Jonathan

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Matula

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Das Spiel hieß "Adventures of Rightnow" und sein Held Jonathan Rightnow. Ich kaufte es, nachdem Günther mich verließ, weil ich dachte, dass er bald zurückkommen und mir das Spiel bis dahin die Zeit vertreiben würde. Nach ein paar Wochen begrub ich die Hoffnung auf Günthers Rückkehr, nicht zuletzt, weil ich mich in Jonathan verliebt hatte. Es wäre übertrieben zu sagen, dass ich Günther überhaupt nicht vermisste, aber die anhaltende Niedergeschlagenheit, die ich von früheren Trennungen kannte, blieb diesmal aus.
Das Leben mit Günther war anstrengend: kein Wochenende, an dem er nicht verreisen oder wenigstens aufs Land fahren wollte, kein Abend, an dem er freiwillig zu Hause blieb, und vor allem niemals allein oder zu zweit. Günther hatte immer ein halbes Dutzend Freunde um sich und schloss auf Schritt und Tritt neue Bekanntschaften. Jonathan war ganz anders, ein Einzelgänger, ein einsamer Wolf ohne Familie und Tarockrunde. Über seine Herkunft erfuhr man wenig, nur dass er als Jugendlicher von zu Hause ausgerissen war, nachdem er herausfand, dass sein Vater ein berüchtigter Waffenschieber war. Von Natur aus friedliebend, muss Jonathan lernen, dass man seine Fäuste und notfalls auch Waffen gebrauchen muss, um der Gerechtigkeit in der Welt zum Sieg zu verhelfen und um mit anderen in Frieden leben zu können.
So begriff jeder, dass er Hu Fang Wu töten musste, weil ihn dieser andernfalls verraten hätte und Jonathan seinerseits von den ehrenwerten Herren der Cosa Nostra, in die er sich als Apostolischer Nuntius eingeschlichen hatte, getötet worden wäre und infolge dessen nicht die Möglichkeit gehabt hätte, jenes Tagebuch aus dem Safe des Großmeisters vom Orden der Heiligen Trappen zu entwenden, das den kleinen Juan Carlos, einen puertorikanischen Bettelknaben von dem Verdacht freispricht, den homosexuellen Vicomte de Brie-sur-Beurre ermordet zu haben, den in Wahrheit aber nicht jener, sondern Groucho Uljanov, Doppelagent seiner Majestät und Clown am Russischen Staatszirkus auf Geheiß des CIA getötet hat, um den Vereinigten Staaten von Amerika den Besitz der sogenannten "Table of Usher" aus 1620 zu bringen, aus dem hervorgeht, dass die Pilgrim Fathers der Blutschande überführte Sträflinge und ihre weiblichen Begleitung, die Pilgrim Mothers gewissermaßen, unverbesserliche Straßenhuren waren, was die Weltöffentlichkeit niemals erfahren sollte, aber die in den Staaten geläufige Redensart "son of a bitch" historisch erklären würde.
Günther hat weder einen Chinesen ermordet noch einen Safe aufgebrochen oder einen russischen Doppelagenten in einen Bärenzwinger gesperrt, was ich gar nicht beanstanden will. Aber Jonathan erklärte mir mit seiner jungenhaft erotischen Stimme, was er dachte und zu tun beabsichtigte. War ich einverstanden, genügten ein paar Clicks, die er mit einem hinreißenden Lächeln und einem verschwörerischen Augenzwinkern quittierte. Wir waren ein wundervolles Team !
Jonathan konnte allerdings auch richtig wütend werden und fluchen. Er sagte "Shit !" und "Damned !" oder nannte jemanden einen "motherfucker". Günther war immer jedermanns Freund, bis auf ein leises "Schei - benkleister" habe ich nie ein böses Wort von ihm gehört, und immer dachte ich, dass soviel Liebenswürdigkeit eine Kehrseite haben müsse. Obwohl ich in der Zeit mit Günther mehr Leute, Länder und Lokale kennenlernte, fing ich mich bald zu langweilen an. Mit den Leuten ist es nämlich immer dasselbe: zuerst sind sie unterhaltsam und witzig und lassen sich nicht in die Karten schauen. Dann kommt der Moment, wo sie rätselhaft werden und dieses und jenes andeuten, was besser ungesagt bliebe. Am Ende fangen sie zu heulen an, wollen getröstet werden und reden nur über ihre unglückliche Kindheit. Leider wird auch das Reisen langweilig, mit Günther natürlich nie ohne Reisegruppe. Da steht die Schar der Kulturtouristen vor dem Tempel von Karnak, vor Schloss Versailles oder dem Taj Mahal, staunt und macht Bilder. Jonathan hatte keine Zeit zum Staunen, denn er musste sich hinter Säulen in Sicherheit bringen, nach geheimen Tapetentüren suchen oder einen Kandelaber ergreifen, um seine Häscher zu erschlagen.
