Im Kleiderschrank

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M. F.

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Heute funktioniert es bestimmt, dachte sie sich. Es musste einfach funktionieren. Irgendjemand musste doch mal Notiz von ihr nehmen.
Das schwarz-rote Kleid hing nun schon seit einem halben Jahr auf einem Ständer in irgendeinem miefigen Second-Hand Laden. Ihre alte Besitzerin hatte irgendwann genug von ihr, weil sie nicht mehr „in“ war. Aber es musste doch jemanden geben, der sie mochte.

Ganz in Gedanken an ihre alte Besitzerin versunken, beobachtete sie, wie zwei junge Frauen den Laden betraten. Die eine von ihnen hatte ein ähnliches Kleid an, wie sie selbst eins war. Nur, dass dieses Kleid schwarz-weiß kariert war, statt schwarz-rot. Die beiden Frauen unterhielten sich angeregt und schlenderten durch die Gänge hindurch. Als sie vor dem schwarz-roten Kleid angekommen waren, blieb die eine wie angewurzelt stehen. „Sieh dir das an. Das ist es“, rief sie freudig aus, „genau so ein Kleid habe ich gesucht!“
Sie nahm es vom Ständer und probierte es in einer der Umkleidekabinen an. Es saß wie angegossen. Schnell bezahlte sie es und nahm es mit nach Hause.
Dort angekommen wurde es erstmal in die Waschmaschine gesteckt. Diese Prozedur kannte sie schon zu genüge und es war nicht gerade ihre Lieblingsbeschäftigung. Aber danach duftete sie wieder gut und fühlte sich erfrischt. Anschließend durfte man ein bisschen abhängen, um wieder trocken zu werden. Und schließlich kam man dann für Gewöhnlich in einen Kleiderschrank, wo man sich mit zig anderen Kleidungsstücken den Platz teilen musste. So war es auch in diesem Fall und das schwarz-rote Kleid war überwältigt.
Sie dachte, ihre alte Besitzerin hätte viele Klamotten gehabt aber ihre neue Besitzerin übertraf sie noch. Da stapelten sich Pullover und T-Shirts en masse, die Kleiderstange hing voll mit Röcken, Blusen und Unmengen an Kleidern. Hosen und Shorts in allem Möglichen Farben und eine Kiste mit Accessoires, anscheinend für jeden Anlass das richtige Halstuch. Das schwarz-rote Kleid freute sich schon darauf alle kennen zu lernen.
Es wurde auf die Kleiderstange gehängt, zwischen einem bunt-gemusterten Sommerkleid und einem dunkelgrünem Langarmkleid. „Na großartig, schon wieder jemand Neues“, meckerte die Dunkelgrüne sofort los.
„Sei nicht so negativ, das ist doch großartig“, versuchte die Bunte sie zu beschwichtigen.
„Ja, super großartig“, fauchte die andere zurück. „Okay, welche Marke trägst du?“ – „Äh, wie bitte?“, fragte die Schwarz-Rote verunsichert nach.
„Na, welchen Markennamen trägst du?“, fragte die Dunkelgrüne entnervt zurück, als wäre sie schwer von Begriff.
„Oh, tja, das weiß ich gar nicht genau“, sagte die Schwarz-Rote fast entschuldigend.
„Wie kann man das nicht wissen“, regte sich die Dunkelgrüne auf. Das bunte Sommerkleid verdrehte die Augen.
„Entschuldige“, meinte sie an die Schwarz-Rote gewandt, „aber sie lebt in einer Welt, wo alles von einer Marke abhängt. Sie selbst ist eine Dolce & Gabbana und bildet sich eine Menge darauf ein“, erklärte sie mit einem bedeutungsvollen Blick.
„Das darf ich ja wohl auch“, rief die Dunkelgrüne aus.
„Erzähl mal, wo kommst du her?“, fragte die Bunte neugierig und ignorierte die Dunkelgrüne dabei geflissentlich.
„Aus einem Second-Hand Laden“, murmelte die Schwarz-Rote schüchtern.
„Was!?“, die Dunkelgrüne konnte es nicht glauben, „du kommst nicht mal aus einem richtigen Laden?“
„Hör gar nicht auf sie“, versuchte die Bunte sie aufzumuntern. Doch das war leichter gesagt als getan. Die nächsten Tage verbrachte die Dunkelgrüne damit sie bei allen anderen Klamotten schlecht zu machen.
„Sie weiß ihre Marke nicht, und sie kommt aus einem stinkigen Second-Hand Laden“, ätzte sie überall herum.
Es half auch nicht, dass ihre neue Besitzerin, sie entgegen ihrer ersten Aussage in nächster Zeit erstmal nicht trug. „Siehst du“, drückte es ihr die Dunkelgrüne rein, „sie will dich nicht mal tragen.“
Die nächsten Wochen wurden zunehmend unerträglicher. Nur das bunte Sommerkleid war nett zu der Schwarz-Roten, doch sie wurde oft getragen und verbrachte so ihre Zeit mehr außerhalb vom Schrank.
Die Dunkelgrüne war offenbar nicht die Einzige, die von ihrer Marke besessen war. Da gab es Hosen von Prada, Gürtel von Gucci und Turnschuhe von adidas und allesamt hielten sich für etwas Besseres.

