Kapitel 4 – Die Vasa Baltazar

Kapitel 4 – Die Vasa Baltazar

Rafael folgte Elisander misstrauisch über den abendlichen Pier. Der ungewohnt salzige Geruch des Meeres hing ihm in der Nase, die Gesellschaft des Halbelfen, der alles von seiner Flucht wusste, bereitete ihm Unbehagen. Elisander warf einen Blick zurück und zwinkerte ihm zu. Bisher hatte er nichts gesagt, und wenn sie mit einem Schiff auf einen anderen Kontinent übersetzten, war er in Sicherheit. Vermutlich.
„Ihr sagt am besten erstmal nichts, lasst mich einfach alles regeln. Veyd, sicherlich brauchen wir noch etwas von deinem Edelmetall, halte den Beutel bereit.“
„Das gute Geld wird uns nicht im Stich lassen, Freund.“, Veyd grinste breit. Er ging neben Rafael, kaum kleiner, kaum schmaler. Trotz seiner Freundlichkeit war sich Rafael auch bei ihm nicht sicher. Was hatte er wirklich vor? Warum zahlte er solche Summen für Fremde? Rafael hatte überlegt mit der Münze abzuhauen, als er zum Kleidungkaufen geschickt wurde. Aber wo wäre er schon hingekommen. Hätte er alleine auf einem Schiff Platz gefunden?
„Heyda, Matrose, sagt, werdet ihr noch heute Abend auslaufen?“
„Jap. Aber was geht’s dich an, Halbspitz?“, der Seemann der dabei war eine Kiste zu befüllen hatte kurze braune Haare und trug einen struppigen Vollbart. Er war schlank, aber aus seinen Ärmeln ragten muskulöse Arme.
„Wisst ihr, guter Freund, wir würden gerne mitfahren, wenn noch Platz unter Deck ist.“
Ungläubig beäugte der Mann jeden einzeln. Besonders kritisch traf sein Blick Rafael. Sein Werk liegen lassend, wand er sich zu ihnen und verschränkte die Armee vor dem Körper.
„Ich hab dir nicht gesagt, woher wir reisen. Was wollt ihr wirklich?“
„Aber, aber, Misstrauen ist nicht nötig. Wir sind drei wackere Abenteurer und suchen die Ferne. Aufregende neue Ziele. Wohin uns der Wind trägt ist uns einerlei. Und natürlich werden wir zahlen.“
„Was wenn wir nur einen Ort weiter führen und dann zum Winter einkehren wollten?“
„So wären wir immerhin schon einen Ort näher am Abenteuer. Dieser Landstrich ist uns freilich zu öde. Aber ihr seht wie ein hartgesottener Seemann aus den ebenfalls die Weite ruft.“
„Naja Halbspitz, wenn du meinst. Wir setzen über nach Bregoheim, die Überfahrt über das Meer der neun Tiefen dauert für gewöhnlich drei Wochen. Das ist euch wohl gerade Recht ihr Abenteurer.“
Abfälligkeit lag in der Betonung des letzten Wortes. Auch Rafael war sich nicht sicher, ob ihm die Geschichte gefiel die der Halbelf verkaufen wollte. Immerhin würde die Fahrt ihn weit genug vom Händler Großenfels wegbringen.
„Das klingt hervorragend, wir hätten es nicht besser treffen können. Seit ihr der Kapitän dieser Kogge?“
„Ich? Nein, wirklich nicht. Wartet hier, ich hol den Kaptain.“
Er klopfte einen Deckel auf die Kiste und hob sie auf. Während er die Holzplanke auf das Schiff entlangschritt sah Rafael, dass der Seeman zwar kleiner war und auch weniger bullig wirkte als Veyd, aber die sich anspannenden Muskeln und die definierte Statur mit ihm mithalten konnten.
Rafaels Blick wanderte über das Schiff. Lang, etwas breit, man würde sagen untersetzt. Ein einzelner Großer Mast mit Segel, oben auf ein Korb. Von der Spitze lief ein Seil zur Spitze, verband sich mit einem kleineren Balken der schräg nach vorne zeigte. Am hinteren Ende war ein Aufbau mit kleinen Fenstern, darunter noch ein paar Weitere, alle nur hinten und rund. An einer Seite waren zwei Elfen mit dem Segel beschäftigt.
Ihre Abstammung war unverkennbar. Wo Elisander noch als schlaksiger Mensch ohne Bart mit spitzen Ohren durchging, waren die langen schmalen Gesichter und scharf zulaufenden Ohren der beiden Seemänner zu verräterisch. Zwar hatte Rafael bisher nur wenige Elfen und noch weniger Halbelfen in seinem Leben gesehen, aber die eleganten Bewegungen und der schlanke Körperbau waren auch für das ungeübte Auge leicht zu erkennen.
Der Mann der nun von Deck in ihre Richtung kam war älter, vielleicht Mitte Vierzig, und hatte breite Schultern, ein breites Gesicht und dunkle Locken mit diversen grauen Strähnen. Seine Kleidung war einfach, ein Kummerbund hielt einen rundlichen Bauch, seine Lederhose war zerschlissen und voller Teerflecken.
„Ihr wollt also auf mein Schiff? Kommt bisschen spät, wa?“
„Mein Name ist Elisander Mandelbaum. Ihr müsst Kapitän…“, seine kleine Verbeugung und leichte Geste sollten den Mann einladen sich ebenfalls vorzustellen.
„Rubin. Herbert Rubin. Wir haben noch Platz im Laderaum und die Vorräte reichen auch. Kostet aber was extra, wenn ihr noch so kurzfristig auf die Vasa wollt.“
„Nennt euren Preis Kapitän Rubin, wir sind weder arm noch knauserisch.“
„Zwanzig Silber für jede Pritsche.“
„Wir zahlen zwei Goldmünzen, und diese beiden kräftigen Jungs…“, er trat einen Schritt zurück und legte jeweils eine Hand auf die Schultern seiner Begleiter. „helfen eurer Mannschaft mit ihren Bootserfahrungen aus wo ihr sie braucht.“
Rafael schluckte schwer. Der Seebär blickte nach oben und schien zu überlegen.
„Und ihr habt Ahnung von der Seefahrt?“
Rafaels schwammige Erinnerungen an das Schiff auf dem er als Kleinkind in dieses Land gekommen war, konnte er wirklich nicht als Ahnung bezeichnen.
„Und ob.“, Veyd trat vor. „Ich war insgesamt zwei Jahre auf See unterwegs, mit kleinen Unterbrechungen für Heimaturlaub. Meine alten Kameraden haben mir diesen Säbel zum Abschied geschenkt.“
„So ist das. Hm, und du, Ork? Kannst du Knoten knüpfen,… Segel raffen,… reden?“
Während er den Kloß in seinem Hals herunterschluckte, und über Veyds Ausführung staunte, suchte er nach einer passenden Antwort.
