Kapitel 19: Kassiopeia bringt Momo und ihre Freunde in Sicherheit

Etwas Kaltes berührte Momo an ihrem rechten Fuß. Sie wachte auf. Es war dunkel. Sie tastete am Fußende ihres Betts. Etwas Schrumpeliges, Kaltes saß da. Momo bekam Angst und machte schnelle ihre Nachttischlampe an.

„Kassiopeia!“
Die Schildkröte Meister Horas war in ihr Bett gekrabbelt, um sie zu wecken.
„Wo kommst du denn her?“, fragte Momo fröhlich.
„Meister Hora“, stand auf ihrem Schildkrötenpanzer.
„Ich freu mich riesig, dass du da bist.“ Und sie drückte die Schildkröte an sich.
„Gut, gut“, vermeldete Kassiopeia, die ihre Schildkrötenfreude natürlich nicht so deutlich zeigte wie Momo die ihrige.

„Warum weckst du mich in der Nacht?“, wollte Momo wissen.
„Wir müssen los.“, schrieb Kassiopeia auf ihren Panzer.
„Nun gut, wenn du es sagst, Kassiopeia. Ich nehme an, Meister Hora hat dich geschickt, um mich zu holen.“
„Genau.“
Momo zog sich schnell an.
Und die beiden verließen Momos kleine Wohnung.
Da blieb Kassiopeia unvermittelt stehen.
„Is was?“, fragte Momo.
Kassiopeias Schildkrötenkopf reckte und streckte sich, so als ob sie Ausschau halten würde.
„Freunde wecken“, stand jetzt auf dem Schildkrötenpanzer.
„Saschas und Giacomos Familie?“, Momo war verdutzt.
„Zukunft sehen“, erklärte die Panzerinschrift.
Momo wusste, dass Kassiopeia in die Zukunft sehen konnte und dass sie nicht alles verstehen musste, was Meister Horas Schildkröte vorschlug. Sie ging um das Amphitheater herum zum großen Kastenwagen von Giacomos Familie und klopfte gegen die mächtige Holztür.
„Wer da?“, rief Toni, Giacomos Vater, verschlafen.
„Ich bin‘s, Momo!“, rief unsere Freundin.
„Momo, es ist spät“, klang es muffelig aus dem Kastenwagen.
Momo blickte unschlüssig zur Schildkröte.
„Wichtig“, zeigte Kassiopeias Panzer an.
„Es ist wichtig“, wiederholte Momo laut die Nachricht der Schildkröte.
„Ich komme“, rief Toni.
„Was ist?“, rief Giacomo von innen, der auch aufgewacht war.
„Bruno“, gab Kassiopeia als neue Anweisung.
„Bruno!“, rief Momo und klopfte an den Wohnwagen von Saschas Familie.
„Mensch, Momo! Du weckst ja alle auf!“, rief die tiefe Stimme von Bruno wütend aus dem Wohnwagen heraus.
Momo wedelte ängstlich mit der Hand, um der Schildkröte anzuzeigen, dass es Ärger geben würde.
„Keine Angst. Feuer machen“, beruhigte Kassiopeia ihre Freundin.
Es war noch Glut am Lagerfeuer. Momo schleppte trockene Zweige heran und warf sie in die Glut. Das Geäst ging sofort Flammen auf.
„Wir müssen los“, stand auf Kassiopeias Panzer.
„Ja, aber ich muss doch meinen Freunden erklären, was passiert.“
„Wichtig“, erklärte Kassiopeia.
„Gut“, sagte Momo. „Ich beeile mich.“
Als Toni, Giacomo, Bruno, Elsa, Sascha, Wendeline und Alexandra aus den verschiedenen Wagen kletterten, loderte das Feuer schon hoch im Amphitheaterrund auf.
„Momo, bist du denn verrückt, das Feuer mitten in der Nacht anzufachen“, brummte Bruno ärgerlich.
„Ich muss los“, sprudelte Momo los.
„Wo musst du denn hin, mein Kind?“, fragte Wendeline.
„Das weiß nur Kassiopeia.“
„Wer ist Kassiopeia?“, wollte Bruno wissen.
„Meister Horas Schildkröte.“
Toni und Bruno, Elsa und Wendeline schauten sich an.
Momo verstand. Sie konnten nicht begreifen.
Bruno warf sein dickes Gesicht in Falten. Er schaute Momo genau an und dachte sich etwas, was schwierig zu erraten war.
Dann sagte er weise: „Momo, wir vertrauen dir. Du bist ein großes Mädchen, und du erzählst uns keine Lügengeschichten, nicht?“
Momo schüttelte den Kopf und zeigten auf Kassiopeia, die abseits im Gras saß.
Alle starrten auf Kassiopeia, die wieder auf ihrem Panzer anzeigte: „Wir müssen los.“
„Eine Schildkröte“, rief Alexandra.
„Bor, ist die groß“, meinte Sascha.
„Sie zeigt einen Text auf ihrem Panzer an“, hatte Toni beobachtet.
„Ich muss los“, erklärte Momo.
Bruno nickte von neuem.
„Ich will mit“, sagte Giacomo.
„Das kommt gar nicht in die Tüte“, verbot Elsa.
„Warum nicht?“, überlegte Toni, Giacomos Vater. „dann wissen wir wenigstens genau, was Momo macht, und Giacomo kann seiner Freundin helfen, wenn sie in Gefahr ist.“
Giacomo wurde rot aus Verlegenheit.
„Los!“, stand auf Kassiopeias Panzer.
„Einverstanden“, erklärte Elsa. „Aber nicht die ganze Nacht.“
„Versprochen“, freute sich Giacomo.
Momo und Giacomo wollten sich auf den Weg durch das Pinienwäldchen machen, aber nach einer Zeit merkte Momo, dass die Schildkröte ihnen nicht folgte. Sie war zurückgeblieben.
„Was ist, Kassiopeia? Du wolltest doch los?“
„Nicht durch Waldweg.“, erklärte der Panzer.
„Wie sonst?“ Momo verstand nicht, was die Schildkröte wollte.
„Durch Felder.“
„Aber das dauert länger.“
„Besser so.“

