>>Aber warum haben sich die Götter von der Welt abgewandt, wenn doch jedes Lebewesen durch sie entstanden ist, Meister Sylfaen? Wollen sie etwa ihrer eigenen Schöpfung den Rücken kehren und sie ohne jeglichen Beistand auf Deren wandeln lassen?<< Magnus sah fragend zu Sylfaen hinüber. Dieser schien die Frage jedoch überhaupt nicht vernommen zu haben. Er spähte mit verklärtem Blick gen Südwesten über die Steppe auf eine schwache Silhouette am Horizont, die ihm eine Ewigkeit entfernt vorkam.
>>Meister Sylfaen, hört Ihr mir überhaupt zu? Ich habe euch etwas gefragt.<<
Unsanft wurde Sylfaen aus seinen Gedanken zurück in die Realität gerissen. >>Habt ihr zu mir gesprochen, Magnus? Entschuldigt bitte, ich schwelgte nur ein wenig in alten Erinnerungen.<< Magnus wiederholte seine Frage noch einmal, woraufhin Sylfaen ihn mit einem abschätzenden und nachdenklichen Blick ansah.
Liebevoll strich Sylfaen den Hals seiner mattschwarzen Stute, bevor er Luft holte.
>>Ist es das was man euch beigebracht hat, junger Paladin? Hat man euch erzählt, die Götter hätten sich von uns abgewandt?<< Sylfaen sah zu Magnus hinüber und blickte in seine Augen. Ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er fort, >>Die Götter haben sich nicht von Deren und ihren Bewohnern abgewandt und sie würden es auch niemals tun. Wir sind ihre Kinder und sie werden immer bei uns sein. Aber auf ihre eigene Weise. Die Weise der Götter die für uns Sterbliche unergründlich ist. Sie haben sich nur ein wenig zurückgezogen und betrachten ihr Werk aus etwas mehr Entfernung. Trotzdem behalten sie uns weiterhin im Auge und hören uns an, wenn wir sie anrufen. Durch ihren Rückzug vom direkten Geschehen, haben sie uns mehr Selbstverantwortung übertragen. Es mag vielen so vorkommen, das sie sich von ihrer eigenen Schöpfung abgewandt haben, aber in Wahrheit sind sie immer bei uns und beobachten unser Vorankommen.<<
In sich gekehrt und über Sylfaens Worte nachdenkend sah Magnus über den Kopf seines Schimmels den vor ihnen liegenden Weg entlang. Wortlos ritten sie den ausgetretenen Weg in Richtung Osten entlang. Einige Meilen links von ihnen begann das Dundou Gebirge, sanft aber stetig dem Himmel emporragend.
In der Sonne des späten Nachmittags machte das Gebirge, im Spiel von Licht und Schatten zwischen den Hügelketten und schroffen Felswänden, einen sehr mystischen und rätselhaften Eindruck auf Magnus´ Gemüt, was ihm die Trennung von Freunden und Bekannten nicht unbedingt leichter machte. Rechts von ihm zog sich die Steppe so weit das Auge reichen konnte hin. Sie waren jetzt sechs Tagesritte von Behnan entfernt und es würden noch drei weitere Tage vergehen, bis sie die Festung Ehrenstein erreichen. Langsam neigte sich der lange Tag seinem Ende zu und die beiden Reiter schlugen ihr Lager nahe des Weges im hohen Steppengras auf.
Magnus befreite die Pferde von der Last der Sättel und striegelte das dichte Fell. Sylfaen kümmerte sich während dessen um das leibliche Wohlergehen. Er entfachte ein kleines Feuer, kochte einen Tee aus Kräutern und holte Brot und Dörrfleisch aus seiner Satteltasche. Als sich der aromatische Duft der Kräuter über die Steppe verteilte, setzte sich auch Magnus ans Feuer und blickte hungrig auf die karge Mahlzeit. Während sie das Essen zu sich nahmen, sah sich Magnus die ganze Zeit forschend den Heiler Sylfaen an. Dieser trug eine hellgraue Kutte, die durch den vielen Staub der Reise sehr ungepflegt aussah. An der Borte der langen, ausschweifenden Ärmel waren rundum Runen aufgestickt, die Magnus sehr fremdartig vorkamen und über dessen Bedeutung nicht den Hauch einer Ahnung hatte. Seid ihrer ersten Begegnung, dem Aufbruch zur Festung Ehrenstein, hatte Sylfaen immer seinen Kopf unter der Kapuze verborgen. Noch nicht einmal zum Schlafen hatte er sie heruntergezogen. Magnus hatte bisher noch nicht vielmehr von ihm gesehen als seine markanten Gesichtszüge, die meist im Schatten seiner Kapuze lagen und einige schwarze, aber leicht grau melierte Haarsträhnen die hervortraten.
