schreibfuchs
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Das Leben bei Hofe war (für die Herrschenden) frei jeglicher Last und voll des Wohlstandes. Alles Geschah auf Geheiß des Sultans. Nichts geschah zufällig oder gar gegen seinen Willen und alles war auf das Beste geregelt. Kurz: Alles ging immer seinen gewohnten und sultanischen Gang. Der größte im Reich, nämlich der Sultan, war ein kleiner Mann, mit fülligem Leib, unergründlichen Augen und sprunghaftem Wesen! Diese Leibesfülle kaschierte er stets geschickt mit modischen und weiten Gewändern. Auf seinem Haupt thronte der mächtige Herrscherturban und er bedauerte es täglich, dass er nur 10 Finger besaß, um sie mit wertvollen Brillantringen zu besetzen. Der Sultan war nie ein Kind von Traurigkeit. Seine täglichen Aufgaben bestanden aus lustlosen Regieren, belanglose Audienzen geben sowie aus Spiel, Spaß und spannenden Hinrichtungen. Sein letzteres Freizeitvergnügen verlieh ihm den Ruf besonders böse und tyrannisch zu sein, doch das störte ihn wenig, weil er glaubte dadurch ein besonders hohes Ansehen bei seinem Volk zu besitzen.
Beispielsweise dem Sport mochte der Sultan überhaupt nichts abgewinnen. Aber, er diente ihm als profanes Mittel, um die Liste der Hinrichtungskandidaten täglich gefüllt zu wissen!
Und es war Murad, sein ersten Leibläufer, der ihm diese Liste vornehmlich füllte, weil ein jeder seinen Kopf verscherzte, der einen Wettlauf gegen ihn verlor. Die Wettlaufkandidaten wuchsen jedoch nicht an den Bäumen! Oder nicht jeder, der gern lief, besaß das Bedürfnis oder den Ehrgeiz gegen Murad, diesen spießigen und bornierten Profi-Läufer anzutreten! Kurzum: Nur die wenigsten der nationalen Laufelite, mochten gegen Murad laufen. Die Wenigen, die es taten, mussten ihren Entschluss mit dem Leben bezahlen und so schien bald, wie so oft im Leben, nun auch auf allerhöchster Ebene, guter Rat teuer. So ersann Hartzallah einen berüchtigten Lauf, der bald als „Henkerslauf“ galt, zu einen Volkssport auszurufen und die Lauf-Kandidaten aus den Reihen der Sklaven oder aus dem Volk zu rekrutiert. Die armen Delinquenten bekamen jedoch gnädigerweise noch eine Chance, jedoch diese Chance erwies sich als die Chance einer Maus, wenn sie von der Katze gefangen ist. Diese Chance war so fadenscheinig, dass sie unter dem Motto: „Lauf um dein Leben“ zu einem großen Trugschluß wurde.
Und: Drohte mal ein Tag ohne Hinrichtung zu vergehen, so wurde des Sultans Blick trübe, seine Augen verloren ihre gewohnte herrschende Ausstrahlung, sein gekräuselter Backenbart, der seine mächtige Adlernase, wie in einem Vogelnest thronen ließ, verlor alle Spannkraft und hing nach unten, wie gemähtes Gras, so dass es, selbst die vielen Edelsteine, Juwelen und Brillanten, die überall an seiner Person zu bestaunen waren, nicht schafften, seine schlechte Laune zu überstrahlen. Es waren die Tage, die sich leider immer öfter, wie ein leidvolles Jammertal, vor dem Sultan auftaten. Tage, an denen weder von Murad noch von Seiten der Exekutive irgendwelche strafwürdige Personen geliefert werden konnten!
Es waren die Tage, an denen der gesamte Hofstaat fieberhaft, wie ein Bienenvolk, arbeitete, sich unauffällig verhielt, nachsann oder intrigierte, um in erster Linie nicht den eigenen Kopf zu verlieren, denn der Hinrichtungs-Phobie des Sultans, musste auch an solchen Tagen unbedingt geopfert werden.
