruhigte mich, obwohl ich sie sehr vermisste. Sie ist gestorben als ich zehn Jahre alt war. Mittlerweile ist ihr Tod vier Jahre her und es fühlt sich teilweise immer noch nicht real an. Es war unfair, dass manche Menschen ihre Mutter haben durften und sich ständig über sie aufregten. Als ich Lukas und seine Mutter sah, wurde mir bewusst, dass Lukas ein besseres Leben hatte als ich. Er war reicher als ich. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich mich zügig auf den Weg in die Schule machen musste. Manchmal vergaß ich die Zeit, wenn ich in alten Erinnerungen schwelge.

Die Schulglocke läutete. Endlich war es soweit und die letzte Stunde war vorbei. Betont langsam schlenderte Ich aus dem Klassenzimmer raus. Mick und Nate folgten mir. Ich hatte keine Lust auf die beiden. Glücklicherweise wurde Mick wieder von seinem Vater abgeholt und Nate hatte Fußballtraining. Wir verabschiedeten uns. Lukas war heute wieder nicht in der Schule. Mich würde interessiere, was mit ihm los war, dann dachte ich wieder an das vorstehende Treffen mit Rosi. Ich musste sie unbedingt dazu bekommen, dass sie mich mag. Sympathisch scheint sie mich jedenfalls zu finden, sonst würde sie sich nicht mit mir treffen. Voller Vorfreude machte ich mich auf den Weg zu unserem Treffpunkt.


