IRONSIDE I Teil 5

Rei

Mitglied
5, Verlust

Lucy war nun etwa zwei Jahre auf STAR1 und hatte sich zu einem hervorragenden Soldaten entwickelt, aber nicht nur sie, auch die anderen waren in ihre neue Aufgabe gewachsen und jeder hatte Grund, stolz auf sich zu sein. Sie hatten zwei Jahre harte Ausbildung überstanden und sollte heute nun ihre Abschlussprüfung ablegen. Diesmal kein Parcour, aber auf einem anderen Planeten und gegen echte Feinde. Sie wurden in ein Kriegsgebiet geschickt.

Lucy war angenehm aufgeregt, als sie in den Transportgleiter einstieg und sich schwer neben Reika auf die schmale Sitzbank plumpsen ließ. Sie atmete tief aus und zwinkerte ihrer Freundin aufmunternd zu.
„Stell dich nicht so an.“ Murmelte sie Reika zu. „Deine Gene sind doch geknackt. Dir kann nichts passieren.“
Reika sagte nichts. Sie hatte Tränen in den Augen.
Lucy verdrehte sie Augen. „Mädel, du hast schon andere Sachen überstanden!“ zischte sie ungeduldig.
Reika schluckte schwer und sah Lucy kurz an. „Ja.“ Antwortete sie gequält und starrte dann auf ihre Schuhe. Sie waren nicht gut geputzt, aber das war jetzt egal.
Lucy verdrehte wieder die Augen und ließ ihre Freundin in Ruhe. Sie beobachtete sie aber aus den Augenwinkeln und musste an die vergangenen Jahre denken, in denen sich die beiden angefreundet hatten. Lucy hatte sich immer für die kleine Japanerin verantwortlich gefühlt, von Anfang an, als sie ein komisches Gefühl bei ihrem Anblick gehabt hatte. Lucy sah die Angst in Reikas Augen und fragte sich, ob die Ärzte das Gen wirklich ganz geöffnet hatten. Sie zweifelte daran.


Kanthal stand am Ende des Transportgleiters und sein Blick schweifte über seine Schützlinge, und blieb länger als nötig auf Lucy haften. Er hatte ihnen viel beigebracht in den vergangen Jahren und war auch stolz darauf. Sogar Reika hatte jetzt ein gewisses Level erreicht, das ihr das Überleben sichern würde. Und da war er sich bei allen anderen auch sicher. Sie hatten hart gearbeitet und viel gelernt. Und außerdem musste er den Schnitt der Absolventen hochhalten. Seine Klasse war immer die beste gewesen und sollte bei diesen Prüfungen auch wieder ganz vorne liegen. Sie würden das schon schaffen.
„So, meine Lieben“ sagte er, als der Transporter gestartet war und sich jetzt in einem Hypergleitflug befand. Sie sollten einige Zeit unterwegs sein. „Willkommen bei eurer Abschlussprüfung. Es geht, wie ich euch schon gesagt habe, darum, dass ihr in ein Kriegsgebiet gebracht werdet. Dort sollt ihr ein Schmugglerbande hochnehmen und Gefangene machen. Keine Verluste, auf beiden Seiten, verstanden? Oder versucht es wenigstens.“ Ein Lächeln blitzte in Richtung Lucy auf, aber sie war sich in dem Moment nicht sicher, ob es zur Aufmunterung galt. Sie dachte an ein paar Momente zurück, in denen sich die beiden sehr nahe gewesen sind. Sie hatten schon ein paar Augenblicke gehabt, in denen sie sich länger in die Augen gesehen hatten oder sie hatten sich angelächelt. Aber nein, dachte Lucy entschlossen und sah in die andere Richtung. Das hatte sie sich vielleicht auch alles nur eingebildet. Und wenn diese Prüfung hier vorbei war, dann würde sie ihn sowieso nie wieder sehen.
„Das Gebiet ist nicht besonders gefährlich oder so. Es soll euch nur dazu bringen, euer Gelerntes einzusetzen. Und dann habt ihr schon bestanden! Ruht euch jetzt noch ein wenig aus. Ihr werdet es brauchen!“

