Kameraden, wir haben die Welt gesehen,... Quarantäne Chapter 15

Quarantäne

Am Mittag spricht der Kapitän über BÜ und gibt bekannt, dass der Zerstörer Z1 nach erfolgreichem Manövereinsatz seinen Einsatzort verlassen darf und nach Lissabon zurückfährt. Er dankt der gesamten Besatzung, aber die Worte gehen im allgemeinen Jubel unter. Jim und Liliencron fallen sich um den Hals, sie johlen wie die Kinder. Ich sehe Tommy an: „Dieses Mal machen wir einen los, die sollen sich in Acht nehmen in Lissabon.“ „Darauf kannst Du Gift nehmen, nichts wird ausgelassen und wenn die ganze Heuer draufgeht, scheißegal.“ Trotz der Magenkrämpfe und der Schübe an Übelkeit, die uns in Wallungen immer wieder heimsuchen, die Mannschaft fiebert förmlich dem Hafen von Lissabon entgegen.

In schneller Fahrt geht es über den 15° Meridian, noch ca. 300 Seemeilen. Wir jagen der europäischen Küste entgegen, am Morgen werde ich auf die Brücke gerufen, es ist kalt, das Wetter ist diesig, wir laufen in die Tajo Mündung ein.
Wie beim ersten Mal geht es unter der Salazar-Brücke hindurch. Aber, zu meinem Erstaunen, legen wir nicht an alter Stelle an. Wir laufen in den breiter werdenden Fluss, der sich wie ein See ausdehnt und fahren in einen, von alten Lagerhallen und Betonbauten, verunstalteten Hafenbereich ein. Der Fluss hat wieder seine Normalhöhe erreicht und drückt uns nicht mehr von der Anlegestelle weg.

Wir machen fest. Erst zwei Stunden später erfahren wir, dass wir hier an dieser unwirtlichen Stelle, in Quarantäne gehen werden. Es besteht Verdacht auf Ansteckungsgefahr. Das Tropeninstitut in Hamburg wird Untersuchungen anstellen. „Na das kann ja noch lange dauern bis wir hier wieder rauskommen“, sage ich zu Willi. „Du kannst ja mal raten, was wir in der Zwischenzeit machen werden“, meint er im Weggehen. Tatsächlich wird der Kahn „gepönt“, natürlich mit weißer Farbe.

Auf einem Schwebebrett sitzen zwei Seeziegen außenbords und streichen den Schriftzug D 170 neu. Um uns herum alte, verfallenen Fabrikgebäude, dazwischen Brachland, vereinzelte verrostete Maschinen, Schutthalden und liegengelassenen Müll, keine Menschenseele zu sehen.

So vergeht die Zeit und die Medikamente, die wir erhalten, zeigen ihre positive Wirkung schon nach wenigen Tagen. Aber aus Hamburg kommt keine Meldung und der Zerstörer wird immer heller. Ein paar von den Leuten versuchen zwischen dem Schutt einen Platz zu finden, um Fußball zu spielen.

Aber die Aussicht auf die alten Lagerhallen mit ihren zerschlagenen Fenstern, den Betonplatten des Vorplatzes, zwischen denen sich das Grün so langsam wieder seinen Platz einzurichten versucht, die von Sandhängen begrenzte Bucht, mit dem von Ölpfützen übersäten Brackwasser, auf dem sich Holzstämme, Weinflaschen und farbiger Müll ein Stelldichein geben, ist ein Ort des Vergessens.

