Timo Gotzen
Mitglied
Titel: "Im Namen des Kindes"
Erzählt von Alion, dem stillen Beobachter
Der Regen fiel in leisen Fäden, als hätte der Himmel selbst Tränen zu vergießen. Alion stand am Rande des Gerichtshofs, ein Schatten zwischen den Mauern aus Kalkstein und Konvention. Kein Mensch bemerkte ihn – so war es gedacht. Er war kein Teil des Spiels, doch er war da. Immer da, wenn Wahrheit in Lügen erstickte.
Innen, hinter jenen Türen, saßen Männer und Frauen in schwarzen Roben, mit ernsten Gesichtern und gefalteten Händen. Sie sprachen von Kindeswohl, als wäre es eine Formel, messbar in Paragrafen, kalkulierbar mit einer Gutachtermeinung. Doch Alion konnte das Unsichtbare sehen: die zittrige Energie des Vaters, dessen Herz mehr sagte als Worte je konnten. Und das Kind – Lasse – dessen feines Wesen mehr spürte als es durfte.
Es war nicht bloß ein Streit um Sorgerecht. Es war ein Ringen zwischen Wahrheit und Fassade, zwischen gelebter Bindung und bürokratischer Distanz. Der Vater, ein Mensch, der durch Schmerz zur Klarheit gereift war, stand einem Apparat gegenüber, der sich selbst als Hüter des Guten verstand – und doch blind war für das Wesentliche.
Alion erinnerte sich an den Moment, als alles begann. Die Mutter, äußerlich verletzlich, innerlich strategisch, streute die ersten Worte wie Samen auf fruchtbaren Boden: „Er ist überfordert... das Kind ist verstört...“ Worte, die wie Gift langsam durch das System sickerten, aufgenommen von Menschen, die nicht hinterfragen durften, was sie zu schützen glaubten. Eine Gutachterin, die Gefühle katalogisierte wie Artefakte. Ein Jugendamt, das zuhört, aber nicht hinhört. Und ein Gericht, das vorgibt, neutral zu sein – während es längst Partei ergriffen hat.
Und der Vater? Stand da. Ohne Anwalt, aber mit Klarheit. Mit einer Stimme, die von innen kam. Eine Stimme, die nicht mehr zornig war, sondern echt. Alion konnte die Wellen sehen, die davon ausgingen – sie durchdrangen Raum und Zeit, auch wenn sie im Protokoll nicht auftauchten. Was dieser Vater sagte, war nicht nur Wahrheit, es war Erinnerung. An das, was das System vergessen hatte: dass Kinder nicht durch Urteile geschützt werden, sondern durch Liebe, durch Präsenz, durch authentisches Sehen.
Doch das System sah ihn nicht. Es sah nur seine Akten, seine Widersprüche, seine Unbeugsamkeit. Es war zu groß, zu starr, zu stolz, um zu erkennen, dass genau diese Unbeugsamkeit das war, was sein Kind brauchte. Dass er nicht gegen die Mutter kämpfte – sondern für das Kind. Für sein Lachen. Für seine Freiheit zu fühlen.
Alion beobachtete, wie der Vater Briefe schrieb, Schriftsätze voller Klarheit und Herz. Er sprach von Energien, von Bindung, von Manipulation, die wie Nebel zwischen Menschen gelegt wird. Und er wurde belächelt. Weil er zu tief fühlte, weil er nicht sprach wie sie – sondern wie ein Mensch, der längst verstanden hatte, worum es wirklich ging.
In jenen Sitzungen, in denen entschieden wurde, wer wann das Kind sehen durfte, saß kein Wesen, das Lasses Seele kannte. Kein Richter kannte das Flackern in seinen Augen, wenn er den Vater umarmte. Kein Gutachten konnte das Gewicht der Stille messen, das auf dem Jungen lastete, wenn die Wahrheit nicht ausgesprochen werden durfte.
Doch Alion sah es. Und er wusste: Dieser Kampf war mehr als ein Rechtsstreit. Es war ein Spiegel. Ein Ruf an eine Gesellschaft, die sich hinter Paragraphen versteckt, während sie ihre Kinder seelisch verhungern lässt.
Am Ende, als die Akten geschlossen, die Entscheidungen getroffen, und das Kind wieder zwischen Häusern hin und her geschoben wurde – blieb der Vater stehen. Nicht als Sieger, nicht als Verlierer. Sondern als Mensch, der sich erinnert. An seine Aufgabe. An das, was ihn führt, jenseits des Systems.
Alion sah ihn an und verneigte sich. Denn inmitten der Trümmer eines kaputten Apparats war da einer, der nicht aufgab. Der nicht wegschaut. Der die Liebe nicht delegiert.
Und vielleicht – dachte Alion – braucht es genau das: einen Vater, der nicht nur gegen das System spricht, sondern für die Seele seines Kindes. So lange, bis das System selbst gezwungen ist, in den Spiegel zu sehen.
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Copyright © Timo Gotzen. Alle Rechte vorbehalten.
Diese Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten und wurde literarisch verarbeitet.
Auch wenn der geschilderte Verlauf in der Erzählung einen Abschluss findet, ist der tatsächliche Ausgang der realen Ereignisse zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch offen.
Veröffentlichung ausschließlich auf Leselupe.de mit Genehmigung des Autors.