„Ich… ich bin stark… und ich lerne schnell.“
„Und du hast nicht einmal genug Rückgrat mir Widerwort zu geben, dass ich einen Halbork nicht von einem Ebergesicht unterscheiden kann. Ich bin nicht überzeugt.“
„Hey, Besserwisser.“, Veyd fuhr den Kapitän an, Elisander und Rafael waren gleichsam schockiert. Rubin grinste. „Lass meinen Freund in Ruhe. Er hat zwar keine Erfahrung auf dem Schiff, aber er wird ein drei Tagen ein besserer Seemann als jeder Schiffsjunge in einem Jahr!“
Wieder konnte Rafael nur Staunen. Woher nahm der fremde Mann diese Selbstsicherheit, diesen Schneid so aufzutreten her.
„Nimm die Faust wieder runter, Kleiner.“, beschwichtigend hielt der Mann seine Hände hoch. „Ist schon gut. Lieber ist mir, du hast kurze Nerven, als dass dein Freund hier meine Mannschaft angeht. Die werden nicht unbedingt freundlich auf seinen Anblick reagieren. Wenn euch das nicht stört, steht das Geschäft.“
Rafael wurde wieder mulmig im Bauch. Elisander aber lächelte nur.
„Hervorragend, dann nichts wie aufs Schiff. Veyd, bezahl den Mann.“
Als Veyd das Geld hervorholte und ihre Überfahrt bezahlt hatte, sah Rafael, dass nicht viel übrig blieb. Wo auch immer sie anlanden würden, Veyd war ziemlich pleite.

Sie folgten dem Kapitän über die Planke aufs Schiffsdeck. Die beiden Elfen beäugten sie misstrauisch. Rafael fand es schwierig ihr Alter zu schätzen, vielleicht waren sie zwanzig, vielleicht vierzig Lenze alt. Der Eine trug sehr lange, schwarze Haare, während der Andere eine Glatze hatte. Offenbar war sein Gesicht rot tätowiert. Auf der anderen Seite des Schiffs gab der vollbärtige Mann einem Jungen mit kurzen braunen Haaren Anweisungen.
„Die anderen Passagiere sind schon in ihren Kajüten.“, Kapitän Rubin fing zu erzählen an, während er die Luke öffnete, die eine schmale Treppe nach Unten offenbarte.
„Ihr schlaft auf den Pritschen im Laderaum, meine Mannschaft schläft hier auch und noch ein weiterer Passagier.“
Unter Deck war es unglaublich dunkel. Hinter der Treppe hing eine kleine Lampe, die schwaches Licht und schwarze Schatten durch den vollgestellten Laderaum warf. Dahinter führte ein schmaler Gang zu mehreren Türen, am Ende des Flurs hing eine weitere Lampe. Rafael konnte jetzt sehen, dass es magische Lichter waren, kleine magische Lampen deren Licht wie das einer Kerze wirkte.
Die vertäuten Kisten bildeten auf der anderen Seite einen Durchgang auf den der Kapitän zuging. Dahinter war noch eine Lichtquelle und tauchte den breiten Kapitän mit seinen schwarzgrauen Locken in einen unheimlichen Lichtkreis. Dann drehte er sich zu den folgenden Männern.
„Hier die untere Linke.“, Rubin deutete mit dem Arm, Rafaels Blick glitt zu einem einfache Holzbrett mit Stoffbezug. „Und die beiden oberen Pritschen sind noch frei.“
Das Licht, das Rafael gesehen hatte, kam hier nicht von einer hängenden Lampe, sondern von einem paar Augengläsern. Auf der Pritsche unten rechts saß ein schlanker Mann und lass, ein paar Linsen in Metallfassung auf der Nase in deren Mitte ein kleiner Stein leuchtete wie eine Laterne. Der Mann war vielleicht dreißig oder fünfunddreißig Jahre alt und hatte eine Glatze. Anstelle von Haaren zierten seltsame Schriftzeichen seinen Schädel.
Unbeirrt lass er weiter in seinem kleinen braunen Büchlein. Wenn es einen Rückentext gab, so konnte Rafael ihn aufgrund des schlechten Lichtes nicht lesen. Der Mann schien weder Rubin noch die drei Neuankömmlinge zu bemerken, die plötzlich in dem engen Raum zwischen Schiffswand und Kisten und Fässern und Schlafpritschen eingedrungen waren.
„Das ist Uthar Baal, ihr könnt davon ausgehen, dass er euch weder eines Blickes würdigen, noch ein Wort an euch richten wird. Er hat mir gesagt, ich soll ihn mit seinen Studien alleine lassen, aber ehrlich gesagt, ich glaube er ist völlig weggetreten wenn er liest.“, der Blick des Kapitäns war fast mitleidig. „Jedenfalls wird er euren Schlaf kaum stören. Wir legen schon bald ab, ihr könnt euch hinlegen, wenn ihr wollt. In dem Fass da ist Trinkwasser, nehmt euch einen Holzbecher aus der Kiste dort und bleibt bei dem Einen. Was gibt’s noch…“, während er sich am schlecht rasierten Kinn kratzte, ging er um die Drei herum. „Frühstück gibt es kurz nach Sonnenaufgang. Wenn wir eure Hilfe brauchen, hole entweder ich euch oder ich schicke meinen Steuermann Alexandro nach euch. Den habt ihr vorhin auf dem Steg gesehen. Ich denke das wär’s für heute, den Rest der Besatzung lernt ihr Morgen kennen. Angenehme Nacht.“
Er ging und ließ Rafael mit seinen neuen Begleitern im Halbdunkel des Laderaums stehen.

„Ahoi Meister Baal, was lest ihr da?“, Veyd brach als erster das Schweigen, nachdem sie einen Moment einfach herumgestanden hatten. Der junge Mann machte keine Anstalten zu antworten.
„Meister Baal, ist alles in Ordnung?“, Veyd beugte sich zu dem sitzenden Mann hinunter.
Uthar seufzte. Eine verblüffend tiefe Stimme antwortete endlich.
„Ja, alles in Ordnung.“, die Worte hatten einen angenehmen Hall. „Und jetzt würde ich die Herrschaften bitten entweder zu gehen, oder die Nachtruhe anzutreten. Ich habe noch einiges zu lesen.“
Er nahm seinen Blick nicht vom Buch machte nicht den Anschein, als erwartete er eine verbale Antwort.
„Ich leg mich hin, der Tag war… lang.“, Rafael kletterte auf die Pritsche über der von Baal, auch ihn interessierte die Planung der anderen im Grunde nicht. Er wollte schlafen und weg von diesem Ort. Und vergessen.