Sie verließen das Amphitheater an einer anderen Stelle, streiften durch den dichten Pinienwald und begannen die Getreidefelder dahinter zu durchqueren.
„Wohin gehen wir?“, fragte Giacomo neugierig.
„Ich weiß nicht. Kassiopeia weiß es“, antwortete Momo.
Es verging viel Zeit. Minute um Minute verstrich, und nichts passierte, außer dass die drei langsam vorankamen.
Plötzlich waren auf der Strasse, die zum Amphitheater Scheinwerfer zu sehen. Mehrere Scheinwerferpaare. Menschen zu Fuß hinter her. Sie kamen näher. Momo, Giacomo und Kassiopeia konnten sie vom Feldweg aus sehen. Der Motorenlärm der Autos wurde lauter.
Heiseres Gebrüll war zu hören, und dann ein Chor dahinter. Obwohl oder vielleicht weil es viele Menschen waren in dieser kalten, stockdunklen Nacht, bekam Momo Angst.
Was wollten all diese Menschen hier? Die Kinder versteckten sich hinter einem Feldbusch, als der Zug an ihnen vorbeizog.
Männer in schwarzen Hemden brüllten Parolen: „Für die Wahrheit! Für unsere kleine Stadt! Hilfe für Lappalier! Werde auch du ein leibhaftiger Lappalier!“
Aus den Autos dröhnte laute Heimatmusik. Die Schwarzhemden gingen in Reih und Glied; in den Händen hielten einige brennende Fackeln.
„Wir müssen unsere Freunde warnen“, meinte Momo zu Kassiopeia.
Giacomo nickte eifrig.
„Nein. Meister Hora wartet“, entschied Kassiopeia.
Sie liefen weiter Richtung Stadt.



Ann erwachte durch ein Klopfen an ihrer Fensterscheibe.
Sie bekam Angst.
Es klopfte noch mal. Sie zog die Bettdecke über ihr Gesicht und hoffte, dass es ein Albtraum war.
Dann hörte sie dumpf hinter der Fensterscheibe: „Ich bin es, Momo!“
Ann zog die Decke runter, glitt aus dem Bett und öffnete die Balkontür: „Was machst du denn hier, Momo?“
„Wir müssen zu Meister Hora!“ Momo schien ganz aufgeregt zu sein.
Ann schaute sie ungläubig an: „Also, dann gibt es ihn wirklich?“
„Ja, sicher! Beeile dich! Wir warten schon!“
Ann schaute durch die Gitterstäbe des Balkons in den Garten. Unten stand Giacomo, der ihr zuwinkte. Neben ihm lag etwas Schwarzes im Gras. Momo lehnte sich an die Balkonbrüstung und zeigte auf den Rasen: „Siehst du Kassiopeia?“
Da verstand Ann: „Sogar die Schildkröte von Meister Hora ist mitgekommen?“
„Genau, sonst wüssten wir doch gar nicht, dass Meister Hora uns braucht. Zieh dich an! Schnell!“
 



 
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