Rosi war bereits da und saß auf einer Bank. Ich atmete ein letztes Mal tief durch und ging zu ihr. “Hi Rosi,” begrüßte ich sie. Sie stand auf und gab mir die Hand und begrüßte mich mit den Worten: “Hi, schön dich wieder zu sehen. Lass uns ein Stück laufen.” Sie lief zu einem Park und setzte sich mit mir zu einer Bank aus Stein. Auf dem Weg fragte ich sie wie es ihr ginge und wie ihr Tag war. Sie beantwortete all meine Fragen höflich, aber kurz und knapp. Ich fühlte mich etwas unwohl, weil ich das Gefühl bekam sie zu nerven. Also nahm ich meinen Mut zusammen und fragte sie:” Kann es sein, dass ich dich nerve?” Sie sah etwas verwundert aus, sagte dann aber freundlich: “Nein. Das hat nichts mit dir zu tun. Unsere Situation in der Familie ist derzeit nicht so leicht.” Sie sah nach unten und räusperte sich. Sie schien unentschlossen zu sein, ob sie mir davon erzählen wollte. “Du kannst mir gern erzählen, was passiert ist,” versuchte ich sie zu ermutigen. Sie nickte: “Weißt du ich bin sehr glücklich mit meiner Familie. Meine Eltern behandeln sich gegenseitig mit Respekt und wir können wirklich über alles mit ihnen reden. Das Problem ist mein Bruder. Er ist ein toller und freundlicher Mensch, aber er wird in der Schule gemobbt. In seiner Klasse sind drei Jungs, die es auf ihn abgesehen haben und ihn ständig fertig machen müssen.” Mein Gefühl der Aufregung veränderte sich. Stattdessen wuchs mein Unwohlsein und mein Verdacht, dass es sich bei ihrem Bruder um Lukas handelte, verstärkte sich, aber ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Stattdessen sagte ich:” Das tut mir Leid. Was passiert mit ihm?” So kannte ich mich nicht. Irgendwie war es komisch, dass ich so tat als hätte ich mit der Situation nichts zu tun. Dabei war ich der Hauptschuldige. Das war mir bewusst, aber sie faszinierte mich und ich wollte, dass sie mich mochte. Sie sah zu Boden und wirkte nachdenklich. Trotzdem sah sie sehr hübsch aus. “Es ging nach den Sommerferien los. Mein Bruder nahm auf einmal drastisch zu. Wir wussten nicht, was los war. Er aß nicht mehr als wir und trotzdem veränderte sich sein Körper. Der Kinderarzt diagnostizierte eine Schilddrüsenunterfunktion. Trotz der Krankheit blieb er weiterhin ein lebensfroher Mensch bis zu dem Zeitpunkt als seine Klassenkameraden anfingen ihn zu mobben. Es war furchtbar. Er kam jeden Tag nach Hause und war einfach nur fertig. Unsere Mutter konnte ihn teilweise kaum beruhigen. Wir haben auch schon bereits mit der Klassenlehrerin gesprochen und sie versprach uns ständig mit den Mitschülern zu sprechen. Wir bezweifeln aber, dass sie es jemals getan hat bzw. tun wird. Wir haben ihn derzeit für ein paar Tage krankschreiben lassen, weil er es in der Schule nicht mehr aushält. Es ist einfach nur schlimm wie sie mit ihm umgehen. Weißt du, ich hoffe, dass die Mitschüler eines Tages das bekommen, was sie verdienen. Ich habe großes Mitleid mit ihnen. Sie müssen sich ja wirklich extrem schlecht fühlen, wenn sie es toll finden einen liebevollen Menschen so dermaßen fertig zu machen. Das zeigt, dass sie ein großes Problem mit sich selbst haben.” Ich erstarrte. Das hat gesessen und ehrlich gesagt fühlte ich mich ertappt. Es stimmte, was sie sagte und wie sie es sagte. Selbstbewusst. Sie war das komplette Gegenteil von Lukas. In dem Moment stellten sich meine Ansichten komplett um. Ja, ich hatte tatsächlich ein großes Problem mit mir selbst. Meine tote Mutter. Rosi sah zu Boden und schwieg. Ich war nicht sicher, was ich sagen sollte und suchte nach den richtigen Worten. “Es tut mir Leid, was deinem Bruder passiert ist,” sagte ich. Sie nickte, schwieg aber weiter. “Ich habe meine Mutter verloren als ich zehn Jahre alt war. Jeden Tag vermisse ich sie. Es fällt mir schwer immer so tun zu müssen als wäre ich okay. Was mit deinem Bruder passiert ist schlimm, aber du hast ja gesagt, dass ihr ihn alle unterstützt und dann wird es ihm hoffentlich bald wieder besser gehen. Ich habe niemanden. Mein Vater interessiert sich nicht für mich und sorgt nur dafür, dass ich genug Geld und Essen da habe.” Ich holte tief Luft. Keine Ahnung, warum ich ihr das alles erzählte. Es rutschte einfach alles raus und es tat gut darüber zu sprechen. Überrascht sah Rosi mich von der Seite an: “Das hätte ich gar nicht von dir gedacht. Du siehst aus als könnte dich nichts aus der Bahn werfen.” Sie machte eine kurze Pause. Ja, das dachten tatsächlich viele. Die einzige Person, die mich wirklich gut kannte, war meine Mutter. Rosi fuhr fort: “Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Danke, dass du es mir erzählt hast.” Sie legte mir ihre Hand kurz auf die Schulter. Eigentlich wollte ich so gern zugeben, dass ich der Grund war, dass es Lukas schlecht ging und mich dafür entschuldigen, aber ich konnte nicht. Es fühlte sich schwer an, als ob es etwas Schlechtes wäre. In dem Moment wollte ich etwas sagen, als auf einmal ihr Handy klingelte. “Sorry”, murmelte sie verlegen und ging ran: “Lukas? Ist alles okay?” Sie stand von der Bank auf und ging ein paar Meter weiter um in Ruhe telefonieren zu können. Jetzt wusste ich zu 100%, dass der Lukas aus meiner Klasse der Bruder von Rosi war. Wie sollte ich das nur Mick und Nate beibringen? Musste ich ihnen das überhaupt erzählen? Musste ich weiterhin mit Menschen befreundet bleiben, die anderen nur Schaden zufügen wollten? Die Antwort war ein klares Nein, aber wen hätte ich denn noch in der Schule mit denen ich die Zeit verbringen sollte? Rosi kam eilig auf mich zu: “Es tut mir Leid, aber ich muss nach Hause. Es war schön, dass ich dich heute getroffen habe. Halt die Ohren steif und pass auf dich auf!” Sie umarmte mich kurz und ging. Es war schwer zu beschreiben wie ich mich fühlte. Auf der einen Seite schämte ich mich für das, was ich getan habe. Auf der anderen Seite fühlte ich mich befreit und wertgeschätzt von einer Person, die ich nur flüchtig kannte. Ich blieb noch eine ganze Weile auf der Bank sitzen und fragte mich, ob ich Rosi bald wiedersehen würde.

