Kapitel 3 – Der Blender

Kapitel 3 – Der Blender

Manche Tage beginnen unglücklich und enden auch so. Mit solchen Tagen konnte Elisander gut umgehen, sie hielten was sie versprachen und waren nur selten mit Überraschungen gesegnet. Wenn es ein solcher Tag gewesen wäre, hätten ihn die Geschehnisse wahrscheinlich gar nicht so sehr berührt. Doch dieser Tag war einer von den fiesen, die gut beginnen und dafür umso tragischer enden. Gerade hat man noch das Gefühl oben auf zu schwimmen, da kommt das Schicksal und rammt einen mit voller Breitseite in den Boden der Tatsachen, bis man fasst die Radieschen von unten betrachten kann.
Elisander hatte die Nacht auf einer Pritsche in einer kleinen Absteige namens „Zum Hirschbrunnen“ in einem winzigen Dorf verbracht. Seine Kleidung roch noch immer nach dem gammligen Stroh. Er vermisste den Duft der Großstadt. Die nächste Stadt war Silfing, drei oder vier Fußstunden entfernt, südwestlich des Dorfes. Nachdem er für die Nacht bezahlt und ein spärliches Frühstück zu sich genommen hatte, machte sich Elisander gerade auf den Weg um noch vor Mittag in der Stadt anzukommen. Er schulterte seinen Rucksack und bog auf die Hauptstraße, als neben ihm ein Fuhrwerk anhielt.
„Entschuldigen Sie, werter Herr Elf, “, begann eine zierliche Frauenstimme, „komme ich hierlang bis Silfing?“
Erstaunt über die Anrede sah Elisander zu der Menschenfrau empor. Sie war einfach gekleidet, vermutlich Mitte Zwanzig so wie er. Ihre Unsicherheit zeigte sich nicht nur in ihrer Frage, sondern in ihrer ganzen Haltung. Fest umklammerte sie die Zügel, offenbar überfordert mit der Handhabung des Wagens.
„Gewiss, junge Dame. Aber sagt, warum fahrt ihr alleine einen solch weiten Weg?“
„Mein Mann ist erkrankt, aber die Früchte müssen zum Markt nach Silfing, also fahre ich alleine dorthin.“
„Nun, aber ihr wisst doch sicher, dass dergleichen Reisen nicht ungefährlich sind, oder?“
Die Anspannung in ihrem Gesicht nahm zu. Ihre Hände umklammerten die Zügel nun so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten.
„Gefährlich?“
„Ich würde mich bereit erklären, euch meinen Dienst als Begleitung anzubieten…“ und mit einem Blick auf die Ladefläche fügte er lächelnd hinzu „…gegen eine kleine Belohnung, vielleicht.“
Unsicher blickte die Frau hinter sich. „Na… natürlich,… das klingt hervorragend. Kommt herauf!“
Elisander schwang sich zu der Dame empor auf den Kutschbock, und griff sogleich hinter sich um einen Apfel zu ergattern. Obst und eine kostenlose Fahrt nach Silfing, der Tag verstand was von seinem Handwerk.
„Darf ich nach eurem Namen fragen?“
„Elisander Mandelbaum, Halbelf, Schlosser.“
„Oh.“ ein Hauch von Röte glitt über ihre Wangen „Ich hoffe ich habe euch nicht beleidigt, als ich euch einen Elfen nannte.“
„Im Gegenteil. Alles in bester Ordnung.“, Elisanders breites Grinsen ließ die Anspannung aus den Zügen der Frau weichen.
„Mein Name ist Judith Grauhain.“
„Höchst erfreut, Frau Grauhain. Also dann, fahren wir los, immer der Nase nach.“

Die nächsten zwei Stunden schwankte Elisander zwischen bereuen und erfreuen hin und her. Zwar war das Obst kostenlos und schmackhaft, doch Frau Grauhain war gleichsam belanglos und schwatzhaft. Selbst für den niedrigen Standard, den er bei menschlichen Frauen anzulegen pflegte, war sie ausgesprochen dümmlich. Oft entschied er gezwungen zu Lächeln und ein „Hmmhm“ zur Konversation beizusteuern, damit sie zufrieden war und wenigstens phasenweise Ruhe gab. Es gab freilich keine Gefahren in diesen Gegenden. Ganz wie Elisander erwartet hatte, war die einzige Gefahr gewesen, dass er sich beim Laufen eine Blase hätte zuziehen könne, wenn sie ihn nicht mitgenommen hätte.
Endlich kamen sie aus den Wäldern und konnten Silfing am Horizont sehen. Von Norden kommend, die Küste zu ihrer Rechten, kam der große Hafen mit dem beeindruckenden Leuchtturm als Erstes in Sicht.
„Oh, wie schön. Ich mag Silfing sehr, mein Mann hat mich schon einmal hierher mitgenommen.“
Elisander war zum ersten Mal in dieser Gegend, an dieser Küste. Weit gereist war er sehr wohl in den letzten Jahren, aber bis an diesen Rand des Königreiches hatte es ihn noch nie verschlagen. Vielleicht er gaben sich hier neue Möglichkeiten, neuer Wein und vor allem: Neues Geld.
„Ist das so? Zum Markt nehme ich an? Dann kennt ihr nicht zufällig ein gutes Wirtshaus oder eine Weinstube oder wenigstens eine kleine Beisel?“
„Nein, tut mir leid Herr Mandelbaum, ich kann euch nicht weiter helfen.“
„Sollte aber in einer Hafenstadt nicht zu schwer werden, eine zu finden, was meint ihr?“
„Sicher,“, sie lachte, „aber sagt, was möchtet ihr als Schlosser in Silfing?“
Elisander verdrehte die Augen. Zu früh hatte er sich gefreut, um nervende Fragen der dummen Gans herum gekommen zu sein.
„Wisst ihr, ich habe in Silfing ein Arbeitsarrangement ausgemacht, auf einer größeren Baustelle. Leider beinhaltet es keine Unterkunft oder Logis, daher brauche ich einen Gasthof für die nächsten Tage.“
„Ein Schlosser auf einer Baustelle?“, wurde sie jetzt ernsthaft misstrauisch? Elisander wollte keine Aufmerksamkeit, sie sollte einfach Ruhe geben.
„Aber natürlich! Schwere Aufbauten müssen fachmännisch verstärkt werden, die Schmiede liefern das Metall, ich verbaue es, achte auf die Statik und Sorge für alle andern anfallenden Metallarbeiten.“
„Interessant, hätt ich nie gedacht.“
„Auch die Weisesten finden gelegentlich noch Erleuchtung.“
Sie kicherte. Hoffentlich gab sie nun endlich Ruhe und er konnte die letzten Minuten das Schunkeln des Wagens genießen, während sie Richtung Stadtmauer fuhren.
Nein, sie fing wieder von ihrem Hof an.
„Hmmhm…“

Die Stadtwachen winkten sie ohne weitere Kommentare durch das große Stadttor. Die Mauer war schmächtig vergleichen mit den Stadtwällen der großen Städte, aber in den sicheren Tagen dieser Zeit war sie ohnehin mehr Zierde und Grenzlinie als echter Verteidigungs-perimeter. Die Straßen von Silfing waren am späten Vormittag voller Leute. Hauptsächlich Menschen, dazu einige Halblinge und Zwerge. Zwei Orksklaven luden schwere Kisten für ihren Herrn, einen stämmigen Zwerg, auf einen Wagen, während dieser sie in der groben Sprache der Zwerge beschimpfte. Elisander verstand nicht viel von der Zunge des kleinen Volkes, aber er erkannte einige wenig schmeichelhafte Begriffe, und die Art wie sich die Gesichtszüge des Zwerges verformten ließ keinen Zweifel an seiner Botschaft.
Während er sich die Bevölkerung besah, verstummte seine Begleitung. Dieser Umstand war zwar eine Erleichterung für Elisander, aber irgendwie sorgte es ihn auch. Als er sich zu ihr drehte, war sie fast weiß im Gesicht und richtete ihren Blick starr nach vorne. Erschrocken blickte er sich erneut um, nach einem Grund für ihre Panik zu suchen. Erfolglos.
„Was habt ihr, Frau Grauhain.“
„Nichts.“, ihr Blick änderte sich nicht und ihre Stimme klang gehetzt „Alles in bester Ordnung, ich muss nur vorsichtig fahren.“
„Ist es euch vielleicht lieber, wenn ich die Zügel für einen Augenblick übernehme.“, ihre Überforderung machte ihm Angst, gerade eine Frau war in so einem Zustand völlig unberechenbar. Er griff nach den Zügeln, die sie daraufhin hektisch hochriss.
„NEIN!“
Das Pferd reagierte auf die Zügel. Vielleicht dazu auf den spitzen Schrei. Jedenfalls stieg es kurz und versuchte dann nach links zu galoppieren. Menschen, Halblinge, Zwerge stoben auseinander. Elisander faste seinen Rucksack fest. Er konnte schon sehen, dass sich der kippende Wagen gleich an einer Häuserwand und auf einem kleinen Verkaufsstand befinden würde. Keine Zeit verlieren. Er sprang mit einer Hechtrolle nach rechts weg auf die Straße. Der Aufprall war hart und zerriss Teile von Hose und Jacke, doch Elisander konnte in einer flüssigen Bewegung auf die Beine kommen und beeilte sich zwischen den erstarrten Zuschauern hindurch in einer Winkelgasse zu verschwinden, während hinter ihm Holz krachte, ein Pferd jämmerlich wieherte und Menschen schrien. Er wand sich erst um als er bereits einige Schritt in die Gasse gemacht hatte und außer Sicht war. Niemand schien ihm direkt zu folgen. Wahrscheinlich kümmerten sie sich um die Verletzten. Das Getöse war leiser geworden, der Gaul hatte wohl angehalten, aber Stimmen und Schmerzlaute waren noch da. Besser mehr Luft zwischen sich und den Unfall bringen.
Elisander glitt von Gasse zu Gasse, Häuserecke zu Häuserecke um sich möglichst weit zu entfernen. Was für eine dumme Kuh. Selbst Schuld. Ein dummes Weibsbild eben.