Dann, eines morgens stand ihre Besitzerin vor dem Kleiderschrank und guckte unschlüssig hinein. „Was ist denn mit dem schwarz-roten Kleid?“, frage ihre Freundin, die neben ihr stand, „das hatte dir doch so gut gefallen.“
„Das stimmt“, sagte ihre Besitzerin und griff sich kurzentschlossen das Kleid. Die Schwarz-Rote konnte ihr Glück kaum fassen, sie wurde tatsächlich wieder getragen. Das fühlte sich so gut an. Was sie aus den Gesprächen der beiden Freundinnen raushören konnte, war, dass ihre Besitzerin offenbar ein Date hatte. Sie hatte mal von einem schwarzen Minirock, der im Second-Hand Laden direkt neben ihr hing, erfahren, dass Dates etwas ganz Besonderes für Menschen waren. Und so war sie sehr froh, dass sie bei so einem besonderen Anlass getragen wurde.
Das Date verlief offenbar gut, denn am Ende lagen sich die Beiden in den Armen.
„Das Kleid steht dir sehr gut“, sagte der Auserwählte noch zum Abschied und das war wie Musik in ihren Ohren.

Von diesem Tag an trug ihre Besitzerin sie ständig. Das führte zu noch mehr Spannungen zwischen ihr und der Dunkelgrünen. Die anderen Kleidungsstücke waren es allmählich leid geworden sich den Hasstiraden der Dunkelgrünen anzuschließen. Aber sie waren ihr trotzdem nicht unbedingt wohl gesonnen. Am schlimmsten waren immer noch die boshaften Bemerkungen ihrer Schranknachbarin. Seit diese auch noch herausgefunden hatte welches Markenlabel sie trug, nämlich lediglich die Marke Weekday, musste sie sich ständig anhören, was für ein lumpiger Fetzen sie doch sei.

Dann, eines Tages, der Schwarz-Roten war wieder einmal eine Pause von derlei Sticheleien gegönnt, da sie gerade getragen wurde, öffnete ihre Besitzerin den Kleiderschrank und sah nachdenklich hinein.
„Hmmm, ich glaube, ich sollte hier mal ausmisten. Da sind so viele Sachen, die ich nicht mehr trage.“ Sie strich mit der Hand langsam an ihren Kleidern entlang und holte das ein oder andere heraus. Ein weißes Sommerkleid, ein rot-braun-gemustertes Herbstkleid, ein langes, schwarzes Kleid und schließlich auch das Dunkelgrüne. Dieses protestierte zwar lautstark, aber natürlich wurde es nicht gehört. Nachdem ihre Besitzerin noch ein paar Sachen aussortiert hatte, steckte sie alles zusammen in einen großen Kleidersack und schaffte es weg.