Zu Hause war ich wie immer alleine. Rosis Worte hallten bei all meinen Handlungen in meinem Kopf wider. Das zeigt, dass sie ein großes Problem mit sich selbst haben. Es stimmte. Mir wurde Stück für Stück bewusst, dass nicht Lukas das Problem war, sondern ich. Seit dem Tod meiner Mutter fühlte ich mich nicht mehr richtig glücklich. Anstatt ich mit jemanden über meine Probleme sprach, hatte ich meinen Frust an einem unschuldigen Menschen ausgelassen. Ich fühlte mich hundeelend und beschloss mich bei Lukas zu entschuldigen. Es war mir dabei egal, was die anderen dazu sagen würden. Ich machte mich bettfertig und legte mich hin. Ich wälzte mich hin und her und fand keine Ruhe. Ständig sah ich dieses hübsche Mädchen vor meinem inneren Auge, was mich vorwurfsvoll ansah. Irgendwann schaffte ich es einzuschlafen.

Am nächsten Morgen kam ich nur schwer aus dem Bett. All die Sachen, die die letzten Tage passiert waren, kamen mir nicht real vor. Ich hatte tatsächlich das erste mit jemanden über den Tod meiner Mutter gesprochen und es hat sich gut angefühlt. Außerdem habe ich eingesehen, dass mein Verhalten Lukas gegenüber nicht fair war und ich mich entschuldigen musste. Nein, ich möchte mich entschuldigen. Ich nahm es mir fest vor falls Lukas heute in der Schule war. Mein Frühstück aß ich eilig auf und machte mich auf den Weg in die Schule. Ich wusste nicht wie Mick und Nate auf mich reagieren würden, wenn ich sage, dass wir uns bei Lukas entschuldigen sollten. Wahrscheinlich würden sie sich über mich lustig machen. Die Vorstellung versetzte mir einen Stich, aber da musste ich durch. Wären sie wirklich meine Freunde, dann würden sie meine Entscheidung akzeptieren. Das Schulgelände füllte sich langsam mit Schülern, die müde und unmotiviert in ihre Unterrichtsräume gingen. Nicht mehr lange und dann waren endlich Ferien. Ich konnte es kaum erwarten. Ich machte mich auf den Weg zum Chemieraum, wo bereits Mick und Nate standen und sich unterhielten. Abrupt brachen sie ihr Gespräch ab als ich dazu kam. Kurz herrschte Stille, dann sagte Nate: "Und bist du für die Kurzkontrolle gut vorbereitet?" Kurzkontrolle? War das heute? Ich überlegte, ob ich in letzter Zeit irgendeine Info diesbezüglich mitbekommen hatte. Ich zuckte mit den Schultern und erwiderte lässig: "Klar, ihr kennt mich doch." Ich wollte mir nicht die Blöße geben und zeigen, dass ich nichts von einem Test wusste, aber wie sie mich kannten, würde ich wahrscheinlich sowieso wieder eine gute Note schreiben. Mick kicherte: "Unser moppeliges Chemie Genie ist auch wieder da!" Ich folgte seinem Blick. Lukas saß auf der Bank in der Ecke. Zusammengekauert. Er strahlte Unsicherheit förmlich aus. Mick und Nate kicherten und machten sich über seinen Anblick lustig. Am liebsten hätte ich den beiden gesagt, dass sie aufhören sollten, aber ich brachte diese Worte nicht über meine Lippen. Verdammt! Sag irgendwas! Ich konnte nicht. Sofort fühlte ich mich schlecht. Was würde nun Rosi von mir denken? Sie würde nie wieder etwas mit mir zu tun haben wollen, wenn sie wüsste, dass ich ihren Bruder mobbe bzw. Nichts dagegen tue. Im nächsten Moment wurde der Unterrichtsraum geöffnet und wir gingen alle auf unsere Plätze. Der Unterricht hat noch nicht mal richtig angefangen, schon wurden wir aufgefordert nur Zettel und Stift auf den Platz zu legen. Tatsächlich hatte ich nicht mitbekommen, dass wir heute eine Kurzkontrolle schreiben würden. Die Fragen waren aber sehr leicht und ich war nach der Hälfte der Zeit fertig. Unauffällig schielte ich zu Lukas rüber, dem der Schweiß die Stirn runter lief, als wäre er einen Marathon gelaufen. Ich fing an ihn mit anderen Augen zu sehen. Rosis Bruder. Ich stellte mir vor wie liebevoll sie und seine Eltern sich um ihn kümmern würden. Wie er Liebe und Verständnis zu Hause bekam. Wie ihm jemand zuhörte, wenn er von der Schule nach Hause kam. Mein Blick wurde glasig. Oh nein nicht jetzt! Ich durfte jetzt nicht anfangen zu heulen. Das war absolut nicht passend. Wieder kam mir die Frage durch den Kopf: was würden die anderen von mir denken? Doch dann sagte ich mir, dass ich damit aufhören sollte und das tun sollte, was ich für richtig hielt.