Es dauerte eine ganze Weile, bis er am Hafen ankam. Der Duft von Fisch schlug ihm plötzlich entgegen, und hieb ihn fast aus den Stiefeln. Angeekelt verzog er Nase und Mundwinkel, hielt den Arm schützend vor die Nase.
„Entschuldigt, guter Mann?“, der Matrose den er ansprach wickelte Seile auf.
„Wattn?“, der Blick wirkte nicht sehr erfreut über Elisanders Frage. Eigentlich wirkte er sogar feindselig.
„Ich suche ein Wirtshaus, ich habe Hunger.“
„Blind, wa?“, der Mann legte das Seil bei Seite und stuckte laut aus. „Kiek man da.“, sein Arm wies auf ein Gebäude kaum fünfzig Schritt entfernt. „Wat menste wat det his: ‚Zum Pottwal‘? Nei, det is ene Jeflüelfarm, woll? Nu lett mi in ruh, Kleener.“, ohne eine Antwort von Elisander abzuwarten drehte er sich weg.
„Danke.“
Um die Worte „Zum Pottwal“ auf dem Schild zu erkennen, brauchte es schon einige Phantasie. Vom Salz und vom Wind angegriffen, hatte es den Kampf eindeutig verloren und war stark verwittert. Da Elisander nur etwas in den Bauch bekommen wollte, war ihm das egal.
Leider war der Innenraum nicht besser in Schuss als die Fassade. Es roch fischig und abgestanden. Der Mann hinter dem Tresen sortierte offenbar Gläser oder Krüge und sah kritisch in Elisanders Richtung.
„Wat willste hier?“
Elisander ließ den Blick durch den Raum schweben. Durch die getönten Fensterscheiben fiel wenig Licht in den Raum. Auf manchen Tischen brannten Kerzen, über dem Tresen hingen Öllampen, eine unangenehme Lichtsituation. Acht Tischgruppen, nur vier Gäste. Das Mobiliar war alt und sah wenig vertrauenserweckend aus. Der Wirt ein älterer Mensch mit braunem Vollbart und Glatze.
„Ik hab dich gefragt, watte hier wills, Halbblut.“, Elisander zuckte, der Begriff gefiel ihm nicht und war leider viel zu alltäglich.
„Entschuldigt, ich wollte nur etwas essen.“
„Kannse denn zahlen, Kleener?“
Gerade als Elisander antworten wollte, kam eine junge Frau aus der Küche.
„Stänkerse schon wieder, alter Mann?“
„Is mein Laden, nur wer zahlt, bekommt wat.“, er sprach immer noch mehr zu Elisander als zum jungen Weib.
„Gib ruh.“, sie kam auf Elisander zu. Sie war so groß wie er, hatte sehr lange kupferfarbene Haare und trug eine einfache Tracht wie sie in der Gegend üblich war. Ihr Gesicht war schmal, ihre Lippen messingrot und ihre Augen stahlblau. Das Korsett unter der Tracht brachte ihren Busen beachtlich zur Geltung. Sie gefiel Elisander nicht im Geringsten. „Du kannst doch zahlen, woll.“
„Natürlich kann ich zahlen. Aber sagt, Schönste, habt ihr auch etwas Nahrhaftes ohne Fisch?“
„Keen Fisch? Nagut, der Herr, da find ich schon was. Setz dich hierher. Magste was trinken?“
„Wasser reicht, danke.“
Nachdem er sich gesetzt hatte, blickten Wirt und die übrigen Gäste noch eine Weile ungläubig in seine Richtung. Die anderen Menschen waren scheinbar Seeleute und tranken schweren Schnaps. Viel zu erzählen hatten sie sich nicht, die Ruhe gefiel Elisander. Er konnte etwas runter kommen und seine nächsten Schritte planen. Hier würde er wohl kein Zimmer bekommen, er brauchte einen Stützpunkt von dem aus alles weiter gehen konnte. Am liebsten wäre ihm ein Gasthof der sich an seiner Herkunft weniger störte.
„Bitteschön der Herr.“, die Schankmaid beugte sich vor, stellte einen Teller mit Eintopf vor ihn und gleichzeitig ihr Dekolleté zur Schau.
„Isn Kartoffeleintopf mit bissn Wurst. Wasser kommt gleich.“, sie blinzelte ihn an. War das ein Zwinkern? Machte sie ihn an?
„Danke sehr, meine Teuerste.“
Sie lachte und lies die Hüften beim Weg zum Tresen demonstrativ kreisen. Vielleicht konnte er hieraus Kapital schlagen?
Der Eintopf war zwar geschmacksarm, aber warm und beruhigte ihn. Während er aß, beobachtete er das Mädchen, und überlegte, wie er die Sache angehen würde. Etwas flirten lag ihm, aber er hatte keine Lust, dass sie ihm zu nah kam. Zwischendurch sah sie zu ihm herüber und strich die Haare mit einem Lächeln zurück. Er lächelte zurück, grübelte, wartete.
„Is alles jut bei dir?“
„Alles in bester Ordnung, schöne Frau.“
„Sachse, wenne was brauchs, woll.“, sie zwinkerte ihm zu und drehte sich, um wieder zur Küche zu gehen.
Er wollte ihr gerade einen Vorschlag machen, als ein neuer Gast in den Schuppen kam. Elisander erkannte ihn sofort, ein Halbling mit strubbligen schwarzen Haaren, einem großen weißen Ohrring im rechten Ohr und einem frechen Ziegenbart - es konnte nur sein alter Freund Dedalos sein.
„Wen sehen meine entzündeten Augen? Der stinkfaule Elisander!“
„Dedalos Nörgelhansel, wer hätte das erwartet.“
Dedalos kam grinsend auf ihn zu und Elisander stand für ihn auf. Er trug einen blauen Umhang unter dem Elisander seinen feinen Säbel entdeckte. Erinnerungen wurden geweckt.
„Komm her du alter Haudegen.“, beide fielen sich in die Arme.
„Setz dich zu mir. Seit wann bist du in Silfing?“
„Schon seit fast einem Jahr, nach unserem verpatzten Auftrag in Gundfeld bin ich direkt nach Westen marschiert und erst wieder angehalten, als ich an Balsephon vorbei war. Danach kommt nicht mehr viel Interessantes, also bin ich gleich durchgestartet bis zur Küste. Wie ist es dir denn ergangen?“
„Na, du weißt ja, wie das ist. Hab eher eine nördliche Route genommen. Bin dann auch mal zwei Monate in Balsephon gewesen. Unseren alten Freund“, das letzte Wort unterstrich Elisander mit einer abschwächenden Geste, „Meronger hab ich dort leider auch wiedergetroffen. Eine ziemlich gute Motivation sich weiter zu bewegen. Tja, was soll ich sagen, seit heute Mittag bin ich hier in Silfing und noch hat niemand versucht mich festzunehmen.“
„Na, Meister Sternsucher, wolltse auch was essen?“
„Nein Danke, Gwen, aber ein Bier und ein Tomatenschnaps, das wär Klasse.“
„Lange Nacht, woll?“, die Schankmaid schmunzelte und wackelte zum Tresen.
„Recht hat sie, mein Schädel ist breiter als der Arsch vom Wirt. Hahaha.“
„Und die Geschäfte laufen für dich, alter Kumpel?“
„Nun, man schlägt sich durch.“, nachdenklich strich sich der Halbling durch den drahtigen Bart. „Aber sag mal, hast du schon Pläne? Ich hätte da vielleicht die eine oder andere Idee.“
„Ich bin ganz Ohr.“, Elisander beugte sich zum kleineren Dedalos vor, und das Flüstern begann.