Abends spielen wir Skat und mein Arm sieht aus, als wäre er in ein Häckselmesser geraten. Die Leute langweilen sich, die Aussicht auf rostzerfressene Lagerhallen kann aber auch keinen Trost bringen. Für den Abend ist von den Offizieren ein Wettkampf angesagt. Sie lassen sich etwas einfallen, das muss man schon sagen, wie schön. Wir sind alle gespannt.
Am Abend ist die Pantry voll besetzt. Einer der Maaten hat die Moderation übernommen, heute soll es Boxkampf live geben. Jörg stößt Waldenberg an: „He Dicker, da oben, in den Ring, da gehörst Du doch eigentlich hin, los auf, lass Dich nicht hängen.“ Waldenberg, dieser Vorzeigeathlet aus dem Norden, überhört die Aufforderung beflissentlich. „Nee. Lass man, das ist nicht mein Ding.“

Unter Deck ist kaum noch Platz zu kriegen, man merkt deutlich, den Jungs geht es wieder besser. Es dauert nicht lange und ein Herausforderer wird präsentiert. Ich kenne den Burschen nur vom morgendlichen Appell auf der Schanz, muss ein „Ölfuß“ sein. Seine Figur ist nicht wirklich sportlich zu nennen, er wirkt massig, ja fett und er ist siegessicher, was ihn mir unsympathisch macht.

Es dauert nicht lange und einer steigt in den provisorischen Ring, er ist fast ein Kopf kleiner als der Herausforderer, dazu besitzt er eine Figur, die an einen Leichtathleten erinnert. Jim raunt mir ins Ohr: "Du, schau Dir die Figur von dem Burschen an, der Junge muss recht mutig sein." Dann schlägt die Glasenglocke den Gong.
Der Kleinere geht zögerlich auf den Herausforderer zu, schon nach den ersten Schlagwechseln wird deutlich, dass der „Schwabbel“ schon einmal geboxt haben muss, denn seine Gerade trifft den Schmalen am linken Ohr. „Das wird kein langer Kampf“, meint Jim und er hat recht.

Der Kampf verliert schnell unser Interesse, der Unterlegene beginnt abzutauchen, um den erstaunlich präzisen Schlägen zu entgehen. Im nächsten Raum, der voll besetzt, aber kleiner als die Pantry ist, sitzen sich, im Zigarettenqualm und im Licht von zwei Strahlern, zwei unserer Seeziegen im Schneidersitz, auf einem Tisch gegenüber.
Einer der Buben hat seine Hände über Kreuz so an seine Wangen gehalten, dass die Innenflächen seiner Hände nach außen gerichtet sind. Der andere, der ihm gegenübersitzt, schwingt gelassen seinen Arm an der Längsseite des Tisches entlang, hin und her.

Plötzlich kracht seine rechte Handfläche mit voller Wucht gegen die Außenfläche der Hand seines Kontrahenten. Dem Burschen wird der Kopf zur Seite gefegt und er droht zu kippen. Wir begreifen plötzlich, worum es bei diesem „Spiel“ geht. Es wird so lange gegenseitig geschlagen bis einer aufgibt oder vom Tisch fällt. Der Maat kommt auf uns zu gefedert und hält eine Art Lostrommel in der Hand. Ich schaue ihn verdutzt an. „Na - Nu´, nehmen sie schon, es kommt eh jeder dran.“

Reflexhaft greife ich zu und halte eine Nummer in der Hand. Die Freunde folgen meinem Beispiel. Der nächste Kampf wirkt von vorneherein ungleich. Der Funker, ein Kerl wie ein Baum und Jörg unsere Seeziege, mehr ein Leichtgewicht, sitzen in Position. Die Zuschauer grölen und in beiden Lagern gibt es Sympathisanten, wobei der schwächere Jörg die größere Fangemeinde hinter sich weiß.

Der Funker knallt ihm seine „Schaufel“ vor den Kopf, dass Jim und ich nach vorne springen, um Jörg aufzufangen, aber er hält sich. Jörgs Schlag wird von dem Hünen kaum zur Kenntnis genommen. Dessen nächster Hieb, jetzt mit der linken Hand durch eine kurze Hin- und Herbewegung in Fahrt gebracht, trifft Jörg derart genau, dass dieser glatt vom Tisch gefegt wird und er zwischen den Stühlen der Zuschauer landet.