Nach Chemie stand Sport auf den Stundenplan. Aufgeregt diskutierten Mick und Nate über die Ergebnisse, die sie raus hatten. Ich hörte da gar nicht hin. Ich war nur genervt von den beiden. Wir gingen in die Umkleidekabine, zogen uns um und versammelten uns alle in der Sporthalle. Es waren die letzten Sportstunden vor den Ferien. Aufgeregt standen meine Mitschüler da in der Hoffnung, dass wir uns heute etwas aussuchen durften, was wir machen. Stattdessen sagte unser Sportlehrer: "Bevor wir die heutigen Stunden frei gestalten müssen wir noch die Leistungskontrolle im Seilspringen machen. Wir werden sicher zügig durch sein, wenn ihr alle mitzieht. Wir beginnen mit 10 Minuten Ausdauerlauf und anschließend mit Stationsarbeit. Ihr kommt dann bitte nach alphabetischer Reihenfolge nacheinander zu mir, wenn ich euch Bescheid gegeben habe." Ohne Widerstand liefen wir los. Wie jede Sportstunde amüsierten sich Mick und Nate über Lukas. Was auch sonst. Wieder sagte ich nichts. Was war ich nur für ein Feigling! Irgendwann hörten sie auf. Zum Glück. Ich merkte nur, dass sie mich ab und zu schief von der Seite ansahen. Natürlich merkten sie mein abweisend Verhalten, aber das war mir egal. Sie hätten ja auch mal nachfragen können, aber anscheinend war es ihnen nicht wichtig. Die Zeit war schnell vorbei und wir machten uns auf den Weg zur Stationsarbeit. Währenddessen wurde Nate zum Seilspringen gerufen, weil er in unserem Klassenbuch an erster Stelle stand. Er bekam eine 1. Dann waren noch zwei andere Mitschülerinnen dran und dann war ich an der Reihe. Auch eine 1. Lukas kam nach mir dran. Ohje, dachte ich mir nur. Schweigend ging ich zu meiner Station zurück. Ich wollte am Liebsten gar nicht mitbekommen wie sehr sich Mick und Nate über ihn lustig machen würden. Trotzdem sah ich kurz zu den beiden hinüber. Nate hatte sein Handy raus geholt und filmte Lukas bei seinen Anläufen. Erst kicherten sie leise, dann prusteten sie los. Ich konnte es nicht mehr länger ertragen. Ich ging zu ihnen und riss ihnen das Handy aus der Handy. "Hört auf mit dem Mist!", schrie ich sie an, "wollt ihr denn so behandelt werden? Ihr seid einfach nur respektlos!" Erschrocken sahen sie mich an. Nicht nur sie. Die ganze Klasse starrte uns mit offenen Mund an. Keiner sagte etwas. Sei stark, redete ich mir ein, du hast jetzt deine Chance zu zeigen, dass du kein Vollidiot bist. Ich räusperte mich kurz und fuhr fort:" Es ist unfair so mit einem Menschen umzugehen, der euch nichts getan hat! Ihr solltet euch schämen! Ich tue es jedenfalls!" Alle starrten mich weiter an. Ich fühlte die Worte tatsächlich selbst und wollte nicht nur imponieren. Lukas sah besonders sprachlos aus. Mit offenem Mund stand er da. Peinliche Stille machte sich in der Turnhalle breit. Unser Sportlehrer räusperte sich glücklicherweise und durchbrach somit die unangenehme Stille:" Bitte macht weiter und danach könnt ihr frei das machen, was ihr wollt. "