Günther kam aus gutem Hause, während Jonathan in Slam City, einem Vorort von Bosten aufwuchs, den man auf keiner Landkarte findet. Es ist ein kleiner, überschaubarer Ort, der nur aus einer Handvoll Häuser und dem Landsitz jenes Großmeisters vom Orden der Heiligen Trappen besteht. Ich hatte keine Schwierigkeiten, mich in Slam City zu orientieren. Jonathan führte mich von Haus zu Haus, um die Einwohner kennenzulernen. Es waren einfache Leute, die auf einfache Fragen einfache Antworten gaben. Nur Juan Carlos hielt sich im Keller versteckt und redete wirres Zeug, weil er auf den elektrischen Stuhl sollte.
Günther hatte keinen waffenschiebenden Vater, an dem er seinen Charakter hätte schleifen können. Das kann man ihm nicht vorwerfen, aber es hat eben auch Nachteile. Der behütete Charakter bleibt immer irgendwie flach und angepasst. Wenn Sie jetzt einwenden wollen, dass es sich doch genau umgekehrt verhalte, dass Jonathan eine Kunstfigur sei, deren Charakter sich auf wenige Merkmale beschränke, die noch dazu übertrieben und nur auf den Zweck des Spieles ausgerichtet seien, muss ich Ihnen entschieden widersprechen. Jonathan ist ein ganzer Kerl und verfügt auch über Schattenseiten, auf die ich später zurückkommen werde. Mit seinem Mut, seiner Tatkraft und der Entschlossenheit, die er bei der Verteidigung von Schwächeren an den Tag legte, konnte Günther nicht annähernd konkurrieren. Mit Jonathan verbindet mich ein Abenteuer. Während er in das Haus des Großmeisters eindrang, bewachte ich die Bluthunde, die wir mit Hilfe eines hitzigen Doggenweibchens abgelenkt hatten. Als er im Sarkophag des Hl Trapp nach der "Table of Usher" suchte, war ich es, die herausfand, dass man am Bart des Hl Fronius ziehen muss, damit sich das Grab öffnet. Gemeinsam trieben wir Groucho Uljanov in die Enge, bis er in den Bärenkäfig flüchtete, und Hu Fang Wu verhedderte sich in dem Moment in einer von mit ausgelegten Seidenschnur, in dem er dem Großmeister mitteilen wollte, dass Jonathan kein Apostolischer Nuntius sei. Als Trappenmönche verkleidet, suchten wir im Kloster nach Hinweisen auf Verbindungen zur Cosa Nostra, sprangen über Seilbahngondeln und entführten einen Heißluftballon. Wir waren ein großartiges Team !
Mit Günther gab es keine Abenteuer, bestenfalls Erlebnisse, und ein Team waren wir nie, schon weil wir so selten allein waren. Leider - und hier komme ich auf eine Schwäche in Jonathans Charakter zu sprechen - tauchte plötzlich und ohne ersichtlichen Grund die illegitime Tochter des Großmeisters, Jessica, auf und schloss sich uns an. Ich war nicht begeistert darüber. Um ehrlich zu sein, ich konnte sie nicht ausstehen in ihrer blonden Hilflosigkeit, die Jonathan aber sofort beeindruckte. Wir mussten von nun an ständig darauf achten, dass sie weniger schnell laufen, weniger hoch springen und weniger gut kämpfen konnte - und vor allem in den unpassendsten Momenten das Medaillon ihrer Mutter verlor. Zuerst dachte ich, dass wir sie irgendwo absetzen würden, aber Jonathan bestand auf ihrer Begleitung, aus sehr persönlichen Gründen, wie sich später herausstellte.
Am Ende verschwanden die beiden Hand in Hand in der Villa des Großmeisters, der beim Versuch, Groucho Uljanov das Usher-Papier abzujagen, vom Trapez und in ein von uns geschickt montiertes Starkstromnetz fiel. Jonathan und Jessica wurden von den plötzlich zutraulichen Bluthunden und von Juan Carlos begleitet, der nun nicht mehr betteln musste, weil ihm der CIA gegen die Übergabe der Usher-Papiere eine Rente ausgesetzt hatte. Vor der letzten Stufe des Portals winkten sie mir zu und riefen "See you soon !"
Es war wie im wirklichen Leben, ich war ein wenig traurig und hoffte, dass sich Jessica den Hals bricht oder die Hunde sie zerfleischen. Im Nachspann wurde ein gewisser Mark Robinson als geistiger Vater von Jonathan Rightnow genannt. Ich schrieb ihm: Dear Sir, thank you so much ! You made me feel real for a while.
 