Da wollte es das Schicksal oder die Vorsehung, dass dem Sultan gerade an solch einem sterbenslangweiligen Tag die Kunde zu Teil wurde, dass sich eine fremde Person bei Hofe befindet, die sich freiwillig im Wettlauf gegen Murad messen und ihren Kopf verlieren wollte. Alle und alles im Palast atmete erleichtert auf, denn der Sultan rieb sich wunschgemäß beide Hände und rief voller Euphorie:
„Man möge unseren neuen Freund mit aller Wertschätzung begrüßen und ihn vor unsere Augen führen. Hach, wir sind schon so richtig unruhig, auch schon ein wenig aufgeregt und freuen uns schon jetzt auf den frischen Wind, der bald durch unseren Palast fegen wird! Ha, ha, ha!“
Bald darauf erschienen zwei Wachen, die Mukhtar mit festem Griff vor den Thron des Sultan führten, ihn vor seine Füße warfen und sich gleich darauf ständig buckelnd, rückwärts aus dem Thronsaal entfernten. Der Sultan, dessen Erwartungen ein wenig enttäuscht schienen, schaute auf die bucklige Erscheinung des Herausforderers wie auf einen Erdwurm und murmelte überrascht:
„Sess, sess, sess, sess, sess! Du armer, kleiner Tropf, willst also partout dein kleines Köpfchen verlieren?“
Da der Sultan keine Antwort erwartet hatte fuhr ohne Umschweife im Plauderton fort:
„Aber jetzt, so kurz vor seiner Hinrichtung, verrät er uns doch noch schnell, wie es ihm gelang, so ganz unbemerkt von unseren hellsichtigen und hellhörigen Wachen, in unseren Palast einzudringen?“
Mukhtar hatte sich aus seiner untertänigen Lage schnell befreit. Er stand trotzig vor dem Sultan auf, zupfte und nestelte resolut an seinen Kleidern herum und rief empört:
„Großmächtiger Sultan, nennt ihr das vielleicht Gastfreundschaft? Ihr sitzt auf dem prächtigsten Bock, den die Welt je gesehen hat und ich darf hier stehen? Seid so gut und lasst mir von euren Lakaien einen Stuhl bringen! So plaudert es sich viel besser!“
Der Sultan, der eben noch voller Spott auf seinen Gast, wie auf ein winziges Nichts sah, bekam plötzlich kugelrunde Stauneaugen, die ihm irgendwie verbaten seinen Mund zu öffnen. Der gesamte Hofstaat tat solidarisch, erstaunte sich auch und hielt gebannt die Luft an!
Wie würde es nach diesem Affront wohl weitergehen? Das Schweigen wurde plötzlich zu purem Eis, so dass alles und jeder bei Hofe mit einem Mal wie gefroren erschien. Der Sultan, dessen Gesicht sich zuerst vereist hatte, taute auch als erster wieder auf. Zunächst rollten nur seine Augen, sie wurden immer schneller und schneller schließlich fiel das Eis auch von seinem Mund, der wie widerwillig rief:
„Los schnell, glotzt nicht wie die Ölgötzen, einen Stuhl für unseren Gast!“
Mukhtar schaute sich nun gemächlich um! Dann wurde ein Stuhl gebracht! Mukhtar setzte sich betulich und schlug betont langsam die Beine übereinander. Nun schaute er lächelnd zum Sultan. Dieser räusperte sich laut und gab mit der Hand ein verächtliches Zeichen, was ihn zum Reden aufforderte. Mukhtar räusperte sich so laut wie der Sultan und antwortete:
„Hinrichtung? Hörte ich eben etwas von Hinrichtung? Ich glaube, dieses Thema müssen wir später noch einmal vertiefen, um es zu klären! Um zu eurer zweiten Frage zu kommen, oh, oberster Hüter des wahren Glaubens. Damit hat euch sicher jemand einen Floh ins Ohr gesetzt! Aber bei diesem Personal hier, wundert mich überhaupt nichts! Wie konntet ihr euch nur einblasen lassen, dass ich unbemerkt an euren Hof gelangt sei?
Eure Sklavin Nefa, oh oberster Verfechter des wahren Glaubens, bemerkte mich schon, als ich am Brunnen im östlich Vorhof des Palastes zu mir kam!“
„Nefa, Nefa, diese Sklavin kenne ich nicht!“, erklärte der Sultan nachdenklich:
„Nefa ist das wunderschönste Mädchen, das ich kenne. Sie ist so schön wie der Morgen und so anmutig wie ein junge Gazelle, mein Gebieter!“, erklärte Mukhtar mit großen und verträumten Augen.
„Ich kenne keine Sklavin von mir, die auf deine Beschreibung passt, mein kleiner buckliger Freund!“.
Der Sultan dachte nach und rief: „Bei meinem Barte, jetzt kann ich mir denken, wen er meint, dabei kann es sich nur um Sh….!“
Er wollte gerade den Namen seiner Tochter offenbaren, als ihm der Narr, ein zappeliger Geselle mit klugen Augen, buntem Gewand, Schnabelschuhen, Schellen und Narrenkappe, abrupt, aber dennoch irgendwie sanft, das Wort abschnitt:
„Schon immer brachtet ihr die Namen eurer Lakaien durcheinander, durchlauchtigste Majestät, wo doch auf unserem infantilen Arbeitsmarkt die Namen einfach so verschwinden und plötzlich wieder ganz woanders auftauchen oder beispielsweise hier in eurem Palast, wo doch die Lebenserwartung eines Sklaven praktisch gegen Null tendiert, da ist es ganz normal, dass man sich da mal im Namen vertun kann? Das hat dann auch nichts mit eurem genialen Gehirn oder Gedächtnis zu tun!“
Der Narr schaute den Sultan, der seinen Blick fragend erwiderte, flehendlich an. Dabei nickte sein Kopf leicht in die Richtung Mukhtar, wobei seine Augen kreisrund wurden und die Ausläufer seine antennenartigen Augenbrauen rhythmisch zu jedem gesprochenen Wort wippten. Mit viel Mühe und noch anderer komischer Gesten, machte der Narr dem Sultan endlich deutlich, dass Mukhtar nicht erfahren durfte, dass es sich bei der sagenumwobenen Nefa um Prinzessin Shakira handelt, die, trotz aller Verbote, immer wieder wie eine streunende Katze durch den gesamten Palast streift. Als sich der Narr so ziemlich sicher war, dass es der Sultan endlich verstanden hatte, sagte er laut an den Sultan gerichtet:
„Und das ist peinlich!“ Der Sultan schien doch noch nicht so ganz begriffen:
„Was ist peinlich?“ Dem Narren standen vor lauter Anstrengung die Schweißperlen auf der Stirn als er rief: „Na die Namen, die falschen Namen sind peinlich, Oh, du großmütiger Herrscher über alle Gläubigen und Ungläubigen! Stellt euch vor ihr sprecht einen Sklaven mit falschen Namen an! Der rennt doch sofort zu dieser seltsamen Sklavengewerkschaft, von der allerorts gemunkelt wird, und klagt euch, den Obersten Vertreter des gesamten Sultanreiches, an!“
„Aber ich spreche doch gar keinen Sklaven mit Namen an. Ich sage höchsten Sklave, Hundsfott, Ausgeburt, Hohlkopf, Dummes Schwein, Rindvieh, Ochse oder Schaf. Sind das etwa Namen?