„Nun, Elisander, was machen wir beide dann?“
„Wir?“, Elisander klang schockierter als nötig. „Ich für meinen Teil folge dem Beispiel unseres Freundes und teste die Schlafqualität dieser Pritsche hier.“
„Ihr seid mir Langweiler. Nein, der Abend ist noch zu jung und ich bin zu aufgeregt um jetzt schlafen zu gehen. Ich geh nach oben und sehe dem Kahn beim Ablegen zu.“
Rafael hatte bereits die Augen geschlossen und hörte nun wie sich Veyds Schritte entfernten. Die Wellen plätscherten gegen das Schiff, oben wurden Befehle gerufen und schwere Stiefel stapften über die Planken. Trotz des ungewöhnlichen Lärms war die Erschöpfung stärker und Rafael fiel in einen traumlosen Schlaf.

Rafael erwachte Stunden später und wäre beinahe von der Pritsche heruntergefallen. Das Brett war zu klein für ihn, das Schwanken des Schiffs ungewohnt, aber er hielt sich gerade noch fest und blieb liegen. Er versuchte in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Weit, weit entfernt, am anderen Ende des Laderaums, leuchtete die kleine magische Funzel und warf ein wenig Schatten und Formen zu ihm. Aber auch unter ihm leuchtete noch etwas, schwach.
Nach einigen Augenblicken hatten sich seine Augen an das Dunkel gewöhnt, zumindest soweit das er Grauschattierungen sah.
Neben einem Stützbalken stand das Wasserfaß, daneben die Kiste mit den Holzbechern. Zu seiner Linken erblickte er mit zugekniffenen Augen mehr Fässer und einige Kisten, gehalten durch große, grobmaschige Netze. Gegenüber, hinter dem Balken, auf der anderen Seite des Raumes, waren vier weitere Pritschen angebracht. In Zweien lagen die beiden Elfen. Er konnte ihre Gesichter nicht erkennen, aber die Formen weckten die Erinnerung an ihre Ankunft auf dem Boot, und die Glatze war ebenfalls verräterisch.
Sein Blick glitt weiter nach rechts. Durch schmale Holzwände wurden hier die Kisten von ihnen ferngehalten, gesichert durch Seile und doch permanent in einer leichten Pendelbewegung durch das Auf und Ab des Schiffs. Weit konnte er nicht sehen, die Kisten standen zu eng, der Bereich war zu vollgestellt. Auf der anderen Pritsche lag Elisander, zitternd. Er sah winzig und hilflos aus und Rafael bekam erneut Mitleid mit dem Halbelf. Eine ganze Weile waren seine Gefühle von dem Eindruck getrübt, Elisander hätte ihm nicht zugetraut ihn zu retten. War der Mann überhaupt dankbar für seine Hilfe? Nun lag er da, so armselig wie der Nerz einen Tag zu vor, und Rafael spürte, dass der kleine Halbelf seine Hilfe vielleicht nicht zu schätzen wusste, aber absolut brauchte.
Er beugte sich vor und sah nach unten. Auf der rechten Pritsche lag Veyd, schlief fest, während ein Bein herausbaumelte. Direkt unter ihm las Baal noch immer in seinem Buch, als hätte er sich keinen Daumenbreit bewegt. Rafael versuchte die Schrift zu erkennen, aber sie war zu winzig.
Plötzlich schloss sich das Buch und Uthar Baal beugte sich vor um zu Rafael hinauf zu sehen.
„Kannst du lesen?“, wieder diese tiefe Stimme, der Klang durchdrang Rafaels Körper, bis in die Knochen.
„Nun… ja.“
„Les etwas Anderes.“, das Licht der Kopflampe brannte unangenehm in Rafaels Augen.
„Ich wollte nicht…“
„Natürlich wolltest du, lüg nicht.“, obwohl sie nicht laut war, vibrierte die Stimme in seinem Kopf. „Wenn du gekonnt hättest, hättest du sogar. Und ich sage dir, lass es, les etwas Anderes.“
Rafael schwang sich von der Pritsche und kehrte Baal den Rücken zu. „Ich gehe nach oben und genieße den Morgen.“
„Es ist noch Nacht.“
„Woher wollt ihr das wissen? Hier gibt es kein Fenster?“
In den nun folgenden Worten des eigenwilligen Gelehrten lag viel Hass, Abscheu, als hätte der Mann es schon tausendmal sagen müssen: „Dann geh‘, Ork, und sieh‘ selbst.“
Rafael hatte endgültig genug von diesem Mann und wäre auch bei Regen und Sturm nach oben gegangen. Er setzte die Füße langsam vorwärts und hielt sich an Kisten und Seilen, während er in Richtung Lampe und Treppe wankte.
Er gönnte sich einen kurzen Blick in den schmalen Flur bei der Treppe. Vier Türen. Dahinter konnte jeder und alles sein. Auch ein Händler der ihn beim Großenfels gesehen hatte? Der ihn wieder erkennen würde? Es war unwahrscheinlich, aber Rafael schüttelte sich dennoch um den schrecklichen Gedanken los zu werden. Er zog sich am Geländer der Treppe vorwärts und öffnete die Luke nach oben.

Es war tatsächlich finstere Nacht. Das Deck war zum großen Teil leer, er schien allein zu sein. Vom Rand aus späte er nach hinten, vorbei an dem Aufbau, doch da war nur Wasser im Mondlicht. Die Wellen in der Finsternis trugen seinen Blick herum, und die Erkenntnis traf ihn hart. Er war wirklich auf einem Schiff, würde in einigen Tagen an einem fremden Ort ankommen. Euphorie stieg in ihm hoch. Rennend, taumelnd, dann wieder rennend gelangte er auf die andere Seite und blickte sich wild um. Wasser. Tränen stiegen ihm in die Augen. Das Mondlicht spiegelte sich in den Wellen, die kleinen Lichtpunkte der Sterne funkelten am Himmelszelt. In der Ferne war der Übergang zwischen Wellen und Himmel nicht zu erblicken, doch als sich sein Blick in Fahrtrichtung drehte, wusste er, dass er dort war. Ein neuer Ort in dem er frei sein würde.
Eine kräftige Welle traf das Schiff und Rafael verlor den Halt. Er stieß einen kurzen Schrei aus und ging in die Hocke aus Angst, sonst über das Geländer zu fallen. So hockte er dort einen Augenblick während salzige Tropfen über sein Gesicht rollten, die weder aus dem Meer, noch aus Traurigkeit erwachsen waren.
„Hey, was machst du da?“
Der Ruf war gegen das Rauschen des Meeres und Knarzen des Holzes nur schlecht zu hören. Zum Glück kam er an Rafaels gutes Ohr. Den Kopf herumwerfend sah er eine Silhouette auf dem Aufbau. Er stand auf und ging langsam hinüber. Das schwache Licht offenbarte schließlich einen Jüngling, Rafael glaubte es war der Junge den er am Abend kurz an Deck mit Alexandro gesehen hatte.
„Und, was hast du da an der Reling gemacht?“
„Nichts weiter. Was machst du da oben?“
„Komm rauf und ich zeig‘s dir.“
Eine einladende Geste folgte, dann verschwand der junge Mann aus Rafaels Blickfeld. Die kleine schmale Treppe gab unter seinem Gewicht gefährlich nach, während er den Aufbau erklomm. Oben stand der Mensch an einem Steuerrad, stoisch, würdevoll. Jung. Gespielt.