Schade, Jim schaut mich an und zuckt mit den Schultern, wir konnten ihn nicht auffangen. Er rappelt sich hoch, bekommt sein Schiffchen gereicht, verlegen, aber von den Zuschauern schulterklopfend auf seinen Stuhl begleitet, zeigt er uns seine gerötete Wange. Mir wird ganz plümerant, wer wird mein Gegner sein, frage ich mich? Nach zwei weiteren Kämpfen, wird meine Nummer aufgerufen.

Ich schaue mich um, keiner erhebt sich von den Stühlen, ich schöpfe Hoffnung, könnte ja sein, dass er ein kluger Junge ist und begriffen hat, dass man bei diesem bekloppten Spiel nicht gewinnen kann und schon gegangen ist. Willi, der neben mir steht, stößt mich plötzlich an und zeigt mir seine Nummer, verdammt, er hat die Zahl, er ist mein Gegner.

Willi, der Metzger, der Filigrantechniker, der, wenn es um das Filetieren von Rinderhälften, Schweinen und wenn es sein muss auch Fisch geht, seine ganze Kunst der feinen Schnitte, die er mit diesen Händen vollführt, zelebrieren kann, der aber auch Pranken besaß, die von Schrunden und Rissen gezeichnet sind und die sich beim Festzurren von schwerem Tauwerk, beim Rostklopfen und bei Anlegemanövern, wo er mit seinen starken Händen Herkulestaue um Poller legt und mit kraftvollem Ruck festzieht, sich als genauso brauchbar erweisen, saß mir jetzt gegenüber und grinste mich an. Etwas gequält grinse ich zurück.

Ich habe den ersten Schlag, mein rechter Arm pendelt langsam an der Tischkante entlang hin und her, um dann weit nach außen zu schwingen. Ich knalle ihm die Rechte voll auf seine Handfläche und Willi verdaut den Schlag, nicht ohne eine leichte seitliche Bewegung zu vollziehen.
In diesem Moment begreife ich, dass ich hier nicht gewinnen kann, hier gilt es in Schönheit zu sterben. Als mich der Schlag trifft, habe ich für einen Moment das Gefühl, dass mir das Trommelfell geplatzt ist. Ich habe meine Hand nicht effektiv genug an meine Wange gehalten, da muss eine leichte Lücke gewesen sein, anders kann ich mir das nicht erklären.

Meine Linke wedelt jetzt unbeholfen vor und zurück, sie schwingt zögerlich, sie hat Respekt. Was mache ich eigentlich mit meiner Linken, frage ich mich? Ich kann damit nicht werfen und also auch nicht überzeugend schlagen. Trotzdem treffe ich ihn voll auf die Wange, aber jetzt bleibt bei ihm die seitliche Bewegung aus. Der Schlag war einfach nicht hart genug.
Seine Linke kommt und die hat fast den gleichen Effekt wie der erste Schlag. Ich kann nicht verhindern, dass mir Tränen über die Wange laufen, weil meine schützende Hand gegen die Nase gedrückt wurde. Im Dämmerlicht des Raumes wird das aber nicht registriert.

Das Gegröle hat nachgelassen, ich weiß, ich muss jetzt aufgeben, Willi ist mein Freund, was macht das schon aus der Unterlegene zu sein, es ist ein ungleicher Kampf. Ich bin ein filigranerer Typ als er, ein Mensch, der sehr schnell laufen kann, erträglich Fußball spielt und ein leidlich guter Tischtennisspieler ist, aber bei diesem Schlagaustausch bin ich zweiter Sieger. Doch irgendetwas hindert mich aufzugeben und ist der Kampf noch so chancenlos. Die nächsten Schläge ertrage ich fast stoisch, ich schwanke hin und her, während er dasitzt wie eine Buddhastatue. Plötzlich ist der Maat am Tisch und verkündet, dass die Show zu Ende ist. Backen und Banken sind angesagt.
Es gibt noch Gerechtigkeit auf dieser Welt, denke ich, ich werde den Maaten in mein Nachtgebet mit einschließen. Willi und ich fallen uns in die Arme, wir lachen, als wäre nichts gewesen und ich habe das Gefühl, es hat ihm wirklich Spaß gemacht.
 



 
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