Die ganze Zeit blickte Meister Sylfaen mit sehnsüchtigen Augen nach Südwesten, als könne er dort einen Hort der Glückseligkeit ausmachen. Er beantwortete Magnus immer bereitwillig seine Fragen, aber ansonsten war er ein sehr wortkarger Kerl, dem man ansah das er sich nicht wirklich wohl in seiner Haut fühlte. Aber was machte er dann hier? Er war ein wahrer Meister der Heilkunde. Er hatte es bestimmt nicht nötig, sich auf der Festung Ehrenstein um die Verletzungen von Kriegern zu kümmern, die sie aus blutigen Auseinandersetzungen mit den Orks davongetragen haben. Genauso gut könnte er sich an den königlichen Hof begeben und sich um die kleinen Blessuren der Adeligen kümmern, oder zurück in seine Heimat gehen.
Aber über diese Dinge wollte sich Magnus nicht länger den Kopf zerbrechen. Er war froh, nicht alleine reiten zu müssen und etwas Gesellschaft zu haben. Vielmehr sollte er sich um die vor ihm liegende Zeit sorgen. Magnus hatte gerade seine Ausbildung zum Paladin in Behnan beendet und hatte nun seine erste Aufgabe angetragen bekommen. Er sollte in der Feste Ehrenstein ein Kommando über eine Hundertschaft übernehmen. Aber es lag ihm schwer im Magen. Zum einen war er dann verantwortlich für das Leben und das Wohlergehen von hundert Männern und Frauen und zum anderen musste er die hart umkämpfte Grenze zur Wüste Tenoni, dem Hoheitsgebiet der Orks, verteidigen. Innig hoffte er der Aufgabe auch gewachsen zu sein und nicht seine Krieger und das Königreich ins Verderben zu führen.
Aber immerhin gehörte er zu den Besten Anwärtern auf den Rang eines Paladins und nun war er einer. Bestimmt würde man niemanden, der nicht den Anforderungen gewachsen war ins Kriegsgebiet schicken. Plötzlich wurde er an der Schulter angestoßen.
>>Ich habe gefragt, ob ihr noch etwas Tee wollt, Magnus<< Sylfaen hielt ihm einen Becher entgegen. >>Nein, danke Meister Sylfaen. Ich glaube ich werde mich schlafen legen. Wir haben noch ein paar lange Tage vor uns<< Sylfaen nickte dem jungen Ordensritter zu, worauf sich dieser unter seiner Decke verkroch und schon kurz darauf ein ruhiges Schnarchen verlauten ließ.
Einige Zeit später legte sich auch Sylfaen auf seine Decke um ein wenig zu schlafen.
Vom Duft warmen Tees und dem Aroma aufgeschnittenen Käses wurde Magnus wieder geweckt. Als er verschlafen blinzelte, viel ihm schon das Licht der Morgensonne in die Augen. Nachdem er sich gestreckt und die Decke beiseite geschoben hatte blickte er sich um. Auf dem erneut entfachten Feuer stand ein kleiner Teekessel, daneben lag ein Laib Brot und ein paar Stücke Käse. Auf der anderen Seite des Feuers saß Meister Sylfaen in einer sitzenden Haltung, die ihn an eine Art Meditation erinnerte. Also beschloss Magnus, den Heiler nicht weiter zu stören und setzte sich wortlos ans Feuer um das Frühstück einzunehmen, dabei betrachtete er Sylfaen. Wieder schaute er lethargisch in Richtung Südwesten. Magnus folgte seinem Blick, konnte aber nichts als eine verschwommene Silhouette am Rand des Horizontes erspähen. Er kam einfach nicht dahinter, was der alte Kauz immer in dieser Richtung suchte. Oder wartete er darauf, das irgend etwas auftauchen würde? Aber damit wollte er sich jetzt nicht beschäftigen. Sein Magen war gefüllt und er strich sich wohlig über den Bauch. Noch einige Momente blieb Magnus sitzen, dann ging er zu den Pferden und begann diese zu satteln und ihnen das Zaumzeug anzulegen. Nachdem die Pferde zum Aufbruch vorbereitet waren, beschloss er Sylfaen nun doch zu stören, damit sie weiterreisen konnten. Er drehte sich in Richtung Feuer. Plötzlich stand Sylfaen direkt vor ihm. Magnus hüpfte vor Schreck einen Satz nach hinten. Ein Stück Brot in der Hand und Käse kauend lächelte Sylfaen ihn amüsiert an. >>Guten Morgen, werter Ritter. Ich hoffe ihr habt gut geruht. Wir haben heute einen langen Ritt vor uns. Am Abend möchte ich Rola erreicht haben und mal wieder eine Nacht in einem Bett schlafen.<< Etwas verärgert darüber, das er sich von einem Heiler hat überrumpeln lassen grunzte er >>Dann lasst uns sofort aufbrechen. Ich will so schnell als möglich die Feste erreichen.<< Magnus schwang sich in den Sattel und ritt langsam in Richtung Osten. Sylfaen packte noch seine Sachen in die Satteltaschen zurück und folgte dann dem Paladin. Als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, langweilte Magnus sich fürchterlich und ihm war nach einer Unterhaltung zumute. Doch was sollte er zu seinem Reisebegleiter sagen? Angestrengt dachte er darüber nach, welche Frage er dem Heiler stellen konnte um daraus ein kleines Gespräch entwickeln zu können.