Die Geschichte fängt interessant an, aber dann kommt dieses Ungetüm von einem Satz:

. So begriff jeder, dass er Hu Fang Wu töten musste, weil ihn dieser andernfalls verraten hätte und Jonathan seinerseits von den ehrenwerten Herren der Cosa Nostra, in die er sich als Apostolischer Nuntius eingeschlichen hatte, getötet worden wäre und infolge dessen nicht die Möglichkeit gehabt hätte, jenes Tagebuch aus dem Safe des Großmeisters vom Orden der Heiligen Trappen zu entwenden, das den kleinen Juan Carlos, einen puertorikanischen Bettelknaben von dem Verdacht freispricht, den homosexuellen Vicomte de Brie-sur-Beurre ermordet zu haben, den in Wahrheit aber nicht jener, sondern Groucho Uljanov, Doppelagent seiner Majestät und Clown am Russischen Staatszirkus auf Geheiß des CIA getötet hat, um den Vereinigten Staaten von Amerika den Besitz der sogenannten "Table of Usher" aus 1620 zu bringen, aus dem hervorgeht, dass die Pilgrim Fathers der Blutschande überführte Sträflinge und ihre weiblichen Begleitung, die Pilgrim Mothers gewissermaßen, unverbesserliche Straßenhuren waren, was die Weltöffentlichkeit niemals erfahren sollte, aber die in den Staaten geläufige Redensart "son of a bitch" historisch erklären würde.
Ich habe die Geschichte mit einigen Mühen zu Ende gelesen, aber leider nicht ganz verstanden, um was es geht.

Schöne Grüße
SilberneDelfine
 

Matula

Mitglied
Danke SilberneDelfine - und schade, dass ich den Grundgedanken nicht vermitteln konnte. Das "Satzungetüm" sollte die Rasanz vieler Computerabenteuer zum Ausdruck bringen, die inhaltlich betrachtet unsinnig sind, aber den Spieler durch ihre Dynamik in ihren Bann ziehen können, vor allem, wenn der Held attraktive Eigenschaften besitzt und den Spieler zu Abenteuern einlädt, die im realen Leben so nicht zu haben sind.

Schöne Grüße,
Matula
 
Hallo Matura,

ich stimme SilberneDelfine zu.
Ich meine aufgrund deiner Antwort zu verstehen, was du mit dem Satzungetüm bzw. dem Text dadrin ausdrücken willst.

Du könntest deine Intention genauso gut herüberbringen, wenn du es für den Leser einfacher machst. Wenn du das alles in kurze, knackige Sätze verpackst. Da hättest du viel mehr Möglichkeiten, das ironisch/satirisch darzustellen, weil es dann genau so und gewollt aussieht und nicht wie "Häh, w bist das den für ein Ungetüm?"
Beispiel, ein wenig übertrieben vielleicht:

So begriff jeder – also jeder Spieler und jede Spielfigur im Spiel - dass er – in diesem Falle Jonathan – Hu Fang Wu töten musste. Weil ihn dieser – also Hu Fang Wu – andernfalls verraten hätte. Und weil er – also Jonathan – seinerseits von den ehrenwerten Herren der Cosa Nostra, in die er – also Jonathan – sich als Apostolischer Nuntius eingeschlichen hatte, getötet worden wäre.
Infolgedessen hätte er – also Jonathan – nicht die Möglichkeit gehabt, jenes Tagebuch aus dem Safe des Großmeisters vom Orden der Heiligen Trappen zu entwenden. Ja, genau jenes Tagebuch, das den kleinen Juan Carlos, einen puertorikanischen Bettelknaben von dem Verdacht freispricht, den homosexuellen Vicomte de Brie-sur-Beurre ermordet zu haben
In Wahrheit hat aber nicht jener – nicht Jonathan, nicht der kleine Juan Carlos – , sondern Groucho Uljanov, Doppelagent seiner Majestät und Clown am Russischen Staatszirkus auf Geheiß des CIA getötet.
usw.
Also so würde ich persönlich das machen.

Schöne Tage und liebe Grüße,
Frankyln Francis
 

Matula

Mitglied
Danke, Franklyn Francis ! So ist das definitiv leichter zu lesen.
Liebe Grüße und einen schönen Jahreswechsel,
Matula
 

Haselblatt

Mitglied
Leichter zu lesen, ja. Aber dadurch wird die ursprüngliche Absicht des Autors pervertiert. Der Monstersatz ist hier ja kein faux-pas, sondern ein bewusstes Stilmittel - so sehe ich das jedenfalls.
Als Anti-Fan von Adventure games finde ich den Text außerdem als gelungene Persiflage auf dieses Genre von kybernetischer Unkultur.
 

Matula

Mitglied
Danke für die "Defensio", Haselblatt ! Die überwiegende Mehrzahl der Adventure Games ist wirklich Mist, allerdings gibt's nach meiner Erfahrung Situationen, in denen Realitätsflucht angesagt ist. Zum Beispiel wenn in allen Straßen finster blickende vermummte Meschen wandern und hustende oder schnäuzende Fremde verschiedene Phantasien auslösen ...

Schöne Grüße aus Wien,
Matula
 



 
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