„Nein!“ entgegnete der Narr, der nur mit größter Anstrengung Gelassenheit miemte!
„Seht ihr, da kann mich auch keiner verklagen!“ rief der Sultan sich entrüstend, besann sich, überlegte lange und rief eigensinnig wie ein Kind:
„Wer sollte mich den verklagen? Bin nicht ich, der Sultan und Herrscher über alle Gläubigen und Ungläubigen, der oberste Richter in meinem Reich? Wo kämen wir hin, wenn mich irgendjemand einfach so verklagen könnte?
„In der Tat, eure Herrlichkeit, dass steht natürlich ganz außer Frage und auch nicht zur Debatte! Ich wollte euch doch einfach nur erläutern, dass ihr Nefa, also die genannte Person, mit der Mukhtar gesprochen haben will, nicht kennen könnt, weil ihr weder von der Person, noch von solch einem Namen Kenntnis habt!“
Der Narr blinzelte nur kurz mit einem Auge, überlies den total verwirrten Sultan sich selbst, tat einen gewagten Sprung über Mukhtar hinweg, landete geschickt auf den Händen, ließ den vorhandenen Schub in einem dreifachen Purzelbaum enden, nahm erneut Schwung, sprang hoch, vollführte eine doppelte Luftschraube und kam sicher und geschickt auf beiden Füßen, direkt vor dem Throne des Sultans, zum Stehen. Danach verbeugte er sich tief, ließ einen nicht aufhören wollenden Applaus auf sich wirken und klärte weise lächelnd auf:
„Mein hocherlauchter Sultan und durchlauchteste Majestät! Ihr, der ihr mit dem Glanz des Himmels und mit den Strahlen der Sonne zu vergleichen seid, hört meine Worte! Die kleine Sklavin Nefa ist ein einfaches Mädchen aus der unteren Kaste, die ihr, Oh Erlauchtester, einfach nicht kennen könnt. Selbst wenn, habt ihr sie in eurer Größe und Mächtigkeit, einfach übersehen!“ Damit verbeugte er sich nochmals bis auf den Boden und schloss seine plädoyerhafte Erklärung. Der Sultan lächelte unsicher und schien froh, dass diese leidige Geschichte endlich ein Ende gefunden hatte. Im Stillen dankte er dem Narren für sein kluges Eingreifen und schwor auch mit Shakira nochmals ein ernstes Wörtchen zu reden. Für Öffentlichkeit und Protokoll sagte er nur kurz und knapp:
„Wir können ja schließlich nicht jeden kennen!“, dann wandte er sich wieder Mukhtar zu, der die Geschichte um Nefa zwar nicht durchschaut, sich aber dennoch über deren Kurzweiligkeit amüsiert hatte.
Der Sultan, dem Mukhtars Geschichte noch genau im Ohr klang, sammelte sich kurz und fragte: „Aber was meinte er mit: „Als ich zu mir kam?“
Mukhtar überlegte kurz! Er hatte sich, zum Schutz und Geheimhaltung seiner Zauberdinge willen, eine besondere Geschichte ausgedacht. Er rutschte etwas unruhig auf seinem Stuhl hin und her und begann seine Legende:
„Also meine Geschichte trug sich folgendermaßen zu:
Als ich so ziellos durch Eure schmucke Altstadt schlenderte…“
Der Großwesir, eine große, ulkig wirkende Erscheinung mit spöttischem Gesichtsausdruck, loser Zunge und großen Ohren mischt sich in Mukhtars Erzählung ein und poltert los:
„Schmucke Altstadt hört, hört!“
„Bitte, unterbrecht mich nicht!“, Mukhtar schaute den Großwesir an und hielt sich zum Zeichen des Schweigens den Zeigefinger vor den Mund. Der Sultan grinste viel sagend und der Großwesir wandte verachtend seinen Blick ab. Zufrieden mit der Reaktion der beiden Oberhäupter fuhr Mukhtar mit seiner Mär fort:
„…also: Als ich gerade beim Tuchhändler Abdullah eintreten will, um mir einen neuen Turban anmessen zu lassen…“
Wieder unterbrach ihn der Großwesir spöttelnd ohne auf den weiteren Verlauf der Geschichte zu achten:
„Turban anmessen lassen! Wo mag er nur stecken, dein neuer Turban?“
Mukhtar sprang auf, trat an den Thron des Sultans und empörte sich:
„Oh du oberster Gebieter über alle Gläubigen und Ungläubigen, erteilt diesem hirnlosen Schwätzer doch endlich einmal Redeverbot, wie kann man sich sonst noch konzentrieren zumal ich heftig am Kopf gestoßen wurde und er mir tüchtig schmerzt!“
Dem Sultan schnappte, überrumpelt von der Dreistigkeit des kleinen Mannes, der Mund auf und wieder zu, dann begann er dröhnend zu lachen:
„Ha, ha, habt ihr gehört Großwesir, ihr hirnloser Schwätzer, seid so lieb und verschließt eure große Klappe, bis es Euch dieser Winzling hier gestattet ha, ha, ha, dass Ihr sie wieder öffnen dürft. Ha, ha, ha…“
Der Großwesir schnaufte wütend. Seine Augen verengten sich und glotzten Mukhtar hasserfüllt an, doch der Sultan lacht, dass ihn die Tränen kullerten, so dass er eine lange Zeit nicht mehr damit aufhören konnte und schließlich der gesamte Hofstaat mit in das Gelächter des Herrschers einfiel.