Als sie die Hafenkneipe verließen, stand die Sonne noch immer weit oben, kaum über den Zenit geschritten. Elisander hatte sich inzwischen etwas an den intensiven Fischgeruch gewöhnt, trotzdem rümpfte er die Nase, als ihn eine Böh von der See im Gesicht erwischte. Gemeinsam, schweigend, gingen sie in Richtung Süden den Kai entlang. Die Fischer und Seemänner vertäuten Schiffe, löschten Ladung oder huschten mit Werkzeugen und Materialien zwischen Pier, Werft und den Lagerhäusern hin und her. Der Wind von See frischte auf und Elisander zog seinen Mantel enger um den Körper.
Das Ende des Kais führte sie vom Meer weg, schmale Gassen folgend gelangten sie tief ins ärmere Südviertel der Stadt. Die Häuser waren verwittert, kleine An- und Aufbauten in abweichenden Farben keine Seltenheit. Schließlich hielten sie vor einem zweistöckigen Fachwerkhaus. Dedalos klopfte kräftig gegen die Tür.
„Heyho, Phileaos, mach‘ auf, ich bin wieder da und hab Besuch dabei.“
Es dauerte einen Augenblick, bis hinter der Tür Metall klapperte, Schlüssel kratzten und Riegel zur Seite wichen. Die Tür öffnete sich nach Innen und Elisander erkannte einen jungen Halbling, sogar noch etwas kleiner als Dedalos, mit roten Haaren und einer breiten Knollnase im Halbdunkel des Raums.
„Rein hier.“, der Gastgeber machte eine winkende Bewegung und sah an beiden Männern vorbei in die Gasse. Seine Stimme war erstaunlich tief für seine Größe. Nachdem sie den Raum betreten hatten, schloss er sofort Türe und Riegel.
„Wer ist der Lange?“
Elisander ließ den Blick durch den Raum gleiten. Ein kleiner, spartanisch eingerichteter Wohnraum mit nur zwei kleinen Öllampen als Lichtquellen und verrammelten Fenstern.
„Phileaos, darf ich dir meinen alten Freund Elisander Mandelbaum vorstellen? Elisander, dies hier ist Phileaos Brandbach, der beste Kletterer der Stadt.“
„Höchst erfreut Phileaos. Dedalos hat mir schon von euren Streifzügen erzählt.“
„Und was kannst Du, Langer?“
Elisander sah geringschätzig zu dem kleinen Rotschopf herab, und wand sich zur Tür zurück. Aus seinem Rucksack holte er einen schmalen Dietrich und griff nach einem der Vorhängeschlösser die die Riegel hielten.
„Ey, der macht das Schloss kaputt. Das war teuer.“
Doch noch bevor Phileaos an der Tür ankam, hatte Elisander den Dietrich eingefädelt, aufgebäumt und das Schloss aufgebracht. Ohne Kratzer.
„Bitte.“, mit einem Siegeslächeln auf den Lippen reichte er das geöffnete Schloss an den verblüften Halbling.
Phileaos betrachtete das Schloss ungläubig von allen Seiten.
„Wie… wie hast du…?“
„Ich bin Schlosser. Richtig, gelernter Schlosser. Wenn es abgeschlossen ist, krieg ich es auf, und in fast allen Fällen hinterlass ich nicht eine Spur.“
„In Ordnung, Meister Mandelbaum, jetzt bin ich offiziell beeindruckt.“
„Dedalos und ich haben im Osten einige sehr erfolgreiche Streifzüge durch diverse Städte gemacht, bevor sich unsere Wege trennten. Er hat mir erzählt, ihr habt hier in Silfing so eure Erfolge?“
„Nun, ich will ja nicht angeben, aber… wir haben in den letzten vier Monaten rund dreihundert Goldzinken aus den Häusern der Reichen rausgebracht. Das finde ich schon beeindruckend.“
Elisander musste schmunzeln. „Dreihundert. In vier Monaten. Niedlich.“, er wand sich zu Dedalos, der inzwischen an einem Tisch Platz genommen hatte und desinteressiert auf seinem Arm lag. „Hast deine Ansprüche runter geschraubt, wie?“
„Hey! Etwas mehr Respekt bitte.“, knurrte Phileaos ihn an.
„Wir haben in Gundfeld zuletzt etwa Dreihundert die Woche gemacht, also komm mir nicht mit deinen Erbsen.“
Dedalos mischte sich ein. „Naja, Eli,“, seine Stimme klang dumpf, er lag weiterhin auf seinem Arm. „du kannst Gundfeld und Rabenstein nicht mit Silfing vergleichen. Hier ist weniger Potential und die wirklich Reichen schotten sich hinter dicken Mauern und guten Schlössern ab.“
„Du meinst also, da kommt dir ein Schlosser mit kriminellen Tendenzen gerade recht?“
Dedalos breites Grinsen in der schrägen Haltung am Tisch wirkte verzerrt, geradezu diabolisch.
„Es gibt leider noch zwei oder drei Haken. Dafür haben wir aber auch das perfekte Ziel.“
„Haken also. Wenigstens ist es nicht zu einfach, das wäre ja schade.“
„Hier in Silfing ist die Gilde aktiv, du müsstest wieder Mitglied werden.“
Elisander und Phileaos setzten sich zu Dedalos an den Tisch.
„Das ist nicht dein Ernst? Hast du vergessen, dass ohne diese Volltrottel der Zug in Gundfeld ein Spaziergang gewesen wäre? Außerdem knöpfen die 15% ab!“
„Hier sind es zwanzig von hundert.“, Phileaos wirkte überrumpelt von der Diskussion.
Elisander warf die Arme empor. „Halsabschneider! Und dann noch ihre Regeln und Statuten! Wo das wieder hinführt…“
„Bleib mal auf dem Teppich.“, Dedalos hatte inzwischen seine Hände gefaltet und sein Kinn darauf gestützt. „Wir können es uns nicht leisten, gegen die Gilde zu agieren. Außerdem steht dem Ganzen ein saftiger Gewinn gegenüber.“
„Nicht auf die Folter spannen, was soll das für ein Job sein?“
„Es gibt nordöstlich von Silfing ein Herrenhaus. Der Besitzer hat eine kleine Sammlung magischer Artefakte. Darunter ist ein Kartenspiel, irgendwas mit Hellsichtsmagie, für das uns der Hehler der Gilde vierhundert Kronen geben wird. Wir haben das Objekt schon seit einigen Wochen im Auge, aber uns fehlt der Mann mit den richtigen Fähigkeiten.“
„Tadaa!“, Phileaos Geste mit zwei ausgestreckten Armen brachte Elisander zum Schmunzeln.
„Hast du Interesse für ein Drittel von dem was uns der Hehler zahlt diesen Auftrag zu übernehmen?“
„Uhm, nun, das ist nicht so einfach. Ich habe bereits so viele gute Angebote gekriegt. Und vierhundert Kronen durch drei geht ohnehin nicht auf…“
Phileaos bekam einen ungläubigen Gesichtsausdruck. Dedalos blieb gelassener:
„Komm mal wieder runter, Faulpelz. Wir wollen eine ernste Antwort.“
„In Ordnung. Ja, das Ganze klingt gut, aber ich wüsste trotzdem gerne mehr über euren Plan.“
„Dann folge mir nach oben, du wirst begeistert sein.“

