Helene Persak
Mitglied
Dieses Mal will die Unruhe im Raum nicht mehr weichen. Mit dem letzten Bisschen ihrer Erziehung gelingt es Gabrialla, dem Beispiel Michelles folgend, ihren Blick weiter nach vorne gerichtet zu halten.
Nein, das kann nicht sein. Das würden sie doch sicher nicht machen. Sie haben uns immer vor den Wächtern gewarnt.
Ein Mädchen, aus der Gruppe der Jüngsten, schreit auf, unterbricht ihre Gedanken.
Was ist ...? Gabrialla streckt ihren Hals, auf der Suche nach dem Mädchen.
Zwei. Drei und dann immer mehr Schreien auf oder krümmen sich wimmernd auf ihren Stühlen. Und alle blicken in Gabriallas Richtung.
Die Schritte. Ihr Kopf schnellt herum. Doch ihr Gehirn weigert sich weiterhin zu akzeptieren, was sie nun auch sieht.
Es ist also doch wahr. Wächter. Eben haben die ersten drei den Finger, in dem sich Gabriallas Lehrraum und die Treppe zu den Räumen der älteren Mädchen befinden, verlassen.
Ihr Blick heftet sich an den Ersten.
Arrogant. Nichtig. Nieder mit ihnen. Kribbelnde Schauer laufen über ihre Arme, treffen sich in ihrem Nacken und tanzen auf ihrem Rücken.
Was haben sie in den Räumen der Mädchen gemacht? Juls sagte, einer wäre bei dem Lehrleiter gewesen. Wie sollen sie hier hingekommen sein, ohne durch die Räume der Mädchen? Oder, waren sie schon ....
Hätte bemerkt. Vertrauter Geruch. Nichts Falsches.
Auch, als der Wächter sie fast erreicht hat, schafft sie es nicht, ihren Blick abzuwenden.
Auch sie sehen so menschlich aus. Auf den Bildern wirken sie anders.
Lüge.
Schwach die erstickten Schreckenslaute, um sich herum wahrzunehmen, mustert sie die näher kommende Gruppe aufmerksam.
Dennoch, es gibt unterschiede., gesteht sie. Kein Mensch bewegt sich auf diese Art. Keinem würde es hier erlaubt sein, sich so zu geben. So mächtig, Raum einnehmend. Das ist hier nicht erlaubt. Wo ist das erlaubt? Bei den Herrschern? Bewegen sich dort alle so? Aufgeregt beginnt ihr Herz zu flattern. Keine Unterwürfigkeit?
Freiheit. Ja.
Etwas berührt ihre linke Hand. Lenkt sie ab und Dunkelheit gleitet von ihr.
Ein Blick in die Richtung, lässt sie in Michelles flehende Augen sehen.
VERMEIDET ES EINEN WÄCHTER AN ZU SCHAUEN, hallt sogleich die Regel durch ihren Kopf.
Erst bei dieser begreift sie, was sie tut. Erschrocken über sich selber, dreht sie sich vollständig herum. Automatisch nimmt sie die angemessene Position ein. Nur ihre Hand bleibt bei Michelle. Hat sich gedreht und hält nun auch die ihre fest.
Ein Zittern schüttelt ihren Körper, als die Panik über sie hereinbricht. Ein letzter Gedanke hallt durch ihren Kopf.
Wir sind dem Tod geweiht! Dann jedoch, siegt wieder ihre Neugierde.
Als die Gruppe an ihr vorbei ist, hebt Gabrialla erneut ihren Kopf und sucht die Wächter.
Wie sie sich bewegen. Trotz ihrer Angst, die ihre Muskeln vibrieren lässt, bewundert Gabrialla sie. Stärke. Unbändige Kraft. Jeder von ihnen, jeder Schritt, jede Bewegung ihrer Hände, scheint vor Kraft, Energie und Wildheit zu sprühen. Ihr Herz macht einen Einzelnen, kräftigen Schlag und scheint damit eine Mauer in ihr zu zerbrechen. Freiheit. Sie spiegeln die Freiheit wieder, die ich suche.