Der Zielplanet hing wie ein drohendes Ungewitter vor ihnen. Lucy sah aus einer kleinen Luke nach draußen in das dunkle Weltall und fragte sich, was sie wohl erwarten würde. Sie hatten das alles schon sooft geprobt. Nur waren es diesmal keine Schauspieler, es waren echte Schmuggler. Ob sie harten Widerstand leisten würden? Lucy rückte das Mikrofon an ihrem Kehlkopf zurecht und drückte den Knopf mit dem Hörteil fester in ihr Ohr. Sie hatte lange gebraucht, um sich an dieses Ding zu gewöhnen, aber bald dachte sie nicht mehr an das weiche, anschmiegsame Material. Nur manchmal verrutschte es, aber das war gleich wieder gerichtet. Verlieren konnte sie es nicht, denn das Mikrofon war in den Kehlkopf hineinoperiert worden, ragte aber noch ein bisschen heraus, um Wartungsarbeiten daran vornehmen zu können. Lucy starrte weiterhin in das dunkle Weltall und fragte sich noch einmal, was sie wohl erwarten würde.

Sie waren gelandet. Bevor sie ausstiegen, überprüften sie den Sitz ihrer Uniformen und setzten die Stahlhelme auf. Kanthal gab ihnen noch letzte Anweisungen bezüglich der Truppaufteilung und wünschte ihnen viel Glück. Sein Blick suchte Lucys, aber sie reagierte gar nicht darauf. Sie half Reika mit ihrem Helm, aber sie hatte das warme Gefühl auf ihrem Gesicht gespürt, als sein Blick sie traf. Sie musste sich krampfhaft ein Lächeln verkneifen und beschäftigte sich jetzt noch um so mehr mit Reika. Dann traten die vierzehn Schüler aus dem Transporter, rannten geduckt zu einigen Stellen, an denen sie gedeckt waren. Dann hob der Gleiter ab und verschwand. Und mit ihm Kanthal. Lucy sah ihm kurz nach und fragte sich unwillkürlich, was passieren würde, wenn sie diesen Wahnsinn hier nicht überleben würden.
„Na los dann.“ Sagte sie leise in ihr Mikrofon. „Finden wir sie und machen wir sie fertig!“
Geduckt drangen die Soldaten tiefer in den Planeten ein, nutzten alles als Deckung, was sich ihnen bot. Meistens handelte es sich um Steine oder Bäume oder Büsche. Lucy konnte sich fast nicht satt sehen an der vielen Natur, sie hatte sie doch so sehr vermisst! Aber sie war viel zu viel Soldat, um sich von ihrer Mission abhalten zu lassen. Mit Handzeichen teilte sie den Trupp in vier Untertrupps, jeweils zwei Vierer und zwei Dreiertrupps. Sie fragte sich unwillkürlich, wieso Kanthal ausgerechnet ihr das Kommando übergeben hatte, aber der Gedanke war gleich wieder weg, als sie sich mit Reika und Sefren durch die Botanik quälte. Es war heiß und sie schwitzte in ihren Tarnklamotten, aber sie machte weiter. Es durfte ihr hier kein Fehler unterlaufen. Das hier war echt, verdammt echt. Sie robbten und schlichen immer weiter, bis sie durch das Gebüsch ein Lager ausmachen konnten. Fünf Männer saßen oder lagen in einem Kreis und schienen sich angeregt über etwas zu unterhalten. Lucy verstand die Sprache nicht, auch wenn sie in den zwei Jahren viele Sprachen gelernt hatte. Diese war leider nicht dabei gewesen. Sie fluchte leise vor sich hin, als Bewegung in die Männer kam. Lucy konnte nicht sehen, wieso sie auf einmal so hektisch waren, als neben ihnen die Hölle losbrach.