>>Ihr seht recht nachdenklich aus, junger Herr. Was wollt ihr mich diesmal fragen?<< , fragte Sylfaen
Verdutzt sah Magnus Sylfaen an. >>Ich will euch nicht zu nahe treten und wenn ihr mir die persönliche Frage nicht beantworten wollt, so nehme ich euch dieses nicht übel. Aber warum verschlägt es einen Menschen mit euren Fähigkeiten auf das Schlachtfeld, um dort sein Leben zu riskieren und ein paar Krieger zu retten, die schon einige Tage später wieder viel schlimmere Verletzungen davontragen? Ich meine, man sagte mir, ihr seid ein Mann mit herausragenden Fähigkeiten. Ihr könntet euch bei Hofe verdingen, oder an der Akademie der Heilkünste in Nedreb ein ruhiges Leben als Mentor verbringen. Oder was auch immer ihr sonst zu tun gedenkt. Auf jeden Fall habt ihr euch den einzigen Ort ausgesucht, an dem ihr auf alle Annehmlichkeiten verzichten müsst, die einem Meister eurer Zunft zustehen.<<
Sylfaen setzte zum sprechen an, holte Luft, hielt dann aber wieder inne. Einige Sekunden verstrichen, in denen nur das Klappern der Hufe die Stille durchbrach. Dann holte er erneut Luft. >>Ihr solltet wissen, Paladin, ich bin nicht unbedingt geeignet, mein Dasein unter Adeligen zu verbringen, oder gar andere Menschen auszubilden. Sie würden mich ja doch nicht verstehen. Ich bin am liebsten dort, wo meine Künste wirklich gebraucht werden und einen Sinn ergeben. Und wo hätte es für einen Heiler mehr Sinn zu sein, als auf dem Schlachtfeld, auf dem die Menschen versuchen, die immer wieder heranwogenden Wellen von Orks zurückzuschlagen und die zivilisierte Welt vor den blutrünstigen Raubzügen dieser stinkenden Bestien zu schützen? Nein, ich bin mehr als zufrieden mit dem was ich tue. Es gibt nicht viele Orte auf Deren, an denen ich besser aufgehoben wäre.<<
Ohne weiter auf Magnus einzugehen, ritt Sylfaen ein wenig schneller und machte durch diese Geste unmissverständlich klar, das er kein Interesse an weiteren Gesprächen hatte. Magnus war, wie immer, wenn er Sylfaen eine Frage stellte, mehr als verwirrt über die Antwort. So beließ er es auch dabei und unternahm keinen Versuch, zu dem Meisterheiler aufzuschließen. Wieder ein langer Tag zu Pferde der ereignislos und schweigsam verlief. Magnus hoffte, möglichst bald die Feste Ehrenstein zu erreichen, damit er wieder andere Menschen um sich hat. Am frühen Abend, als die Welt schon in das warme rote Licht der untergehenden Sonne getaucht war, sah Magnus in einiger Entfernung das Dorf Rola. Hocherfreut über etwas Abwechslung ging er in einen leichten Trab über und zog an Sylfaen vorbei.
In Rola angekommen, war Magnus aber mehr als enttäuscht. Ein kleines Bauerndorf, das außer Höfen, Scheunen, Ställen und Feldern nicht viel zu bieten hatte. Er sah einen Krämer, der natürlich schon geschlossen hatte und ein kleines Gasthaus namens „Cyrill´s Einkehr“. Wie sehr wünschte er sich in diesem Moment nach Behnan zurück. Dort gab es immer etwas zu sehen. Er hatte dort viele Freunde mit denen er zu den Aufführungen von Schaustellern und Gauklern gehen konnte, oder in einer Schänke bis in die frühen Morgenstunden zechen konnte. Aber hier?