Als sie die letzte Reihe, vor dem Podest erreicht haben, schwenkt die Gruppe nach links. Dann, zwei Schritt später, dreht der erste Wächter seinen Blick und richtet ihn auf sie. Gabrialla ist gefangen. In diesen Augen, in diesem Blick.
Bevor sie dem überwältigenden Drang, aufzustehen und zu ihm zu gehen, ganz verfällt, greift etwas nach ihr. Grob zerrt es sie wieder in den Raum und auf ihrem Stuhl. Erschrocken dreht sich Gabrialla zur Freundin.
Was ist gerade geschehen? Wollte ich wirklich zu dem Wächter gehen? Wollte ich mich wirklich in ihre Gruppe einreihen? Du bist nur ein Mensch Gabrialla, schelt sie sich. Sie würden dich als Nahrung nehmen, nicht als eine der Ihren.
Doch, kaum verfliegt der erste Schreck, übermannt sie wieder dieser Drang.
Freiheit! Folgen!
Nur die Hand, die sich um ihre klammert, hält sie davon ab.
Die alte Gabrialla, die ihre Freunde liebt und sie nicht verlassen will, ist Michelle dafür dankbar. Die neue Gabrialla, die es nach nichts mehr als ihrer Freiheit sehnt, hasst sie dafür.
„Ihr wisst, wer wir sind“, erklingt es vom Podest und lenkt sowohl Gabriallas Aufmerksamkeit als auch die des Dunklen in ihr, auf sich. „Bleibt fügsam und ihr dürft bleiben.“
Hahaha, hallt es in Gabrialla und lässt sie auf ihrem Stuhl zusammen fahren. Niederer., grollt es auch so gleich und etwas bewegt sich,
Nein, keucht Gabrialla, klammert sich an Michelle und versucht sich zu währen.
Leises Wimmern durchdringt die Stille und lenkt die Aufmerksamkeit des Dunkels auf sich. Gabriallas Kopf dreht sich, gegen ihren Willen.
NEIN!, schreit sie innerlich. Kann dem Dunkel aber nichts entgegensetzen. Alle Lehrlinge haben ihren Kopf demütig gesenkt und sitzen steif auf ihren Stühlen. Alle außer sie.
Ihr Blick sucht das Podest.
Auch der Lehrleiter und die Hausherrin verharren bewegungslos.
Voller Neugierde dreht sich ihr Kopf in Richtung des Haupttores. Gleitet über den Baum und hin zum Ausgang.
Freiheit. Langeweile entrinnen.
Nein! Die Wächter werden mich nicht gehen lassen.
Können uns nicht aufhalten. Schwache Geschöpfe.
Das sind WÄCHTER! Sie sind um so vieles stärker.
Nein. Schwach.
Hin und her gerissen zwischen Gabriallas Erziehung, welche ihr gebietet sitzen zu bleiben, und dem drängenden Wunsch nach draußen zu gehen, zittern ihre Muskeln. Hitzewallungen jagen durch ihren Körper und lassen sie erzittern, ob des Kampfes in ihr.
Ein erahntes Huschen hinter ihrem Stuhl. Eine Bewegung am Rande ihres Blickfeldes, beendet das Ringen. Ruckartig zuckt ihr Kopf nach links.
Vertrauter Duft. Schwer und kühl umweht sie. Verdeckt Michelles Geruch.
Weg., grummelt es missbilligend in ihr.
Doch ihr verschlägt es die Sprache, die Gedanken und jede Bewegung. Gabrialla ist erstarrt.
Dunkelheit umhüllt sie, legt sich friedvoll um sie.
„Grrr“, verschwinde!, grollt sie den Wächter an. Doch dieser lässt sich nicht beirren.
Seinen Kopf knapp über Michelle schwebend, nimmt er ihren Duft auf.
Auch Sie nimmt einen Zug. Gemischt mit dem schweren Duft des Wächters, erreicht sie ein anderer. Gehaltvoll, wie frisch gebratenes Fleisch, saftig, wie eine Magnifera und schwer wie eine Solanum.