Etwas explodierte hell und laut und heiß neben ihnen. Lucy stieß überrascht den Atem aus und rollte sich zur Seite, aus der Hitze heraus. Die Männer schrieen vor Überraschung und Schmerz auf und rannten kreuz und quer durch ihr Lager, aber sie wurden einer nach dem anderen von Laserpistolen niedergemäht. Lucy spähte angestrengt durch das Dickicht, aber sie konnte nichts sehen.
„Alles in Ordnung mit euch?“ murmelte sie atemlos in ihr Mikrofon und bekam zwei piepsige Antworten. Lucy riskierte einen kurzen Blick auf Reika. Sie war kreidebleich und zitterte am ganzen Körper. Tränen rannen ihr über das Gesicht. Und sie schien unter Schock zu stehen. Lucy streckte tröstend eine Hand nach ihr aus, aber Reika tat etwas Unerwartetes: Mit einem Satz sprang sie auf und rannte wild schießend auf die Lichtung, wo eben noch die Männer gesessen hatten.
„Reika, verdammt!“ brüllte Lucy, kam aber nicht aus ihrer Deckung heraus. Aus dem gegenüberliegenden Gestrüpp flogen Laserstrahlen auf Reika zu und durchdrangen ihren Körper mit Leichtigkeit.
„REIKA!“ Lucy schrie wie von Sinnen, als sie sah, wie ihre Freundin langsam zusammensank und in den Staub fiel. Tränen rannen ihr über das Gesicht, und sie konnte kaum noch atmen, so schmerzte sie der Anblick. Im gleichen Moment wie Reika starb, brach um sie herum erneut die Hölle los, überall explodierten Bomben krachend und heiß, Staub und Steine schleuderten ihr entgegen.
Lucys Schulter schmerzte plötzlich, und sie sah Blut auf den staubigen Boden tropfen.
„Sefren, Rückzug!“ befahl sie grob und robbte ein Stückchen rückwärts, bevor sie sich aufrichtete und Schutz hinter ein paar großen Steinen suchte. Die Bomben krachten weiter in ihren Ohren und hallten und donnerten in ihrem Kopf immer weiter und weiter.
Mein Gott, dachte sie, das hier ist der Wahnsinn! Kanthal, du Mistkerl, du hast das gewusst! Sie wischte sich die Tränen mit dem Hemdsärmel aus dem Gesicht.
„Sefren.“ Sagte sie zu dem zitternden Jungen neben sich. „Wir müssen hier weg. Wir müssen die anderen finden und schnellstens von hier weg.“ Sie schaute kurz über ihre Schulter. „Schaffst du das, Sefren?“
Ein hektisches Nicken war die Antwort.
„Also gut.“ Sagte sie mit kalter Stimme.
Die beiden traten aus ihrer Deckung und rannten geduckt in die Richtung zurück, aus der sie ursprünglich gekommen waren. Sie umgingen die Lichtung großzügig und trafen auf einen Vierertrupp. Die Vier waren verängstigt, aber ihnen war nichts passiert. Sie waren sofort geflüchtet, als es losgegangen war.
„Geht zum Treffpunkt.“ Befahl Lucy ihnen. Sie schickte auch Sefren mit. Mit ihm konnte sich nichts anfangen.
„Ich komme mit dir.“ Sagte ein Junge, dessen Name Lucy gerade nicht einfiel. Sie nickte kurz und schon waren sie wieder hinter einer Deckung verschwunden.

Es dauerte nicht lange, da hatten sie alle Schüler wieder zusammengetrommelt. Kein weiterer war schwer verletzt worden. Sie alle hatten ein paar Schrammen und Kratzer, aber sie waren alle am Leben.
Außer Reika, dachte Lucy schwermütig, als sie auf dem Boden lag und in den klaren Himmel schaute. Sie wartete auf den Transportgleiter und diesen verdammten Kanthal! Nach einer Ewigkeit entdeckte sie ihn endlich am Himmel. Schnell stand sie auf, na ja, so schnell wie es mit ihrer Wunde möglich war und rief ihren Trupp zusammen.
Der Gleiter landete und Kanthal stieg aus. Er war nicht sehr überrascht, dass sie alle verletzt waren. Er sah Lucy direkt an.
„Du hast es gewusst!“ zischte sie leise. „Du hast verdammt noch mal gewusst, was hier passieren wird!“
„Das ist die Prüfung, Lucy.“ Sagte Kanthal trocken. „Überleben. Du musst hier nur Überleben.“
„Verdammt!!“ brüllte Lucy unter Tränen los. Sie rannte auf Kanthal zu und schlug wild mit den Fäusten auf seine Brust. „Das war Reika, verdammt!!“
Kanthal tat nichts, er wehrte sich nicht und schlug auch nicht zurück. Als Lucys Schläge immer schwächer wurden, nahm er sie tröstend in den Arm und bemerkte die Verletzung an der Schulter. Irgendwie wurde ihm jetzt erst bewusst, dass auch Lucy hätte sterben können, und er drückte sie noch ein bisschen fester an sich.



C Rei 07072001
 



 
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