Kameraden, wir haben die Welt gesehen... Kiel - Abmusterung Chapter 35

Am nächsten Morgen ist schon wieder Auslaufen angesagt. Langsam lösen wir uns von der Mole und nehmen Kurs auf die Enge des Fjordeinganges. An Steuerbord liegt Z4 und ganz dicht ziehen wir am Schiff vorbei. Da stehen sie, unsere Jungs von Z4, jetzt lachen wir nicht mehr.

Dicke Verbände von einer Hand und dem halben Unterarm, verbunden über eine Schlaufe zur anderen Hand, ebenfalls fast bis zum Ellenbogen belegt mit weißem Verband. Sie sehen echt bekümmert aus. Wahrscheinlich ist ihnen die Haut bis fast auf die Knochen abgezogen worden. Sie tun uns wirklich leid, keine Schadenfreude mehr.

Ich mache mir darüber meine Gedanken, ich habe schon vor langer Zeit begriffen, dass man hier an Bord verdammt genau überlegen muss, was ist notwendig, was nicht, und ist das, was du tust, mit einem Risiko verbunden? Wenn ja, dann musst du eine Entscheidung treffen, auch dann, wenn sie nicht opportun ist. Doch ich sollte noch erfahren, dass es Situationen gibt, wo einem keine Wahl gelassen wird.

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Unser Kurs ist auf unseren Heimathafen ausgerichtet und der ist nun mal Kiel. Der Kaptein hat es augenscheinlich eilig, ich stehe auf der Brücke und er gibt die Kommandos. Mit über 24 Knoten rauschen wir durch das Kattegatt. Der „Alte“ ist nicht so ruhig, wie wir ihn von unseren Fahrten her kennen. Von den BÜ-Leuten will er wissen wie das Wasser am Heck aussieht. Mir ist nicht klar, was er damit meint, bis mich einer der Maate aufklärt.

Der Zerstörer mit seinen über sechzigtausend PS könnte auf der, wie er sich ausdrückt, „überfluteten Wiese“, also der Ostsee, niemals die volle Geschwindigkeit fahren, denn dann würden wir den Felsen aus dem Grund reißen. Also muss, in Abhängigkeit zur Wassertiefe, genau überlegt werden, was ist noch machbar, welche Geschwindigkeit kann ich noch vertreten? Deshalb will der Kaptein wissen, ob sich das Wasser am Heck anfängt braun zu färben, dann weiß er, dass er sich am Limit bewegt.

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Zwei Tage später liegen wir wieder an unserem angestammten Platz. Die Tage vergehen und oft sitzen wir beim Skat oder wir machen die Stadt unsicher. Dabei kommt es zu manchem Eklat. Ein Besuch in Laboe, im halbtrunkenen Zustand, führt zum Rauswurf durch das Ordnungspersonal. Da habe ich mich doch vor den Abbildern der Seefahrerheroen, die mir in ihrer kultischen Größe als zu überproportioniert vorkamen, im Untergeschoss laut, sagen wir recht laut, vielleicht ein wenig in pöbelhafter Weise, verhalten.

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Es wird März und der Winter hat sein Feld geräumt und dem Frühling seinen Platz zugewiesen. Ab und zu haben wir unsere Tagesausfahrten in die Ostsee gemacht, aber es gibt keine Order mehr und wir ahnen, mehr als dass wir es wissen, dass unsere Tage auf Z1 gezählt sind.

Noch einmal nehmen wir, wieder bei Laboe, Munition auf. Sehr sachte werden die Granaten an Bord getragen. Auf meine Frage an den Schmadding ob es nicht gefährlich sei so eine Granate fallen zu lassen, antwortet er gleichmütig. „Für sie ist es nicht wirklich gefährlich, einen Unfall bekämen sie ja gar nicht mit, für die anderen ist es allerdings sehr gefährlich.“

Ernsthafter erklärt er mir dann, dass die Spitze einer Granate gesichert ist, hier könnte nichts passieren, allerdings, wenn per Zufall der Zünder am hinteren Ende der Granate beim Fallen auf eine der Nieten träfe, die in 15 Zentimeter-Abständen als kleine Beulen aus dem Oberdeck schauen, dann könnte es unangenehm werden.

Es vergehen noch ein paar Tage, dann ist es so weit, in langen Reihen stehen Busse parat. Die Verabschiedung von alten Freunden beginnt, dann werden wir alle nach Wilhelmshaven gekarrt. Wir wissen, wir werden alle auf Schulschiff Deutschland wechseln. Wilhelmshaven, die Stadt unserer besonderen Abenteuer, wird noch einmal unsicher gemacht, aber dieses Mal ist uns das Glück nicht holt, keine Mädels in Sicht, die uns armen Seelords eine Heimstatt anbieten.

Also konzentrieren wir uns auf unsere Umsiedlung vom Zerstörer auf Schulschiff Deutschland. Allerdings ist der Wechsel von unserem geliebten „Anthony“, der uns ein Jahr lang als Heimat diente, nicht so ganz einfach. Wir haben doch eine Menge erlebt in dem einen Jahr.

Sicherlich wird uns der Abgang etwas leichter fallen, weil wir als Gruppe zusammenbleiben, aber uns von Obermaat Marin, dem Schmadding, diesem Unikum auf krummen Beinen, und den Offizieren zu trennen, fällt uns schon nicht leicht. Von den Z-Soldaten zu verabschieden, die uns oft geholfen haben, wenn wir nicht weiter wussten, bedrückt uns sehr. Hier hatten sich Freundschaften gebildet und wir tauschen Adressen aus. Werden wir diese Beziehungen wirklich aufrechterhalten? Keiner weiß es.
 



 
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