schreibfuchs
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Die Audienz beim Sultan steckte Mukhtar noch tief in den Knochen. Jedoch, keiner hatte seine Angst bemerkt, als er plötzlich dem großmächtigen Sultan und dem einfältigen Großwesir gegenüberstand. Er konnte es sich selbst kaum erklären, wie er plötzlich so ruhig und besonnen sein konnte. Er hatte freilich, als er sich diese abenteuerliche Legende ersann und zurechtlegte, niemals vermutet, dass der Sultan solch ein kindliches und naives Gemüht besaß. Zwar versetzte es ihn in großes Erstaunen, aber dass es Mukhtar nicht gerade ungelegen kam, konnte er nun auch nicht behaupten. Mukhtar hatte alles auf eine Karte gesetzt und vorerst gewonnen, denn mit dem Sultan im Rücken, wähnte er sich sicher und fühlte eine Kraft, um seinem momentanen Widersacher, dem Großwesir, beherzt die Stirn zu bieten. Nicht zu letzt war es aber diesem himmlischen Gedanke an Nefa zu verdanken, der ihn, bei dem Spiel um sein Leben, vorerst gewinnen ließ. Doch das Mädchen Nefa gab ihm Rätsel auf. Seit dem wundersamen Zusammentreffen im östlichen Vorhof hatte er nichts mehr von ihr gehört. Nefa hatte ihm an jenem Morgen, in den Katakomben des Palastes das kleine Versteck in einer winzigen Kammer, gleich neben der Sattlerei, gezeigt und war spurlos verschwunden…
Draußen, aus der großen Waschhalle, hörte Mukhtar das unflätige Geschrei von Aufseher und Sklaven das Blöcken und Meckern von Schafen und Ziegen und die kehligen Laute der Kamele. Überall lag ein Geruch aus einer Mischung von Stalldung und Seifenlauge. Mukhtar lag auf seiner harten Schlafstelle in der Kammer, die er sich mit einem jungen, taubstummen Viehknecht teilte, und überlegte, wo er die schöne Nefa noch finden könnte, denn er hatte sie überall gesucht, aber nirgends nur eine Spur von ihr entdeckt. Er wollte aber auch nicht fragen, weil er befürchtete, dass böser Hohn und beißender Spott die Antwort gewesen wäre. So suchte er allein und unauffällig, jedoch, so sehr er suchte, er fand weder ihre Wohnung noch irgendeine Zeichen von ihr. Sie schien verschollen und nicht mehr auffindbar. Ein schrecklicher Gedanke durchfuhr ihn: „War sie als Wäscherin und in einen der großen Waschzuber gefallen? War ihr wunderschöner Körper etwa ein Fraß der scharfen Seifenlauge geworden?“
Er wusste nichts von ihr und zwang sich ruhig zu bleiben, um alles zu überdenken, ohne gleich in Panik zu verfallen!
„War Nefa in der Wäscherei beschäftigt? Oder diente sie als Hirtin, die sich um das Wohl der Ziegen, Schafe oder Kamele kümmert? Aber ihre schönen Kleider?“
Nein, dass ließ sich alles nicht vereinbaren, das passte an keiner Stelle zusammen! Aber was tat sie dann, wenn sie nicht in den Katakomben diente? Wohnte und arbeitete sie gar im Lakaiensaal?
„Ja, dass könnte die Lösung sein!“ und es wurde ihm plötzlich sonnenklar, warum er sie nicht in den Katakomben fand, ja, einfach nicht finden konnte! Aber im Lakaiensaal trug man auch nicht solche prächtigen Kleider, sondern nur die schlichten Gewänder der Dienerschaft:
„Oder arbeitet sie vielleicht“, er wurde kreidebleich bei diesem Gedanken und ein Zittern durchfuhr seine Glieder, „im Miniaturpalast, dort wo Sultan und Prinzessin Shakira wohnen? Ist Nefa gar ihre Zofe oder persönliche Bedienstete?“
Ja das würde passen, wie der große Deckel auf dem Brunnen im östlichen Vorhof des Palastes.
Plötzlich klopfte es zaghaft an die Tür. Mukhtar erschrak aus seinen Gedanken, sprang auf und öffnete vorsichtig die Tür. Draußen stand ein kleiner vielleicht 10jähriger Junge barfuß, mit schmutzigem Gesicht, zerrissenen Pumphosen, einem ebensolchen grauen Wamses und verschlissenem Turban:
„Bist du Mukhtar?“, fragte der kleine Junge ängstlich.
