Ist doch gut jetzt!

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Nika

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Die Konflikte eskalieren immer mehr.
Mein Bruder liegt zusammengerollt am Boden und schützt seinen Kopf. Er weint, meine Mutter sagt leise "Ist doch gut jetzt" zu meinem Vater.
Danach verspricht sie uns mit Vater zu reden, damit das aufhört. Sehr wahrscheinlich tut sie das auch, aber es hört nicht auf.
Mutter versucht uns zu trösten, kümmert sich um unsere körperlichen und seelischen Wunden. Doch die Pflaster und Umarmungen machen es nur leichter und nicht ungeschehen.
Schlimm ist auch das Schweigen, kein Hallo, kein Tschüss. Er schaut einfach durch uns durch, als seien wir nicht da. Manchmal ist es nach ein paar Stunden schon vorbei, als wir größer sind, dauert es auch schon einmal ein ganzes Jahr.
Für meinen Vater ist das konsequent. „Die Kinder müssen die Konsequenzen für ihr Verhalten tragen“ meint er. Den Zusammenhang erkennen wir allerdings nicht. Mal führt ein verlorener Hausschlüssel nur dazu, dass er uns ausschimpft, mal zum ganzen Register an Strafmaßnahmen, wie zum Beispiel Hausarrest, im Zimmer einsperren oder Essensentzug.
In der Zeit, die wir dann zu Hause sind, müssen wir Schuhe putzen, Wäsche stopfen oder ähnliches. Mein Bruder stellt sich dabei immer so ungeschickt an, dass diese Aufgaben an mir hängen bleiben. Ich finde das ungerecht, aber wenn ich mich weigere, bittet meine Mutter mich mit Tränen in den Augen, es trotzdem zu machen, weil sie die ganze Arbeit nicht schafft. Ich lasse mich immer wieder erweichen und erledige die Arbeit von meinem Bruder und mir und eigentlich auch noch mehr.
Am Wochenende essen wir alle gemeinsam zu Mittag und mein Bruder und ich haben Angst zu kleckern, die Gabel zu voll zu nehmen oder die Arme zu weit abzuwinkeln. Wenn es Eis gibt, rühre ich das gerne mit dem Löffel, bis es etwas geschmolzen ist, mein Vater verbietet das, es ist ihm zu laut. Genauso gerne matsche ich mein Essen zusammen, damit von allem immer gleich viel auf meiner Gabel ist, aber das mache ich lieber, wenn mein Vater nicht mitisst. Beim Frühstück stellen mein Bruder und ich eine Cornflakes Packung oder ähnliches hinter unser Essen, damit mein Vater nicht sehen kann, wie wir essen. Ich habe Angst etwas zu verschütten, oder dass mir etwas herunterfällt. Das passiert immer öfter.
Mit Argusaugen beobachtet er uns, um die entsprechenden Konsequenzen auszusprechen. Häufig führt es zu einem Vortrag, wie unfähig mein Bruder und ich sind, und dass niemals etwas aus uns wird.
Was mein Vaterauch nicht mag, ist mein Lachen. Ich lache wie ein Esel, sagt er öfter, bis ich dann eben nicht mehr lache, wenn er da ist und mit der Zeit auch sonst auch kaum noch.
 
Inhaltlich und zum größten Teil auch formal finde ich es recht gelungen. Nur mit der Zuordnung zur Sparte Tagebuch habe ich Probleme. Wie alt soll man sich den Ich-Erzähler denken? Als "Kind" (Vater) dürfte er höchstens vierzehn sein. Nun können auch Kinder Tagebuch führen - aber würde ein Kind den ersten Satz so formulieren: Die Konflikte eskalieren immer mehr? Es würde sich vielleicht empfehlen, den Text als Kurzprosa, geschrieben aus der Perspektive eines KIndes, aufzufassen und selbst dann noch den ersten Satz umzuformulieren. - Sonst keinerlei Einwände von mir. Es ist insgesamt gut beobachtet, detailreich und exakt beschrieben.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 

Nika

Mitglied
Hallo Arno,
danke für Dein Feedback. Mit der Zuordnung hast Du natürlich recht.
Sonnige Grüße
 

Ubertas

Mitglied
Hallo @Nika ,
wenn die Angst die Seele auffrisst.
Die schutzlos unschuldige Seele eines Kindes, das erwachsen in die weite Welt hinaustritt, um zu verlieren, um zu verlieren, um zu verlieren, was ihm niemals auf die Wangen geküsst wurde, um zu verlieren, was es nie im Arm hielt. Danach das Suchen in falschem Lächeln, danach das Finden einer halben Umarmung. Danach, dabei, die Erinnerung an ein stilles Aussitzen, ein weiteres Abwinkeln. Das Kind hat Angst und behält sie.
Umsonst. Eine Dreingabe, die wie ein Aberglaube tief in der Brust weiterschlägt. Durch und durch sah man weg.
Genau deswegen. Schau auf dich selbst. Ich weiß, es ist nur eine Geschichte und meine Worte sind vielleicht keine eigenen Erfahrungen.
Danke für deine Geschichte, liebe(r) Nika.
Sie hat mich tief berührt und berührt mich.
Auch übermorgen
Lieben Gruß ubertas
 



 
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