Grummelnd erwacht ihr Hunger. Schlingt sich um ihr inneres und lässt sie erzittern. Gier überschwemmt sie, drängt sie näher an Michelle.
Doch der Wächter weicht nicht. Stattdessen senkt er seinen Kopf in Richtung Michelles Hals.
„Grrrr“, erklingt es aus Gabrialla. Meins!
Erster Herzschlag. Gabriallas Muskeln spannen sich an.
Zweiter Herzschlag. Ihre Beine stemmen sich in den Boden.
Dritter Herzschlag. Der Wächter löst sich von Michelle und geht weiter. Gabrialla jedoch verharrt.
Vierter Herzschlag, Der Wächter ist bei Marie angekommen.
Fünfter Herzschlag, die Hand des Wächters legt sich auf Maries Hand.
Sechster Herzschlag:
Meins! Gabrialla erhebt sich und dreht sich in seine Richtung. Dabei wird ihr Stuhl beiseitegeschoben und schabt quietschend über den Boden. Überlaut hallt dieser Ton im Raum und lässt sie aus der Dunkelheit emportauchen.
Marie. Nein! Nicht Marie!
Fließend erhebt sich der Wächter, dreht sich von ihr weg und folgt den Stühlen weiter.
Ein hämmernder Schmerz auf ihrer Hand, holt Gabrialla zurück.
Michelle ist es, die auf ihre Hand einschlägt und versucht ihre zu befreien.
Erschrocken lockert Gabrialla ihren Griff und sofort wird die Hand zurückgezogen.
Immer noch in halb erhobener Stellung verharrt Gabrialla bewegungslos.
Was ist gerade passiert?
War da eben ...? Habe ich eben ...? Was wollte der Wächter hier? Erneut überkommt sie Panik. Hindert sie zu atmen. Blind tastend sucht sie ihren Stuhl und lässt sich schwach auf ihn nieder sinken.
Was habe ich getan? Ihr Körper beginnt unkontrolliert zu zucken und jagt erneut heiße Schauer durch sie.
„Atmen“, erklingt Michelles Stimme schräg neben ihr.
Atmen, ja. Gabrialla zwingt sich, gleichmäßig zu atmen und ihre Panik zu verdrängen.
Erstaunlich schnell hat sie sich wieder gefangen und blickt sich suchend um.
Was? Wieso ist mein Stuhl verrutscht? So leise sie kann, erhebt sie sich und zieht ihren Stuhl in die Reihe zurück. In der anhaltenden Stille, scheint das vergebens. Erneut hallt das Schaben überlaut durch den Raum. Erneut verhallt es ohne Auswirkungen.
Ihr Blick wandert über ihre Freunde.
Michelle sitzt, als wäre nichts geschehen, steif auf ihrem Stuhl.
Marie hingegen, hat ihren Kopf lautlos schluchzend an Juls gelehnt. Dieser hat ihre Hand in seiner und streicht zärtlich mit der anderen darüber.
Auch Sven und Gino, haben ihre Hände verschränkt. Sitzen ansonsten genauso steif da wie Michelle.
Vor Angst erstarrt.
„Schön“, erklingt es nun erneut vom Podest. „Der Test ist beendet.“
Test? Welcher Test?
Da legt sich etwas auf ihren Schultern.
Gabrialla erstarrt.
Die Aufmerksamkeit ist ihrer Schulter zugewandt, als Finger sich darum schließen und etwas erwecken.
Nebel umhüllt sie. Schemenhaft bekommt sie mit, wie zwei weitere Hände nach ihren Armen greifen und sie über den Stuhl heben.
Zäh formen sich Gedanken in ihrem Kopf. Zu langsam und ohne Zusammenhang, um zu reagieren. Instinktiv, so erscheint es ihr, fängt ihr Körper an sich zu währen. Wild um sich schlagend trifft sie auf Widerstand und schlägt fester zu.
Alles, was sie je über Wächter gelernt hat, ist vergessen. Einzig was zählt, ist sich zu währen. Sich aus ihren Griffen zu befreien.