Jetzt kam auch Sylfaen in der Dorfmitte an. >>Wie ich sehe habt ihr schon den Mittelpunkt allen Lebens in Rola gefunden. Ihr werdet nirgends in Rola einen Ort finden, an dem das Volk mehr umherströmt wie an dem Brunnen dort.<< Sylfaen lächelte dem missmutig dreinblickenden Magnus entgegen. Dieser schaute zum Brunnen herüber, wo zwei Frauen mittleren Alters Eimer füllten, während sie wie die Enten miteinander schnatterten.
>>Wohl an, Meister Sylfaen. Mich dünkt, die Aufregung hier ist ein bisschen zuviel für mich. Wir sollten uns ein Zimmer nehmen, ich brauche dringend Ruhe.<< Mit einem Ausdruck der Verzweiflung in den Augen, ging Magnus zum Gasthaus.
Sie nahmen sich beide ein Zimmer und Magnus verschwand sofort in seinem. Sylfaen setzte sich noch in die Schankstube und ließ den Abend mit einer guten Flasche Wein ausklingen.
Am nächsten Morgen fühlte sich Magnus als hätten die Wanzen in seinem Bett ihn aufgefressen. Er wusch sich ausgiebig am Zuber um das Ungeziefer loszuwerden. Danach ging er zum Zimmer von Sylfaen und klopfte. Als ihn nach einiger Zeit niemand hereinbat, klopfte er erneut und lauter. Aber es erfolgte immer noch keine Reaktion. Er wollte die Tür öffnen und drehte am Knauf, aber sie war verschlossen. Wahrscheinlich sitzt der Alte schon beim Frühstück, dachte Magnus und ging die Treppe hinab in die Schankstube. Er schaute sich um, doch auch hier konnte er Sylfaen nicht erblicken. So setzte er sich erst einmal an einen Tisch und nahm ein erfrischend reichhaltiges Mahl zu sich. Gestärkt von dem starken Kaffee und gebratenen Eiern ging er auf den Tresen zu.
>>Wirt! Habt ihr meinen Gefährten gesehen, mit dem ich gestern hier ankam?<< Der Wirt schaute ihn überrascht an >>Ihr meint den Kerl in der schmutzigen Kutte, Herr<< Die Ausdrucksweise, in der dieser einfältige Mann über Sylfaen sprach widerstrebte Magnus etwas, aber er hielt es für klüger, einfach darüber hinweg zu sehen. >>Ja, genau diesen meine ich. Wo ist er? Sein Zimmer ist verschlossen.<<
>>Als ihr gestern Abend auf euer Zimmer gegangen seid, hat er sich noch eine Flasche meines besten Weines bringen lassen. Kurze Zeit später tauchte ein Fremder hier auf. Sie saßen zusammen am Tisch, tranken und flüsterten die ganze Zeit. Nachdem sie die Flasche geleert hatten, verschwand der Fremde wieder. Dann sagte euer Gefährte mir, er brauche das Zimmer doch nicht mehr und ist auch gegangen.<< Völlig verblüfft folgte Magnus den Ausführungen des Wirtes. Er wusste nicht wie er die Situation einschätzen, oder wie er nun reagieren sollte.
Um die Botschaft besser verdauen zu können bestellte er sich einen Humpen Bier, bezahlte seine Zeche und sein Zimmer und setzte sich erst einmal wieder an den Tisch zurück. Nachdem Magnus den Humpen mit schnellen Zügen geleert hatte, stand sein Entschluss fest. Es machte keinen Sinn hier zu warten, oder den Heiler irgendwo zu suchen. Ein Solches Unterfangen wäre so oder so zum Scheitern verurteilt, da er keine Anhaltspunkte hatte. Außerdem musste er sein Kommando übernehmen und seine Pflicht erfüllen. Der junge Paladin packte seine Sachen, kaufte beim Krämer noch Dörrfleisch, Brot und gepökelten Fisch. Danach verließ er das Dorf hoch zu Ross in Richtung seiner Hundertschaft.
Noch fast zwei volle Tage ritt Magnus den verlassenen Weg entlang, bis die Berge des Dundougebirges zu seiner linken ihn erreicht hatten. Auch zu seiner rechten kamen die Berge der Gebirgskette immer näher. Schon bald würde er die Feste Ehrenstein erreichen, die in der einzigen, für ein Heer, passierbaren Schlucht stand und dessen Verteidigung der Garant für ein friedvolles Leben des Königreiches darstellte. Doch die ganze Zeit zweifelte er daran, richtig gehandelt zu haben. Wo ist Sylfaen hingegangen? Warum hat er nicht wenigstens eine Nachricht hinterlassen? Oder ist ihm gar etwas zugestoßen? Der Heiler war einfach zu wichtig für den Fortbestand der Feste. Aber was sollte er anderes tun, wenn der Kauz einfach verschwindet, redete er sich immer wieder ein.