Mukhtar wunderte sich, bejahte seine Frage und der Junge rief schnell:
„Du sollst heute Abend, nach dem letzten Abendgebet, im östlichen Vorhof sein!“ und verschwand, ohne ein weiteres Wort, so schnell er gekommen war.
„Wer will mich denn zu so später Stunde noch treffen!“, überlegte er angestrengt:
„Will mir der Großwesir eine Falle stellen? Will er mich vielleicht fangen und in den Turm werfen lassen? Aber nein, doch nicht vor dem Wettlauf, das würde der Sultan nie zulassen! Aber wenn es der Sultan gar nicht wüsste, dass der Großwesir mich aus dem Weg räumen lassen will und ihn über mein Verbleiben belügt?“
Mukhtar lief die wenigen Schritte in der Kammer, wie ein gefangenes Tier, immer hin und her. Je mehr Zeit verging, desto mehr der seltsamsten und gewagtesten Theorien, was in dem Vorhof alles geschehen konnte, gingen ihm durch den Kopf:
„Werde ich dort gar von Murad erwartet, der mir irgendeinen Deal vorschlagen will!“, ein Schaudern lief durch seinen Körper:
„ Nein, dass ist Blödsinn, Murad verhandelt doch nicht, ich schätze, dass er dieses Wort gar nicht kennt!“
Aber einfach nicht hingehen, wollte Mukhtar auch nicht. So groß die Gefahren auch schienen, die Möglichkeit vielleicht zufällig auf Nefa zu treffen, wollte er, trotz aller drohenden Gefahren, nicht ungenutzt verstreichen lassen. Da hörte er die weithin schallende und monotone Stimme des Muezzins, die alle gläubigen Moslems zum Gebet rief. Mukhtars Zeit war gekommen! Entschlossen schnappte er sich einen kurzen aber kräftigen Knüppel, verließ seinen Schlupfwinkel und schlich sich vorsichtig in die Richtung des östlichen Vorhofs. Dabei umging er die hell lodernden Feuer der Wachen, drückte sich an den sonnenwarmen Mauern der Palasteinfriedung entlang, nutzte Büsche und Gestrüpp zur Tarnung, schlich durch die mächtigen Schatten der Hängenden Gärten und erreicht schließlich unbemerkt den Brunnen im östlichen Vorhof. Der Brunnen warf im fahlen Licht des Mondes einen gespenstischen Schatten auf den gestampften Boden des Platzes. Mukhtar ließ sich an diesem Brunnen, innerhalb seines Schattens schnaufend nieder, kam erleichtert zur Ruhe und lauschte auf die Stimmen der Nacht. Alles schien ruhig und kündigte von keiner Gefahr oder deutete auf irgendeinen Hinterhalt hin. Doch plötzlich löste sich aus der Finsternis eines Mauervorsprungs lautlos eine schmale Gestalt, nahm ihren Schritt auf huschte auf ihn zu. Mukhtar hatte es bemerkt, er hielt erregt den Atem an und fasste fest um das Holz des Knüppels. Er duckte sich, holte aus und wollte der Gestalt gerade einen Schlag versetzen, als er eine bekannte Stimme vernahm:
„Sag mal Mukhtar, willst du mich etwa erschlagen?“, sagte die ihm vertraute Stimme mit trockener Ausgelassenheit! Mukhtars Hand erstarb, ließ das Holz polternd fallen und griff mit der Hand nach dem Mädchen:
„Nefa, du bist es, Allah sei Dank! Ich dachte schon, Murad oder der Großwesir hätten mir eine Falle gestellt oder einen Hinterhalt gelegt!“
Shakira, die in einer einfachen Schalwar* (weiten und langen Hose) und einem Tschador*, (leichtes Tuch zur Gesichtsverhüllung) das locker über Schulter, Hals und Kopf geworfen lag, und das nur ihre braunen Augen zeigte, gehüllt war, nahm Mukhtars Hände liebevoll in die ihren und neckte ihn:
„Du glaubst doch nicht wirklich, dass du mich getroffen hättest!“ Doch Mukhtar, der immer noch an seine Verschwörungstheorie glaubte, ging nicht auf ihr Spiel ein und flüsterte stattdessen düster:
„Sag mal ist dir bei deinem Abendspaziergang irgendetwas aufgefallen? Huschende Schatten, unterdrückte Rufe, wisperndes Getuschel oder eine andere Ungereimtheit auf deinem Weg, wie vielleicht der Großwesir oder gar Murad?“
„Ach du Kindskopf!“, Shakira fuhr ihn zärtlich durch das Haar, „Ich hörte den Wüstenfuchs bellen und sah zwei Häschen in einem lustigen Spiel! Aber sonst, weder einen Großwesir, noch einen Murad!“, ihre Augen strahlten ihn belustigt an, „da muss ich dich leider enttäuschen!“
„Aber auf wessen Geheiß bin ich dann hier, wenn es weder Murad noch der Großwesir waren?“ Mukhtar suchte in ihren Augen, die sanft und matt das Mondlicht widerspiegelten, nach der Antwort. Shakira zuckte leicht mit den Schultern: „Keine Ahnung!“ und ließ ein leises Lachen hören: „Vielleicht war es gar kein Geheiß, sondern nur die klitzekleine Bitte einer Sklavin, die dich, vor deinem morgendlichen Kampf, noch einmal sehen wollte?“
„Nefa, du hast mich also herbestellt? Ach, wie sehr habe ich mir das gewünscht, wie sehr und wie lange habe ich nach dir gesucht, um dich nun hier, an unserer alten Stätte, endlich wiederzufinden! Das macht mich glücklich! Mir ist es auch vollkommen egal, dass Morgen schon der Wettkampf sein soll, davor habe ich keine Angst!“
Da erkannte sie ihren Mukhtar wieder, wie er sich gebärdete, wie ein trotziger Junge, der sich etwas in den Kopf gesetzt hat, genau, wie beim ersten Treffen, als sie ihm diesen Kampf auszureden versuchte. Sie seufzte leise und dachte:
„Vielleicht sind es gerade seine Geradlinigkeit und Zielstrebigkeit, die ich so mag?
Mukhtar schob ihr Tschador vorsichtig über ihr blauschwarzes Haar, erblickte ihr ebenmäßiges Gesicht, löste einen Knoten und ließ die wallende Haarpracht langsam über ihre Schultern fließen. Seine Augen forschten unentwegt in ihrem Gesicht, während seine Hände eifrig, aber vorsichtig ihren Körper erforschten. Shakira tat es ihm gleich. Als sie sich umfingen und langsam zu Boden glitten glühten ihre Augen. Ihr Atem ging heftig und zitternd vor Leidenschaft, und sie genossen die erhebenden Gefühle des Augenblicks. Arm in Arm und Haut an Haut, träumten sie sich in das Mondlicht, ließen sich von ihm gefangen nehmen und davontragen. Mukhtar war es, der, nach einer langen Zeit der Zweisamkeit, dieses stille Einvernehmen zögerlich flüsternd unterbrach:
„Weißt du Nefa, als ich in die Stadt des Sultans kam, habe ich so einiges gehört und gesehen. Weißt du, wovon die Menschen dieser Stadt am meisten schwärmen!“ Er hatte sich halb aufgerichtet, seinen Kopf auf den Arm gestützt und schaute sie aus großen fragenden Augen an. Sie blickte zurück, lachte verhalten und flüsterte heißer:
„Nein, da habe ich keine Ahnung! Sag´s mir!“
„Bitte sei mir jetzt nicht böse“, begann er, „ich kann mir nicht vorstellen, dass deine Schönheit und dein Liebreiz von irgend einer Frau übertroffen werden kann! Aber die Menschen da unten reden den lieben langen Tag über Prinzessin Shakira!“
In seinem Redefluss bemerkte Mukhtar nicht, wie das Mädchen an seiner Seite leise zusammenzuckte.
„ Weißt du, womit sie das Aussehen der Prinzessin vergleichen?“
„Nein, aber sag schon!“, rief Shakira neugierig:
„ Also, die Menschen sagen:
Ihr Körper ist gleich einem Tautropfen am Morgen!
Ihre Brüste sind wie zwei saftige Granatäpfel!
Ihr sinnlicher Mund gleicht dem Rot des Feuerfisches!
Ihre Augen besitzen das alles verzehrende Feuer der Achate!