Im Obergeschoss war man etwas freizügiger mit den Fenstern, Nachmittagslicht fiel herein und verlieh dem Raum eine fast romantische Stimmung. An den Wänden hingen diverse Utensilien, Seile und Dietriche, Steigeisen und Brechstangen, was immer das Einbrecherherz begehrt.
Die beiden Halblinge schoben Stühle an einen breiten Tisch, auf dem mehrere große Papiere, Karten und Kohlestifte verstreut lagen.
Phileaos begann die Papiere zu sortieren, sozusagen. Etwa die Hälfte landete auf dem Boden, ein gutes Drittel wurde zerknüllt und in die Ecke geworfen und nur eine erlesene Auswahl durfte auf einem kleinen Stapel Platz nehmen. Da die Arme des jungen Halblings viel zu kurz für den Tisch waren, kletterte er die halbe Zeit auf selbigem herum.
Dedalos kramte derweil in einem Fass voller gerollter Karten nach etwas und fluchte von Zeit zu Zeit.
Elisander besah sich das Schauspiel, schnappte sich einen der zerknitterten Papierballen und entfaltete ihn. Zu seiner Verwunderung hatte hier jemand eine miserable Zeichnung einer Frau mit riesigem Hinterteil verewigt. Die Keilschrift der Halblinge war ihm nur sehr oberflächlich bekannt, aber die Überschrift enthielt eindeutig das Wort „Schwein“. Er zögerte nicht das Papierstück in die von Phileaos vorgesehene Form zu bringen, und griff sich stattdessen eines der Blätter das für gut befunden worden war. Eine detailgetreue Zeichnung eines Wohnhauses, mit vielen Anmerkungen, einskizzierten Möbeln und mehr. Das Herrenhaus konnte es nicht sein, eindeutig zu klein.
„Das ist das Gesindehaus auf dem Gelände des Aristokraten.“, Phileaos sortierte noch immer, hatte aber Elisanders forschenden Blick bemerkt. „Erster Stock.“
„Wird aber vermutlich keine Hilfe sein, zu weit weg.“, Dedalos hatte gefunden was er gesucht hatte und kam zum Tisch gelaufen. „Bist du mal fertig?“
„Konnte ja keiner ahnen, dass es doch noch was wird mit heute Nacht.“
„Äh, stop. Wieso heute Nacht?“
Dedalos lehnte die Karte gegen den Tisch, während Phileaos die letzten Papiere ordnete. „Weißt du, die Sache mag noch zwei oder drei Haken haben.“
Elisander beschloss das Sitzen jetzt genau das Richtige war. Reden die so begonnen, konnten nur schlecht enden.
„Der Besitzer ist vor allem vormittags nie Daheim, wäre eine ideale Zeit für den Coup. Aber die Diebesgilde hat, wie du ja weißt, so ihre Vorschriften. Wir dürfen hier in Silfing nur zwischen Sonnenuntergang und Morgengrauen einbrechen, das gilt auch für Herrenhäuser die außerhalb der Stadt liegen. Leider.“
„Und als wär das nicht dämlich genug.“, Phileaos war nun fertig und wand sich auf Knien hockend zu Elisander. „Zahlt der Hehler nur, wenn wir bis in fünf Tagen liefern.“
„Aber dann haben wir doch noch vier Nächte?“
„Wenn das mal alles so einfach wäre. Wie gesagt, wir beobachten ihn schon länger. Die Gilde ist extrem streng mit dem erwischt werden, das können wir nicht riskieren. Heute Nacht ist er bei seiner allwöchentlichen Spielrunde hier im Freudenhaus am Hafen. Er geht vorher in einem Gasthof am Marktplatz etwas essen und spielt dann für etwa vier Stunden.“
„Heute, und nur heute, ist also der Abend an dem alles zusammenpasst. Er ist außer Haus, wir haben den Plan.“, dabei rollte Dedalos die Karte aus und fuhr theatralisch mit den Händen darüber. „Und wir haben dich.“
Elisander grübelte über die Situation nach. Die Vorschriften der Gilde waren ihm einmal mehr ein Dorn im Auge, das Vorhaben war gewagt und er musste auf den Plan vertrauen, den andere gemacht hatten. Über einhundert Goldkronen und mehr, je nach dem was sie noch aus dem Haus bringen würden, standen dem Gegenüber. Sehr überzeugend.
„In Ordnung, ihr habt mich. Wenn ihr jetzt noch einen Wein für mich habt, dürft ihr mir alles zu eurem phantastischen Plan erzählen.“

Dedalos brachte eine Flasche Rotwein, Phileaos begann die geordneten Zettel, Zeichnungen und Notizen um die große Karte zu drapieren. Elisander war von der Vorbereitung der kleinen Männer sehr beeindruckt, sie hatten viel Zeit investiert.
„Und hier in diesem Raum muss seine Sammlung sein, wir haben Vitrinen und Schaukästen erkennen können.“
„Die vergitterten Fenster wären zu aufwändig.“
„Der Balkon hier drüben ist sehr schwer zu erreichen.“
„Aber wir kennen große Teile des Grundrisses.“
„Flure.“
„Türen.“
„Zugänge.“
„Wenn wir durch diese Türe kommen, sollte alles andere leicht werden.“
„Da ist ein Türschloss. Und ein Innenriegel.“
„Türschlösser bekäm‘ ich alleine hin.“
„Den Riegel nicht!“
„Den Riegel nicht.“
„Dazu ist das Außentor natürlich abschlossen.“
„Wir könnten klettern, aber wenn du das auf bekommst…“
„Wär leichter.“
„Wär viel leichter.“
„Da drin sind dann wenig interessante Räume, außer der Sammlung.“
„Wir könnten natürlich in dem Arbeitszimmer hier nach Geld suchen.“
„Oder im Schlafraum da. Menschen packen alles in ihre Schlafzimmer.“
„Finden könnte man viel.“
„Egal, entscheidend ist dieses Kartenspiel.“
„Nur das.“
„Wenn das nicht in der Sammlung ist…“
„Dann haben wir ein Problem.“
„Da wird’s aber sein.“
„Sicher.“
Elisander fand die Diskussion der beiden Halbbrecher interessant anzuschauen. Vielleicht sollte er sie auch Eindringlinge nennen. Der Plan andererseits war ausgereift, auch wenn die beiden sich beim Erzählen halb überschlugen.
Sie gingen die Details, die Schritte und Fallstricke noch eine ganze Weile durch, bis sich die Sonne langsam dem Horizont näherte. Mit gepackten Sachen, so viel wie nötig, so wenig wie möglich, machten sie sich noch vor Dämmerung auf den Weg zum Markt. Der letzte Blick auf den Aristokraten sollte sicherstellen, dass er wirklich in der Stadt war, dann war sein Herrenhaus an der Reihe.

Zu Dritt liefen sie über den abendlichen Marktplatz, unauffällig schlugen sie den Weg so ein, dass sie unter den Fenstern des Gasthofs „Zum singenden Hai“ vorbeigingen.
„Ich muss mir den Schuh binden.“, unvermittelt blieb Dedalos stehen. Elisander schaute zum Markt, Phileaos ließ den Blick einmal durch den Innenraum gleiten, bevor er Dedalos einen kleinen Tritt gab.
„Sooo, alles fest und fertig.“
Nachdem sie sich einige Schritt entfernt und in eine einsame Gasse gestohlen hatten, tauschten die Halblinge flüsternd ihre Erkenntnisse aus.
„Und?“
„Er sitzt an seinem Stammplatz.“
„Perfekt.“
„Aber… er ist nicht alleine.“
„Wie meinst du das?“
„Wie ich es sage. Eine Frau sitzt bei ihm.“
„Vielleicht hat er sich eine Dirne genommen.“
„Ich glaube nicht. Sie sieht wohlhabend aus, und alt. Bestimmt vierzig oder fünfzig Jahre.“
„Gibt auch alte Dirnen.“
„Gibt es. Ich glaube dennoch, dass es eine Stadtratsfrau oder Aristokratin ist.“
Elisander meldete sich leise hinzu. „Ist doch umso besser, oder nicht? Wenn er Politik oder Geschäfte bespricht, wird er wohl länger unter hier bleiben als üblich?“
„Nun.“
„Vielleicht ja.“
„Wir haben bisher keine solche Beisammenkunft dokumentiert.“
„Und es wäre sicherer, wenn wir wüssten worauf wir uns einlassen.“
„Hoffen wir das Beste?“
„Hoffen wir das Beste.“