Mukhtar ließ sich seinen Triumph nicht anmerken und er erzählte, getreu seiner Legende, ohne mit einer Wimper zu zucken, weiter:
„Ich wollte mir also einen neuen Turban anmessen lassen!“, dabei schaute er immer wieder auf den Großwesir und sprach jeden Buchstaben so deutlich und wohl akzentuiert aus, bis sich der Großwesir durch ein rüdes Abwenden seinem Blick entzog! Nun erzählte Mukhtar vernünftig und folgerichtig weiter:
„So begann ich meinen alten, zerschlissenen Turban, bedächtig, wie es meine Art ist, sorgfältig abzuwickeln, um das rechte Maß für den neuen Turban zu ermitteln.
Da fuhr mit einem Male, wie aus dem Nichts, eine schreckliche Windhose in das Tuch, blähte es wie ein Segel und wirbelte mich, der ich das Tuch gestreckt hielt, hoch in die Luft. Von da an habe ich einen Filmriss, äh, ich meine, kann ich mich an nichts mehr erinnern! Ich leide seit jener Zeit sozusagen unter Amnesie. Sorry! Ich kann es mir nur so erklären, dass mich der schreckliche Sturm direkt in den Vorhof des Palastes an den Brunnen geworfen hat, wo mich schließlich Nefa, eure Sklavin am nächsten Morgen fand! Dort sortierte ich meine Knochen und spürte einen heftigen Kopfschmerz. Dann überdachte ich meine Situation und sagte zu mir: Der Kopfschmerz wird mit einer Aspirin schnell gelindert sein! Wo du schon mal da bist, kannst du auch gleich Murad, das Großmaul zum Wettlauf fordern.“
Nun war es an beiden, nämlich an Großwesir und an Sultan, abwechselnd die Kinnlade auf und zuzuklappen. Keiner schien in der Lage zu antworten. Mukhtar freute sich im Stillen über die Reaktion! Der Großwesir fand als erster die Sprache wieder:
„Schweig, du ungläubiger Hund so ein abscheuliches Ammenmärchen! Sonst rollt Dein Kopf gleich hier. So etwas Unbegreifliches findet sich ja nicht einmal in der großen Weltedition der Gebrüder Schlimm! Oder glaubst du etwa, dass dich dein schamloses und dummdreistes Verhalten, hier vor Augen und Ohren des Sultan, noch retten wird?“
Der Sultan griff dem Großwesir in eine Falte seines Gewandes, zog ihn leicht zu sich heran und flüsterte im drohenden Unterton:
„Nicht so heftig Großwesir, beim Barte des Propheten. Ihr wisst doch, dass wir solche Gewaltorgien hier im Thronsaal verabscheuen! Wie wäre es stattdessen mit der Richtstätte? Oder wollt ihr nachher die Schweinerei vor meinem Thron beseitigen? Im Übrigen versucht es doch einfach mal mit nachdenken! Das soll manchmal auch recht dienlich sein! Überlegt doch mal: Wie sollte denn dieser Gnom sonst an unseren Wachen vorbeigekommen sein.“
Der Sultan hielt inne, atmet betont laut ein, schaute den Großwesir streng und prüfend an und fragte lauernd:
„Habt Ihr noch nie von derlei Stürmen gehört? Stürme, die ganze Hütten wegtragen können. Glaubt ihr nicht auch dass sie es vermögen, so ein Leichtgewicht wie Mukhtar durch die Lüfte zu schleudern?“
Dem Großwesir blieb die Sprache weg. Statt zu antworten, glotzte er blöd wie ein Schaf und der Sultan ereiferte sich weiter:
„Seid Ihr etwa doch mit Dummheit geschlagen, Großwesir. Oder regiert bei euch schon der Altersschwachsinn? Ich warne euch, soll ich vielleicht den Idiotentest anordnen? Dann seid ihr nicht euren Posten, sondern auch eure Pappe los!“
Der Großwesir wurde blass und würgte, als hätte er einen Kloß im Hals. Doch der Sultan fuhr, dessen ungeachtet, fast schwärmerisch fort:
„Bei Allah, solch einen tollkühnen Flug kann sich doch niemand ausdenken. Und dann diese interessante „Amnestie“, da passt doch alles zusammen!“
Der Großwesir klappte den Mund auf, um etwas zu erwidern, doch der Sultan ließ ihn nicht zu Wort kommen und rief:
„Lasset unseren 1. Leibläufer vor uns erscheinen. Er soll im Wettlauf gegen ihn entscheiden, wie die Geschichte mit unserem wundersamen „Mauer-Überflieger“ enden wird! Es ist eigentlich schade um diesen drolligen kleinen Rollpopel, er hat gerade begonnen, uns mit seinem Abenteuer zu erheitern…!“
Beispielsweise dem Sport mochte der Sultan überhaupt nichts abgewinnen. Aber, er diente ihm als profanes Mittel, um die Liste der Hinrichtungskandidaten täglich gefüllt zu wissen!