Fester und Schneller. Immer schneller bewegt sie nun ihren ganzen Körper, nur um sich aus dem Griff der Wächter zu befreien.
Einzig die Angst, eingeschlossen, gefangen zu sein, existiert noch und lässt sie sich währen. Als sie etwas erwischt, dass sie festhalten kann, schließt sie ihre Faust darum und reist. Ein wütender Schrei ist ihre Belohnung und lässt sie hoffen.
Noch einmal reist sie, doch dieses Mal wird ihre Hand festgehalten und sie muss loslassen, was auch immer sie gehalten hat.
Weiterhin im Nebel gefangen, bemerkt sie schemenhaft, dass sie weggetragen wird.
Zwei Hände schlingen sich um je einen Fuß und zwei um einen Arm. Es gelingt ihr nicht mehr, zu greifen oder jemand zu schlagen. Einzig ihren Körper kann sie noch winden.
Bis ihre Beine hinab sacken.
Erschrocken hält sie inne. Hofft, frei zu kommen. Doch ihre Beine sinken weiter, bis schließlich ihr Körper diesen folgt.
Der Griff der Dunkelheit lockert sich und Gabrialla sieht sich blinzelnd um.
Es ist die Treppe nach unten, bemerkt sie, als sie ihre Umgebung mustert.
Nach unten? Warum bringen sie mich nach unten? Was haben sie mit mir vor? Ihre Arme tun weh. Mehrere Stellen ihres Körpers pochen in wildem Takt, doch das alles wird verdrängt von einer Frage: Hier unten gibt es keinen Ausgang. Wenn sie mich nicht nach draußen bringen, wo bringen sie mich dann hin?
Das Dunkle indes ist nicht weg. Es lauert, am Rande ihres Bewusstseins.
Sobald sie die Treppe verlassen haben, schlingt es sich erneut um sie. Mit aller Kraft zieht sich ihr Körper ruckartig empor und die Beine an.
Drei der Wächter, so aus dem Gleichgewicht gebracht, verlieren ihren Halt. Den Vierten, schafft sie es, mit einem erneuten Ruck zu sich zu ziehen und nieder zu ringen.
Noch bevor sie steht, zielt Gabrialla mit ihrem Fuß nach dem ihr am nächsten stehenden Wächter. Dieser quittiert ihren Treffer mit einem Stöhnen und sackt zusammen.
Ein weiterer Tritt und sie hat dem nächsten Wächter die Beine weggekickt.
Ja, jauchzt es. Nieder mit euch.
Kaum auf den Beinen sucht sie ein neues Ziel.
Von den ersten drei Wächtern sind zwei am Boden. Der Dritte steht, gegen die Wand gelehnt außerhalb ihrer Reichweite. Doch der Vierte, von denen, die sie festgehalten haben, hat sich gefangen und geht soeben in Angriffsstellung.
Schwach.
Einen Schritt kann er nur machen, bevor Gabrialla ihn von den Füßen reist. Sie selber, schafft es gerade so, auf den Beinen zu bleiben, als ihre Arme grob gepackt und nach hinten gezogen werden.
Ein Laut des Schmerzes entkommt ihr, als sie auf die Knie fällt.
„Du wirst jetzt kooperieren, oder wir werden anders vorgehen müssen. Willst du nicht bis zur Bewegungslosigkeit verschnürt werden, wirst du kooperieren.“
Nein!, kreischt es.
Wenn sie das machen, habe ich keine Option mehr, erkennt sie vollkommen klar. Ich wäre noch hilfloser. Jetzt konnte ich zumindest eine Gelegenheit nutzen. Wie viele würde ich mir da verwehren? Ein schmerzhafter Ruck an ihren verbogenen Armen reist sie aus ihren Gedanken und lichtet den Nebel.
„Hast du mich verstanden?“
„Ja“, wimmert sie folgsam.
Auf einmal sind ihre Hände frei und Gabrialla wird unsanft auf die Füße gestellt. Eine Hand ergreift ihren Arm und zerrt sie mit sich. Den Ansatz eines Herzschlages währt sie sich, doch dann folgt sie.