Plötzlich sah er Rauchschwaden in den Himmel aufsteigen. Eine innere Unruhe nahm von Magnus Besitz. Endlich hatte er es geschafft. Bald würde er die Feste erreichen und konnte für Recht und Ordnung einstehen.
>>Meister Sylfaen, hört Ihr mir überhaupt zu? Ich habe euch etwas gefragt.<<
Unsanft wurde Sylfaen aus seinen Gedanken zurück in die Realität gerissen. >>Habt ihr zu mir gesprochen, Magnus? Entschuldigt bitte, ich schwelgte nur ein wenig in alten Erinnerungen.<< Magnus wiederholte seine Frage noch einmal, woraufhin Sylfaen ihn mit einem abschätzenden und nachdenklichen Blick ansah.
Liebevoll strich Sylfaen den Hals seiner mattschwarzen Stute, bevor er Luft holte.
>>Ist es das was man euch beigebracht hat, junger Paladin? Hat man euch erzählt, die Götter hätten sich von uns abgewandt?<< Sylfaen sah zu Magnus hinüber und blickte in seine Augen. Ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er fort, >>Die Götter haben sich nicht von Deren und ihren Bewohnern abgewandt und sie würden es auch niemals tun. Wir sind ihre Kinder und sie werden immer bei uns sein. Aber auf ihre eigene Weise. Die Weise der Götter die für uns Sterbliche unergründlich ist. Sie haben sich nur ein wenig zurückgezogen und betrachten ihr Werk aus etwas mehr Entfernung. Trotzdem behalten sie uns weiterhin im Auge und hören uns an, wenn wir sie anrufen. Durch ihren Rückzug vom direkten Geschehen, haben sie uns mehr Selbstverantwortung übertragen. Es mag vielen so vorkommen, das sie sich von ihrer eigenen Schöpfung abgewandt haben, aber in Wahrheit sind sie immer bei uns und beobachten unser Vorankommen.<<
In sich gekehrt und über Sylfaens Worte nachdenkend sah Magnus über den Kopf seines Schimmels den vor ihnen liegenden Weg entlang. Wortlos ritten sie den ausgetretenen Weg in Richtung Osten entlang. Einige Meilen links von ihnen begann das Dundou Gebirge, sanft aber stetig dem Himmel emporragend.
In der Sonne des späten Nachmittags machte das Gebirge, im Spiel von Licht und Schatten zwischen den Hügelketten und schroffen Felswänden, einen sehr mystischen und rätselhaften Eindruck auf Magnus´ Gemüt, was ihm die Trennung von Freunden und Bekannten nicht unbedingt leichter machte. Rechts von ihm zog sich die Steppe so weit das Auge reichen konnte hin. Sie waren jetzt sechs Tagesritte von Behnan entfernt und es würden noch drei weitere Tage vergehen, bis sie die Festung Ehrenstein erreichen. Langsam neigte sich der lange Tag seinem Ende zu und die beiden Reiter schlugen ihr Lager nahe des Weges im hohen Steppengras auf.
Magnus befreite die Pferde von der Last der Sättel und striegelte das dichte Fell. Sylfaen kümmerte sich während dessen um das leibliche Wohlergehen. Er entfachte ein kleines Feuer, kochte einen Tee aus Kräutern und holte Brot und Dörrfleisch aus seiner Satteltasche. Als sich der aromatische Duft der Kräuter über die Steppe verteilte, setzte sich auch Magnus ans Feuer und blickte hungrig auf die karge Mahlzeit. Während sie das Essen zu sich nahmen, sah sich Magnus die ganze Zeit forschend den Heiler Sylfaen an. Dieser trug eine hellgraue Kutte, die durch den vielen Staub der Reise sehr ungepflegt aussah. An der Borte der langen, ausschweifenden Ärmel waren rundum Runen aufgestickt, die Magnus sehr fremdartig vorkamen und über dessen Bedeutung nicht den Hauch einer Ahnung hatte. Seid ihrer ersten Begegnung, dem Aufbruch zur Festung Ehrenstein, hatte Sylfaen immer seinen Kopf unter der Kapuze verborgen. Noch nicht einmal zum Schlafen hatte er sie heruntergezogen. Magnus hatte bisher noch nicht vielmehr von ihm gesehen als seine markanten Gesichtszüge, die meist im Schatten seiner Kapuze lagen und einige schwarze, aber leicht grau melierte Haarsträhnen die hervortraten.