„Bist du hier der Steuermann?“, Rafael versuchte im Mondlicht die Gesichtszüge des Jünglings zu studieren, während er sich ihm langsam näherte.
„Steuermann? Schön wär`s. Ich halte hier nur die Stellung.“
Das Grau in Grau seiner Gesichtszüge war schwer zu deuten. Enttäuschung?
„Und du Halbork? Warum schläfst du nicht?“
„Ich habe nie viel geschlafen. Und außerdem tut die frische Luft gut. Es ist zwar nicht das erste Mal… ich meine, ich konnte mich schon fast nicht mehr an den Geruch des Meeres erinnern.“, verträumt glitt sein Blick weg von dem Menschen auf die Wellen hinaus.
„Ich bin übrigens Zacharias.“, der Jüngling hielt seine Hand hin.
„Ich heiße Rafael, freut mich sehr.“, er ergriff sie.
„Sag, Rafael, was ich schon immer wissen wollte… ist dein Vater ein Ork oder deine Mutter? Also, wie rum geht sowas?“
Rafael grinste. „Beides würde funktionieren. Auch wenn die meisten weiblichen Menschen zu viel Angst vor einem männlichen Ork haben dürften. Meine Mutter war eine Orkin. Sie hatte sich in einen menschlichen Barbaren verliebt und einige Zeit bei ihm gelebt, bevor er im Kampf fiel. Sie ging zu unserem Stamm zurück und bekam einige Zeit später noch ein weiteres Kind, einen vollblütigen Orkling.“, an diesem Punkt wurde ihm klar, dass er anfing seine Lebensgeschichte zu erzählen. Keine gute Idee. Es blieben zwangsläufig Fragen offen, Fragen deren Antwort er hier niemandem geben wollte.
„Wie auch immer, mein Vater war ein Mensch, wie du.“
Zacharias stutzte. „Du bist ganz anders als ich erwartet habe.“
„Was dachtest du denn, wer ich wäre?“
„Keine Ahnung… irgendwie dachte ich du würdest stottern oder ganz komisch sprechen, oder so was. Wie in den Märchen über Orks eben.“
Märchen über Orks. Rafael konnte seinen Ohren kaum trauen.
„Versteh mich nicht falsch, aber wie alt bist du, Zacharias?“
„Fünfzehn Sommer hab ich hinter mir. Vielleicht etwas jung für einen Leichtmatrosen, aber die Weltmeere zu besegeln ist besser als meinen Eltern auf der Farm zu helfen.“
Ein Mensch von fünfzehn Jahren. Noch nicht ausgewachsen, noch kein Bart, bestenfalls etwas Flaum und noch eine kratzende Knabenstimme. Die Entwicklung von Orks und auch Halborks verlief schneller, Rafael war zwar jünger als Zacharias, aber äußerlich viel erwachsener. Vermutlich wähnte Zacharias ihn eher für zwanzig Jahre.
„Wenn du meinst. Für mich sieht das hier sehr erfahren aus. Woher weißt du, wie du das Rad drehen musst?“
Jetzt grinste Zacharias, Rafael konnte ein paar Zähne funkeln sehen.
„Siehst du die Sterne dort.“, seine Hand wies gen Himmel, halblinks. Dort waren viele Sterne, einige heller als andere.
„Die Drei in einer Reihe, und dann der Vierte darüber. Das ist das Sternbild des stillen Tigers. Es liegt zu dieser Jahreszeit im Westen und um Kurs zu halten muss ich es lediglich zur Linken halten. In so einer klaren Nacht kann ich das schon, so was lernt man schnell.“
Rafael betrachtete interessiert die Sterne. Es ergab Sinn, auf See waren die Sterne gut zu sehen, das viele Wasser keine Hilfe bei der Navigation.
„Sehr interessant… fährst du schon lange auf dem Schiff mit?“
„Mitfahren? Du beleidigst mich! Ich bin ein wertvoller Teil der Mannschaft, und das schon seit über einem Jahr.“
„Schiffsjunge, ja. Und Nachtwache offensichtlich.“, während er sprach ging Rafael um ihn herum ans Ende des Schiffs. „Und warst schon in viele Häfen?“
„Du bist ziemlich neugierig für einen Halbork.“
Rafael grinste aufs Meer hinter ihnen hinaus. „Ich dachte, ich wäre der Erste den du siehst.“
„Das nicht gerade. Aber die anderen Halborks waren… anders. Nicht so freundlich und gesprächig. Keiner hat ein Wort mit mir gewechselt, und keiner sah friedlich genug aus, dass ich mich getraut hätte zu fragen. Keiner von denen wirkte auch nur im Geringsten neugierig.“
„Wo willst du denn so viele Halborks gesehen haben?“
„Wir haben an ein paar Häfen in Radawen gehalten. In Trauerhaven und Illingen, und noch ein paar Kleineren. Da gab es viele Orks und Halborks, manchmal sind welche als Passagiere mitgefahren. Wenn sie Kapitän Rubin zugesagt haben.“
Rafael drehte sich um und beobachtete den jungen Menschen. Er wand ihm den Rücken zu und lehnte sich auf das Steuerrad. Mindestens einen Kopf war der Junge kleiner, womöglich nur halb so schwer wie Rafael. Er trug einen Mantel mit Kapuze, die auf seinen Rücken fiel. Kurze grau-schwarze Haare zierten seinen Kopf. In besserem Licht mochten sie braun sein. Während Rafael dort stand und beobachtete, hatte der Junge weitergeredet.
„Entschuldigung, was hast du gesagt?“
„Ich sagte, dass du ziemlich stark aussiehst. Bist du ein Krieger?“
Darauf war Rafael nicht vorbereitet. Er war es auch nicht gewöhnt zu lügen, aber jetzt brauchte er eine Geschichte.
„Nein, ich bin ein Abenteurer.“, langsam wurde ihm kalt. Der frische Wind pfiff durch seine spärliche Kleidung.
„Dann hast du also bereits beeindruckende Abenteuer erlebt.“
„Natürlich habe ich das.“, er begann in seinem Geist nach einer Geschichte aus einem der Bücher zu kramen, „Wir haben mal einen Drachen gejagt.“
„Wirklich?“, Zacharias fuhr herum und ließ vom Steuerrad ab. „Echt ein Drache? Mit Flügeln?“
„Ähh, ja… sicher, Flügel. Riesige Flügel“, die Geste die er machte sollte seine Geschichte untermalen, wirkte aber eher unbeholfen und albern. „Also noch viel riesiger. Aber Veyd hat ihm mit seinem Säbel einen Flügel abgetrennt, dann konnte er nicht mehr fliegen.“
„Mit einem Säbel? Der ist doch etwas kurz.“
War der Blick misstrauisch? Das Licht war zu schwach, er begann zu schwitzen. Der Wind wurde plötzlich eisig.