Und es war Murad, sein ersten Leibläufer, der ihm diese Liste vornehmlich füllte, weil ein jeder seinen Kopf verscherzte, der einen Wettlauf gegen ihn verlor. Die Wettlaufkandidaten wuchsen jedoch nicht an den Bäumen! Oder nicht jeder, der gern lief, besaß das Bedürfnis oder den Ehrgeiz gegen Murad, diesen spießigen und bornierten Profi-Läufer anzutreten! Kurzum: Nur die wenigsten der nationalen Laufelite, mochten gegen Murad laufen. Die Wenigen, die es taten, mussten ihren Entschluss mit dem Leben bezahlen und so schien bald, wie so oft im Leben, nun auch auf allerhöchster Ebene, guter Rat teuer. So ersann Hartzallah einen berüchtigten Lauf, der bald als „Henkerslauf“ galt, zu einen Volkssport auszurufen und die Lauf-Kandidaten aus den Reihen der Sklaven oder aus dem Volk zu rekrutiert. Die armen Delinquenten bekamen jedoch gnädigerweise noch eine Chance, jedoch diese Chance erwies sich als die Chance einer Maus, wenn sie von der Katze gefangen ist. Diese Chance war so fadenscheinig, dass sie unter dem Motto: „Lauf um dein Leben“ zu einem großen Trugschluß wurde.
Und: Drohte mal ein Tag ohne Hinrichtung zu vergehen, so wurde des Sultans Blick trübe, seine Augen verloren ihre gewohnte herrschende Ausstrahlung, sein gekräuselter Backenbart, der seine mächtige Adlernase, wie in einem Vogelnest thronen ließ, verlor alle Spannkraft und hing nach unten, wie gemähtes Gras, so dass es, selbst die vielen Edelsteine, Juwelen und Brillanten, die überall an seiner Person zu bestaunen waren, nicht schafften, seine schlechte Laune zu überstrahlen. Es waren die Tage, die sich leider immer öfter, wie ein leidvolles Jammertal, vor dem Sultan auftaten. Tage, an denen weder von Murad noch von Seiten der Exekutive irgendwelche strafwürdige Personen geliefert werden konnten!
Es waren die Tage, an denen der gesamte Hofstaat fieberhaft, wie ein Bienenvolk, arbeitete, sich unauffällig verhielt, nachsann oder intrigierte, um in erster Linie nicht den eigenen Kopf zu verlieren, denn der Hinrichtungs-Phobie des Sultans, musste auch an solchen Tagen unbedingt geopfert werden.
Da wollte es das Schicksal oder die Vorsehung, dass dem Sultan gerade an solch einem sterbenslangweiligen Tag die Kunde zu Teil wurde, dass sich eine fremde Person bei Hofe befindet, die sich freiwillig im Wettlauf gegen Murad messen und ihren Kopf verlieren wollte. Alle und alles im Palast atmete erleichtert auf, denn der Sultan rieb sich wunschgemäß beide Hände und rief voller Euphorie:
„Man möge unseren neuen Freund mit aller Wertschätzung begrüßen und ihn vor unsere Augen führen. Hach, wir sind schon so richtig unruhig, auch schon ein wenig aufgeregt und freuen uns schon jetzt auf den frischen Wind, der bald durch unseren Palast fegen wird! Ha, ha, ha!“
Bald darauf erschienen zwei Wachen, die Mukhtar mit festem Griff vor den Thron des Sultan führten, ihn vor seine Füße warfen und sich gleich darauf ständig buckelnd, rückwärts aus dem Thronsaal entfernten. Der Sultan, dessen Erwartungen ein wenig enttäuscht schienen, schaute auf die bucklige Erscheinung des Herausforderers wie auf einen Erdwurm und murmelte überrascht:
„Sess, sess, sess, sess, sess! Du armer, kleiner Tropf, willst also partout dein kleines Köpfchen verlieren?“
Da der Sultan keine Antwort erwartet hatte fuhr ohne Umschweife im Plauderton fort:
„Aber jetzt, so kurz vor seiner Hinrichtung, verrät er uns doch noch schnell, wie es ihm gelang, so ganz unbemerkt von unseren hellsichtigen und hellhörigen Wachen, in unseren Palast einzudringen?“
Mukhtar hatte sich aus seiner untertänigen Lage schnell befreit. Er stand trotzig vor dem Sultan auf, zupfte und nestelte resolut an seinen Kleidern herum und rief empört:
„Großmächtiger Sultan, nennt ihr das vielleicht Gastfreundschaft? Ihr sitzt auf dem prächtigsten Bock, den die Welt je gesehen hat und ich darf hier stehen? Seid so gut und lasst mir von euren Lakaien einen Stuhl bringen! So plaudert es sich viel besser!“
Der Sultan, der eben noch voller Spott auf seinen Gast, wie auf ein winziges Nichts sah, bekam plötzlich kugelrunde Stauneaugen, die ihm irgendwie verbaten seinen Mund zu öffnen. Der gesamte Hofstaat tat solidarisch, erstaunte sich auch und hielt gebannt die Luft an!
