Kapitel 0 - Der Prolog

Prolog

Eine kleine, hungrige Maus hüpfte neugierig, zielstrebig, zwischen den Steinen entlang. Sie hob die Nase, witterte Nahrung. Ihre winzigen Augen schauten den kleinen Berg hinauf, aus ihrem Blickwinkel ein gigantisches Gebirge das in die entlegensten Winkel des Himmels ragte. Sie sprang weiter, von Stein zu Fels, enge Nischen und schmale Vorsprünge entlang, der lockenden Mahlzeit entgegen. Und den Geräuschen.
Vor der nächsten Öffnung zögerte die Maus. Die Geräusche waren laut, und in der Luft lagen auch andere Gerüche. Gefährliche Gerüche. Aber der Hunger war zu groß, und so sprang die Maus aus dem Schatten hervor.
Ein riesiger Wolf ragte vor ihr auf. Der Räuber war majestätisch und doppelt so groß wie die Wölfe weiter unten in den Wäldern. Fast schien der Fleischfresser erfreut über den Bissen, der ihm jede Jagd abgenommen hatte. Der unschuldige Nager war starr vor Angst und konnte nicht fliehen, nicht entkommen. Der Bergwolf machte einen starken, selbstbewussten Schritt vor und bleckte die Zähne.
Dann zerpflügte etwas die Welt. Der Wolf wurde von einer gewaltigen Bestie hinfort gefegt. Ein einziger Tritt des riesenhaften Fußes des Ogers hatte das Tier gegen die nächste Felswand befördert. Ein gequältes Jaulen und ein unangenehmes Knacken waren die letzten Geräusche aus seiner Richtung.
Die Maus war immer noch wie gelähmt.
Der vier Meter große Oger brüllte dem Wolf nach. Seine Wut richtete sich jedoch nicht gegen das Tier, es war nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Der Ogerbulle machte Kehrt und stapfte brodelnd einige Schritte fort von der Maus.
Die kleine Maus blickte ihm nach, an ihm vorbei, und erkannte den Grund ihres Kommens. Auf einem grob hergerichteten Lagerfeuer brieten zwei Wildschweine. Um das Feuer herum saßen noch mehr Oger, Männchen und Weibchen, und beobachteten den aufgebrachten Oger. Furcht lag in ihren Blicken. Vor dem Feuer lagen zwei weitere Bergwölfe, kaum mehr als Hunde im Vergleich zu den Ogern.
Aller Hunger der Welt würde die Maus nicht davon überzeugen, sich zu diesen wohlriechenden, schwer bewachten Schweinebraten zu begeben. Sie blickte zurück, witterte erneut. Der getretene Wolf war wahrscheinlich tot, eine gute Mahlzeit. Vielleicht lebte er noch. Zu gefährlich.
Ein kräftiges Brüllen ertönte aus einer großen Höhle vor ihr. Der nervöse Ogerbulle, der gerade noch mit der Faust auf einen massiven Felsen geprügelt und einen Sprung im Gestein hinterlassen hatte, blickte ebenfalls zur Höhle, so wie der Rest seines Stammes. Aus dem Eingang drangen auch essbare Düfte hervor, und kein Gestank von Wölfen.
In einem vorsichtigen Bogen näherte sich die Maus der Höhle, während der Oger den direkten Weg nahm und den Ledervorhang zur Seite schob um ins Innere zu gelangen. Nur Augenblicke später folgte das Nagetier, das mühelos unter dem Vorhang hindurch gelangte.
Ein schlängelnder Gang lief in den Berg, an seinem Ende öffnete sich ein halbrunder Raum.
„Was ist das?“, die dumpfe Stimme des Ogers klang verärgert, verwirrt.
Der Maus waren die Hühnen im Raum egal. Sie nahm die beiden Oger, der Bulle von draußen stehend, ein Weibchen auf einem Felllager sitzend, kaum war. Die Ogerfrau hielt ein… Geschöpf im Arm.
„Es ist unser Sohn. Wie du wolltest.“, liebevoll antwortete das Weibchen, ihre Stimme war ebenso tief wie die des Männchens.
Die Maus verstand keines der Wörter. Sie verstand nur, dass etwas Essbares im Raum war, und sie suchte und witterte nach der Nahrungsquelle.
„Das ist kein Oger, das ist nicht von mir!“, der Bulle brüllte laut.
Das kleinere Geschöpf, dessen Form durchaus an einen neugeborenen Oger erinnern konnte, begann zu schreien. Da fiel der Maus eine Schale aus Stein auf, die hinter dem Ogerweibchen stand.
„Hörst du wie weinerlich es brüllt? Wie… was ist das?“
„Batok, sieh doch, ich habe es gerade geboren.“, die Frau hielt die blutige, gewundene Nabelschnur hoch, die vom Bauch des Kindes herab hing und im Nichts endete.