Ich werde noch eine Gelegenheit bekommen, ist sie sich gewiss.
Ja, erklingt es aus dem Nebel, am Rande ihres Bewusstseins, zustimmend.
Nein, das kann nicht sein. Das würden sie doch sicher nicht machen. Sie haben uns immer vor den Wächtern gewarnt.
Ein Mädchen, aus der Gruppe der Jüngsten, schreit auf, unterbricht ihre Gedanken.
Was ist ...? Gabrialla streckt ihren Hals, auf der Suche nach dem Mädchen.
Zwei. Drei und dann immer mehr Schreien auf oder krümmen sich wimmernd auf ihren Stühlen. Und alle blicken in Gabriallas Richtung.
Die Schritte. Ihr Kopf schnellt herum. Doch ihr Gehirn weigert sich weiterhin zu akzeptieren, was sie nun auch sieht.
Es ist also doch wahr. Wächter. Eben haben die ersten drei den Finger, in dem sich Gabriallas Lehrraum und die Treppe zu den Räumen der älteren Mädchen befinden, verlassen.
Ihr Blick heftet sich an den Ersten.
Arrogant. Nichtig. Nieder mit ihnen. Kribbelnde Schauer laufen über ihre Arme, treffen sich in ihrem Nacken und tanzen auf ihrem Rücken.
Was haben sie in den Räumen der Mädchen gemacht? Juls sagte, einer wäre bei dem Lehrleiter gewesen. Wie sollen sie hier hingekommen sein, ohne durch die Räume der Mädchen? Oder, waren sie schon ....
Hätte bemerkt. Vertrauter Geruch. Nichts Falsches.
Auch, als der Wächter sie fast erreicht hat, schafft sie es nicht, ihren Blick abzuwenden.
Auch sie sehen so menschlich aus. Auf den Bildern wirken sie anders.
Lüge.
Schwach die erstickten Schreckenslaute, um sich herum wahrzunehmen, mustert sie die näher kommende Gruppe aufmerksam.
Dennoch, es gibt unterschiede., gesteht sie. Kein Mensch bewegt sich auf diese Art. Keinem würde es hier erlaubt sein, sich so zu geben. So mächtig, Raum einnehmend. Das ist hier nicht erlaubt. Wo ist das erlaubt? Bei den Herrschern? Bewegen sich dort alle so? Aufgeregt beginnt ihr Herz zu flattern. Keine Unterwürfigkeit?
Freiheit. Ja.
Etwas berührt ihre linke Hand. Lenkt sie ab und Dunkelheit gleitet von ihr.
Ein Blick in die Richtung, lässt sie in Michelles flehende Augen sehen.
VERMEIDET ES EINEN WÄCHTER AN ZU SCHAUEN, hallt sogleich die Regel durch ihren Kopf.
Erst bei dieser begreift sie, was sie tut. Erschrocken über sich selber, dreht sie sich vollständig herum. Automatisch nimmt sie die angemessene Position ein. Nur ihre Hand bleibt bei Michelle. Hat sich gedreht und hält nun auch die ihre fest.
Ein Zittern schüttelt ihren Körper, als die Panik über sie hereinbricht. Ein letzter Gedanke hallt durch ihren Kopf.
Wir sind dem Tod geweiht! Dann jedoch, siegt wieder ihre Neugierde.
Als die Gruppe an ihr vorbei ist, hebt Gabrialla erneut ihren Kopf und sucht die Wächter.
Wie sie sich bewegen. Trotz ihrer Angst, die ihre Muskeln vibrieren lässt, bewundert Gabrialla sie. Stärke. Unbändige Kraft. Jeder von ihnen, jeder Schritt, jede Bewegung ihrer Hände, scheint vor Kraft, Energie und Wildheit zu sprühen. Ihr Herz macht einen Einzelnen, kräftigen Schlag und scheint damit eine Mauer in ihr zu zerbrechen. Freiheit. Sie spiegeln die Freiheit wieder, die ich suche.
Als sie die letzte Reihe, vor dem Podest erreicht haben, schwenkt die Gruppe nach links. Dann, zwei Schritt später, dreht der erste Wächter seinen Blick und richtet ihn auf sie. Gabrialla ist gefangen. In diesen Augen, in diesem Blick.