Und ihr Verstand ist so scharf wie ein Diamant und schnell wie ein Wiesel!
Kommt dir das nicht bekannt vor?“, Mukhtar lachte heißer:
„Ich will ehrlich zu dir sein. Ich kam her, um das Herz Prinzessin Shakiras zu gewinnen. Ich bin zwar kein Prinz, aber einer, der Shakira alles geben könnte. Verstehst du: Alles, was sie braucht, um glücklich zu sein! Ich habe die Worte der Menschen von da unten auswendig gelernt! Dann sah ich dich hier an diesem Brunnen und glaubte, ich hätte Prinzessin Shakira mit all ihrer Pracht und Schönheit gefunden! Aber, es war nicht die Prinzessin, die ich fand, sondern die Sklavin! Eine Sklavin des Sultans, mit der Schönheit und Klugheit einer Königin! Und weil du mich so verzaubertest, sagte ich diese Worte zu Trennung und kein Zurück mehr gab und sie in ihrer Rolle verbleiben musste. Nur die ersten Augenblicke zwischen ihr und ihm, nämlich die, kurz nach ihrem wilden Tanz, waren unaufrichtig, alles andere, was danach folgte, war aufrichtig und wahrhaftig. Selbst alle Zweifel an Mukhtars Sieg gegen Murad, die sie bei ihrem ersten Treffen hegte, schienen ausgeräumt. Sie dachte nicht etwa: Heute will ich mich amüsieren, denn schon bald wird er tot sein. Nein, es schauderte sie der Gedanke, dass es auch diese Möglichkeit gab. Sie wollte das Spiel nicht mehr verlassen, machte sich keine Gedanken um dessen Ausgang, nein, sie genoss das Zusammensein mit Mukhtar. Sie erkannte in diesem Augenblick das Phänomen, das sie erfasst hatte: Die Wirklichkeit besaß nun, wie ein denkendes Subjekt, die Oberherrschaft und diktiert dem Spiel alles, was nicht mehr spielerisch, sondern greifbar war. Ihr Handlungen und Empfindungen gewannen Wahrhaftigkeit, wurden groß, spülten das Spiel hinweg und triumphierte als Sieger in ihrem Herzen. Shakira hatte ein Spiel begonnen, dessen Ausgang sie nicht kennen konnte und durfte nun erstaunt feststellte, dass Liebe daraus erwachsen war!
Shakira lag immer noch heftig atmend an Mukhtars Seite. Kann es so etwas geben? Zuerst erfuhr sie, was ihr Volk, obwohl es sie überhaupt nicht kennt, über sie denkt, wie legendenhaft sie von ihm beschrieben und angebetet wird und dann, wie Mukhtar, nur mit dem Wissen um diese Legende, nach ihr sucht, sie findet und von ihr, mit einer falschen Identität, wie ein Tanzbär, an der Nase herumgeführt wird. Hatten die Ereignisse, die sie erlebte mit ihrem Traum zu tun? Hatte Abida mit ihrer Traumdeutung Recht? Shakira rang nach Atem! Ist Mukhtar nun wirklich mein Auserwählter? Jede, von ihr, erlebte Begegnung passte genau in das, von Abida, entworfene Bild und fügte sich langsam, wie viele, zueinander gehörende Puzzlesteine, zu einem Ganzen. Shakira spürte plötzlich ein Unwohlsein, das sich aber glücklicherweise nicht verstärkte! Fieberhaft gingen ihre Gedanken:
„Wie komme ich da jetzt raus!“ Zu allem Überfluss, spürte sie auch noch, wie ein beißendes und quälendes Gefühl in ihr hochstieg. Sie lachte still und bitter:
„Soll ich jetzt vielleicht noch auf mich selbst eifersüchtig sein? Shakira auf Nefa? Nefa, die es gar nicht gibt? Das ist doch einfach lächerlich! Oder, bei Allah, werde ich gar verrückt? Oh, mein lieber Mukhtar! Du darfst es jetzt noch nicht wissen, dass ich Shakira bin! Ich kann nur hoffen, dass du mir verzeihst! Morgen, ja Morgen wirst du es erfahren und ich will bei Allah hoffen, dass du es verstehst!“