„Der Säbel ist… magisch.“, was erzählte er da?
Zacharias kam noch einen Schritt näher. Der massige Halbork zitterte.
„Magisch? Fantastisch. Ihr seid echte Abenteuer. So etwas Spannendes passiert hier nicht. Einmal hab ich aus großer Entfernung eine Meerjungfrau gesehen. Naja, eigentlich hat Hamanael sie gesehen, ich konnte gar nichts erkennen.“
Offenbar hatte der Kleine ihm die Lügen abgekauft. Vielleicht war er ein besserer Lügner als er gedacht hatte.
„Faszinierend, aber mir wird langsam kühl, ich glaube ich lege mich noch etwas hin.“
„Natürlich, natürlich. Noch eine gute Nachtruhe, hast noch gut drei Stunden bis zum Morgengrauen. War wirklich nett mit dir zu reden.“
Mit einer Handbewegung verabschiedete sich Rafael und schlich vorsichtig zurück zu seiner Pritsche. Veyd schnarchte, Elisander stöhnte leise und Uthar Baal las noch immer. Er legte sich wieder über den seltsamen Gelehrten und schlief tatsächlich nochmal ein.

„Rafael, wach auf.“, eine Männerhand schüttelte ihn an der Schulter. Er öffnete die Augen und blickte in das Gesicht von Veyd. Ein lächelndes Gesicht.
„Komm schon, es gibt gleich was zum Frühstücken.“
Elisander wartete bei dem schmalen Gang. Er sah elend aus, die Nacht war nicht die seine gewesen. Die anderen Prischen waren leer, auch Baal war fort. Gemeinsam gingen die drei Flüchtlinge nach oben.
Die Sonne war gerade erst über den Horizont, das blaue Meer um das Schiff herum glitzerte wie tausend Diamanten und der Wind war frisch und salzig. Rafael warf den Blick herum. Am Steuer stand der vollbärtige Alexandro. Der langhaarige Elf war an einem Segel zugange. Offenbar wusste Elisander wo sie hin mussten, daher folgte er durch die schmale Türe in den Aufbau. Aus einem kleinen Raum zur Rechten drangen Essgeräusche. An einem kleinen Tisch drängten sich bereits vier Personen und aßen.
Uthar Baal saß neben dem glatzköpfigen Elfen und Zacharias auf einer Bank. Am Kopf saß ein kleiner blonder Mann mit Schnauzbart. Als die drei Passagiere eintraten, stand der Mann auf und wies ihnen sich zu setzen.
„Ah, die Abenteurer. Setzt euch, ich bringe euch was.“
Sie bekamen eine Art warmen Haferschleim mit Apfelstücken. Offenbar war der schnauzbärtige der Koch.
„Ich bin übrigens Rolaf, der Smutje an Bord der Vasa Baltazar. Und falls ihr noch nicht vorgestellt wurdet, das sind Zacharias, unser Schiffsjunge,“, der Vorgestellte lächelte und hob die Hand zum Gruß bevor er weiter aß, „Ikariol, unser Bootsmann,“, der Elf sah nicht auf, grunzte kurz und winkte beiläufig mit der Hand, „und euren Bettnachbarn Uthar Baal kennt ihr wohl schon.“
Keine Reaktion, Uthar aß einfach weiter. Rafael hatte es nicht anders erwartet.
„Ich bin Veyd Finkental und das sind meine Freunde Elisander Mandelbaum und Rafael…“
Veyd zögerte. Der Satz war noch nicht beendet, aber ihm wurde klar, dass er den Nachnamen nicht kannte. Es gab ja auch keinen zu kennen.
„Nicht genug Geld für einen Familiennamen, Halbork?“, Ikariol grinste gewunden. Seine Zähne waren schmal und gelb-schwarz, kein schöner Anblick.
„Lass den Fleischberg in Frieden, Ike.“, Rolafs Ton war versöhnlich, aber ein Lächeln schenkte er Rafael trotzdem nicht.
„Wie dem auch sei. Sagt, Ikariol, was habt ihr da für eine seltsame Tätowierung im Gesicht?“, Veyd war neugierig, und Rafael bezweifelte, dass der Elf hier entgegenkommend war.
„Geht’s dich was an?“, Ikariol drohte mit dem Löffel, Brei spritzte durch die Gegend. „Sehe ich aus, als wäre ich einem dahergelaufenen Möchtegernabenteurer Rechenschaft schuldig?“ Seine Worte waren mehr gebellt als gesprochen und sein Kopf wurde zusehends rötlicher. Die seltsame rote Tätowierung veränderte ebenfalls die Farbe, rötlicher, Dunkelrot sogar. Es sah aus, als drohte er zu explodieren. „Also nimm deine verfluchte Neugier, und schieb sie deinem Halbspitzfreund dorthin wo die Sonne nicht scheint.“
Ikariol aß mit hochrotem Kopf weiter, es wurde ganz still am Tisch. Im Hintergrund blubberte der warme Brei leise und das Meer rauschte gleichmäßig. Ohne weitere Worte zu wechseln aßen sie weiter.
Uthar Baal war als Erster fertig und ging sofort, Ikariol verließ den Raum kurz darauf. Nachdem der glatzköpfige Elf die Türe hinter sich geschlossen hatte, traute sich Veyd wieder Fragen zu stellen.
„Warum ist er so reizbar?“
„Das ist keine Tätowierung, das ist ein Geburtsmal, ein sogenanntes Feuerzeichen. Gilt als Unheilsbringer unter Elfen.“, Elisander hatte seinen Löffel bereits bei Seite gelegt.
„Warum hast du mir das nicht früher gesagt?“
„Kann ich wissen, dass unser Weltumsegler ein Geburtsmal nicht von einer Hautverzierung unterscheiden kann?“
„Die Damen möchten ihren Disput vielleicht nach dem Essen fortsetzen?“, Rolaf schenkte den Beiden ein verschmitztes Grinsen. Elisander sah den Koch verständnislos an, Veyd grinste ebenfalls.
„Nur wenn wir auch ein Éclair als Nachspeise bekommen.“, seine Antwort ließ Rolaf laut auflachen.
„Wunderbar, wunderbar. Jetzt haben wir gleich eine angenehmere Stimmung. Was Ikariol angeht, der ist immer ein Griesgram, am besten handelt ihr euch keinen weiteren Ärger mit ihm ein. Ignoriert ihn, er wird Gleiches mit euch tun.“
„In Ordnung. Aber Rolaf, sagt, hat der Kapitän nicht von noch mehr Passagieren gesprochen?“
„Tja, Veyd, die waren nicht so knapp bei Kasse wie ihr. Wer vernünftig zahlt bekommt ein Bett in einer Kajüte und darf am Tisch des Kapitäns speisen. Aber ihr seht die Herrschaften bestimmt später.“
In der Gesprächspause knurrte Rafaels Magen. „Darf ich noch einen Nachschlag haben?“
„Nein.“, Rolafs angenehmer Ton war verflogen. „Vielleicht ist es dir noch nicht aufgefallen, Halbork, aber wir sind auf einem Schiff. Wir können nicht in den Wald gehen und ein Wildschwein reißen oder ins nächste Dorf ziehen und den Bäcker überfallen. Die Vorräte sind eingeteilt und Rationen bleiben wie sie sind.“
„Hier, iss meinen Rest.“, Elisander schob ihm seine Schüssel herüber. „Ich bin satt.“
Die Überbleibsel genügten zwar nicht seinem Hunger, aber waren besser als nichts. „Danke.“
„Habt ihr ein bestimmtes Abenteuer vor Augen, Herr Finkental?“, Zacharias meldete sich zu Wort und erhielt von Veyd sogleich ein Lächeln.