Die ganze Zeit blickte Meister Sylfaen mit sehnsüchtigen Augen nach Südwesten, als könne er dort einen Hort der Glückseligkeit ausmachen. Er beantwortete Magnus immer bereitwillig seine Fragen, aber ansonsten war er ein sehr wortkarger Kerl, dem man ansah das er sich nicht wirklich wohl in seiner Haut fühlte. Aber was machte er dann hier? Er war ein wahrer Meister der Heilkunde. Er hatte es bestimmt nicht nötig, sich auf der Festung Ehrenstein um die Verletzungen von Kriegern zu kümmern, die sie aus blutigen Auseinandersetzungen mit den Orks davongetragen haben. Genauso gut könnte er sich an den königlichen Hof begeben und sich um die kleinen Blessuren der Adeligen kümmern, oder zurück in seine Heimat gehen.
Aber über diese Dinge wollte sich Magnus nicht länger den Kopf zerbrechen. Er war froh, nicht alleine reiten zu müssen und etwas Gesellschaft zu haben. Vielmehr sollte er sich um die vor ihm liegende Zeit sorgen. Magnus hatte gerade seine Ausbildung zum Paladin in Behnan beendet und hatte nun seine erste Aufgabe angetragen bekommen. Er sollte in der Feste Ehrenstein ein Kommando über eine Hundertschaft übernehmen. Aber es lag ihm schwer im Magen. Zum einen war er dann verantwortlich für das Leben und das Wohlergehen von hundert Männern und Frauen und zum anderen musste er die hart umkämpfte Grenze zur Wüste Tenoni, dem Hoheitsgebiet der Orks, verteidigen. Innig hoffte er der Aufgabe auch gewachsen zu sein und nicht seine Krieger und das Königreich ins Verderben zu führen.
Aber immerhin gehörte er zu den Besten Anwärtern auf den Rang eines Paladins und nun war er einer. Bestimmt würde man niemanden, der nicht den Anforderungen gewachsen war ins Kriegsgebiet schicken. Plötzlich wurde er an der Schulter angestoßen.
>>Ich habe gefragt, ob ihr noch etwas Tee wollt, Magnus<< Sylfaen hielt ihm einen Becher entgegen. >>Nein, danke Meister Sylfaen. Ich glaube ich werde mich schlafen legen. Wir haben noch ein paar lange Tage vor uns<< Sylfaen nickte dem jungen Ordensritter zu, worauf sich dieser unter seiner Decke verkroch und schon kurz darauf ein ruhiges Schnarchen verlauten ließ.
Einige Zeit später legte sich auch Sylfaen auf seine Decke um ein wenig zu schlafen.
Vom Duft warmen Tees und dem Aroma aufgeschnittenen Käses wurde Magnus wieder geweckt. Als er verschlafen blinzelte, viel ihm schon das Licht der Morgensonne in die Augen. Nachdem er sich gestreckt und die Decke beiseite geschoben hatte blickte er sich um. Auf dem erneut entfachten Feuer stand ein kleiner Teekessel, daneben lag ein Laib Brot und ein paar Stücke Käse. Auf der anderen Seite des Feuers saß Meister Sylfaen in einer sitzenden Haltung, die ihn an eine Art Meditation erinnerte. Also beschloss Magnus, den Heiler nicht weiter zu stören und setzte sich wortlos ans Feuer um das Frühstück einzunehmen, dabei betrachtete er Sylfaen. Wieder schaute er lethargisch in Richtung Südwesten. Magnus folgte seinem Blick, konnte aber nichts als eine verschwommene Silhouette am Rand des Horizontes erspähen. Er kam einfach nicht dahinter, was der alte Kauz immer in dieser Richtung suchte. Oder wartete er darauf, das irgend etwas auftauchen würde? Aber damit wollte er sich jetzt nicht beschäftigen. Sein Magen war gefüllt und er strich sich wohlig über den Bauch. Noch einige Momente blieb Magnus sitzen, dann ging er zu den Pferden und begann diese zu satteln und ihnen das Zaumzeug anzulegen. Nachdem die Pferde zum Aufbruch vorbereitet waren, beschloss er Sylfaen nun doch zu stören, damit sie weiterreisen konnten. Er drehte sich in Richtung Feuer. Plötzlich stand Sylfaen direkt vor ihm. Magnus hüpfte vor Schreck einen Satz nach hinten. Ein Stück Brot in der Hand und Käse kauend lächelte Sylfaen ihn amüsiert an. >>Guten Morgen, werter Ritter. Ich hoffe ihr habt gut geruht. Wir haben heute einen langen Ritt vor uns. Am Abend möchte ich Rola erreicht haben und mal wieder eine Nacht in einem Bett schlafen.<< Etwas verärgert darüber, das er sich von einem Heiler hat überrumpeln lassen grunzte er >>Dann lasst uns sofort aufbrechen. Ich will so schnell als möglich die Feste erreichen.<< Magnus schwang sich in den Sattel und ritt langsam in Richtung Osten. Sylfaen packte noch seine Sachen in die Satteltaschen zurück und folgte dann dem Paladin. Als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, langweilte Magnus sich fürchterlich und ihm war nach einer Unterhaltung zumute. Doch was sollte er zu seinem Reisebegleiter sagen? Angestrengt dachte er darüber nach, welche Frage er dem Heiler stellen konnte um daraus ein kleines Gespräch entwickeln zu können.