Mukhtar, der die ganze Zeit über geschwiegen und das Zusammensein still genossen hatte, fragte mit, vom langen Schweigen, belegter Stimme:
„Hey Nefa, bist du überhaupt noch da?“ Sie lachte unsicher, damit sie nichts von ihrer Gedanken verriet:„Sag mal, ich frage mich die ganze Zeit über, wer du eigentlich bist! Ich fand dich nirgends, weder in den Kammern der Sklaven, noch bei ihrer Arbeit. Weder in den Ställen, noch in den Manufakturen! Sorry, ich kann mir einfach nicht helfen, aber du hast nichts, was mich an eine Sklavin erinnert. Darum frage ich dich jetzt: Nefa wer bist du?“
Shakira drehte sich zu ihm um, ihr schwanden die Kräfte. Sie nahm all ihren Mut zusammen und log:
„Ich bin Nefa, die Zofe von Prinzessin Shakira!“
Draußen, aus der großen Waschhalle, hörte Mukhtar das unflätige Geschrei von Aufseher und Sklaven das Blöcken und Meckern von Schafen und Ziegen und die kehligen Laute der Kamele. Überall lag ein Geruch aus einer Mischung von Stalldung und Seifenlauge. Mukhtar lag auf seiner harten Schlafstelle in der Kammer, die er sich mit einem jungen, taubstummen Viehknecht teilte, und überlegte, wo er die schöne Nefa noch finden könnte, denn er hatte sie überall gesucht, aber nirgends nur eine Spur von ihr entdeckt. Er wollte aber auch nicht fragen, weil er befürchtete, dass böser Hohn und beißender Spott die Antwort gewesen wäre. So suchte er allein und unauffällig, jedoch, so sehr er suchte, er fand weder ihre Wohnung noch irgendeine Zeichen von ihr. Sie schien verschollen und nicht mehr auffindbar. Ein schrecklicher Gedanke durchfuhr ihn: „War sie als Wäscherin und in einen der großen Waschzuber gefallen? War ihr wunderschöner Körper etwa ein Fraß der scharfen Seifenlauge geworden?“
Er wusste nichts von ihr und zwang sich ruhig zu bleiben, um alles zu überdenken, ohne gleich in Panik zu verfallen!
„War Nefa in der Wäscherei beschäftigt? Oder diente sie als Hirtin, die sich um das Wohl der Ziegen, Schafe oder Kamele kümmert? Aber ihre schönen Kleider?“
Nein, dass ließ sich alles nicht vereinbaren, das passte an keiner Stelle zusammen! Aber was tat sie dann, wenn sie nicht in den Katakomben diente? Wohnte und arbeitete sie gar im Lakaiensaal?
„Ja, dass könnte die Lösung sein!“ und es wurde ihm plötzlich sonnenklar, warum er sie nicht in den Katakomben fand, ja, einfach nicht finden konnte! Aber im Lakaiensaal trug man auch nicht solche prächtigen Kleider, sondern nur die schlichten Gewänder der Dienerschaft:
„Oder arbeitet sie vielleicht“, er wurde kreidebleich bei diesem Gedanken und ein Zittern durchfuhr seine Glieder, „im Miniaturpalast, dort wo Sultan und Prinzessin Shakira wohnen? Ist Nefa gar ihre Zofe oder persönliche Bedienstete?“
Ja das würde passen, wie der große Deckel auf dem Brunnen im östlichen Vorhof des Palastes.
Plötzlich klopfte es zaghaft an die Tür. Mukhtar erschrak aus seinen Gedanken, sprang auf und öffnete vorsichtig die Tür. Draußen stand ein kleiner vielleicht 10jähriger Junge barfuß, mit schmutzigem Gesicht, zerrissenen Pumphosen, einem ebensolchen grauen Wamses und verschlissenem Turban:
„Bist du Mukhtar?“, fragte der kleine Junge ängstlich.
Mukhtar wunderte sich, bejahte seine Frage und der Junge rief schnell:
„Du sollst heute Abend, nach dem letzten Abendgebet, im östlichen Vorhof sein!“ und verschwand, ohne ein weiteres Wort, so schnell er gekommen war.