Als die Sportstunden vorbei waren, lag eine komische Atmosphäre in der Luft. Mick und Nate ignorierten mich und Lukas sah ab und zu mir. Was würde Rosi nun von mir denken? Mir fiel auf, dass ich keine Kontaktdaten hatte, um sie zu kontaktieren. Die einzige Möglichkeit wäre Lukas und es war mir unangenehm ihn daraufhin anzusprechen. Vielleicht würde er es so auslegen, dass ich ihn in Schutz genommen hätte, weil ich in seine Schwester verknallt war. In Wirklichkeit kamen meine Worte in der Sporthalle von Herzen. Mick und Nate verließen den Umkleideraum ohne mich eines Blickes zu würdigen und gingen in die Cafeteria, um Frühstückspause zu machen. Lukas sah noch einmal kurz zu mir hinüber bevor er ebenfalls die Umkleidekabine verließ. Als ich fertig mit Umziehen war, packte ich meine Sachen zusammen und lief ebenfalls in die Cafeteria. Meine beiden ehemaligen Freunde saßen nicht an unserem ursprünglichen Platz, sondern haben sich einen Tisch ausgesucht, wo nur zwei Stühle da waren. Die Botschaft war mehr als eindeutig. Sie nahmen mir mein Verhalten wohl sehr übel. Ehrlich gesagt betraf mich das nicht so stark wie ich vermutet hatte. Ich hatte definitiv das Richtige getan. Lukas saß ebenfalls an einem Tisch für zwei Personen ganz in der Nähe, nur allein. Der Sitz gegenüber von ihm war frei. Ich holte tief Luft und ging zu ihm. Er schaute erwartungsvoll auf. Was in diesem Moment passierte, ist mir noch nie passiert. Ich nahm all meinen Mut zusammen und sagte :” Lukas, es tut mir wahnsinnig Leid wie ich dich behandelt habe. Ich weiß, dass es nicht fair von mir war und ich weiß nicht, ob du mir das jemals verzeihen kannst. Als ich zehn Jahre alt war, habe ich meine Mutter verloren. Sie fehlt mir wahnsinnig. Jedes Mal, wenn ich nach Hause komme, fühle ich mich als wäre ich am falschen Ort. Jeder denkt, dass ich glücklich bin. Meine Noten sind super und ich habe Freunde … bzw. hatte,” dabei setzte ich das Wort Freunde in Gänsefüßchen, “ich habe am Montag gesehen wie deine Mutter dich begrüßt hat. Mir ist klar geworden, dass du viel reicher bist als ich. Du hast Menschen um dich herum, die dich lieben. Alles tut mir Leid. Du hast es so viel besser als ich. Ich wünschte, dass ich dein Leben hätte.” Lukas sah mich an. Sprachlos und mit großen Augen. Um uns herum war es ziemlich still. Wer weiß wie viele Mitschüler unser Gespräch mitgehört hatten. Trotzdem musste ich zugeben, dass es mir nicht unangenehm war. Es fühlte sich an als würde eine große Last von mir fallen. Als Lukas sich gefangen hatte, stand er auf und reichte mir die Hand: “Ich vergebe dir,” sagte er dann. “Setz dich doch gern zu mir. Ich würde gern mehr über dich erfahren.” Ich nahm Platz und ich erzählte ihm, was mit meiner Mutter passiert war und wie mein Vater sich weiter von mir entfernte. Er hörte interessiert zu. Es tat wahnsinnig gut mich ihm zu öffnen. Wer hätte gedacht, dass wir uns mal so gut verstehen. Zusammen gingen wir zum Unterricht und ich setzte mich dieses Mal zu ihm. Mick und Nate schauten ab und zu mit großen Augen rüber. Anscheinend hatten sie das Gespräch mitbekommen oder ihnen wurde bereits erzählt, was ich zu Lukas gesagt hatte. Jedenfalls machten sie keine Anstalten zu mir zu kommen und mit mir zu reden. Die restlichen Schulstunden verliefen sehr ruhig. Der Unterricht lief reibungslos und die Lehrer schienen sich zu fragen, was wohl mit uns los war, da ich und meine beiden Mitstreiter nie ruhig waren. Als wir den Tag geschafft hatten, verabschiedete ich mich von Lukas und wollte nach Hause laufen wollte, standen Mick und Nate auf dem Weg und schienen auf mich zu warten. Ich fragte mich, was sie denn nun von mir wollten. Nate räusperte sich:” Hey, das mit deiner Mutter wussten wir ja gar nicht. Das tut uns echt Leid. Warum hast du uns all die Jahre nichts gesagt?” Ich konnte ihre Gesichtsausdrücke nicht ganz deuten. Ihr Ton klang eher vorwurfsvoll als dass sie sich über mein Wohlergehen sorgen würden. Ich zuckte mit den Schultern. “Ich konnte nicht.” Mehr brachte ich nicht heraus. Tatsächlich war es so, dass es mir immer schwer fiel darüber zu sprechen. Sie nickten stumm. Ihre Blicke wurden härter. Mick ergriff das Wort:” Nun ja. Wir sind so lange befreundet und du hast nie deine Klappe aufgemacht und dann auf einmal hast du einen Stimmungsumschwung und bist auf einmal auf der Seite von Lukas,” er verzog das Gesicht als er seinen Namen aussprach “und erzählst ihm deine ganze Lebensgeschichte. Was ist los mit dir?” Wütend sahen mich beide an. Ich lächelte sie mitleidig an: “Wir sind nie Freunde gewesen.” Mit diesen Worten lief ich an meinen angeblichen Freunden vorbei und machte mich auf den Weg nach Hause.

