Kapitel 2

Bala

Mitglied
Die Zeit kann nicht gestoppt werden. Sie läuft immer fort, ohne anzuhalten, ohne, dass man sie zurückdrehen kann. Für manchen ist das eine harte Lektion. Besonders, wenn man sieht, wie die eigenen Kinder, die gestern noch als kleine, aufgedrehte, sorgenlose Wesen durch die Welt tobten, heute nun größer, reifer, stärker, und auch weiser geworden sind.
Immer mehr, von Tag zu Tag, wurden Kaleb und Elonore größer, erwachsener. Und nicht nur sie. Auch ihre Einhörner wuchsen dank der wunderbaren Fürsorge durch ihre „Zieheltern“ immer mehr heran. Und dabei war ihre Schönheit und Anmut auch immer größer geworden, ja so groß, dass man sie nicht beschreiben konnte.
Die Geschwister hatten eine enge Bindung zu den Fabelwesen. Man konnte sagen, dass sie zusammen mit den Tieren eine Familie waren. Das erste, was sie nach dem Aufstehen taten, war, nach Chander und Eos zu sehen, ob es ihnen gut ginge, und das Letzte, bevor sie schlafen gingen, war ihnen eine gute Nacht zu wünschen.
Schon sehr bald begannen sie auf ihnen zu reiten. Das Zutrauen der Einhörner war schnell vorhanden. Ob es wegen der Rettung damals war, oder eben doch weil die Augen der Königskinder etwas besonderes ausstrahlten, vermochte niemand zu sagen. Es war ein Rätsel, denn eigentlich trauten Einhörner nie den Menschen und hielten sich von ihnen fern. Darum waren auch nur so wenige in der glücklichen Situation, eines zu Augen zu bekommen. Nur warum waren jetzt diese beiden Einhörner so eng verbunden mit den Königskindern?
Königin Adiana und König Ryley vermochten nicht diese Fragen zu beantworten, nur eines sahen sie: Die Begegnung, die nun mittlerweile 12 Jahre her war, hat ihre Kinder noch glücklicher gemacht. Aber nicht nur das erfreute sie. Auch waren sie stolz auf einen starken, entschlossenen Sohn und eine ebenso starke, gutherzige Tochter, die nun schon täglich auf ihren Einhörnern das Reiten trainierten.
Aber nicht nur das Reiten, auch den Schwertkampf übten sie immer wieder. Ja, auch die Prinzessin, obgleich das ihrem Vater erstmal überhaupt nicht gefiel. Nun, sie war seine Tochter und er hatte erst nicht den Glauben, sie könne darin gut sein. Jedoch hatte ihr Bruder nicht diesen Zweifel. Für ihn war es selbstverständlich, konnte er sich doch niemals vorstellen, irgendetwas ohne seine Schwester zu machen, dazu zählte nun mal das Training mit seinem Vater.
Anfangs, da waren sie 12 Jahre alt, brauchten sie noch den Vater und den Ausbilder der Schloss-Wachen um zu üben, aber schon sehr bald trainierten sie alleine. Dabei wurden sie immer besser. In einem Übungskampf mit der Wache, als sie 16 waren, hatte nicht einer eine Chance gegen sie. Selbst dem Kommandeur gelang es nicht sie zu überwinden. Und trotzdem waren sie nicht ganz perfekt, denn ihrem Vater waren sie auch jetzt noch nicht gewachsen.