„Wer will mich denn zu so später Stunde noch treffen!“, überlegte er angestrengt:
„Will mir der Großwesir eine Falle stellen? Will er mich vielleicht fangen und in den Turm werfen lassen? Aber nein, doch nicht vor dem Wettlauf, das würde der Sultan nie zulassen! Aber wenn es der Sultan gar nicht wüsste, dass der Großwesir mich aus dem Weg räumen lassen will und ihn über mein Verbleiben belügt?“
Mukhtar lief die wenigen Schritte in der Kammer, wie ein gefangenes Tier, immer hin und her. Je mehr Zeit verging, desto mehr der seltsamsten und gewagtesten Theorien, was in dem Vorhof alles geschehen konnte, gingen ihm durch den Kopf:
„Werde ich dort gar von Murad erwartet, der mir irgendeinen Deal vorschlagen will!“, ein Schaudern lief durch seinen Körper:
„ Nein, dass ist Blödsinn, Murad verhandelt doch nicht, ich schätze, dass er dieses Wort gar nicht kennt!“
Aber einfach nicht hingehen, wollte Mukhtar auch nicht. So groß die Gefahren auch schienen, die Möglichkeit vielleicht zufällig auf Nefa zu treffen, wollte er, trotz aller drohenden Gefahren, nicht ungenutzt verstreichen lassen. Da hörte er die weithin schallende und monotone Stimme des Muezzins, die alle gläubigen Moslems zum Gebet rief. Mukhtars Zeit war gekommen! Entschlossen schnappte er sich einen kurzen aber kräftigen Knüppel, verließ seinen Schlupfwinkel und schlich sich vorsichtig in die Richtung des östlichen Vorhofs. Dabei umging er die hell lodernden Feuer der Wachen, drückte sich an den sonnenwarmen Mauern der Palasteinfriedung entlang, nutzte Büsche und Gestrüpp zur Tarnung, schlich durch die mächtigen Schatten der Hängenden Gärten und erreicht schließlich unbemerkt den Brunnen im östlichen Vorhof. Der Brunnen warf im fahlen Licht des Mondes einen gespenstischen Schatten auf den gestampften Boden des Platzes. Mukhtar ließ sich an diesem Brunnen, innerhalb seines Schattens schnaufend nieder, kam erleichtert zur Ruhe und lauschte auf die Stimmen der Nacht. Alles schien ruhig und kündigte von keiner Gefahr oder deutete auf irgendeinen Hinterhalt hin. Doch plötzlich löste sich aus der Finsternis eines Mauervorsprungs lautlos eine schmale Gestalt, nahm ihren Schritt auf huschte auf ihn zu. Mukhtar hatte es bemerkt, er hielt erregt den Atem an und fasste fest um das Holz des Knüppels. Er duckte sich, holte aus und wollte der Gestalt gerade einen Schlag versetzen, als er eine bekannte Stimme vernahm:
„Sag mal Mukhtar, willst du mich etwa erschlagen?“, sagte die ihm vertraute Stimme mit trockener Ausgelassenheit! Mukhtars Hand erstarb, ließ das Holz polternd fallen und griff mit der Hand nach dem Mädchen:
„Nefa, du bist es, Allah sei Dank! Ich dachte schon, Murad oder der Großwesir hätten mir eine Falle gestellt oder einen Hinterhalt gelegt!“
Shakira, die in einer einfachen Schalwar* (weiten und langen Hose) und einem Tschador*, (leichtes Tuch zur Gesichtsverhüllung) das locker über Schulter, Hals und Kopf geworfen lag, und das nur ihre braunen Augen zeigte, gehüllt war, nahm Mukhtars Hände liebevoll in die ihren und neckte ihn:
„Du glaubst doch nicht wirklich, dass du mich getroffen hättest!“ Doch Mukhtar, der immer noch an seine Verschwörungstheorie glaubte, ging nicht auf ihr Spiel ein und flüsterte stattdessen düster:
„Sag mal ist dir bei deinem Abendspaziergang irgendetwas aufgefallen? Huschende Schatten, unterdrückte Rufe, wisperndes Getuschel oder eine andere Ungereimtheit auf deinem Weg, wie vielleicht der Großwesir oder gar Murad?“
„Ach du Kindskopf!“, Shakira fuhr ihn zärtlich durch das Haar, „Ich hörte den Wüstenfuchs bellen und sah zwei Häschen in einem lustigen Spiel! Aber sonst, weder einen Großwesir, noch einen Murad!“, ihre Augen strahlten ihn belustigt an, „da muss ich dich leider enttäuschen!“
„Aber auf wessen Geheiß bin ich dann hier, wenn es weder Murad noch der Großwesir waren?“ Mukhtar suchte in ihren Augen, die sanft und matt das Mondlicht widerspiegelten, nach der Antwort. Shakira zuckte leicht mit den Schultern: „Keine Ahnung!“ und ließ ein leises Lachen hören: „Vielleicht war es gar kein Geheiß, sondern nur die klitzekleine Bitte einer Sklavin, die dich, vor deinem morgendlichen Kampf, noch einmal sehen wollte?“
„Nefa, du hast mich also herbestellt? Ach, wie sehr habe ich mir das gewünscht, wie sehr und wie lange habe ich nach dir gesucht, um dich nun hier, an unserer alten Stätte, endlich wiederzufinden! Das macht mich glücklich! Mir ist es auch vollkommen egal, dass Morgen schon der Wettkampf sein soll, davor habe ich keine Angst!“
Da erkannte sie ihren Mukhtar wieder, wie er sich gebärdete, wie ein trotziger Junge, der sich etwas in den Kopf gesetzt hat, genau, wie beim ersten Treffen, als sie ihm diesen Kampf auszureden versuchte. Sie seufzte leise und dachte:
„Vielleicht sind es gerade seine Geradlinigkeit und Zielstrebigkeit, die ich so mag?