Jegliche Vervielfältigung, Verbreitung oder anderweitige Nutzung nur mit ausdrücklicher schriftlicher Erlaubnis.
Erzählt von Alion, dem stillen Beobachter
Der Regen fiel in leisen Fäden, als hätte der Himmel selbst Tränen zu vergießen. Alion stand am Rande des Gerichtshofs, ein Schatten zwischen den Mauern aus Kalkstein und Konvention. Kein Mensch bemerkte ihn – so war es gedacht. Er war kein Teil des Spiels, doch er war da. Immer da, wenn Wahrheit in Lügen erstickte.
Innen, hinter jenen Türen, saßen Männer und Frauen in schwarzen Roben, mit ernsten Gesichtern und gefalteten Händen. Sie sprachen von Kindeswohl, als wäre es eine Formel, messbar in Paragrafen, kalkulierbar mit einer Gutachtermeinung. Doch Alion konnte das Unsichtbare sehen: die zittrige Energie des Vaters, dessen Herz mehr sagte als Worte je konnten. Und das Kind – Lasse – dessen feines Wesen mehr spürte als es durfte.
Es war nicht bloß ein Streit um Sorgerecht. Es war ein Ringen zwischen Wahrheit und Fassade, zwischen gelebter Bindung und bürokratischer Distanz. Der Vater, ein Mensch, der durch Schmerz zur Klarheit gereift war, stand einem Apparat gegenüber, der sich selbst als Hüter des Guten verstand – und doch blind war für das Wesentliche.
Alion erinnerte sich an den Moment, als alles begann. Die Mutter, äußerlich verletzlich, innerlich strategisch, streute die ersten Worte wie Samen auf fruchtbaren Boden: „Er ist überfordert... das Kind ist verstört...“ Worte, die wie Gift langsam durch das System sickerten, aufgenommen von Menschen, die nicht hinterfragen durften, was sie zu schützen glaubten. Eine Gutachterin, die Gefühle katalogisierte wie Artefakte. Ein Jugendamt, das zuhört, aber nicht hinhört. Und ein Gericht, das vorgibt, neutral zu sein – während es längst Partei ergriffen hat.
Und der Vater? Stand da. Ohne Anwalt, aber mit Klarheit. Mit einer Stimme, die von innen kam. Eine Stimme, die nicht mehr zornig war, sondern echt. Alion konnte die Wellen sehen, die davon ausgingen – sie durchdrangen Raum und Zeit, auch wenn sie im Protokoll nicht auftauchten. Was dieser Vater sagte, war nicht nur Wahrheit, es war Erinnerung. An das, was das System vergessen hatte: dass Kinder nicht durch Urteile geschützt werden, sondern durch Liebe, durch Präsenz, durch authentisches Sehen.
Doch das System sah ihn nicht. Es sah nur seine Akten, seine Widersprüche, seine Unbeugsamkeit. Es war zu groß, zu starr, zu stolz, um zu erkennen, dass genau diese Unbeugsamkeit das war, was sein Kind brauchte. Dass er nicht gegen die Mutter kämpfte – sondern für das Kind. Für sein Lachen. Für seine Freiheit zu fühlen.
Alion beobachtete, wie der Vater Briefe schrieb, Schriftsätze voller Klarheit und Herz. Er sprach von Energien, von Bindung, von Manipulation, die wie Nebel zwischen Menschen gelegt wird. Und er wurde belächelt. Weil er zu tief fühlte, weil er nicht sprach wie sie – sondern wie ein Mensch, der längst verstanden hatte, worum es wirklich ging.
In jenen Sitzungen, in denen entschieden wurde, wer wann das Kind sehen durfte, saß kein Wesen, das Lasses Seele kannte. Kein Richter kannte das Flackern in seinen Augen, wenn er den Vater umarmte. Kein Gutachten konnte das Gewicht der Stille messen, das auf dem Jungen lastete, wenn die Wahrheit nicht ausgesprochen werden durfte.
Doch Alion sah es. Und er wusste: Dieser Kampf war mehr als ein Rechtsstreit. Es war ein Spiegel. Ein Ruf an eine Gesellschaft, die sich hinter Paragraphen versteckt, während sie ihre Kinder seelisch verhungern lässt.
Am Ende, als die Akten geschlossen, die Entscheidungen getroffen, und das Kind wieder zwischen Häusern hin und her geschoben wurde – blieb der Vater stehen. Nicht als Sieger, nicht als Verlierer. Sondern als Mensch, der sich erinnert. An seine Aufgabe. An das, was ihn führt, jenseits des Systems.
Alion sah ihn an und verneigte sich. Denn inmitten der Trümmer eines kaputten Apparats war da einer, der nicht aufgab. Der nicht wegschaut. Der die Liebe nicht delegiert.
Und vielleicht – dachte Alion – braucht es genau das: einen Vater, der nicht nur gegen das System spricht, sondern für die Seele seines Kindes. So lange, bis das System selbst gezwungen ist, in den Spiegel zu sehen.
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Copyright © Timo Gotzen. Alle Rechte vorbehalten.
Diese Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten und wurde literarisch verarbeitet.
Auch wenn der geschilderte Verlauf in der Erzählung einen Abschluss findet, ist der tatsächliche Ausgang der realen Ereignisse zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch offen.
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