Der Marsch bis zum Anwesen des Aristokraten kostete die das Gespann fast zwei Stunden. Das Herrenhaus lag an einem Waldstück, eingerahmt von einem stabilen Metallzaun. Inzwischen hatte sich die Nacht über das Land gelegt, der Himmel hing düster und wolkenschwer über den Gebäuden. Das Gesindehaus war beleuchtet, aus mehreren Räumen schien schwaches Licht und vor dem Haus hing eine entzündete Öllampe. Keine Kerze, keine Lampe brannte im Haupthaus, vor dem Eingang hing eine einsame Funzel.
Elisander beeindruckte sowohl die Planung seiner Kumpanen, denn die Zeichnungen und Karten waren überaus korrekt gewesen, als auch das Gebäude selbst. Der Bau war aus dunklen Hölzern und schwarzen Steinen errichtet, offenbar von weit entfernten Orten hierher gebracht. Die Ornamente waren in dem fahlen Licht nur sehr schlecht zu erkennen, Elisander vermeinte hier jedoch aufwändige Schnitzereien zu sehen. Dedalos wies Elisander und Phileaos an, ab hier zu schweigen und auf Handzeichen zu beschränken.
Das Schloss am Haupttor war ein Kinderspiel für Elisander. Hinter sich schlossen sie das Tor sofort wieder und hielten sich dicht am Zaun, das Gesindehaus stets im Auge. Sie machten einen weiten Bogen, damit kein zufälliger Blick sie treffen würde, gingen sehr langsam und achteten auf jeden Schritt. Nach einer kleinen Ewigkeit gelangten sie auf die abgekehrte Seite des Herrenhauses, sicher vor den Augen der Bediensteten.
Wortlos schlichen sie zur rückseitigen Türe. Elisander bedeutete Dedalos in die eine und Phileaos in die andere Richtung Wache zu halten, während er sich an den Schlössern zu schaffen machte. Ein kleines magisches Handlicht hatte er um sein Handgelenk gebunden, damit er im Dunkel der Nacht überhaupt arbeiten konnte. Das Türschloss war eine Kleinigkeit. Fünf Sekunden, höchstens. Das leise Klicken des Mechanismus zauberte ein Lächeln auf Elisanders Lippen. Der Riegel war komplexer. Er musste ein großes Gewicht bewegen, ein gewöhnlicher Dietrich konnte da nicht gegenhalten. Es benutzte mehrere sehr schlanke Stahlstäbe um das Schloss in die richtige Position zu bringen, und musste diese anschließend mit Kraft und Gefühl zugleich bewegen. Die Chance, dass ein Stab verrutschte war hoch und Elisander brauchte mehrere Versuche bis er endlich den Riegel bewegte. Zufrieden wollte er die Türklinge herunterdrücken. Sie gab nicht nach.
„Ksss“
Dedalos und Phileaos kamen zu ihm. Elisander überlegte wie er das Problem mit Handzeichen schildern konnte, aber ihm kam einfach keine Idee.
„Magisch.“, er flüsterte. Vermutlich war ohnehin niemand in der Nähe der sie hören konnte. Lieber kein Risiko eingehen. Ob die Sicherung magisch war oder nicht, war bisher nur eine Vermutung.
,Verdummte Schweinekacke.‘, Dedalos Mimik und Mundbewegung ließen keinen Zweifel an dem Inhalt seiner Worte zu, auch wenn er sie nicht aussprach.
„Kannst du trotzdem rein?“, Phileaos hatte noch Hoffnung.
„Nicht hier.“, Elisander deutete zum nächsten Fenster und zuckte mit den Schultern.
Kurz blickten die Halblinge sich an, bevor sie Elisander zunickten. So schnell war ihr Plan hinüber. Zumindest wussten sie, was dahinter lag: Die Küche.
Elisander beäugte das Fenster und fluchte in sich hinein, dass sie keinen Plan B oder besser C und D gemacht hatten. Zu ihrem Glück hatte er nicht an Werkzeug gespart, auch wenn ihm jetzt eine große robuste Brechstange fehlte. Er musterte den Fenstermechanismus. Aufhebeln wäre tatsächlich am Leichtesten geworden, aber es würde auch so gehen. Er bedeutete den Halblingen ihm eine Räuberleiter zu machen, zu zweit sollten sie das schaffen können. Oben auf dem Fenstersims angelangt, begann er sich seine Drähte zurecht zu biegen und durch die schmalen Ritzen zu den Schließbolzen vorzuarbeiten.
Minuten vergingen, Elisander blieb hochkonzentriert und öffnete nacheinander die drei Sicherungen. Endlich konnte er den Fensterflügel öffnen. Er stieg vorsichtig in den Raum, das schwache Licht an seiner Hand nutzend um keine Töpfe oder dergleichen umzustoßen. Einen Augenblick hielt er inne und lauschte – das Haus lag Still, er hörte nur seinen Herzschlag. Er drehte sich um und zog die Halblinge empor. Sie waren endlich drin.

Mithilfe des kleinen Lichtes an Elisanders Hand konnten sie zwar zur Türe der Küche. Ab hier jedoch war es zu gefährlich, der Schein könnte vom Gesindehaus gesehen werden.
„Was für ein Aristokrat lässt seine Türen magisch schützen?“, Phileaos gepresste Stimme zerschnitt die Stille. Er erschrak selbst ein wenig, obwohl er so leise flüsterte wie es ging.
„Euer Aristokrat ist niemals ein einfacher Handelsherr oder Adliger.“, inzwischen warf der Halbelf einen Blick auf die Türe, diesmal von der Innenseite. „Der Mann muss selbst Magier sein, dass ist die einzig vernünftige Erklärung. Vermutlich hat er auch nicht wegen uns, sondern wegen seiner Angestellten den Eingang verzaubert.“
Vorsichtig schlichen sie den Flur in Richtung der Treppe entlang.
„Warum hat er die Fenster nicht geschützt?“
„Hat er.“, Dedalos und Phileaos starrten Elisander verwirrt an. Im Dunkeln erklommen sie derweil Stufe um Stufe, kaum mehr als Umrisse erkennend.
„Das Fenster hätten wir nicht zerbrechen oder einwerfen können. Davor war es geschützt. Da es aber nur von Innen zu öffnen ist, hat er nicht auch das Schloss gesichert. Daher vermute ich, dass er keine Angst vor echten Einbrechern wie uns hatte.“
Der Blick auf die Rückseite der Türe hatte im Dunkeln nur wenig zu Tage gefördert. Nur so viel: Es gab keine dritte mechanische Sicherung. Der Teil mit den Fenstern wiederum war geraten. Es ergab Sinn, aber ohne ausgiebige Untersuchung war es Spekulation.
Sie kamen im ersten Stock an, das Studium der Gebäudepläne, und waren sie auch nur durch Beobachtung von außen entstanden, hatte wirklich etwas gebracht. Ohne Schwierigkeiten befanden sie sich kurz darauf vor der Türe zum Schauraum. Eine geschickte Drehung des Dietrichs, und Elisander konnte die Halblinge in den Raum bitten.

Der Raum lag auf der sicheren Seite des Hauses, so dass er sein Handgelenklicht erneut einschaltete und das Zimmer in ein dumpfes gelbliches Licht tauchte. Vitrinen und Schaukästen auf kleinen, eleganten Teppichen zierten das Zimmer. Als letzter schloss Phileaos die Türe hinter sich. Die drei Einbrecher verteilten sich und blickten in die Kästen und Fächer.
Elisander wurde sich immer sicherer, dass sie in die Villa eines Magiers eingestiegen waren. Da lagen eine alte Schriftrolle, eine leuchtendes Paar Handschuhe und eine Art schwebende Marmorkugel. Die Verschlüsse wirkten einfach, aber Elisander mutmaßte, auch hier war Magie im Spiel.
„Hier drüben.“, Dedalos war erfolgreich.
Das Kartenspiel lag auf einem kleinen Seidenkissen. Es wirkte unscheinbar, beinahe gewöhnlich, aber hier in diesem Raum, in diesem Haus gab es keinen Zweifel. Sie hatten das Artefakt gefunden.
„Kriegst du das Schloss auf?“
„Ich würde erwarten, dass auch hier eine magische Sicherung eingebracht wurde. Ich würde vorschlagen, die montieren hier diese Beine ab, und nehmen den ganzen Kasten mit. Soll die Gilde schauen, wie sie das Ding da heraus bekommt.“
„Ist bisschen sperrig, oder?“, Phileaos legte den Kopf schief und verzog die Lippe. „Und außerdem, was ist mit dem Rest hier?“
„Du kannst gerne dein Glück mit den Schlössern versuchen. Ich für meinen Teil würde lieber schnell hier raus und aus der Reichweite dieses Magiers kommen.“
Dedalos nickte. „Ja, du hast Recht. Gehen wir auf Nummer sicher und hauen ab, solange uns der Kerl noch nicht verflucht hat.“
„Ich glaube du verwechselst Hexen und Magier.“, Phileaos gab Dedalos einen freundschaftlichen Hieb auf die Schulter und grinste. Der fand das jedoch nicht witzig.
„Ich glaube du verkennst die Situation. Das kann ganz schnell, ganz ernst werden. Schrauben wir das Ding runter!“
Elisander machte sich an den Schrauben zu schaffen und nahm den kleinen Tisch auseinander.