Bevor sie dem überwältigenden Drang, aufzustehen und zu ihm zu gehen, ganz verfällt, greift etwas nach ihr. Grob zerrt es sie wieder in den Raum und auf ihrem Stuhl. Erschrocken dreht sich Gabrialla zur Freundin.
Was ist gerade geschehen? Wollte ich wirklich zu dem Wächter gehen? Wollte ich mich wirklich in ihre Gruppe einreihen? Du bist nur ein Mensch Gabrialla, schelt sie sich. Sie würden dich als Nahrung nehmen, nicht als eine der Ihren.
Doch, kaum verfliegt der erste Schreck, übermannt sie wieder dieser Drang.
Freiheit! Folgen!
Nur die Hand, die sich um ihre klammert, hält sie davon ab.
Die alte Gabrialla, die ihre Freunde liebt und sie nicht verlassen will, ist Michelle dafür dankbar. Die neue Gabrialla, die es nach nichts mehr als ihrer Freiheit sehnt, hasst sie dafür.
„Ihr wisst, wer wir sind“, erklingt es vom Podest und lenkt sowohl Gabriallas Aufmerksamkeit als auch die des Dunklen in ihr, auf sich. „Bleibt fügsam und ihr dürft bleiben.“
Hahaha, hallt es in Gabrialla und lässt sie auf ihrem Stuhl zusammen fahren. Niederer., grollt es auch so gleich und etwas bewegt sich,
Nein, keucht Gabrialla, klammert sich an Michelle und versucht sich zu währen.
Leises Wimmern durchdringt die Stille und lenkt die Aufmerksamkeit des Dunkels auf sich. Gabriallas Kopf dreht sich, gegen ihren Willen.
NEIN!, schreit sie innerlich. Kann dem Dunkel aber nichts entgegensetzen. Alle Lehrlinge haben ihren Kopf demütig gesenkt und sitzen steif auf ihren Stühlen. Alle außer sie.
Ihr Blick sucht das Podest.
Auch der Lehrleiter und die Hausherrin verharren bewegungslos.
Voller Neugierde dreht sich ihr Kopf in Richtung des Haupttores. Gleitet über den Baum und hin zum Ausgang.
Freiheit. Langeweile entrinnen.
Nein! Die Wächter werden mich nicht gehen lassen.
Können uns nicht aufhalten. Schwache Geschöpfe.
Das sind WÄCHTER! Sie sind um so vieles stärker.
Nein. Schwach.
Hin und her gerissen zwischen Gabriallas Erziehung, welche ihr gebietet sitzen zu bleiben, und dem drängenden Wunsch nach draußen zu gehen, zittern ihre Muskeln. Hitzewallungen jagen durch ihren Körper und lassen sie erzittern, ob des Kampfes in ihr.
Ein erahntes Huschen hinter ihrem Stuhl. Eine Bewegung am Rande ihres Blickfeldes, beendet das Ringen. Ruckartig zuckt ihr Kopf nach links.
Vertrauter Duft. Schwer und kühl umweht sie. Verdeckt Michelles Geruch.
Weg., grummelt es missbilligend in ihr.
Doch ihr verschlägt es die Sprache, die Gedanken und jede Bewegung. Gabrialla ist erstarrt.
Dunkelheit umhüllt sie, legt sich friedvoll um sie.
„Grrr“, verschwinde!, grollt sie den Wächter an. Doch dieser lässt sich nicht beirren.
Seinen Kopf knapp über Michelle schwebend, nimmt er ihren Duft auf.
Auch Sie nimmt einen Zug. Gemischt mit dem schweren Duft des Wächters, erreicht sie ein anderer. Gehaltvoll, wie frisch gebratenes Fleisch, saftig, wie eine Magnifera und schwer wie eine Solanum.
Grummelnd erwacht ihr Hunger. Schlingt sich um ihr inneres und lässt sie erzittern. Gier überschwemmt sie, drängt sie näher an Michelle.