Die Maus huschte derweil um das Männchen herum, das weiter fassungslos vor der Lagerstätte stand.
„Es ist zu klein. Es sieht aus wie… wie ein halber Mensch.“
„Du redest Unsinn. Woher sollte ich einen Halbmensch haben?“
Die Maus hatte die Rückseite erreicht und näherte sich vorsichtig der Schüssel. Kleine Fliegen hatten sich bereits hier versammelt und schmausten bereits von dem Inhalt.
„Damals… vor einem Jahr… bei dem Überfall auf das Dorf. Du warst über eine Stunde weg. Hast du da ein Männchen der Menschen verführt?“, die Stimmlage des Ogerbullen wandelte sich von irritiert über frustriert zu aggressiv.
Die Maus hüpfte auf den Rand und sah eine blutige Masse in fahlem Wasser. Es roch nicht schmackhaft wie die Wildschweine, aber es war Nahrung und die Maus nicht wählerisch.
Die Ogerfrau stand auf und hielt das Baby schützend im Arm. Sie war einen Kopf kleiner als der Mann, auch deutlich schmaler. Dennoch ein muskelbepacktes Ungetüm.
„Du redest Unsinn.“, sie versuchte beschwichtigend mit dem aufgebrachten Oger zu reden, doch das Ungetüm war in voller Fahrt.
„Nein. Ich glaube dir nichts. Das ist ein Halbmensch, das Ding wird niemals mein Sohn. Ich bringe es zu Habgard, dem Halbriesen, dem kann ich so eine Missgeburt verkaufen.“
Wütend zog die Mutter das Kind weg, als der Bulle danach greifen wollte.
„Weißt du, Batok, die Grauwurzelknollen, die du brauchst um Katatunga zu machen, wirken auch bei Menschen.“, böse funkelte die Ogerfrau das Männchen an. Der Bulle starrte fassungslos, an seinem Hals trat eine breite Ader hervor.
„Der kleine Mensch hat versucht sich zu wehren. Aber er war trotzdem ein besserer Liebhaber als du!“, die letzten Worte brüllte die Frau in sein Gesicht. Sie ließ das Kind auf das Fell fallen, dann gingen die Oger aufeinander los.
Der Boden erzitterte, als die massigen Monster aneinander an die Gurgel gingen. Das kleinere Weibchen bis dem Bullen in die Brust und versuchte gleichzeitig die Arme des Männchen zu packen. Schmerzen existieren jedoch für Batok in diesem Augenblick der Wut nicht. Er nutzte sein gewaltiges Gewicht um die Frau umzustoßen und auf den Boden zu pressen.
Die Steinschale wurde umgestoßen, und die kleine Maus unter Blut, Gekröse und Wasser begraben. Mühsam strampelte sich die Maus frei, hüpfte zum Höhlenrand in Sicherheit.
„Du stirbst jetzt!“, das Brüllen des Bullen lies den Raum erbeben. Dann vergrub er seine Hauer in den Hals der Frau und biss herzhaft zu. Das Weibchen gab ein röchelndes Stöhnen von sich. Der Oger stand auf, und nahm ein breites, geschärftes Metallstück von der Aufhängung an der Wand. Unmenschlich ragte der Bulle über der sterbenden, bluthustenden Ogerfrau auf und grinste, als er mit einem kräftigen Schlag den Kopf und die zum Schutz erhobene Hand abhakte.
Die Maus lief aufgeregt durch Blut, abgetrennte Ogerhände und riesige Ogerfüße hindurch um aus der Höhle hinaus zu kommen. Der erste Hunger war gestillt, der Ort zu gefährlich. Außerdem war die Maus voller Blut und musste sich bald reinigen. So roch sie für jeden Jäger viel zu verführerisch.
Noch bevor die Maus unter dem Ledervorhang hindurch rennen konnte, kam der Oger an ihr vorbei, beachtete den winzigen Nager natürlich nicht. Er schob den Vorhang auf, trat ans Licht.
„Hier.“, dabei hielt er in der Linken den Kopf empor, den er soeben abgeschlagen hatte. „Sie hat ein Mädchen gemacht. Dafür habe ich sie getötet.“, er warf den leblosen Kopf vor die Wölfe, die sofort über das graue Fleisch herfielen.
„Das Kind hab ich gefressen. In dem Sack sind ihre Sachen.“, dabei gab der Beutel, den er über seine rechte Schulter geschwungen hatte, einen hilflosen Schrei von sich. „Ich gehe zum Halbriesen und verkaufe die Sachen. Wenn ich zurückkehre, suche ich mir eine neue Frau aus.“
Die Maus zögerte erst, doch als sich die Bergwölfe in den Kopf verbissen hatten, fühlte sie sich sicher genug um die Flucht anzutreten. Geschwind hüpfte sie zurück, den Weg hinab den sie gekommen war.
Der Oger nahm einen ähnlichen Weg, auch hinab vom Berg.
 