Der Schaukasten alleine war zwar unhandlich, aber nicht besonders schwer. Selbst die Halblinge hätten ihn tragen können, aber es wäre eine Mühe für das kleine Volk. Elisander klemmte sich den Kasten gerade in die Achsel, da hob Dedalos den Arm.
„Shh!“
Alle hielten den Atem an. Die Ohren gespitzt. Sie lauschten. Hatte Dedalos etwas… Ein Scheppern! Unten war jemand in das Haus gekommen.
„Schweinekacke. Was machen wir jetzt?“, Phileaos flüsterte zwar, trotzdem schauten Dedalos und Elisander erbost zu ihm. Sie wechselten auf Handzeichen, keine leichte Übung für einen Halbelf mit einem zehn Pfund schweren Kasten unter dem Arm, daher beobachtete er das Gespräch seiner Komplizen.
Hier bleiben.
Person geht vorbei vielleicht.
Wenn nicht?
Kein Grund hier.
Fenster unten?
Fenster offen?
Vielleicht.
Wild fuchtelte Dedalos mit den Armen, Handzeichen waren da keine zu erkennen, aber die Botschaft konnte mit „Du unglaublicher Vollidiot, warum hast du das Fenster nicht hinter dir geschlossen!“ zusammengefasst werden.
Elisander versuchte sich die Szene, die sich vor wenigen Minuten ereignet hatte, zurück ins Gedächtnis zu rufen. Phileaos hatte zuletzt auf dem Fenstersims gestanden, nachdem Dedalos bereits im Raum war. Einen Blick auf die Taten des Halblings hatte Elisander danach nichtmehr geworfen, er war zur Küchentüre geschlichen und raus. Warum hatte er nur einem solchen Grünschnabel vertraut.
Sie lauschten wieder nach den Geräuschen von unten. Es war, trotz guter Ohren, nicht genau auszumachen wohin sich die Person bewegte oder was sie genau tat. Immerhin waren sie sich sicher, dass es nur eine, vermutlich menschengroße Person war.
Elisander wog verschiedene Optionen ab. Rennen wäre nur eine gute Idee, wenn sie mit einer freien Bahn rechnen konnten. Bleiben wäre gefährlich, wenn man ihrer Anwesenheit gewahr würde. Wegschleichen könnte bedeuten, dass man dem Hausherrn in die Arme lief. Die Fenster hier waren mit Gittern gesichert, zum Balkon müssten sie auf die andere Seite und dort waren ebenfalls verschlossene Fenster. Sie hatten ein Seil dabei, könnten also vom Balkon herunter gelangen. Natürlich war hier die Chance gesehen zu werden größer, dennoch schien es Elisander die beste Möglichkeit. Vorsichtig stellte er den Glaskasten ab und bedeutete den beiden Kumpanen die Idee.

Dedalos öffnete die Türe und spähte in den Flur. Von unten schien Licht herauf, die Geräusche waren weit weg. Alle hielten den Atem und horchten einige Sekunden. Sanft wie man mit rohen Spatzeneiern umgehen würde, schlich Dedalos hinüber zur rettenden Seite des Gangs. Die Türe hier würde sie in das Lesezimmer bringen, an das sich der Balkon anschloss. In Zeitlupe betätigte er die Klinke, und drehte grinsend den Kopf zurück, als die Türe den Weg freigab. Hinter ihm kam nun Elisander, zuletzt Phileaos der die Türe zum Schauraum schloss.
Das Lesezimmer, Herrenzimmer, oder wie immer man es nennen wollte, war fürstlich eingerichtet. Auf dem Boden das Fell und der Schädel einer großen, gestreiften Raubkatze, ein Lehnstuhl aus schwarzem Leder, Mengen von Büchern und dazwischen Gemälde in teuren Rahmen. Besonders ins Auge stach ein seltsamer Kasten auf einem kleinen Beistelltisch, der an eine Kreuzung zwischen Spieluhr und Abakus erinnerte. Vermutlich war dieses Gerät ein kleines Vermögen wert, aber sie konnten froh sein, wenn sie es mit dem Kartenspiel heil hier raus schaffen würden.
Phileaos wurde langsam zuverlässig und schloss auch diesmal die Türe. Vom Fenster aus spähte Elisander erst in die Nacht, sah aber nichts auffälliges, bevor er den Kasten abstellte und sich sehr langsam die Schlösser besah. Dedalos lauschte, während Phileaos unsicher den Raum durchmaß.
„Knrrrz“
Eine Diele hatte, trotz des geringen Gewichts, unter Phileaos Fuß hörbar geknarzt. Erneut hielt jeder im Raum den Atem an. Hatte der Hausherr etwas gehört? Sie verharrten lange unbewegt, aber es waren keine aufgeregten Schritte oder andere Reaktionen zu hören. Möglicherweise lauschte nun auch der Mensch ebenso unsicher wie die drei.
Elisander beschloss, dass es einfacher war das Fenster zu öffnen, und machte sich an dessen Verschluss zu schaffen. Hier gab es kein Schloss, nichts das er erst knacken musste, und die Wahrscheinlichkeit, dass magische Sicherungen vorlagen war gering. Lediglich die Tatsache, dass er jegliche Geräusche zu verhindern suchte, machte die Aufgabe zu einer Anstrengung.
Als er das Fenster endlich öffnete, blies ihm eine frische Brise entgegen. Gerade soweit, dass jeder hindurch kommen würde, öffnete er das Fenster und ließ Dedalos vorbei. Er gab ihm erst den Kasten an, bevor er selbst hinausstieg. Der Wind fegte straff über den Balkon und Elisander wurde sofort eiskalt. Es war ihm bisher nicht aufgefallen, aber die Aufregung der letzten Momente hatte Schweiß ausbrechen lassen. Er musste sich ducken, von dem Gesindehaus hatte man einen guten Blick hierher, sie waren noch lange nicht außer Gefahr.
Phileaos kletterte als letzter nach draußen und schloss behutsam das Fenster. Während Dedalos über die Brüstung sah, damit sie nicht von Dienern überrascht werden würden, Banden der Halbelf und der rothaarige Halbling ein Seil um ihn, ein anderes um den Schaukasten. Während sie Knoten knüpften sah Elisander, dass Phileaos zitterte. Ihm war wohl ebenfalls der Angstschweiß ausgebrochen. Die kleinen, zierlichen Kinderhände hatten große Mühe die groben Seile richtig zu packen. Er war zweifellos überfordert.

In einem kleinen Kreis um den Kasten hockend, berieten sie. Dedalos deutete zum Gesindehaus.
Dreimal Licht.
Ich lasse dich herunter. Dann Kasten. – Elisander würde keine Probleme haben den Halbling zu halten.
Nein. Gleichzeitig. Du mich, Phileaos Kasten. – Das war besser, so konnte Dedalos verhindern, dass der Kasten Geräusche verursachte.
Dann Phileaos, dann ich. Alle zum Zaun. Keine Pause sobald alle unten sind.
Alle nickten, der Plan stand. Dedalos schwang sich auf die Brüstung, nahm den Kasten und zu zweit ließen sie ihn nach unten gleiten. Sofort nachdem er sich losgemacht hatte, stand Phileaos bereit und Elisander half ihm herunter. Dedalos löste bereits das Seil vom Kasten und sein Kumpan war auf halbem Weg.
„HEY!“
Vor Schreck ließ Elisander los. Die Ereignisse überschlugen sich. Phileaos stürzte. Nur zwei Schritt, trotzdem schmerzhaft auf Dedalos. Etwas knackte. Ein Schmerzensschrei. Elisander blickte zum Rufenden. In einem Fenster beim Gesindehaus stand eine Person. Er sah nur eine Silhouette, könnte jeder sein.
„Hey, da sind Einbrecher! Auf Meisters Balkon!“
Elisander dachte nicht lang nach. Nach dem Seil das für ihn bereit hing greifend, schwang er sich hastig über das Geländer. Der Schwung war zu viel, das Seil schwang zu stark und er rutschte. Erst hielt er noch das Seil, die Hand verbrennend. Zu früh verließ ihn jedoch die Kraft im Handgelenk und er fiel ebenfalls.
Der Aufprall war hart, zum Glück für die Halblinge war der fast doppelt so große Halbelf einen Schritt entfernt gelandet. Dedalos versuchte Phileaos aufzuhelfen, Elisander schüttelte betäubt den Kopf.
„Ruft den Meister, los schnappt sie!“ – „Meister Zargon, Meister Zargon! Einbrecher!“
Mehr als eine Stimme. Elisander sah zu den Halblingen, während er sich mühsam aufraffte. Sein Bein schmerzte, sein Steiß ebenfalls. Dedalos haschte gerade nach dem Kasten, offenbar hatte er Phileaos aufgegeben. Dieser hockte nur da und wimmerte. Sein Fuß sah unnatürlich verdreht aus.
„Pech für dich.“, stöhnend kam Elisander auf die Beine. Den Blick kurz über die Schulter werfend, kamen zwei Personen in sein Blickfeld. Der direkte Weg zum Tor würde ihn in ihre Arme treiben, daher entschied er sich für den Weg, den auch Dedalos eingeschlagen hatte. Direkt zum Zaun. Vielleicht hatte er in der Halbkreisbewegung mehr Glück.
„Hey, lass mich nicht allein.“, Phileaos schluchzte kindlich. Vermutlich war er eine gute Ablenkung.
Elisander nahm die Beine in die Hand, so schnell es unter den Schmerzen eben ging, rannte geradewegs auf den Zaun zu. Keine Chance hier durchzukommen, aber es war dunkel, und seine Verfolger hatten keine Lampen dabei. Hoffte er.