Wieder mal war es ein schöner Tag und Kaleb und Elonore ritten nun entlang des Schlossgartens, Kaleb auf Chander, Elonore auf Eos.
Der Schlossgarten war an sich eine grüne Wiese, auf der einzelne verschiedene Bäume standen. Hier ein Ahorn, dort eine Buche, dann wieder eine Birke.
Sie ritten ohne Sattel. Denn das Vertrauen ihrer Gefährten war so groß, dass sie keine Sättel benötigten. Nur ein weiches Tuch legten sie stets auf den Rücken der Einhörner, damit sie sich nicht den Rücken aufschürften. Und einen Steigbügel, den sie extra von einem Sattel abgeschnitten und an diesem Tuch festgebunden haben. Während dem Reiten genossen sie den leichten Wind. Sie trugen die übliche Reitkleidung: Lederweste, haltbare Stiefel, eine Braune Lederhose.
Elonore atmete die Luft tief ein: „Hach, ein wunderbarer Tag. Perfekt zum Ausreiten, meinst du nicht?“
Kaleb konnte ihr das nur bestätigen. „Ja, man fühlt heute wirklich, dass man lebt.“
Jetzt musste er sich aber einen kleinen Seitenhieb erlauben: „Auch wenn er für dich nicht ganz so gut begann, als du dir den Tee über deinen Rock geleert hast.“ und er kicherte etwas dabei. Eleonore war etwas verärgert.
Beim Frühstück musste ausgerechnet als sie ihre Tasse anhob, ein Bote in den Saal kommen, was sie derart erschrak, dass sie den Tee ausleerte. Sie schämte sich etwas deswegen.
Aber sie hatte auch die passende Antwort: „Immerhin war das Training heute nicht so gut verlaufen für dich, oder Bruderherz?“ Nun war es an Kaleb etwas sauer zu sein, denn beim heutigen Schwert-Training hatte seine Schwester ihm äußerst schnell das Schwert aus der Hand geschlagen. Besonders ärgerte ihn das Gelächter der jungen Wachen darüber, wobei diese von ihrem Kommandeur zurecht gewiesen wurden: schließlich gelang es ihnen auch nicht, die Prinzessin auch nur zu bedrängen.
„Also dafür will ich jetzt eine Revanche.“ waren nun seine Worte. „Wie wärs, ein kleines Rennen bis zum Ausgang des Gartens?“
Elonore gab ihm ein verschmitztes Lächeln: „Gerne doch. Los Eos!“ Schon ritt die Prinzessin auf ihrer Stute los.
„Hey, wo bleibt denn der Start?“ rief Kaleb.
„Das war der Start!“ kam die lachende Antwort.
„Na warte. Los Chander, schnappen wir sie uns, hopp!“ Die Verfolgung begann. Chander war kein bisschen langsamer als seine Schwester und kam ihr schon bald näher.
Elonore registrierte dies als sie kurz nach hinten sah: „Komm schon mein Mädchen, sie können uns nicht schlagen!“ Eos wieherte kurz, als wollte sie sagen: „Genau!“
Trotzdem waren sie nun gleich auf. Und das Ziel kam immer näher. Immer weiter trieben sie nun ihre Reit-Tiere an.
Auf einmal aber überschätzte Kaleb sich, ging etwas in die Höhe und verlor das Gleichgewicht. Der Fall war alles andere als angenehm. Elonore ritt durch das breite Tor und rief: „Gewonnen!“
Chander, der immer auf seinen Gefährten achtete, trabte während dem zurück und stupste Kaleb, welcher sich nun inzwischen aufgerappelt hatte, mit seiner Nase an.
Elonore war nun neben ihm. „Nimms nicht so schwer, das nächste mal gewinnst du!“ sprach sie zu ihm und reichte ihm die Hand. Dieser aber lächelte kurz, zog und schon lag seine Schwester auf dem Hosenboden.
Kaleb lachte und auch die beiden Einhörner wieherten zum Vergnügen. „Hey, was sollte das?“
„Na, weißt du noch? Als wir die beiden gefunden haben. Da hast du mich auf den Boden gezogen.“ „Warte du...“ war die Antwort, und schon rangelten die Zwei als wären sie immer noch die Sechsjährigen Kinder von damals. Eos und Chander schien das zu amüsieren, denn sie hüpften etwas daneben und wieherten.
Nun aber war es Zeit nach Hause zu kommen. Elonore und Kaleb stiegen auf die Fabelwesen und begannen den Rückweg. Auf einmal hörten sie einen gewaltigen Knall. Erschrocken drehten sie sich um. Elonore rief aus: „Was war das?“
„Ich glaube es kam von da. Komm mit!“
Sofort ritten die Thronfolger in Richtung des Waldes. Angst erfüllte sie. Auch wenn sie nicht wussten was los war, irgendetwas bedrohliches war dort. Sie konnten es erahnen. Etwas, was was überhaupt nicht gut sein konnte.
„Hilfe! Hilfeeeee!“ Der Schrei flößte ihnen eine gewaltige Panik ein.
„Wir müssen uns beeilen!“ schrie Elonore panisch. Sie kamen dem Ort näher. Das fühlten sie. Schließlich kam ihnen ein schrecklicher Geruch entgegen.
„Bei allen....Oh Gott, was ist das?“ Kaleb hielt sich die Hand vor den Mund. Rauch zog auf. Der Gestank wurde schlimmer.
Schließlich kamen sie an. Ein Bauer lag auf dem Boden und über ihm drei schwarz gekleidete Gestalten. Der Boden um sie war verkohlt. Die Gestalten sahen auf dem ersten Blick aus wie Menschen. Auf den zweiten Blick aber war ihnen nichts menschliches anzusehen. Ihre Augen glühten gelb hervor, das Gesicht ähnelte das einer Echse. Schuppen übersäten ihre Arme. Ihre Beine
waren gekrümmt. Sie schienen die Größe von Menschen zu haben. In ihren Händen hielten sie leicht gebogene Schwerter. Gerade eben gingen sie auf den Bauern zu, dessen Haut fast komplett verbrannt war. Er war ohnmächtig.
„Sofort stehen bleiben! Lasst ihn in Ruhe!“ brüllte Kaleb, stieg von Chander und zog sein Schwert.
Die merkwürdigen Gestalten lachten. Das Lachen war furchtbar. Richtig blechern. Aus ihm war das pure Böse zu hören. Es jagte ihm kurz Angst ein. Zum ersten mal war er gelähmt vor Angst. Schon griff der erste Feind an, als Elonore ihn schon mit dem Schwert abwehrte.
Kaleb erwachte aus seiner kurzen Starre. Als er sah, wie seine Schwester gegen die Monster kämpfte, wollte er sie nur noch beschützen. Nun griff er zwei der Gegner an. Zusammen erwehrten sie sich nun der Feinde. Schlag um Schlag. Kaleb wandte alles an, was er von seinem Vater gelernt hatte. Er improvisierte. Er sprang, er drehte sich schnell, nutzte die Bäume als Deckung. Dabei versuchte er immer irgendwie zu Elonore zu blicken, die von ihrem Gegner zurückgedrängt wurde.
Elonore versuchte alles, aber mit jedem Schlag ihres Gegners passierte etwas, was zuvor nie passiert war: sie verlor ihre Zuversicht. Aufgeben wollte und konnte sie nicht. Nochmal griff sie an, aber ihr Feind stieß sie zurück Seine Kraft war einfach zu groß. Noch nie stand sie so einem Gegner gegenüber. Mit einem Schreckensschrei stürzte sie.
„Elonore!“ Kaleb stieß seine Gegner weg, rannte hin und verhinderte mit seinem Schwert noch gerade so den Hieb des dritten Feindes. „Lass meine Schwester in Ruhe, du Scheusal!“ Voller Wut schlug er nun auf die Gestalt ein. Aber schon kamen die anderen Zwei und Kaleb musste sich nun gegen drei Schwerter wehren. Das war einfach zu viel für ihn, so sehr er sich auch wehrte, er hatte keine Chance. War eine Waffe abgewehrt, kam schon die nächste auf ihn zu. Alle drei Klingen kamen auf ihn zu, er blockte sie mit seiner Waffe ab, aber schon fühlte er wie ihn seine Kraft verließ und er fiel durch den Druck neben seine Schwester. Wieder ertönte dieses Lachen.
Den Zwillingen schlug das Herz bis zum Hals. Eine gewaltige Kälte war in ihnen. Die Angst nahm ihnen alles. Ihnen liefen die Tränen aus den Augen. Die Königskinder dachten an ihr Ende. Sie nahmen sich bei den Händen, schlossen die Augen und wendeten sich ab als sie schon sahen wie diese Monster mit den Echsengesichtern ihre Schwerter hoben.
Auf einmal war ein Lärm zu hören-es war das Wiehern der Einhörner, die mit ihren Vorderhufen die Gegner traten und zurück drängten. „Was? Einhörner?“ rief einer der Drei. Schon schwangen Chander und Eos ihre Köpfe und ein Leuchten ging von ihren Hörnern aus. Zwei Lichter flogen auf die Monster zu und schleuderten sie zurück. „Hier können wir erstmal nichts mehr machen, verschwinden wir!“ rief die Vorderste Gestalt und mit einem grellen Blitz verschwanden sie.