Mukhtar schob ihr Tschador vorsichtig über ihr blauschwarzes Haar, erblickte ihr ebenmäßiges Gesicht, löste einen Knoten und ließ die wallende Haarpracht langsam über ihre Schultern fließen. Seine Augen forschten unentwegt in ihrem Gesicht, während seine Hände eifrig, aber vorsichtig ihren Körper erforschten. Shakira tat es ihm gleich. Als sie sich umfingen und langsam zu Boden glitten glühten ihre Augen. Ihr Atem ging heftig und zitternd vor Leidenschaft, und sie genossen die erhebenden Gefühle des Augenblicks. Arm in Arm und Haut an Haut, träumten sie sich in das Mondlicht, ließen sich von ihm gefangen nehmen und davontragen. Mukhtar war es, der, nach einer langen Zeit der Zweisamkeit, dieses stille Einvernehmen zögerlich flüsternd unterbrach:
„Weißt du Nefa, als ich in die Stadt des Sultans kam, habe ich so einiges gehört und gesehen. Weißt du, wovon die Menschen dieser Stadt am meisten schwärmen!“ Er hatte sich halb aufgerichtet, seinen Kopf auf den Arm gestützt und schaute sie aus großen fragenden Augen an. Sie blickte zurück, lachte verhalten und flüsterte heißer:
„Nein, da habe ich keine Ahnung! Sag´s mir!“
„Bitte sei mir jetzt nicht böse“, begann er, „ich kann mir nicht vorstellen, dass deine Schönheit und dein Liebreiz von irgend einer Frau übertroffen werden kann! Aber die Menschen da unten reden den lieben langen Tag über Prinzessin Shakira!“
In seinem Redefluss bemerkte Mukhtar nicht, wie das Mädchen an seiner Seite leise zusammenzuckte.
„ Weißt du, womit sie das Aussehen der Prinzessin vergleichen?“
„Nein, aber sag schon!“, rief Shakira neugierig:
„ Also, die Menschen sagen:
Ihr Körper ist gleich einem Tautropfen am Morgen!
Ihre Brüste sind wie zwei saftige Granatäpfel!
Ihr sinnlicher Mund gleicht dem Rot des Feuerfisches!
Ihre Augen besitzen das alles verzehrende Feuer der Achate!
Und ihr Verstand ist so scharf wie ein Diamant und schnell wie ein Wiesel!