„Oh, nein, wir sind da ganz frei, offen für alles. Nicht wahr, Elisander?“, dabei packte er den Halbelf bei den Schultern und schüttelte unsanft.
„Was immer du sagst, aber rüttel‘ mich nicht so.“
„Erzählt ihr mir von dem Drachen, den ihr besiegt habt?“, Rafael blieb der Brei ihm Hals stecken, als er Zacharias Frage hörte.
„Was für ein Drache?“
„Ach, Veyd,…“, Rafael musste verhindern, dass seine Lügen aufflogen. „… ich habe Zacharias heute Nacht erzählt, dass du… ich meine wie du mit deinem magischen Säbel damals den Drachen von seinem Flügel befreit hast.“
„Was?“, Veyd wirkte verwirrt, Elisander verzog merkwürdig die Oberlippe was Rafael nicht zu deuten wusste.
„Ich weiß, du gibst nicht gerne mit der Geschichte an und…“, Rafael stockte.
„Und außerdem muss Zacharias jetzt raus und Hamanael und Ikariol helfen. Du hast lang genug hier herum gesessen und wir haben noch ausreichend Zeit für Märchen.“
„Das ist kein Märchen…“, Rolafs fordernder Blick lies keine Widerreden zu, „…aber ich geh ja schon…“

Nach dem Frühstück gingen die drei neuerlichen Freunde an die frische Luft und setzten sich auf ein schmales Sitzbrett an der Seite des Aufbaus, direkt vor der Luke die nach Unten führte. Das Meer lag ruhig, die Hebungen und Senkungen einem eintönigen Lied gleich, und die Fahrt wirkte gemütlich, fast zögerlich. Offenbar war der Wind schwach und Stand ungünstig. Die beiden Elfen liefen hin und her und brachten das große Segel in unterschiedliche Stellungen, Zacharias wirkte deplatziert, schien eher Belastung denn Hilfe. Von Oben hörte er die Rufe von Alexandro. Mit den Wörtern konnte er wenig anfangen, „Steuerbord“, „Abdrift“ oder „Krängung“ sagten ihm einfach nichts. Bei Veyd schien das anders zu sein. Er betrachtete das Treiben an Deck interessiert und seine Mundwinkel wanderten langsam zu den Ohren. Elisander hingegen saß Zusammengesunken neben ihnen und war ziemlich blass. Ob er überhaupt die Schreie und das Gelaufe an Deck wahrnahm, wusste Rafael nicht.
„Der Wind steht günstig, aber ist schwach und wechselt zeitweise…“, Veyd begann zu Fachsimpeln. Ob er glaubte, Rafael würde ihn verstehen? „…die Elfen wissen was sie tun, aber Zacharias ist überfordert. Ich glaube ich werde mal helfen gehen.“
Und schon war er weg. Fast väterlich nahm er dem Schiffsjungen ein Seil ab und wies ihn etwas tun.
„Es stimmt also.“, die Stimme war tief. Rafael drehte den Kopf zur Türe die in den Aufbau führte. Dort stand ein Zwerg, stämmig, ordentlich gekleidet und mit stoischer Pose. Seine dunklen Haare waren streng nach hinten gebunden, sein dreifach geflochtener Vollbart hing bis zur Mitte des Bauchs. Er war nur ein wenig kleiner als Rafael, mit dem Unterschied das Rafael saß und der Zwerg mit durchgedrückten Kreuz dastand.
„Der Kapt’n hat ein stinkendes Ebergesicht auf das Schiff gelassen.“
Freundlich klingt anders, war Rafaels erster Gedanke, Worte zur Erwiderung fehlten ihm jedoch.
„Bleib ruhig stumm, will hier keiner sehen wie du dein Maul aufreißt.“, der Zwerg kam noch einen Schritt näher, erhob den rechten Zeigefinger und zeigte Rafael auf die Brust.
„Genau da hinterlasse ich ein Messer, wenn ich dich auch nur in der Nähe meiner Kabine finde. Oder du es wagen solltest, mich mit deinen dreckigen Händen anzupacken. Und was ich mit dir mache, wenn etwas von meinen Waren fehlen sollte, kannst du dir nicht mal vorstellen.“
„Ähh…“, er stammelte. Ihm war als hörte er Elisander hinter sich kichern.
„Ach was, du Menschenschlächter kannst es dir vermutlich vorstellen. Also stell’s dir vor, und verreck dran, Ebergesicht.“, nach dem letzten Wort spuckte der Zwerg auf das Deck kurz vor Rafael, drehte sich herum und verschwand durch die Luke nach unten.
„Ich glaub der mag dich.“, Elisanders Stimme klang belustigt, als würde er einen Lachanfall nur schwerlich zurückhalten können.
Es brauchte noch einige Zeit in der Rafael sich sammeln musste. Oft war er schlecht behandelt und beleidigt worden, natürlich, dennoch tat es weh. Und Elisander war keine Hilfe. Plötzlich öffnete sich die Türe erneut und heraus kam zunächst eine junge, vollschlanke Frau mit kleinem Busen und vollem Gesäß. Sie hatte ein hübsches Gesicht mit einem ausgeprägten Leberfleck auf der Wange und lange nussbraune Haare. Sie erinnerte Rafael irgendwie an eine erwachsene Version von Maria. Das Gewand das sie trug sah teuer aus. Sie sah sich um und lies die nachfolgenden Herren herauskommen. Ihr folgten zwei kräftige Männer in blauen Uniformen. Der Kleinere war jung, vielleicht etwas älter als Veyd und kaum größer als Elisander. Er hatte kurze schwarze Haare und war glatt rasiert. Der Größere war so groß wie Veyd und so breit wie Rafael, ein Baum von einem Mann. Seine langen blonden Haare fielen zu einem Zopf gebunden bis zum Gürtel, ein sauber gestutzter Jägerbart schmeichelte seiner kantigen Gesichtsform. Falten an den Augen verrieten ein höheres Alter, vielleicht vierzig oder fünfundvierzig Jahre. Die Dame drehte sich zu den sitzenden Gefährten und verneigte sich kurz, bevor sie ihren Diener aufforderte:
„Kjolp, stelle uns vor.“, ihre Stimme klang schmaler als ihre Hüften ahnen ließen.