Am nächsten Tag war ich beizeiten wach. Heute war Zeugnisausgabe und es war kurz vor den Ferien. Wir gingen heute nur in Schule um das Schulhalbjahr abzuschließen und unsere Zeugnisse entgegen zu nehmen. Wie am Vortag setzte ich mich wieder zu Lukas. Mick und Nate würdigten mich keines Blickes. Sollten sie doch. Obwohl sie sich ebenfalls über Lukas lustig gemacht hatten, hatte keiner von ihnen es nötig sich bei ihm zu entschuldigen.

Als wir in die Ferien entlassen wurden hielt mir Lukas einen Umschlag hin. Er lächelte wissend und sagte: “Hier. Den soll ich dir von meiner Schwester geben.” Wie erstarrt stand ich da und wusste nicht wie ich reagieren sollte. Ich nahm den Brief, murmelte ein kaum verständliches Danke. Er verabschiedete sich mit den Worten: “Wir sehen uns,” und lief zum Ausgang. Ich öffnete den Brief von Rosi. In einer sehr schönen Schrift standen folgende Worte geschrieben:

Lieber Tommy,

du wirst dich bestimmt wundern, weshalb ich Lukas diesen Brief mitgegeben habe. Ich möchte dir alles erklären. Als du mir geholfen meine Zettel aufzuheben und ich dich das erste Mal richtig getroffen hatte, wusste ich sofort wer du bist. Ja, ich wusste, dass du der Tommy bist, der mit meinem Bruder in eine Klasse geht. Dein Name ist bei uns zu Hause sehr oft gefallen und wir wussten alle, dass du Lukas fertig machst. Ich musste zugeben, ich war sehr überrascht als du mir mit meinen Zetteln geholfen hast und ich wollte dir gern eine Chance geben und dich kennen lernen, obwohl ich wusste, was du einer geliebten Person von mir angetan hast. Ich bin unvoreingenommen an die Sache ran gegangen. Durch den Vorfall mit deiner Mutter konnte ich dich natürlich besser verstehen und erkennen, was dich belastet und welche Beweggründe du hattest. Es freut mich sehr, dass du dich mir geöffnet hast. Meine Worte haben dich anscheinend zum Nachdenken angeregt, was mich sehr freut. Noch mehr freut es mich, dass du Lukas im Sportunterricht in Schutz genommen und dich bei ihm entschuldigt hast. Ich hoffe, dass deine Taten von Herzen kamen. Lukas ist ein wunderbarer Mensch, ebenso wie du, selbst wenn du schlimme Sachen getan hast. Ich hoffe sehr, dass wir bald mehr miteinander zu tun haben werden. Du bist bei uns zu Hause jederzeit willkommen und kannst mich gern über meine Nummer kontaktieren. Ich würde mich freuen!