Kommt dir das nicht bekannt vor?“, Mukhtar lachte heißer:
„Ich will ehrlich zu dir sein. Ich kam her, um das Herz Prinzessin Shakiras zu gewinnen. Ich bin zwar kein Prinz, aber einer, der Shakira alles geben könnte. Verstehst du: Alles, was sie braucht, um glücklich zu sein! Ich habe die Worte der Menschen von da unten auswendig gelernt! Dann sah ich dich hier an diesem Brunnen und glaubte, ich hätte Prinzessin Shakira mit all ihrer Pracht und Schönheit gefunden! Aber, es war nicht die Prinzessin, die ich fand, sondern die Sklavin! Eine Sklavin des Sultans, mit der Schönheit und Klugheit einer Königin! Und weil du mich so verzaubertest, sagte ich diese Worte zu Trennung und kein Zurück mehr gab und sie in ihrer Rolle verbleiben musste. Nur die ersten Augenblicke zwischen ihr und ihm, nämlich die, kurz nach ihrem wilden Tanz, waren unaufrichtig, alles andere, was danach folgte, war aufrichtig und wahrhaftig. Selbst alle Zweifel an Mukhtars Sieg gegen Murad, die sie bei ihrem ersten Treffen hegte, schienen ausgeräumt. Sie dachte nicht etwa: Heute will ich mich amüsieren, denn schon bald wird er tot sein. Nein, es schauderte sie der Gedanke, dass es auch diese Möglichkeit gab. Sie wollte das Spiel nicht mehr verlassen, machte sich keine Gedanken um dessen Ausgang, nein, sie genoss das Zusammensein mit Mukhtar. Sie erkannte in diesem Augenblick das Phänomen, das sie erfasst hatte: Die Wirklichkeit besaß nun, wie ein denkendes Subjekt, die Oberherrschaft und diktiert dem Spiel alles, was nicht mehr spielerisch, sondern greifbar war. Ihr Handlungen und Empfindungen gewannen Wahrhaftigkeit, wurden groß, spülten das Spiel hinweg und triumphierte als Sieger in ihrem Herzen. Shakira hatte ein Spiel begonnen, dessen Ausgang sie nicht kennen konnte und durfte nun erstaunt feststellte, dass Liebe daraus erwachsen war!
Shakira lag immer noch heftig atmend an Mukhtars Seite. Kann es so etwas geben? Zuerst erfuhr sie, was ihr Volk, obwohl es sie überhaupt nicht kennt, über sie denkt, wie legendenhaft sie von ihm beschrieben und angebetet wird und dann, wie Mukhtar, nur mit dem Wissen um diese Legende, nach ihr sucht, sie findet und von ihr, mit einer falschen Identität, wie ein Tanzbär, an der Nase herumgeführt wird. Hatten die Ereignisse, die sie erlebte mit ihrem Traum zu tun? Hatte Abida mit ihrer Traumdeutung Recht? Shakira rang nach Atem! Ist Mukhtar nun wirklich mein Auserwählter? Jede, von ihr, erlebte Begegnung passte genau in das, von Abida, entworfene Bild und fügte sich langsam, wie viele, zueinander gehörende Puzzlesteine, zu einem Ganzen. Shakira spürte plötzlich ein Unwohlsein, das sich aber glücklicherweise nicht verstärkte! Fieberhaft gingen ihre Gedanken:
„Wie komme ich da jetzt raus!“ Zu allem Überfluss, spürte sie auch noch, wie ein beißendes und quälendes Gefühl in ihr hochstieg. Sie lachte still und bitter:
„Soll ich jetzt vielleicht noch auf mich selbst eifersüchtig sein? Shakira auf Nefa? Nefa, die es gar nicht gibt? Das ist doch einfach lächerlich! Oder, bei Allah, werde ich gar verrückt? Oh, mein lieber Mukhtar! Du darfst es jetzt noch nicht wissen, dass ich Shakira bin! Ich kann nur hoffen, dass du mir verzeihst! Morgen, ja Morgen wirst du es erfahren und ich will bei Allah hoffen, dass du es verstehst!“
Mukhtar, der die ganze Zeit über geschwiegen und das Zusammensein still genossen hatte, fragte mit, vom langen Schweigen, belegter Stimme:
„Hey Nefa, bist du überhaupt noch da?“ Sie lachte unsicher, damit sie nichts von ihrer Gedanken verriet:„Sag mal, ich frage mich die ganze Zeit über, wer du eigentlich bist! Ich fand dich nirgends, weder in den Kammern der Sklaven, noch bei ihrer Arbeit. Weder in den Ställen, noch in den Manufakturen! Sorry, ich kann mir einfach nicht helfen, aber du hast nichts, was mich an eine Sklavin erinnert. Darum frage ich dich jetzt: Nefa wer bist du?“
Shakira drehte sich zu ihm um, ihr schwanden die Kräfte. Sie nahm all ihren Mut zusammen und log:
„Ich bin Nefa, die Zofe von Prinzessin Shakira!“