Hallo, ich habe den Text nur angelesen und kommentiere den Eindruck mal. Worte wie klein, laut, riesig, gigantisch, etwas lassen sich effektvoller formulieren.
Sie hob die Nase - schnuppernd richtete sie ihre Nase in die Höhe
Vor der nächsten Öffnung - es wurde noch keine Öffnung erwähnt
Geräusche waren laut, in der Luft lagen auch (andere) Gerüche
sprang aus dem Schatten - welcher Schatten?
Himmel haben keine Winkel
etwas zerpflügte die Welt? - nicht nachvollziehbare Formulierung
gefährliche Gerüche? - beißend wie Säuredämpfe?
erst kommt wohl das Knacken (der Knochen) und dann das Jaulen
gegen die Felswand befördert - besser geschleudert
schlängelnder Gang - geschwungener oder schlängelte sich halte ich für besser

Du wolltest es offen und ehrlich.
sanfte Grüße
Norbert
 
Hallo Norbert,

vielen Dank für deine Kritik!

Bei einigen Punkten gebe ich dir absolut recht und deine Hinweise sind wirklich wertvoll. (zb. "hob" oder die Reihenfolge bei Jaulen und Knacken)
Andere Formulierungen halte ich eher für eine Frage des Stils. So denke ich, dass Himmel absolut Winkel haben, wenn auch nicht im geometrischen Sinne, und dass "gefährliche Gerüche" im Kontext ausreichend Sinn ergibt.
Also auch wenn ich nicht mit jeder deiner Anmerkungen überein stimme, würde ich gerne mehr von dir zu meinem Text hören. Und gerne weiter offen und ehrlich!

Grüße
Friedensbringer
 
Hallo.
Ich möchte etwas voraus schicken. Ich bin kein überragender Schreiber. Gerade laß ich eine phantastische Kurzgeschichte und erkannte, das ich ein solches sprachliches Niveau wohl nicht erreichen werde. Aber ich verbessere mich ständig und jedes Mal, wenn ich dann ältere Texte betrachte, erkenne ich erst ihre Schwächen.
Texte müssen logisch und für den Leser nachvollziehbar sein.
"Weniger ist manchmal mehr", den Sinn habe ich auch erst vor kurzem begriffen. Der Text soll nicht langatmig oder langweilig werden.
Eine (kleine) (Mäuse sind immer klein) hungrige Maus (kann man besser formulieren), hüpfte (sie hüpfen nicht, außer im Märchen vielleicht, sondern wuseln, huschen, bewegen sich flink) neugierig, zielstrebig (für mich persönlich beißt sich das in dieser Formulierung ein wenig) zwischen (den) (wurden noch nicht erwähnt) Steinen entlang.
Ihre (winzigen) (vielleicht eher etwas wie "forschenden", denn gewöhnliche Adjektive wie klein, groß kann man interessanter formulieren) Augen schauten einen (kleinen) (steil ansteigenden?) Berg hinauf.....in die entlegendsten Winkel des Himmels ragte. (Du hast recht, das kann man vielleicht machen, aber das Wort Winkel drückt doch etwas Begrenztes aus. In diesem Fall am ehesten das Blickfeld.)
...enge Nischen und schmale Vorsprünge entlang (durch, über?).
...Und (den) (wurden noch nicht erwähnt) Geräuschen.
...andere Gerüche. Gefährliche Gerüche. (Es wurde nur eine verlockende Witterung erwähnt. Wenn damit auf (furchteinflößende) Geräusche angespielt wird, ist das, denke ich, nicht wirklich nach zu vollziehen).
...Hunger war (zu groß) (schlicht/so übermächtig zB)
...aus dem Schatten (Schatten wurde nicht erwähnt)
... der (unschuldige) (dazu gibt es keinen Bezug) Nager
...aus dem Eingang drangen (essbare?) Düfte (der Duft von Essbarem)
Offen und ehrlich? Den Text mit neuer Sichtweise noch einmal überarbeiten.
freundlichst
Norbert
 
Abermals vielen Dank für deine Kritik, wieder gute Punkte und Ideen dabei.
Ich bin etwas irritiert ob deiner Einleitung. Findest du den Text langatmig? Du gehst auf dieses Thema nur im Einzelwort genauer ein, mich würde aber wirklich interessieren, wie du es im Ganzen siehst.