>>Ihr seht recht nachdenklich aus, junger Herr. Was wollt ihr mich diesmal fragen?<< , fragte Sylfaen
Verdutzt sah Magnus Sylfaen an. >>Ich will euch nicht zu nahe treten und wenn ihr mir die persönliche Frage nicht beantworten wollt, so nehme ich euch dieses nicht übel. Aber warum verschlägt es einen Menschen mit euren Fähigkeiten auf das Schlachtfeld, um dort sein Leben zu riskieren und ein paar Krieger zu retten, die schon einige Tage später wieder viel schlimmere Verletzungen davontragen? Ich meine, man sagte mir, ihr seid ein Mann mit herausragenden Fähigkeiten. Ihr könntet euch bei Hofe verdingen, oder an der Akademie der Heilkünste in Nedreb ein ruhiges Leben als Mentor verbringen. Oder was auch immer ihr sonst zu tun gedenkt. Auf jeden Fall habt ihr euch den einzigen Ort ausgesucht, an dem ihr auf alle Annehmlichkeiten verzichten müsst, die einem Meister eurer Zunft zustehen.<<
Sylfaen setzte zum sprechen an, holte Luft, hielt dann aber wieder inne. Einige Sekunden verstrichen, in denen nur das Klappern der Hufe die Stille durchbrach. Dann holte er erneut Luft. >>Ihr solltet wissen, Paladin, ich bin nicht unbedingt geeignet, mein Dasein unter Adeligen zu verbringen, oder gar andere Menschen auszubilden. Sie würden mich ja doch nicht verstehen. Ich bin am liebsten dort, wo meine Künste wirklich gebraucht werden und einen Sinn ergeben. Und wo hätte es für einen Heiler mehr Sinn zu sein, als auf dem Schlachtfeld, auf dem die Menschen versuchen, die immer wieder heranwogenden Wellen von Orks zurückzuschlagen und die zivilisierte Welt vor den blutrünstigen Raubzügen dieser stinkenden Bestien zu schützen? Nein, ich bin mehr als zufrieden mit dem was ich tue. Es gibt nicht viele Orte auf Deren, an denen ich besser aufgehoben wäre.<<
Ohne weiter auf Magnus einzugehen, ritt Sylfaen ein wenig schneller und machte durch diese Geste unmissverständlich klar, das er kein Interesse an weiteren Gesprächen hatte. Magnus war, wie immer, wenn er Sylfaen eine Frage stellte, mehr als verwirrt über die Antwort. So beließ er es auch dabei und unternahm keinen Versuch, zu dem Meisterheiler aufzuschließen. Wieder ein langer Tag zu Pferde der ereignislos und schweigsam verlief. Magnus hoffte, möglichst bald die Feste Ehrenstein zu erreichen, damit er wieder andere Menschen um sich hat. Am frühen Abend, als die Welt schon in das warme rote Licht der untergehenden Sonne getaucht war, sah Magnus in einiger Entfernung das Dorf Rola. Hocherfreut über etwas Abwechslung ging er in einen leichten Trab über und zog an Sylfaen vorbei.
In Rola angekommen, war Magnus aber mehr als enttäuscht. Ein kleines Bauerndorf, das außer Höfen, Scheunen, Ställen und Feldern nicht viel zu bieten hatte. Er sah einen Krämer, der natürlich schon geschlossen hatte und ein kleines Gasthaus namens „Cyrill´s Einkehr“. Wie sehr wünschte er sich in diesem Moment nach Behnan zurück. Dort gab es immer etwas zu sehen. Er hatte dort viele Freunde mit denen er zu den Aufführungen von Schaustellern und Gauklern gehen konnte, oder in einer Schänke bis in die frühen Morgenstunden zechen konnte. Aber hier?
Jetzt kam auch Sylfaen in der Dorfmitte an. >>Wie ich sehe habt ihr schon den Mittelpunkt allen Lebens in Rola gefunden. Ihr werdet nirgends in Rola einen Ort finden, an dem das Volk mehr umherströmt wie an dem Brunnen dort.<< Sylfaen lächelte dem missmutig dreinblickenden Magnus entgegen. Dieser schaute zum Brunnen herüber, wo zwei Frauen mittleren Alters Eimer füllten, während sie wie die Enten miteinander schnatterten.