Doch der Wächter weicht nicht. Stattdessen senkt er seinen Kopf in Richtung Michelles Hals.
„Grrrr“, erklingt es aus Gabrialla. Meins!
Erster Herzschlag. Gabriallas Muskeln spannen sich an.
Zweiter Herzschlag. Ihre Beine stemmen sich in den Boden.
Dritter Herzschlag. Der Wächter löst sich von Michelle und geht weiter. Gabrialla jedoch verharrt.
Vierter Herzschlag, Der Wächter ist bei Marie angekommen.
Fünfter Herzschlag, die Hand des Wächters legt sich auf Maries Hand.
Sechster Herzschlag:
Meins! Gabrialla erhebt sich und dreht sich in seine Richtung. Dabei wird ihr Stuhl beiseitegeschoben und schabt quietschend über den Boden. Überlaut hallt dieser Ton im Raum und lässt sie aus der Dunkelheit emportauchen.
Marie. Nein! Nicht Marie!
Fließend erhebt sich der Wächter, dreht sich von ihr weg und folgt den Stühlen weiter.
Ein hämmernder Schmerz auf ihrer Hand, holt Gabrialla zurück.
Michelle ist es, die auf ihre Hand einschlägt und versucht ihre zu befreien.
Erschrocken lockert Gabrialla ihren Griff und sofort wird die Hand zurückgezogen.
Immer noch in halb erhobener Stellung verharrt Gabrialla bewegungslos.
Was ist gerade passiert?
War da eben ...? Habe ich eben ...? Was wollte der Wächter hier? Erneut überkommt sie Panik. Hindert sie zu atmen. Blind tastend sucht sie ihren Stuhl und lässt sich schwach auf ihn nieder sinken.
Was habe ich getan? Ihr Körper beginnt unkontrolliert zu zucken und jagt erneut heiße Schauer durch sie.
„Atmen“, erklingt Michelles Stimme schräg neben ihr.
Atmen, ja. Gabrialla zwingt sich, gleichmäßig zu atmen und ihre Panik zu verdrängen.
Erstaunlich schnell hat sie sich wieder gefangen und blickt sich suchend um.
Was? Wieso ist mein Stuhl verrutscht? So leise sie kann, erhebt sie sich und zieht ihren Stuhl in die Reihe zurück. In der anhaltenden Stille, scheint das vergebens. Erneut hallt das Schaben überlaut durch den Raum. Erneut verhallt es ohne Auswirkungen.
Ihr Blick wandert über ihre Freunde.
Michelle sitzt, als wäre nichts geschehen, steif auf ihrem Stuhl.
Marie hingegen, hat ihren Kopf lautlos schluchzend an Juls gelehnt. Dieser hat ihre Hand in seiner und streicht zärtlich mit der anderen darüber.
Auch Sven und Gino, haben ihre Hände verschränkt. Sitzen ansonsten genauso steif da wie Michelle.
Vor Angst erstarrt.
„Schön“, erklingt es nun erneut vom Podest. „Der Test ist beendet.“
Test? Welcher Test?
Da legt sich etwas auf ihren Schultern.
Gabrialla erstarrt.
Die Aufmerksamkeit ist ihrer Schulter zugewandt, als Finger sich darum schließen und etwas erwecken.
Nebel umhüllt sie. Schemenhaft bekommt sie mit, wie zwei weitere Hände nach ihren Armen greifen und sie über den Stuhl heben.
Zäh formen sich Gedanken in ihrem Kopf. Zu langsam und ohne Zusammenhang, um zu reagieren. Instinktiv, so erscheint es ihr, fängt ihr Körper an sich zu währen. Wild um sich schlagend trifft sie auf Widerstand und schlägt fester zu.
Alles, was sie je über Wächter gelernt hat, ist vergessen. Einzig was zählt, ist sich zu währen. Sich aus ihren Griffen zu befreien.
Fester und Schneller. Immer schneller bewegt sie nun ihren ganzen Körper, nur um sich aus dem Griff der Wächter zu befreien.