Wie würde es nach diesem Affront wohl weitergehen? Das Schweigen wurde plötzlich zu purem Eis, so dass alles und jeder bei Hofe mit einem Mal wie gefroren erschien. Der Sultan, dessen Gesicht sich zuerst vereist hatte, taute auch als erster wieder auf. Zunächst rollten nur seine Augen, sie wurden immer schneller und schneller schließlich fiel das Eis auch von seinem Mund, der wie widerwillig rief:
„Los schnell, glotzt nicht wie die Ölgötzen, einen Stuhl für unseren Gast!“
Mukhtar schaute sich nun gemächlich um! Dann wurde ein Stuhl gebracht! Mukhtar setzte sich betulich und schlug betont langsam die Beine übereinander. Nun schaute er lächelnd zum Sultan. Dieser räusperte sich laut und gab mit der Hand ein verächtliches Zeichen, was ihn zum Reden aufforderte. Mukhtar räusperte sich so laut wie der Sultan und antwortete:
„Hinrichtung? Hörte ich eben etwas von Hinrichtung? Ich glaube, dieses Thema müssen wir später noch einmal vertiefen, um es zu klären! Um zu eurer zweiten Frage zu kommen, oh, oberster Hüter des wahren Glaubens. Damit hat euch sicher jemand einen Floh ins Ohr gesetzt! Aber bei diesem Personal hier, wundert mich überhaupt nichts! Wie konntet ihr euch nur einblasen lassen, dass ich unbemerkt an euren Hof gelangt sei?
Eure Sklavin Nefa, oh oberster Verfechter des wahren Glaubens, bemerkte mich schon, als ich am Brunnen im östlich Vorhof des Palastes zu mir kam!“
„Nefa, Nefa, diese Sklavin kenne ich nicht!“, erklärte der Sultan nachdenklich:
„Nefa ist das wunderschönste Mädchen, das ich kenne. Sie ist so schön wie der Morgen und so anmutig wie ein junge Gazelle, mein Gebieter!“, erklärte Mukhtar mit großen und verträumten Augen.
„Ich kenne keine Sklavin von mir, die auf deine Beschreibung passt, mein kleiner buckliger Freund!“.
Der Sultan dachte nach und rief: „Bei meinem Barte, jetzt kann ich mir denken, wen er meint, dabei kann es sich nur um Sh….!“
Er wollte gerade den Namen seiner Tochter offenbaren, als ihm der Narr, ein zappeliger Geselle mit klugen Augen, buntem Gewand, Schnabelschuhen, Schellen und Narrenkappe, abrupt, aber dennoch irgendwie sanft, das Wort abschnitt:
„Schon immer brachtet ihr die Namen eurer Lakaien durcheinander, durchlauchtigste Majestät, wo doch auf unserem infantilen Arbeitsmarkt die Namen einfach so verschwinden und plötzlich wieder ganz woanders auftauchen oder beispielsweise hier in eurem Palast, wo doch die Lebenserwartung eines Sklaven praktisch gegen Null tendiert, da ist es ganz normal, dass man sich da mal im Namen vertun kann? Das hat dann auch nichts mit eurem genialen Gehirn oder Gedächtnis zu tun!“
Der Narr schaute den Sultan, der seinen Blick fragend erwiderte, flehendlich an. Dabei nickte sein Kopf leicht in die Richtung Mukhtar, wobei seine Augen kreisrund wurden und die Ausläufer seine antennenartigen Augenbrauen rhythmisch zu jedem gesprochenen Wort wippten. Mit viel Mühe und noch anderer komischer Gesten, machte der Narr dem Sultan endlich deutlich, dass Mukhtar nicht erfahren durfte, dass es sich bei der sagenumwobenen Nefa um Prinzessin Shakira handelt, die, trotz aller Verbote, immer wieder wie eine streunende Katze durch den gesamten Palast streift. Als sich der Narr so ziemlich sicher war, dass es der Sultan endlich verstanden hatte, sagte er laut an den Sultan gerichtet:
„Und das ist peinlich!“ Der Sultan schien doch noch nicht so ganz begriffen:
„Was ist peinlich?“ Dem Narren standen vor lauter Anstrengung die Schweißperlen auf der Stirn als er rief: „Na die Namen, die falschen Namen sind peinlich, Oh, du großmütiger Herrscher über alle Gläubigen und Ungläubigen! Stellt euch vor ihr sprecht einen Sklaven mit falschen Namen an! Der rennt doch sofort zu dieser seltsamen Sklavengewerkschaft, von der allerorts gemunkelt wird, und klagt euch, den Obersten Vertreter des gesamten Sultanreiches, an!“
„Aber ich spreche doch gar keinen Sklaven mit Namen an. Ich sage höchsten Sklave, Hundsfott, Ausgeburt, Hohlkopf, Dummes Schwein, Rindvieh, Ochse oder Schaf. Sind das etwa Namen?