„Sehr wohl, Baronesse.“, der blonde Baum neigte erst den Kopf zur Dame und wand sich nun an Elisander und Rafael.
„Hiermit stelle ich vor, Baronesse Melissa von Braunfurt, edle Dame des Hauses Braunfurt zu Gundfeld aus dem Königreich Balsam. Wen darf ich vorstellen?“
„Rafael…“, der Halbork konnte es gerade so vermeiden, dass seine Antwort wie eine Frage klang.
„Hocherfreut. Mein Name ist Elisander Mandelbaum.“, der Halbelf sprang auf und verneigte sich tief. „Stehts zu Diensten der edlen Dame. Wenn es etwas gibt, womit ich euren Aufenthalt angenehmer gestalten kann, lasst es mich wissen.“
„Es ist mir eine Ehre, Meister Mandelbaum. Herr Rafael.“, sie nickte ihm zu, und wand sich dann zur Luke. Der breite Kjolp öffnete diese und half der Dame hinab. Er nickte kurz in die Richtung der Beiden und folgte ihr dann. Der kleinere, jüngere Mann ging die ersten Stufen der Treppe hinterher und blieb dann, halb verschwunden, stehen.
„Er heißt Kjolp und ich bin Taruk. Lasst, in eurem eigenen Interesse, eure Finger von Baronesse von Braunfurt. Besonders ihr, Herr Mandelbaum. Euer Engagement in allen Ehren, aber unsere Dame hat alles was sie braucht.“, er sah ernst aus, lächelte aber dann, „Ich wünsche einen angenehmen Tag.“
Hinter ihm schloss sich die Luke und Elisander nahm wieder Platz.
Rafael wartete einen Moment, bevor er ihn ansprach: „Was genau war das?“
„Was meinst du?“, der junge Halbelf lächelte ihn an.
„Wieso hast dich ihr so… angeboten?“
„Ach Rafael, wie soll ich das einem entflohenen Sklaven erklären…“
Rafaels Augen weiteten sich. Hektisch blickte er hin und her, niemand schien in Hörweite.
„Halt bloß…“ – „Keine Sorge…“, Elisander unterbrach ihn und erhob dabei die Hand, „ich habe nicht vor jemandem etwas zu sagen. Überlegen wir uns lieber wie wir mit dem verrückten Abenteurer umgehen sollen.“
Er nickte zu Veyd herüber. Dieser knotete gerade ein Seil fest und schien ganz in seinem Element.
„Verrückt?“
„Denk doch mal drüber nach. Er hat schon Duzende von Silbermünzen für zwei wild Fremde ausgegeben. Er hält dich für einen Abenteurer und ich habe eigentlich gar keine Ahnung für was er mich hält. Jetzt sitzen wir Wochen auf diesem Schiff fest. Ich glaube nicht, dass er gefährlich ist, aber wer weiß. Ich bin jedenfalls auf der Hut.“
„Ich finde ihn auch seltsam. Aber Angst habe ich keine vor ihm. Und was dich angeht… ich erwarte, dass du dein Wort hältst.“
Elisander antwortete nicht und beide beobachteten Veyd und die Elfen bei ihrer Arbeit.

Stunden vergingen, Elisander nickte im Sitzen ein und Rafael saß und wartete. Das Meer um sie schien sich kein Stück zu ändern, auch wenn der aufgefrischte Wind ihre Fahrt beschleunigt hatte. Das Boot hatte lange in rauerem Wellengang gewankt, inzwischen war die Reise ruhiger und die Elfen schienen mit Veyd fertig zu sein. Die Drei kamen zusammen, gaben sich die Hände und klopften sich gegenseitig auf die Schultern. Dann kam Veyd zu den beiden.
„Unglaublich, es tut so gut wieder auf einem Schiff zu arbeiten. Die Strömungen hier draußen sind wirklich überraschend.“, Veyd strahlte breit. Elisander schrag aus seinem Nickerchen auf und wirkte verschreckt.
„Ikariol und Hamanael sind erfahrene Seefahrer und auf hoher See kann ich noch viel lernen. Das war die beste Idee die du je hattest, Elisander.“
„Was weißt du von meinen Ideen.“, murmelte Elisander leise genug, dass Veyd ihn nicht verstehen konnte.
„Wir sind jetzt in einer Strömung und der Wind steht gut, die brauchen mich die nächsten Stunden nicht. Und, was haben wir jetzt vor?“
Ungläubig starrten Elisander und Rafael den jungen Menschen an.

Nichts hatten sie vor, sie waren auf dem Kahn gefangen. Veyd begann zu erzählen und Rafael mühte sich im zuzuhören. Zacharias verschwand unter Deck, die Elfen arbeiteten oder lungerten herum und es passierte rein gar nichts. Veyd erzählte von den Schiffen auf denen er gewesen war, offenbar allesamt Händler und Fischer die entlang der Küste gesegelt waren, und Rafael hörte bald nur noch jedes dritte Wort.
Es schien Veyd nicht zu stören. Vielleicht merkte er es einfach nicht. Er schwärmte und lachte, plapperte und erzählte Anekdote um Anekdote.
Sie saßen eine gefühlte Ewigkeit auf der Bank, die Sonne kroch quälend langsam über den Himmel. Erst konnte Rafael dem Schatten noch beim Verschwinden zusehen, „…und dann die Bucht vor Kieferbrin, die war so eng…“, dann kam die Sonne an ihrer Seite zum Vorschein und beschien seine rechte Gesichtshälfte, „…oh, das eine Mal als wir in Silfing vor Anker gingen…“, und verschwand später wieder hinter dem Segel. Sie fuhren der Sonne nach, Elisander hing einem unsteten Mittagsschlaf nach und Veyd jagte alten Erinnerungen nach. Rafael fragte sich, ob die nächsten Tage alle so lang sein würden. Fast wünschte er sich die Arbeit beim Händler zurück, auf dem Feld oder im Haus. Kürzere Tage. Abwechslung. Das Gefühl eines Tagesablaufs, auf den er zwar keinen Einfluss hatte, aber der einen Sinn ergab.
„…die Mädchen. Rafael, was glaubst du, was wir für Mädchen in Übersee treffen? Entlang unserer Küste hatte ich die Bekanntschaft der Meisten…“
Obwohl er seinen Namen genannt hatte, erwartete Veyd keine Antwort von Rafael. Ein Frauenheld will er also auch gewesen sein. Was war der Mann eigentlich nicht?
„…an einem Abend in Treumund hatte ich zwei dunkelhaarige Schönheiten auf einmal in meinem Zimmer…“
Bescheiden.
Die Sonne verharrte knapp über dem Horizont, als Rolaf heraus kam und ihn zum Kartoffelschälen in die kleine Kombüse holte. Sie bereiteten gemeinsam das Abendmahl und der Koch schenkte ihm ein Lächeln, als er sah wie behutsam und zügig der Halbork mit dem Essen umzugehen wusste.

