Kameraden, wir haben die Welt gesehen... Stavanger - ...und kein bisschen weise. Chapter 34

Wir erhalten eine neue Order, unser Ziel ist Stavanger und wir werden uns im Skagerrak mit Z-2 und Z-4 zum Geschwader vereinigen. Es ist Mitte Januar 1969 und es ist kalt, umso überraschender ist die Tatsache, dass wir uns in unserer Kleidung an Oberdeck kaum von der in Spanien benutzten unterscheiden.

Wir frieren wie die Schneider und pressen unsere Arme über Kreuz gegen die Brust. Keiner trägt einen Parka, unser Hals und die halbe Brust ist frei. Wir stehen hinter Turm Alpha, unserem guten Geist, denn er schützt uns gegen die harten Windböen und die über die Back fliegende Gischt.

Norwegen, das an Steuerbord liegt, nehmen wir als ein Farbspektrum wahr, das uns bisher total unbekannt war. Grau- und Brauntöne sind dominierend und der graue Himmel trägt zur Aufhellung nicht wirklich bei. Hier oben ist sogar das Wasser grau, aber alles bekommt in dem Moment einen Hauch von Besonderheit, und alles beginnt sich in eine andere Welt zu verwandeln, als wir in den Fjord einlaufen.

Die ganze Zeit sind wir an unbedeutenden Inseln entlanggefahren, aber jetzt, als sich im Fjord die Unendlichkeit des Meeres in eine messbare Größe verwandelt, da stehen wir staunend an Deck, missachten die Kälte des scharfen Windes und bestaunen den hohen, beidseitigen Fels.
Der 1. Offizier weist auf eine nackte Wand an Backbord, an der uns, außer ihrer Steilheit und ihrem brüchigen Verlauf nichts Außergewöhnliches auffällt. Doch auf seinen Hinweis, uns genauer mit der Wand zu beschäftigen, kommen wir endlich ihrem Geheimnis auf die Spur.

Inmitten ihrer sehr reglementierten Farbenfülle erkennen wir, mit Unterstützung unserer Ferngläser, dass sich dort ein Schlachtschiff unter Tarnfarbe befindet. Drohend sind die Rohre seiner Geschütztürme auf die Öffnung des Fjordes gerichtet. Was uns aber wirklich begeistert ist der künstlerische Aspekt, das Schiff ist so in den Felsen, der auf über Hundert Meter aufragt hineingemalt, dass man es nicht erkennen kann.

Hier hat jemand eine Art von Mimikry geschaffen, wie wir es uns nie hätten vorstellen können. Durch die enge Passage fahren wir mit Minimalgeschwindigkeit, gefolgt von unseren Geschwadereinheiten. Es dauert eine Zeit, bis sich der Fjord erweitert und wir uns Stavanger nähern. Von weitem sehen wir sie kommen, die Schlepper. Sie kommen längsseits.

Im Fjord gibt es keinen Seegang und die Übergabe des Herkulestaues an die Schlepperbesatzung erfolgt per Hand über die Reling, 40 Tonnen Kette werden als Vorlauf dazwischen gelegt, sie bringen mit ihrem hohen Gewicht eine Art Federwirkung beim Schleppvorgang mit ein.

Das Tau wird um den Poller gelegt und als der Schlepper langsam Fahrt aufnimmt und in das schemenhafte Grau des breiter werdenden Fjordes dampft, wird die Kette langsam aus der See herausgezogen. Wir bemerken die Zunahme an Geschwindigkeit und langsam beginnt sich die Kette wieder in der See zu verbergen. Z5 achteraus, beginnt mit ihrem Schlepper das gleiche Manöver. Alles geschieht ohne Hektik.

Wir laufen durch den sich erweiterten Fjord und nähern uns Stavanger, das sich, obwohl noch weit entfernt, durch seine bunten Holzhäuser angenehm ins Gedächtnis einprägt.

Als plötzlich auf Z4 ein Geschrei entsteht, stehen wir in Lee hinter Turm Alpha, der uns mal wieder vor dem Wind schützt. So recht können wir nicht begreifen, was sich dort im dunstigen Licht der fahlen Sonne abspielt. Wir sehen nur noch, wie das Herkulestau samt der Kette mit Getöse durch die Steuerbordklüse rauscht.

Das Geschrei hört nicht auf, aber die Entfernung zum Zerstörer ist doch zu weit, um Genaueres zu erkennen. Wir entfernen uns von Z5 und langsam weicht der Fjord zurück, während an Backbord die ersten Inseln auftauchen. Wir werden vom Schlepper zu unserem Liegeplatz an der Mole gebracht, wir wissen, dass die Zeit auf Lee hinter unserem dicken Freund, dem Turm Alpha bald vorbei sein wird, dann heißt es raus in den Wind.