Viele Grüße
Rosi

Irgendwie realisierte ich nicht, was ich soeben gelesen hatte. Obwohl sie von Anfang an wusste, dass ich ihren Bruder fertig mache, trat sie mir herzlich und freundlich gegenüber. Womit hatte ich das nur verdient? Ich steckte den Brief ein und verließ das Schulgebäude. Allein, aber mit einem Lächeln und dem Gefühl nicht allein zu sein.

-ENDE-
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo linda.kabeh,

zwar ist der Ablauf der Ereignisse in deiner Geschichte etwas vorsehbar, aber die Gefühle der Protagonisten hast du gut herausgearbeitet.

Der Text lässt sich noch straffen und stilistisch verbessern.

Gruß DS
 

linda.kabeh

Mitglied
Vielen Dank für dein Feedback.

Dann stellt sich mir die Frage wie genau ich stillistisch noch verbessern könnte und welche Stellen konkret gestrafft werden können?

LG
 

onivido

Mitglied
Hi Linda. Kabeh,

fuer mich war deine Geschichte sehr interessant zu lesen, weil sie mir einen Einblick gestattete in das heutige, fuer mich schwer vorstellbare, deutsche Schulwesen .

Die Szene bei der sich der Protagonist bei Lukas entschuldigt, fand dich aber doch etwas gespreizt und unnatuerlich fuer zwei 14 jaehrige. Wenn ich mich in die Lage des Protagonisten versetze , haette ich mich einfach zu Lukas gesetzt und die Unterhaltung begonnen. Das “ich vergebe dir” von Lukas ist gespreitzt. Ich haette den Lukas sagen lassen:”Ist ok, mach dir nichts draus. Ist alles vergessen.Shit happens”,oder so aehnlich. Natuerlich kann ich voellig daneben liegen. Ich habe keinen Kontakt mit der jungen Generation in Deutschland.

Gruesse aus Venezuela///Onivido
 

onivido

Mitglied
Hi again Linda,
gerade sehe , dass ein "t" fehlt bei "gespreizt" und ausserdem sollte es heissen "fand ich" statt "fand dich".
Onivido
 

linda.kabeh

Mitglied
Hi again Linda,
gerade sehe , dass ein "t" fehlt bei "gespreizt" und ausserdem sollte es heissen "fand ich" statt "fand dich".
Onivido
Vielen lieben Dank für dein Feedback. Die kleinen Schreibfehler sind kein Problem. ;)

Ich stimme dir zu, dass es auf dem ersten Blick nicht das typische Verhalten von 14-jährigen Jungs ist. Im Hinterkopf hatte ich jedenfalls, dass Rosi und Lukas eine andere Erziehung hatten und sie sich deswegen schon erwachsener verhalten. Für sie sind quasi schon andere Werte von Bedeutung im Gegensatz zur breiten Masse.

Die Geschichte ist tatsächlich inspiriert von einem Fall aus meiner Schulzeit, wo jedoch Lehrer gegen übergewichtige Schüler gestichelt haben.

Grüße an dich
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Stilistisch:


Die restlichen Schulstunden verliefen sehr ruhig. Der Unterricht lief reibungslos und die Lehrer schienen sich zu fragen, was wohl mit uns los war, da ich und meine beiden Mitstreiter nie ruhig waren

Hier verwendest Du zum Beispiel zu oft das Wort "ruhig" und die Beschreibung der störungsfrei verlaufenden Schulstunden ist viel zu ausführlich. Eine Erklärung reicht!

Du kannst den Text straffen, indem du an einer Stelle erzählst, wie sehr der Prot seine Mutter vermisst und es nicht immer wieder thematisierst und in Nebensätze einflechtest.

Lies den Text nochmal genau und schaue, wo es noch mehr Doppelungen gibt - du wiederholst oft Gefühls- oder Zustandsbeschreibungen, die die gute Geschichte ein bisschen schmälern.

Gruß DS
 



 
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