Schreie. Rufe. Hinter ihm war einiges los. Als er „Meister, da laufen sie!“ hörte, drehte sich Elisander kurz um. Seine Verfolger waren bei dem verletzten Phileaos angekommen, ein Mann war aus dem Haus getreten.
Elisander war noch nicht ganz beim Zaun, er konnte aber Dedalos erkennen, der sich durch das Gitter zu drücken versuchte. Wenn er stecken blieb, würde auch ihm auch das etwas Zeit erkaufen. Der Schaukasten war bereits auf der anderen Seite angekommen. Ob er ihn wohl rüber geworfen hatte? Er beschloss jetzt den Haken zu schlagen und Fersengeld in Richtung des Tores zu geben. Die Beute würde er wohl abschreiben müssen, aber wenigstens kam er heil raus.
„COPAKSONE!“
Wie ein Donner erklang die Stimme des Magiers und zerschlug die Ruhe der Nacht. Er hörte ein Zischen, ein dumpfes Knarzen wie von sich biegendem Metall und sofort einen Schmerzensschrei. Wieder warf er einen Blick zurück. Dedalos hing noch immer im Zaun, die Zaunpfähle hatten sich aber um ihn geschlossen, einer lebenden Hand gleich die nach seinem Komplizen griff. Offenbar war der Griff sehr fest.
Keine Zeit zu verlieren. Elisander verstand nichts von Magie, und er wollte auch nichts Neues herausfinden. Seine Hoffnung war, dass der Magier sich aufladen oder erholen musste.
„MUTAMENTO!“
Mist. Ein Zischen, es kam von Hinten, näherte sich. Aus dem Augenwinkel sah er, wie eine Art grau-gründer Funkenvogel an ihm vorbei gegen den Zaun prallte und verging. Bewegliche Ziele sind schwerer zu treffen. Keine Risiken, Elisander fing an Haken zu schlagen, die letzten Meter musste er schaffen.
„Mutamento!“
Furchteinflößend klang die Stimme noch immer, aber sie war weiter weg. Elisander überlegte, ob er dem magischen Geschoß besser ausweichen können würde, wenn er es sah. Er drehte sich um.
Zu spät. Der Funkenschlag traf. Die Welt drehte sich, Elisander wurde übel und ein Schmerz durchfuhr ihn, als würde sein Körper zerquetscht. Schwarz.

Als er die Augen wieder öffnete lag er auf dem Boden. Er versuchte aufzustehen, doch das Gleichgewicht wollte nicht halten, obwohl er keinen halben Schritt empor gekommen war. Er fiel und fing seinen Sturz mit den Händen ab. Hände? Da waren Pfoten wo noch vor Augenblicken seine Hände gewesen waren. Sein ganzer Körper war voller Fell, hinter ihm lag seine Kleidung, sein Werkzeug. Der Mistkerl hatte ihn in ein kleines Pelztier verwandelt.
Der Mistkerl? Wo waren die Typen? Er sah zum Haus und musste feststellen, dass ein ziemlich kräftiger Diener ihn mit den Augen fixiert hatte. Im ersten Moment wollte Elisander weiter zum Tor rennen, doch dann besann er sich – er war jetzt winzig. In Sekunden hatte er die Schritte bis zum Zaun überwunden.
„Der Typ haut ab! Meister, ich krieg ihn nicht!“
Musik in Elisanders winzigen Fellohren. Als er auf der anderen Seite war, sah er sich siegessicher um. Der Mann lief schon wieder zurück, der Magier ging zum gefangenen Dedalos, während der andere Diener Phileaos festhielt.
„Ich mach dir eine Öffnung, los hohl das Vieh. Gaarasuna!“
Elisander verfluchte den Magier. Die eisernen Zaunpfähle bogen sich, gaben ein großes Loch frei auf das der Diener nun zu rannte. Ohne zu zögern trugen nun winzige Tierbeinchen den ehemaligen Halbelf fort, Weg von dem Anwesen und auf das Waldstück zu. Er wähnte sich einen guten Kletterer mit den kleinen Krallen und dem niedrigen Gewicht, auch spürte er deutlich mehr Kraft als vorher. Wenn er einen Baum erreichen und in die Krone fliehen konnte, wäre er den Diener wahrscheinlich los.
„Keine Sorge, bis dahin kommst du nicht.“
Ein Blick nach hinten genügte, der kräftige Mensch hat Recht. Dann sah Elisander eine Bewegung. Wenige Schritt entfernt war ein kleines Pelztier. Ein Wiesel? Elisander überlegte nicht lange, hoffte, dass das Tier ihm ähnlich sah. Er stürzt sich auf das Pelztier und rollte über den Boden.
„Was?“
Kein Zögern. Er rannte von dem Tier weg in Richtung Wald, versuchte wie ein unschuldiges Fellknäul auf der Flucht zu wirken. Fiel ihm nicht schwer. Das andere Tier schien es ihm gleich zu tun, nur in einem anderen Winkel. Perfekt.
„So eine verfluchte… welches… verdammt…“
Er zögerte, offenbar sah Elisander jetzt aus wie dieses Wieseltier, wahrscheinlich half auch die Lichtsituation. Auf jeden Fall zögerte er zu lang und Elisander entkam bis zum ersten Baum. Er warf einen Blick herüber zu seinem Artgenossen. Dieser kletterte nicht auf einen Baum, lief tiefer in den Wald. Also weiter, erstmal weiter.
Der Diener blieb am Waldrand stehen und fluchte. Die Flüche und Verwünschungen wurden leiser, während Elisander tiefer und tiefer in den Wald vordrang.

Es war dunkel, er war müde, Rufe waren nicht mehr zu hören. Er hatte keine anderen Tiere gesehen und ein kurzes Tasten mit seiner Pfote verriet ihm, dass er eher Jäger als Gejagter im Tierreich war. Dennoch kam er nicht umhin einen Schlafplatz lieber oben in einem Baum vorzuziehen. Von Wieseln wusste er nichts, vielleicht wäre ein Erdloch eigentlich der richtige Schlafplatz, aber ohne Bibliothek in der Nähe würde er diese Frage wohl kaum klären können. Er kletterte also auf den nächstbesten Baum, was ihm schwerer fiel als er vermutet hatte, und rollte sich auf einem breiten Ast zusammen. Immerhin hielt ihn sein Fell warm, und so glitt er bald in Morpheus Reich hinweg.

Die kleinen Wieselaugen am nächsten Morgen zu öffnen, war keine leichte Übung für Elisander. Nicht nur, dass es bedeutete sich einzugestehen, dass man den Coup vermasselt hatte, sondern schlimmer noch, dass er in ein Nagetier verwandelt worden und auf einen Baum geklettert war. Als er sich endlich aufgerafft hatte und den Baum hinab sah, schwindelte ihm augenblicklich. So hoch hatte er nicht klettern wollen.
Vorsichtig kletterte er hinab, Pfote um Pfote dem Boden entgegen. Unten angekommen blickte er sich um und merkte, dass er keinen blassen Schimmer hatte, wo er eigentlich war. Außerdem hatte er ewig nichts gegessen. Und er wusste nicht einmal, was ihm nun schmecken würde. Mäuse? Schlangen? Xelor bewahre ihn, Insekten?
Diese Gedanken halfen nichts, er musste einen Weg finden, von dem Zauber erlöst zu werden. Eine Person finden, die ihm helfen würde, ihn vielleicht zu einem Heiler oder Tempel bringen könnte.
Er ging los und versuchte sich dabei in Richtung Silfing zu halten. Als er endlich aus dem Wald herauskam, stand die Sonne bereits recht weit oben. Mittagszeit. Am Horizont versammelten sich Wolken. Vor ihm lag ein weites Feld und dann eine breite Straße. Seine Orientierung war weiterhin ungenau, aber er vermutete die Straße von Balsephon nach Silfing vor sich zu haben. Auf der anderen Seite lag ein weiteres Waldstück, das sich weiter in Richtung der Stadt schlängelte. Er beobachtete die Straße eine Weile und entschied sich dann, die Überquerung zu riskieren. Zwar waren immer wieder Wagen, Pferde und Wanderer unterwegs, aber seine Hoffnung hier jemanden mit genug Zeit und Tierliebe zu finden war klein. Er würde in den Vororten von Silfing wahrscheinlich mehr Glück haben, dort gab es sicher auch Wildhüter. Er passte einen Moment ab, in dem die Straße frei war und stürmte zum nächsten Waldstück.

Sein Hunger wurde immer schlimmer, er brauchte etwas zwischen die Zähne. Wahrscheinlich sollte er jagen, aber was und wie? Erleichtert sah er einen wilden Beerenstrauch. Ob sein kleiner, neuer Magen die kleinen Brombeeren vertragen würde, war ihm egal, essbar war essbar, im Zweifel auch für ein Wiesel. Behände hangelte er sich zwischen den schmalen Ästen hin und her und verschlang soviele Beeren wie in seine kleinen Pfoten fielen. Das dichte Fell war erstaunlich nützlich, die Dornen des Busches störten ihn kaum bei seinem Gelage. Irgendwann ging einfach keine weitere Beere in den kleinen Pelzbauch hinein und Elisander bemerkte eine aufkommende Müdigkeit. Er rollte sich unter dem dichten Strauch zusammen für einen Mittagsschlaf.