Als es so weit ist, gibt uns der Schlepper ein kurzes Signal und über die Winsch wird die Kette mit dem Tau an Bord gezogen. „Ist das scheiß kalt“, sagt Jim und aus seinem Mund entweicht der warme Atem. Mit unseren übergroßen Arbeitshandschuhen packen wir das Tau und legen es in Buchten ordentlich hinter den ersten Wellenbrecher neben die Poller, immer darauf achtend, dass kein Kinken entsteht.

Willi und Wagenberg werfen die Bola und führen das Anlegemanöver an Backbord durch. Als schwacher Punkt, in Richtung Ausgang des Fjords, ist Z4 zu sehen. Es ist mehr ein Schemen, ein ungenauer Umriss, ein Ahnen, nicht mehr. Wir liegen bereits fest und wundern uns über unsere Jungs von Z4. Was machen die so lange? Ich habe Wache und kann nicht von Bord. Aber das ist keine Schikane, sondern die Logik eines Einteilungsplanes und der schlägt heute für mich dummerweise zu.

Wenn ich mir die Ansammlung von bunten Häuschen anschaue, die auf grauem Fels gebaut sind, dann überfällt mich auch nicht dieses Sehnen nach Landgang, wie ich es beim Einlaufen in Lissabon und Alicante empfunden habe.

Ich laufe an der Reling entlang und schaue unseren Seelords zu, wie sie sich langsam, mit ihren Kulanis bekleidet, in Richtung Stadt bewegen, da endlich legt Z5 an. Der Dritte im Bunde, Z2, ist fast zeitgleich mit uns angelandet. Nichts weist darauf hin, was sich dort auf Z4 abgespielt hat. Niemand verlässt das Schiff, was merkwürdig ist.

So vergeht mein Abend, später, viel später, laufen vereinzelte Gestalten dick verpackt in Richtung Stadt. Als ich in der Koje liege, es ist gerade Mitternacht vorbei, taucht Jim auf. „Hast du schon mitgekriegt, was sich auf Z4 abgespielt hat?“, fragt er. „Nein, keine Ahnung“, sage ich und schaue in das noch gerötete Gesicht von Jim, der sich aus seiner Jacke schält. „Du glaubst es nicht, das ist vielleicht ne´ Nummer“, er ist aufgeregt.

Er beginnt zu erzählen, und ich erkenne, dass Jim, immer wenn die Information wichtig zu sein scheint und unbedingt erzählt werden will, wieder ein bisschen lispelt und ein spöttisches Lächeln um seinen Mundwinkel zaubert. „Die haben doch tatsächlich die Kette an ein angeschweißtes Auge, an Oberdeck fest angeschekelt.“ „Stell dir vor“, „als der Schlepper das Herkulestau anzog, begann sich das Auge langsam aus dem Oberdeck herauszubiegen.“

„Es war gerade Freiwache und die meisten hatten ihre Suppenteller in der Hand.“ „Sie standen natürlich auf Lee, ist ja klar, bei der Kälte und sie sehen, wie der Boden des Oberdecks sich langsam, wie Kaugummi, zu verformen beginnt.“ „Der Schmadding war vollkommen aus dem Häuschen und er wusste, er musste etwas tun, sonst würde der Schäkel ausreißen und die Kette läge im Bach.“ „Was macht der gute Mann, na´ rate mal, er lässt ein Tau anschlagen und sagt allen von der Freiwache, dass sie das Tau festhalten sollen.“

„Kannst du dir das vorstellen, da hängen 40 Tonnen Kette am Schlepper und das unter Druck, und er sagt“…, dabei verändert Jim seine Stimme und lässt sie um eine Nuance tiefer wirken… „Jungs, genug Suppe für heute, jetzt mal schön festhalten!“ „Diese Blödmänner, schmeißen die Suppenteller in den Dreck und jeder packt beherzt sein Tau und glaubt ernsthaft, dass er damit etwas ausrichten kann.“

„Und dann passiert es, das Auge reißt aus dem Oberdeck, die Kette rauscht aus und 40 Blödmännern saust das Tau durch die Hände, als hätten sie versucht einen Aal mit bloßen Händen zu fangen, das musst du dir ansehen, 40 Deppen, die beide Hände verbunden haben.“ „Wie gehen die jetzt kacken?“, frage ich ihn. „Keine Ahnung, aber da ist Kollegenhilfe angesagt.“ Wir lachen, dass uns die Tränen kommen.
 



 
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