Ich gehe nicht auf alle Details deiner Kritik ein, wie gesagt, ich finde deine Anregungen sehr wertvoll und sie werden sich sicherlich in meiner Überarbeitung widerspiegeln. Lass mich nur nochmal zwei Kleinigkeiten ansprechen:

@Winkel des Himmels
Ich versuche den Leser zum Blickwinkel der Maus zu führen. Sie blickt einen Berg hinauf, der aus ihrem schmalen Blickwinkel kaum noch Platz für Himmel lässt. Recht hast du, es sind die Winkel des Blickfeldes in die der Berg vordringt. Mit der direkten Übertragung von Blickfeld zu Himmel versuche ich die Extreme des Blickwinkels hervor zu heben.

@Gefährliche Gerüche
Auch hier nähere ich mich mit dem Blickwinkel der Maus, diesmal olfaktorisch. Eine Maus ist stärker auf ihren Geruchssinn angewiesen, und bewertet Gerüche entsprechend schnell. Während ein Mensch nie den Geruchsunterschied zwischen Berg oder Wolf vernünftig und auf Entfernung wahrnehmen kann, ist das der Maus möglich. Das sie in Kategorien "denkt" wie "riecht nach Raubtier = gefährlicher Geruch" ist daher plausibel.
Was ich erreichen will ist etwas... Überraschungseffekt. Würde ich "gefährliche Geräusche" schreiben, wäre das merkwürdig unpräzise. Der Leser würde "jaulen" erwarten etc. Ebenso wäre "roch es nach Wolf" zu offensichtlich. Durch die Formulierung "gefährliche Gerüche" bleibe ich plausibel-vage. Den Leser soll die Formulierung stutzen lassen, aber er hat nicht genug Zeit tief über den Sinn nachzudenken, weil der Ursprung des Geruchs schon wenige Wörter später vorbei kommt und die Situation aufklärt. Warum ich nicht mit Worten den konkreten Geruch beschreibe? Wir haben kaum Wörter für Gerüche bzw. identifizieren diese über Geschmack oder ihren Ursprung (süß, sauer, erdbeerig etc) Warum ich keinen anderen Sinn anspreche, wie das Gehör? Eine Maus ist gerade Erzählperspektive, natürlich ist der Geruchssinn wichtig.
So aus meiner Sicht.

Und zuletzt, was die Überarbeitung angeht. Natürlich wird dieser Text nochmal, genau wie alle anderen, saniert. Genau dafür ist derlei Feedback so wichtig. Noch schreibe ich allerdings am Gesamtrohtext (2/3 hab ich fast), erst dann will ich mich der Detailarbeit widmen.
Grüße
Friedensbringer
 
Hallo. Die Einleitung war der vorsichtige Versuch, zu sagen, das man seinen Texten schon mal blind gegenüber steht. Eine 12jährige hält ihr gerade gemaltes Bild wahrscheinlich für toll, nach einem Kunststudium würde sie wohl anders urteilen. Man sollte halt kritisch bleiben.
Das "weniger ist..." bezog sich tatsächlich erst mal nur auf die zwei ersten Adjektive. Es ist etwas, das ich beim Überarbeiten meiner Texte im Hinterkopf habe, um den Text leserfreundlich zu straffen und nicht unbedingt Notwendiges zu streichen. Ich habe da aber auch den Hang zu ausschweifenden Beschreibungen. Es erscheint mir aber als ein wichtiger Aspekt des leserorientierten Schreibens.
Winkel, ich finde die Formulierung halt ungünstig, was soll ich machen? Wie das sprachtechnisch ist, kann ich nicht sagen. Passender fände ich etwas wie: er erschien ihr wie ein gigantisches Gebirge, das beim Aufblicken nahezu den gesamten Himmel vor ihr verdeckte. Bei: das nahezu den letzten Winkel ihres Blickfeldes ausfüllte, hätte ich gar nichts gesagt.
Geruch, nehme ich zurück. ...Gerüche. Gefährliche Gerüche. Eine Ausdeutung. Es gibt aber schon Möglichkeiten der Beschreibung, um einen Bezug her zu stellen: stinkend, streng, penetrant, abstoßend, furchteinflößend.
 



 
Oben Unten