„Nein!“ entgegnete der Narr, der nur mit größter Anstrengung Gelassenheit miemte!
„Seht ihr, da kann mich auch keiner verklagen!“ rief der Sultan sich entrüstend, besann sich, überlegte lange und rief eigensinnig wie ein Kind:
„Wer sollte mich den verklagen? Bin nicht ich, der Sultan und Herrscher über alle Gläubigen und Ungläubigen, der oberste Richter in meinem Reich? Wo kämen wir hin, wenn mich irgendjemand einfach so verklagen könnte?
„In der Tat, eure Herrlichkeit, dass steht natürlich ganz außer Frage und auch nicht zur Debatte! Ich wollte euch doch einfach nur erläutern, dass ihr Nefa, also die genannte Person, mit der Mukhtar gesprochen haben will, nicht kennen könnt, weil ihr weder von der Person, noch von solch einem Namen Kenntnis habt!“
Der Narr blinzelte nur kurz mit einem Auge, überlies den total verwirrten Sultan sich selbst, tat einen gewagten Sprung über Mukhtar hinweg, landete geschickt auf den Händen, ließ den vorhandenen Schub in einem dreifachen Purzelbaum enden, nahm erneut Schwung, sprang hoch, vollführte eine doppelte Luftschraube und kam sicher und geschickt auf beiden Füßen, direkt vor dem Throne des Sultans, zum Stehen. Danach verbeugte er sich tief, ließ einen nicht aufhören wollenden Applaus auf sich wirken und klärte weise lächelnd auf:
„Mein hocherlauchter Sultan und durchlauchteste Majestät! Ihr, der ihr mit dem Glanz des Himmels und mit den Strahlen der Sonne zu vergleichen seid, hört meine Worte! Die kleine Sklavin Nefa ist ein einfaches Mädchen aus der unteren Kaste, die ihr, Oh Erlauchtester, einfach nicht kennen könnt. Selbst wenn, habt ihr sie in eurer Größe und Mächtigkeit, einfach übersehen!“ Damit verbeugte er sich nochmals bis auf den Boden und schloss seine plädoyerhafte Erklärung. Der Sultan lächelte unsicher und schien froh, dass diese leidige Geschichte endlich ein Ende gefunden hatte. Im Stillen dankte er dem Narren für sein kluges Eingreifen und schwor auch mit Shakira nochmals ein ernstes Wörtchen zu reden. Für Öffentlichkeit und Protokoll sagte er nur kurz und knapp:
„Wir können ja schließlich nicht jeden kennen!“, dann wandte er sich wieder Mukhtar zu, der die Geschichte um Nefa zwar nicht durchschaut, sich aber dennoch über deren Kurzweiligkeit amüsiert hatte.
Der Sultan, dem Mukhtars Geschichte noch genau im Ohr klang, sammelte sich kurz und fragte: „Aber was meinte er mit: „Als ich zu mir kam?“
Mukhtar überlegte kurz! Er hatte sich, zum Schutz und Geheimhaltung seiner Zauberdinge willen, eine besondere Geschichte ausgedacht. Er rutschte etwas unruhig auf seinem Stuhl hin und her und begann seine Legende:
„Also meine Geschichte trug sich folgendermaßen zu:
Als ich so ziellos durch Eure schmucke Altstadt schlenderte…“
Der Großwesir, eine große, ulkig wirkende Erscheinung mit spöttischem Gesichtsausdruck, loser Zunge und großen Ohren mischt sich in Mukhtars Erzählung ein und poltert los:
„Schmucke Altstadt hört, hört!“
„Bitte, unterbrecht mich nicht!“, Mukhtar schaute den Großwesir an und hielt sich zum Zeichen des Schweigens den Zeigefinger vor den Mund. Der Sultan grinste viel sagend und der Großwesir wandte verachtend seinen Blick ab. Zufrieden mit der Reaktion der beiden Oberhäupter fuhr Mukhtar mit seiner Mär fort:
„…also: Als ich gerade beim Tuchhändler Abdullah eintreten will, um mir einen neuen Turban anmessen zu lassen…“
Wieder unterbrach ihn der Großwesir spöttelnd ohne auf den weiteren Verlauf der Geschichte zu achten:
„Turban anmessen lassen! Wo mag er nur stecken, dein neuer Turban?“
Mukhtar sprang auf, trat an den Thron des Sultans und empörte sich:
„Oh du oberster Gebieter über alle Gläubigen und Ungläubigen, erteilt diesem hirnlosen Schwätzer doch endlich einmal Redeverbot, wie kann man sich sonst noch konzentrieren zumal ich heftig am Kopf gestoßen wurde und er mir tüchtig schmerzt!“
Dem Sultan schnappte, überrumpelt von der Dreistigkeit des kleinen Mannes, der Mund auf und wieder zu, dann begann er dröhnend zu lachen:
„Ha, ha, habt ihr gehört Großwesir, ihr hirnloser Schwätzer, seid so lieb und verschließt eure große Klappe, bis es Euch dieser Winzling hier gestattet ha, ha, ha, dass Ihr sie wieder öffnen dürft. Ha, ha, ha…“
Der Großwesir schnaufte wütend. Seine Augen verengten sich und glotzten Mukhtar hasserfüllt an, doch der Sultan lacht, dass ihn die Tränen kullerten, so dass er eine lange Zeit nicht mehr damit aufhören konnte und schließlich der gesamte Hofstaat mit in das Gelächter des Herrschers einfiel.