Das schwarz-rote Kleid wunderte sich langsam, denn der Weg kam ihr ziemlich bekannt vor. Dann, irgendwann, standen sie plötzlich vor genau dem Second-Hand Laden aus dem die Schwarz-Rote vor drei Monaten rausgeholt worden war. Ihre Besitzerin ging hinein und fragte die Verkäuferin, ob sie ein paar Klamotten brauchen könnte. Diese war hellauf begeistert und nahm ihr den Sack ab. Beim Rausgehen konnte die Schwarz-Rote gerade noch sehen, wie die Verkäuferin die Dunkelgrüne aus dem Sack nahm und auf einem Bügel, achtlos zwischen ein paar andere Kleider hing.

Für einen kurzen Augenblick konnte sich das schwarz-rote Kleid ein triumphierendes Lächeln nicht verkneifen.
 
Hallo M. F.,

eigentlich eine unterhaltsame Geschichte. Aber mich stört es unwahrscheinlich, dass „das" Kleid, was ja sachlich/Neutrum ist, zur „sie" umfunktioniert wird. Es heißt nicht „die Kleid". Und ein Kleid hat auch keine Augen, die es verdrehen kann..

„Oh, tja, das weiß ich gar nicht genau“, sagte die Schwarz-Rote fast entschuldigend.

„Wie kann man das nicht wissen“, regte sich die Dunkelgrüne auf. Das bunte Sommerkleid verdrehte die Augen.

„Entschuldige“, meinte sie an die Schwarz-Rote gewandt,
Wie wäre es, sich dazu eine andere Lösung einfallen zu lassen?

Vielleicht stört es andere Leser nicht, aber hier kann ich nicht aus meiner grammatischen (und bildlichen) Haut.

Schöne Grüße
SilberneDelfine
 

M. F.

Mitglied
Hallo SilberneDelfine,

danke für deinen Hinweis. Ich habe das allerdings schon mit Absicht so gemacht. Natürlich ist ein Kleid sächlich aber ich wollte mit dem Pronomen "sie" den Kleidern ein bisschen mehr Persönlichkeit geben. Genau, wie mit dem "Augen verdrehen". Ich vermenschliche hier die Dinge ganz bewusst.

Gruß M. F.
 
Also ich finde das sympathisch. Es gibt dem Kleid einen Charakter und ich glaube das ist das Ziel. Theoretisch können Kleider auch nicht denken und reden, aber es ist ja Fiktion.
Ich wusste, dass der Einwand kommt :) aber das sehe ich anders. Dass Bäume z. B. auch wispern oder Dinge sprechen, ist irgendwie akzeptabel, wahrscheinlich weil so etwas auch in Märchen vorkommt. Zumindest habe ich das schon öfter gelesen.

Vielleicht könnten alle Kleider im bewussten Kleiderschrank ein kleines aufgenähtes Label haben mit Mund und Augen? Das wäre z. B. eine Lösung. Ist aber nur ein Vorschlag für den Autor.

Hallo SilberneDelfine,

danke für deinen Hinweis. Ich habe das allerdings schon mit Absicht so gemacht. Natürlich ist ein Kleid sächlich aber ich wollte mit dem Pronomen "sie" den Kleidern ein bisschen mehr Persönlichkeit geben. Genau, wie mit dem "Augen verdrehen". Ich vermenschliche hier die Dinge ganz bewusst.

Gruß M. F.
Das mit dem Vermenschlichen ist schon klar. Aber man könnte statt „sie" dann trotzdem „es" schreiben. Ich finde nicht, dass ein Gegenstand dadurch weniger Persönlichkeit hätte.

Würde doch auch gehen und für die Geschichte an sich keinen Unterschied machen. Außer dass dann die Grammatik stimmt. So z. B. :

Nur das bunte Sommerkleid war nett zu der Schwarz-Roten, doch es wurde oft getragen und verbrachte so seine Zeit mehr außerhalb vom Schrank.
 
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