Auf seinen Kopf trommelten Regentropfen und holten ihn aus dem Schlaf. Aus der Ferne klang Donnergrollen zu ihm, näherkommend, bedrohlich. Vorsichtig schob er den Kopf zwischen den Blättern durch und spähte in den Wald. Offenbar diente sein Schlafplatz gerade als hervorragender Regenschirm. Die Bäume gaben Raum für genug Regen um den Boden überall aufzuweichen, zu verschlammen und die Erde in saftigen Matsch zu verwandeln. Eine Erinnerung strich durch Elisanders Kopf, wie er als Kind mit einem Nachbarsjungen im Schlamm gespielt und getanzt, den warmen Regen genossen hatte. Der heutige Tag war zwar warm gewesen, aber das Regenwasser war bitterkalt. Elisander beschloss das Gewitter abzuwarten und die Aussicht auf die vom Wind gepeitschten Baumkronen und die vorbeieilenden Regentropfen zu genießen.
Das Gewitter kam schnell und verschwand noch schneller. Als wäre dort oben nie eine Wolke gewesen schälte sich plötzlich die Sonne durch das Blätterdach. Elisander sah nach dem Stand der Sonne und entschied das der Mittag etwa drei oder vier Stunden her gewesen sein musste.
Er nahm noch einige Brombeeren zu sich, leider hatte er keinen Beutel für Proviant, dann machte er sich auf den Weg. Da ihm ein Gefühl dafür fehlte, wie weit Silfing noch entfernt war, und er für den Anfang ganz gut im Wald zurechtkam, ließ er sich Zeit.

Sssss – Pock!
Elisander fuhr herum, irritiert. Blick links, rechts, nichts. Oben? Da steckte ein Pfeil nur eine Handbreit über seinem Kopf in einem Baum.
„Du hast ihn verfehlt, der entkommt uns doch jetzt!“
Woher kam die Stimme? Da vorne, ziemlich weit weg für kleine Pfoten, guckten zwei Köpfe hinter einem Gebüsch hervor. Menschen.
„Schau, der blickt uns an. Der läuft garnicht.“
Ob er den Beiden begreiflich machen konnte, dass er kein Wiesel war? Zwar trat langsam eine Gewöhnung an seinen neuen Körper ein, trotzdem wäre er lieber wieder ein Halbelf.
„Schieß nochmal, der ist ‘ne Zielscheibe!“
Der linke Mensch zog einen Pfeil aus einem Köcher und legte an. Von wegen zurückverwandeln, die wollten ihn Grillen! Panisch lief Elisander los.
Sssss – Ping!
Knapp vor ihm prallte ein Pfeil gegen einen Stein. Vor Schreck bremste er komplett, fiel halb nach hinten und drehte um bevor er wieder losrannte. Sein kleines Herz pochte wie wild.
„Hehe, das ist lustig, schieß nochmal, das Vieh kriegste noch!“
Das Vieh wollte nur weg, außer Reichweite von dem verfluchten Bogen und den verrückten Jägern. Was wollen die überhaupt –
Sssss – Krsch
Der Pfeil ging um Haaresbreite daneben, steckte in Boden. Elisander rannte und rannte, hielt nichtmehr an. Offenbar hatte er sie gute Schußbahn schnell verlassen, er hörte keine Pfeile mehr und auch die Stimmen der Menschen wurden leiser. Trotzdem konnte er nicht anhalten. Nicht hier, nicht jetzt. Er rannte ohne zu wissen wohin, nur Weg von den Jägern die auf ein solch kleines Tier schossen.
Erst als er keine Stimmen mehr hörte und zuversichtlich sein konnte, dass sie ihn nicht verfolgten, machte er eine Verschnaufpause. Er orientierte sich, so gut es denn ging, und mutmaßte, dass er in die entgegengesetzte Richtung gelaufen war. Er schlug einen Bogen und versuchte sich Silfing zuzuwenden, ohne in die Nähe der Menschen zu laufen.

Gerade als sein Herzschlag sich wieder vollständig beruhigt hatte, sah er den nächsten Zweibeiner. Ein großer, muskulöser Halbork saß auf dem Boden, mitten im Wald und ruhte sich offenbar aus. Vorsichtig kam Elisander ihm näher, beäugte den Hünen misstrauisch. Waffen hatte er keine, seine Kleidung war zerschlissen und einfach. Sein Gesicht war breit und von einem struppigen Bart gerahmt, ein Ohr war offenbar einem Kampf zum Opfer gefallen. Sicherheitshalber ließ Elisander einen guten Abstand zwischen sich und dem Ork, für den Fall, dass er auch aggressiv würde. Da bemerkte ihn der breite Geselle und lächelte versöhnlich.
„K’k’k’, na komm her kleiner Kerl, ich tu dir nichts.“
Der Halbork machte eine Geste, die das tierische Ich von Elisander sehr ansprach. Beinahe wie eine Beschwörungsformel. Das halbelfische Ich widerstand jedoch. Der Riese ließ sich auf die Knie nieder und sprach:
„K’k’k’, wirklich, ich bin harmlos.“
Wieder spürte Elisander einen übernatürlichen Zug an seiner Seele. Er wollte dem Halbork vertrauen. War das ein Trick, war der Landstreicher ein Magier, wollte ihm sein Genick brechen? Ohne es so richtig zu wollen schritt er Pfote um Pfote näher heran. Zwei Schritt entfernt konnte er sich beherrschen, hielt inne. Ihm entfuhr ein kurzes Quietschen.
„Tja, ich kann ja verstehen dass du mir nicht vertraust. Seh’ ja doch eher gefährlich aus.“
Der Ork sah von ihm weg, seine Augen wanderten verloren in die Ferne. Das Gefühl zu ihm gehen zu müssen war vergangen, trotzdem hatte Elisander das Gefühl der Kerl würde ihm nichts tun. Er ging die letzten Schritte und stupste gegen die massive Pranke des Halborks.

„…und weil ich merkte, dass Du kein Geld hast und ich Sorgen hatte, dass Du falsch reagierst wenn ich mich offenbare, habe ich abgewartet. Ich hoffte, wir kämen in die Nähe von jemandem, der die Möglichkeit hat meine Befreiung zu veranlassen, und tatsächlich hast Du in Veyd so jemanden für mich gefunden.“
Die Drei bogen gerade auf die Kaistraße ab. Veyd harkte nach:
„Der Magier hat dich also nur deswegen bestraft, weil ihm dein Schloss nicht gefallen hat?“
„So war es, leider.“, Elisander schüttelte theatralisch den Kopf, „Vielleicht wollte er auch einfach nicht zahlen.“
„Und warum bist du nicht direkt in die Stadt gelaufen und hast irgendwen beliebiges Angesprochen? Die Meisten hätten dir geholfen.“, Veyd klopfte dem kleineren Halbelf aufmunternd auf die Schulter.
„Sie hätten ihm das Fell abgezogen.“, erschrocken blickten Elisander und Veyd den sonst so schweigsamen Halbork an. „Er war ein Nerz. Nerzfell ist sehr wertvoll.“
„Ja genau. Ich wurde sogar von Jägern verfolgt, die wollten mir ans Leder.“
„Fell…“, Rafael grinste breit.
„Ja, Fell, wie auch immer. Jedenfalls war ich heilfroh, als ich diesem Wieselflüsterer über den Weg lief.“, Elisander klopfte kameradschaftlich auf die Schulter des Halborks. „Heidewitzka, Du hast Muskeln. Zwischen euch beiden fühlt man sich noch winziger als ohnehin schon.“
„Hast du jetzt einen Plan?“
Inzwischen standen sie an der Kaimauer, blickten zu den Piers, vorbei an den Schiffen und hinaus auf See.
„Nein.“
Verwundert starten die beiden Hünen auf den kleinen Halbelf hinab.
„Ich dachte… du hast doch gesagt, wir sollten ein Schiff nehmen, das heute noch ausläuft?“
Die Sonne war untergegangen, die letzten grauen Momente der Dämmerung zogen am Horizont fort und die ersten Sterne blitzten auf.
„Ich sagte, ich hoffte auf ein Solches.“
„Die Tide steht günstig, da könnte wirklich noch jemand auslaufen. Die Kogge da liegt bereit.“
„Du kennst dich aus?“, Elisander zog die Augenbraue misstrauisch hoch.
„War ein paar Jahre auf See unterwegs.“, Veyd zuckte mit den Schultern und verschränkte die Arme hinter dem Rücken.
Elisander blickte von links nach rechts, zwischen dem hochgewachsenen Menschen mit der stoischen Pose und dem bärtigen Halbork mit den zerschlissenen Kleidern hin und her. Sein Grinsen wurde breiter und breiter.
„Dann nichts wie hin, einen Platz für jeden von uns auf diesem Schiff ergattere ich spielend.“
 



 
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