Mukhtar ließ sich seinen Triumph nicht anmerken und er erzählte, getreu seiner Legende, ohne mit einer Wimper zu zucken, weiter:
„Ich wollte mir also einen neuen Turban anmessen lassen!“, dabei schaute er immer wieder auf den Großwesir und sprach jeden Buchstaben so deutlich und wohl akzentuiert aus, bis sich der Großwesir durch ein rüdes Abwenden seinem Blick entzog! Nun erzählte Mukhtar vernünftig und folgerichtig weiter:
„So begann ich meinen alten, zerschlissenen Turban, bedächtig, wie es meine Art ist, sorgfältig abzuwickeln, um das rechte Maß für den neuen Turban zu ermitteln.
Da fuhr mit einem Male, wie aus dem Nichts, eine schreckliche Windhose in das Tuch, blähte es wie ein Segel und wirbelte mich, der ich das Tuch gestreckt hielt, hoch in die Luft. Von da an habe ich einen Filmriss, äh, ich meine, kann ich mich an nichts mehr erinnern! Ich leide seit jener Zeit sozusagen unter Amnesie. Sorry! Ich kann es mir nur so erklären, dass mich der schreckliche Sturm direkt in den Vorhof des Palastes an den Brunnen geworfen hat, wo mich schließlich Nefa, eure Sklavin am nächsten Morgen fand! Dort sortierte ich meine Knochen und spürte einen heftigen Kopfschmerz. Dann überdachte ich meine Situation und sagte zu mir: Der Kopfschmerz wird mit einer Aspirin schnell gelindert sein! Wo du schon mal da bist, kannst du auch gleich Murad, das Großmaul zum Wettlauf fordern.“
Nun war es an beiden, nämlich an Großwesir und an Sultan, abwechselnd die Kinnlade auf und zuzuklappen. Keiner schien in der Lage zu antworten. Mukhtar freute sich im Stillen über die Reaktion! Der Großwesir fand als erster die Sprache wieder:
„Schweig, du ungläubiger Hund so ein abscheuliches Ammenmärchen! Sonst rollt Dein Kopf gleich hier. So etwas Unbegreifliches findet sich ja nicht einmal in der großen Weltedition der Gebrüder Schlimm! Oder glaubst du etwa, dass dich dein schamloses und dummdreistes Verhalten, hier vor Augen und Ohren des Sultan, noch retten wird?“
Der Sultan griff dem Großwesir in eine Falte seines Gewandes, zog ihn leicht zu sich heran und flüsterte im drohenden Unterton:
„Nicht so heftig Großwesir, beim Barte des Propheten. Ihr wisst doch, dass wir solche Gewaltorgien hier im Thronsaal verabscheuen! Wie wäre es stattdessen mit der Richtstätte? Oder wollt ihr nachher die Schweinerei vor meinem Thron beseitigen? Im Übrigen versucht es doch einfach mal mit nachdenken! Das soll manchmal auch recht dienlich sein! Überlegt doch mal: Wie sollte denn dieser Gnom sonst an unseren Wachen vorbeigekommen sein.“
Der Sultan hielt inne, atmet betont laut ein, schaute den Großwesir streng und prüfend an und fragte lauernd:
„Habt Ihr noch nie von derlei Stürmen gehört? Stürme, die ganze Hütten wegtragen können. Glaubt ihr nicht auch dass sie es vermögen, so ein Leichtgewicht wie Mukhtar durch die Lüfte zu schleudern?“
Dem Großwesir blieb die Sprache weg. Statt zu antworten, glotzte er blöd wie ein Schaf und der Sultan ereiferte sich weiter:
„Seid Ihr etwa doch mit Dummheit geschlagen, Großwesir. Oder regiert bei euch schon der Altersschwachsinn? Ich warne euch, soll ich vielleicht den Idiotentest anordnen? Dann seid ihr nicht euren Posten, sondern auch eure Pappe los!“
Der Großwesir wurde blass und würgte, als hätte er einen Kloß im Hals. Doch der Sultan fuhr, dessen ungeachtet, fast schwärmerisch fort:
„Bei Allah, solch einen tollkühnen Flug kann sich doch niemand ausdenken. Und dann diese interessante „Amnestie“, da passt doch alles zusammen!“
Der Großwesir klappte den Mund auf, um etwas zu erwidern, doch der Sultan ließ ihn nicht zu Wort kommen und rief:
„Lasset unseren 1. Leibläufer vor uns erscheinen. Er soll im Wettlauf gegen ihn entscheiden, wie die Geschichte mit unserem wundersamen „Mauer-Überflieger“ enden wird! Es ist eigentlich schade um diesen drolligen kleinen Rollpopel, er hat gerade begonnen, uns mit seinem Abenteuer zu erheitern…!“