Einzig die Angst, eingeschlossen, gefangen zu sein, existiert noch und lässt sie sich währen. Als sie etwas erwischt, dass sie festhalten kann, schließt sie ihre Faust darum und reist. Ein wütender Schrei ist ihre Belohnung und lässt sie hoffen.
Noch einmal reist sie, doch dieses Mal wird ihre Hand festgehalten und sie muss loslassen, was auch immer sie gehalten hat.
Weiterhin im Nebel gefangen, bemerkt sie schemenhaft, dass sie weggetragen wird.
Zwei Hände schlingen sich um je einen Fuß und zwei um einen Arm. Es gelingt ihr nicht mehr, zu greifen oder jemand zu schlagen. Einzig ihren Körper kann sie noch winden.
Bis ihre Beine hinab sacken.
Erschrocken hält sie inne. Hofft, frei zu kommen. Doch ihre Beine sinken weiter, bis schließlich ihr Körper diesen folgt.
Der Griff der Dunkelheit lockert sich und Gabrialla sieht sich blinzelnd um.
Es ist die Treppe nach unten, bemerkt sie, als sie ihre Umgebung mustert.
Nach unten? Warum bringen sie mich nach unten? Was haben sie mit mir vor? Ihre Arme tun weh. Mehrere Stellen ihres Körpers pochen in wildem Takt, doch das alles wird verdrängt von einer Frage: Hier unten gibt es keinen Ausgang. Wenn sie mich nicht nach draußen bringen, wo bringen sie mich dann hin?
Das Dunkle indes ist nicht weg. Es lauert, am Rande ihres Bewusstseins.
Sobald sie die Treppe verlassen haben, schlingt es sich erneut um sie. Mit aller Kraft zieht sich ihr Körper ruckartig empor und die Beine an.
Drei der Wächter, so aus dem Gleichgewicht gebracht, verlieren ihren Halt. Den Vierten, schafft sie es, mit einem erneuten Ruck zu sich zu ziehen und nieder zu ringen.
Noch bevor sie steht, zielt Gabrialla mit ihrem Fuß nach dem ihr am nächsten stehenden Wächter. Dieser quittiert ihren Treffer mit einem Stöhnen und sackt zusammen.
Ein weiterer Tritt und sie hat dem nächsten Wächter die Beine weggekickt.
Ja, jauchzt es. Nieder mit euch.
Kaum auf den Beinen sucht sie ein neues Ziel.
Von den ersten drei Wächtern sind zwei am Boden. Der Dritte steht, gegen die Wand gelehnt außerhalb ihrer Reichweite. Doch der Vierte, von denen, die sie festgehalten haben, hat sich gefangen und geht soeben in Angriffsstellung.
Schwach.
Einen Schritt kann er nur machen, bevor Gabrialla ihn von den Füßen reist. Sie selber, schafft es gerade so, auf den Beinen zu bleiben, als ihre Arme grob gepackt und nach hinten gezogen werden.
Ein Laut des Schmerzes entkommt ihr, als sie auf die Knie fällt.
„Du wirst jetzt kooperieren, oder wir werden anders vorgehen müssen. Willst du nicht bis zur Bewegungslosigkeit verschnürt werden, wirst du kooperieren.“
Nein!, kreischt es.
Wenn sie das machen, habe ich keine Option mehr, erkennt sie vollkommen klar. Ich wäre noch hilfloser. Jetzt konnte ich zumindest eine Gelegenheit nutzen. Wie viele würde ich mir da verwehren? Ein schmerzhafter Ruck an ihren verbogenen Armen reist sie aus ihren Gedanken und lichtet den Nebel.
„Hast du mich verstanden?“
„Ja“, wimmert sie folgsam.
Auf einmal sind ihre Hände frei und Gabrialla wird unsanft auf die Füße gestellt. Eine Hand ergreift ihren Arm und zerrt sie mit sich. Den Ansatz eines Herzschlages währt sie sich, doch dann folgt sie.
Ich werde noch eine Gelegenheit bekommen, ist sie sich gewiss.
Ja, erklingt es aus dem Nebel, am Rande ihres Bewusstseins, zustimmend.