>>Wohl an, Meister Sylfaen. Mich dünkt, die Aufregung hier ist ein bisschen zuviel für mich. Wir sollten uns ein Zimmer nehmen, ich brauche dringend Ruhe.<< Mit einem Ausdruck der Verzweiflung in den Augen, ging Magnus zum Gasthaus.
Sie nahmen sich beide ein Zimmer und Magnus verschwand sofort in seinem. Sylfaen setzte sich noch in die Schankstube und ließ den Abend mit einer guten Flasche Wein ausklingen.
Am nächsten Morgen fühlte sich Magnus als hätten die Wanzen in seinem Bett ihn aufgefressen. Er wusch sich ausgiebig am Zuber um das Ungeziefer loszuwerden. Danach ging er zum Zimmer von Sylfaen und klopfte. Als ihn nach einiger Zeit niemand hereinbat, klopfte er erneut und lauter. Aber es erfolgte immer noch keine Reaktion. Er wollte die Tür öffnen und drehte am Knauf, aber sie war verschlossen. Wahrscheinlich sitzt der Alte schon beim Frühstück, dachte Magnus und ging die Treppe hinab in die Schankstube. Er schaute sich um, doch auch hier konnte er Sylfaen nicht erblicken. So setzte er sich erst einmal an einen Tisch und nahm ein erfrischend reichhaltiges Mahl zu sich. Gestärkt von dem starken Kaffee und gebratenen Eiern ging er auf den Tresen zu.
>>Wirt! Habt ihr meinen Gefährten gesehen, mit dem ich gestern hier ankam?<< Der Wirt schaute ihn überrascht an >>Ihr meint den Kerl in der schmutzigen Kutte, Herr<< Die Ausdrucksweise, in der dieser einfältige Mann über Sylfaen sprach widerstrebte Magnus etwas, aber er hielt es für klüger, einfach darüber hinweg zu sehen. >>Ja, genau diesen meine ich. Wo ist er? Sein Zimmer ist verschlossen.<<
>>Als ihr gestern Abend auf euer Zimmer gegangen seid, hat er sich noch eine Flasche meines besten Weines bringen lassen. Kurze Zeit später tauchte ein Fremder hier auf. Sie saßen zusammen am Tisch, tranken und flüsterten die ganze Zeit. Nachdem sie die Flasche geleert hatten, verschwand der Fremde wieder. Dann sagte euer Gefährte mir, er brauche das Zimmer doch nicht mehr und ist auch gegangen.<< Völlig verblüfft folgte Magnus den Ausführungen des Wirtes. Er wusste nicht wie er die Situation einschätzen, oder wie er nun reagieren sollte.
Um die Botschaft besser verdauen zu können bestellte er sich einen Humpen Bier, bezahlte seine Zeche und sein Zimmer und setzte sich erst einmal wieder an den Tisch zurück. Nachdem Magnus den Humpen mit schnellen Zügen geleert hatte, stand sein Entschluss fest. Es machte keinen Sinn hier zu warten, oder den Heiler irgendwo zu suchen. Ein Solches Unterfangen wäre so oder so zum Scheitern verurteilt, da er keine Anhaltspunkte hatte. Außerdem musste er sein Kommando übernehmen und seine Pflicht erfüllen. Der junge Paladin packte seine Sachen, kaufte beim Krämer noch Dörrfleisch, Brot und gepökelten Fisch. Danach verließ er das Dorf hoch zu Ross in Richtung seiner Hundertschaft.
Noch fast zwei volle Tage ritt Magnus den verlassenen Weg entlang, bis die Berge des Dundougebirges zu seiner linken ihn erreicht hatten. Auch zu seiner rechten kamen die Berge der Gebirgskette immer näher. Schon bald würde er die Feste Ehrenstein erreichen, die in der einzigen, für ein Heer, passierbaren Schlucht stand und dessen Verteidigung der Garant für ein friedvolles Leben des Königreiches darstellte. Doch die ganze Zeit zweifelte er daran, richtig gehandelt zu haben. Wo ist Sylfaen hingegangen? Warum hat er nicht wenigstens eine Nachricht hinterlassen? Oder ist ihm gar etwas zugestoßen? Der Heiler war einfach zu wichtig für den Fortbestand der Feste. Aber was sollte er anderes tun, wenn der Kauz einfach verschwindet, redete er sich immer wieder ein.
Plötzlich sah er Rauchschwaden in den Himmel aufsteigen. Eine innere Unruhe nahm von Magnus Besitz. Endlich hatte er es geschafft. Bald würde er die Feste erreichen und konnte für Recht und Ordnung einstehen.