Kaleb und Elonore weinten vor Erleichterung, umarmten sich fest: „Alles in Ordnung Elonore?“ „Ja!“ Sie mussten ihren Gefühlen freien Lauf lassen, als sie ihnen wohl vertraute große Nasen fühlten. „Eos!“ „Chander!“ Kurz tätschelten sie die Nasen. Dann sahen sie zum Bauern, der auf dem Boden lag. Schnell gingen sie zu ihm hin.
„Prinz...Prinz Kaleb....Prinzessin Elonore...meine Herren....“ stöhnte er hervor.
„Wir müssen ihn zum Arzt bringen Kaleb!“
„Es ist zu spät, Herrin! Mir...kann man nicht mehr helfen. Diese...Schriftrolle...sie waren hinter ihr...her.“ Krampfhaft hob der Bauer seinen Arm und öffnete seine Hand. Elonore nahm das Papier an sich.
„Ich weiß...nicht weshalb...aber es sollte bei euch...bleiben. Sie war...in dem Baum dort...“ „Danke!“ sagte Elonore. Sie wollte nicht sehen, wie ein Mensch stirbt, versuchte ihre Verbände, die sie immer mitnahm, um ihn zu wickeln. Doch der Bauer sah kurz in ihre Augen: „Meine Familie...bitte...helft ihnen...sie müssen....müssen...weiterkommen...le....leben.“
Kaleb nahm seine seine Hand: „Verlass dich auf uns!“
„Meine...Herren...danke.“ Mit diesen Worten schloss er die Augen.
Elonore weinte bitterlich. Kaleb sprach: „Ich weiß noch nicht, was diese Rolle beinhält. Aber ich weiß: du hast unserem Reich einen mächtigen Dienst erwiesen. Danke.“ Er musste diesen Moment, diesen Schrecken erst mal sacken lassen.
Kaleb nahm Elonore dann in die Arme. „Wir müssen nach Hause. Komm!“ Betrübt stiegen sie auf die Einhörner und machten sich auf den Nach Hause Weg.
Sie betraten den Thronsaal. König Ryley, an einem Tisch sitzend, sah sofort auf: „Kinder, was ist passiert?“ „Das ist eine lange Geschichte, Vater. Wir müssen unbedingt zum Rat, auch wenn sie gerade eine Sitzung haben! “ kam die Antwort von Kaleb.
Vor dem Rat erzählten nun Kaleb und Elonore was geschehen war. Die Mitglieder des Rates waren alle in Grüne-braune Kutten gekleidet und behielten ihre Kapuzen bei den Sitzungen stets auf. Ihre Sitzungen hielten sie in einem Saal ab, der durch und durch weiß war-ein Zeichen, dass nichts unreines hier hinein oder hinaus gelangen darf. Sie saßen stets im Kreis beisammen.
Der Vorsitzende, der sonst alles genau wusste, konnte sich keine Erklärung hierzu geben. „Fest steht, dass etwas unser Reich bedroht.“ sagte er nun. „Aber das Schicksal scheint hierbei seine Finger im Spiel zu haben. Sonst wärt ihr den Einhörnern nie begegnet, und sie hätten nicht ihre Kräfte eingesetzt um euch zu schützen. Einhörner wissen um die Machtgier mancher Menschen und halten sich deshalb von ihnen fern. Ich habe nie gehört, dass jemals ein Einhorn seine Macht zu Gunsten eines Menschen benutzte, denn die Macht darf nicht missbraucht werden. Gib mir bitte die Rolle, meine Herr.“
Kaleb übergab ihm die Schriftrolle und der Älteste öffnete sie: „Diese Schrift stammt aus einer längst vergangenen Zeit.“
„Ließ uns die Botschaft vor, Ältester. Du wirst sie als Einziger übersetzen können.“ befahl die Königin. „Ich übersetze:

Die Zeit ist gekommen,
wenn dieses ist gefunden.
Der Herr des Schreckens ist nun erschienen.
Jetzt ist die Prüfung,
für das Reich der Himmel, bekannt als Heminaz.
Beginnet eure Suche nach dem einzigen,
was es retten kann.

In zwei Teile einstmals zerbrochen,
um es vor Machtgier zu schützen.
Verbunden mit der größten Macht,
dem stärksten Licht,
zusammen geführt,
wird Das Medaillon der Sterne ihn bezwingen können.
Nur wer Rein im Herzen ist,
und immer vor der Einsamkeit,
selbst wenn er allein ist,
geschützt,
wird die Teile finden können.

Unmöglich ist es,
die Aufgabe halb zu erfüllen.
Zwei benötigt es,
um eins zu werden.

Das Medaillon der Sterne!“ auf ein mal schien dem Ältesten alles klar zu werden. „Jetzt weiß ich es
wieder!“
„Was?“ wollte Elonore nun wissen. „Eure Majestäten, Prinz, Prinzessin, kommt in einer Stunde in die Bibliothek.“
„Gut, aber vorher müssen wir der Familie des Bauern helfen.“ antwortete Kaleb.
Die Königskinder überbrachten schweren Herzens der Frau des Bauern die Nachricht und brachten dabei zwei ihrer Diener mit, welche sonst immer das Getreide für das Schloss anbauten.
„Sie werden euch helfen zu Beginn euren Hof weiter zu bebauen und euch lehren, wie ihr es alleine weitermachen könnt. Es tut mir so Leid.!“ redete Elonore zu ihnen.
Die Bäuerin weinte um den Verlust ihres Mannes, bedankte sich aber für die Hilfe. Elonore und Kaleb stiegen nun auf ihre Einhörner und begannen den Weg zum Schloss. Sie sahen zu Boden.
Die Prinzessin blickte zu ihrem Bruder: „Was uns wohl erwartet in der Bibliothek?“
„Ich weiß es nicht, Schwester. Aber ich weiß eins: Wenn etwas unser Land bedroht, werden wir es aufhalten. Ja?“
Kaleb reichte Elonore die Hand. Diese sah auf sein Gesicht und verspürte, dass sie es auf jeden Fall werden. Die Zuversicht war in ihr zurückgekehrt. „Ja, Kaleb, mit Sicherheit!“ Mit diesen Worten schlug sie ein. Schließlich waren sie vor der Tür der Bibliothek angekommen.
 



 
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