Nach dem Essen, Uthar und die Elfen waren ebenfalls am Tisch, gingen Veyd und Rafael als erste aus der Kombüse. Bevor Veyd die Türe nach draußen öffnen konnte, wurde der Knauf von der anderen Seite gedreht.
Veyd und die adlige Dame standen sich unvermittelt gegenüber. Rafael konnte den Ausdruck in ihren Augen sehen, Schrecken, Bewunderung, als sie in das Gesicht des jungen Mannes sah. Dann sah sie herunter und Taruk trat an ihr vorbei.
„Ich glaube wir haben euch noch nicht vorgestellt. Dies hier ist Baronesse Melissa von Braunfurt, edle Dame des Hauses Braunfurt zu Gundfeld aus dem Königreich Balsam. Und ihr seid?“
„Ich bin Veyd Finkental, seefahrender Abenteurer, “, Veyd verbeugte sich und Rafael sah wie die Augen der Frau seiner Bewegung folgten. „… und gerne zu Diensten.“
„Ihr seid… ich meine, ich bin erfreut eure Bekanntschaft zu machen, Herr Finkental.“
„Und nun geht bitte zur Seite, wir müssen zum Kapitän.“
Veyd und Rafael drückten sich an die Wand, damit die Dame in ihrem Reisekleid vorbei kam. Hinter ihr folgten Taruk und Kjolp, die Beide kurz nickten. Veyd sah ihr hinterher, und Kjolp blieb stehen um sich umzuwenden.
„Ich bin Kjolp, und das war Taruk. Wir haben es schon deinen Freunden gesagt: Kümmere dich nicht um die Baronesse, sie hat alles was sie braucht.“, nachdem er geendet hatte, fixierte der breite Hüne Veyd kurz mit den Augen, bevor er sich umwand und ebenfalls in der Kapitänskajüte verschwand.
Rafael wollte raus, doch Veyd versperrte ihm den Weg und grinste breit, seinen Blick auf die geschlossene Türe gerichtet.
„Was?“
„Rafael…“, der Mensch legte seinen Arm um seine Schulter „…ich glaube ich bin verliebt.“

„Ich denke mein Verdacht ist bestätigt, du bist verrückt.“, Elisander machte eine seltsame Bewegung mit der Hand, die seine Worte vermutlich unterstreichen sollte. Sie saßen an der Spitze des Schiffs, während die Sonne hinter ihnen langsam unterging.
„Du hast die Frau nur einen Moment lang gesehen.“, Rafael verstand die Eingebung seines neuen Bekannten auch nicht. Das Konzept Liebe war ihm nur vage bekannt, aber hier schien die Wortwahl reichlich unpassend.
„Und ich glaube kaum, dass dich ihre beiden Wachwölfe mit ihr alleine lassen.“, in Elisanders Stimme lag mehr Sorge als üblich.
„Wo Liebe ist, ist auch ein Weg. Man sollte immer von Großem träumen und sich nicht mit wenig zufrieden geben.“
Elisander seufzte. „Wenn wir schon von wenig sprechen – sie ist adlig und du bist pleite.“
„Mag sein, mein werter Freund, aber hier auf hoher See ist ihr Geld nichts wert und ich habe einen Plan.“
„Sag mir bitte, der Plan ist deine Füße still und dich fern von ihr zu halten…“, Elisander sah wenig hoffnungsvoll aus.
„Ich dachte da eher an Rum für Tarik und Jolp…“
„Taruk und Kjolp.“, Rafael blieb dabei seine Einwürfe auf ein Minimum zu beschränken.
„Und du hast keinen Rum.“, Elisander blieb dabei ihn von dummen Plänen abbringen zu wollen.
Rolaf kam über das Deck geschlendert und warf ihnen drei Äpfel zu. „Etwas zusätzliches Obst, solange es noch frisch ist. Gut gegen Skorbut.“
Rafael kannte das Wort nicht, aber es erinnerte ihn an eine mythische Kreatur.
„Haben die Herren vielleicht Lust auf ein Kartenspiel? Uthar werden wir kaum Überreden, und die Elfen sind sich zu fein. Mit den beiden Leibwachen kann man auch nichts anfangen. Alexandro spielt, und Gorgul kommt auch dazu. Wenn ihr dabei wärt, wären wir sechs.“
„Wer ist Gorgul?“, fragte Veyd irritiert.
„Gorgul? Gorgul der Zwerg. Gorgul Grabbsohn der Händler. Habt ihr ihn noch nicht gesehen?“
„Rafael hat schon Freundschaft mit ihm geschlossen.“, Elisander klopfte ihm auf die Schulter und grinste breit.
„Ich glaube dann setze ich lieber aus. Ich kann ohnehin nicht spielen.“
„Ach was, Rafael, lass dich nicht einschüchtern. Beim Spiel taut man auf, vielleicht ist er nur mit dem falschen Fuß aufgestanden.“, Veyd stand bereits auf und machte eine einladende Handbewegung.
„Sei es drum.“, Rafael beschlich ein ungutes Gefühl.

Jeder sollte ein Kupferstück geben, Veyd legte gönnerhaft das Geld für Elisander und ihn aus. Sie würden spielen bis nur einer übrig geblieben war, der bekam dann die fünf Kupfer der anderen. Es sei spannender, wenn man um Geld spielt. Sie mussten es wissen. Gorgul beschwerte sich lautstark, als Rafael sich an den Tisch setzte und musste von Rolaf und Alexandro beruhigt werden. Schließlich konnten sie mit dem Spiel anfangen.
Das Spiel war auf den ersten Blick ziemlich einfach. Jeder bekam zwei Karten und musste darauf setzen, dass er die beste Kombination mit den Karten die für alle gleich waren erhielt. Sie erklärten ihm kurz welche Kombinationen besonders gut und schlecht waren und wann er zu wetten hatte.
Die ersten Runden beobachtete er das Spiel ohne zu aktiv einzusteigen. Veyd kannte das Spiel ganz offensichtlich, hatte aber wenig Glück und verlor gegen Rolaf und Gorgul viel von dem Spielgeld. Elisander war eher zurückhaltend, Alexandro schien fast abwesend und trank Rum aus einer Flasche.
Als Rafael gerade glaubte das wesentliche Geschehen verstanden zu haben, nahm Alexandro überraschend Veyd alles ab. Der junge Abenteurer fluchte und ging hinaus.
Schon in der nächsten Runde verlor Elisander fast alles an Rolaf, und auch Gorgul ließ Federn. Der Kopf des Zwergs glühte in einer ungesunden Farbe.
Nun bekam Rafael wieder neue Karten. Eine Neun und eine Zehn in der gleichen Farbe, schwarz. Mit diesen Karten hatte eben Alexandro alles von Veyd bekommen, sie waren stark, aber nicht unschlagbar. Gorgul wettete hoch, schon bevor die Karten in der Mitte aufgedeckt wurden und Rafael entschied ebenfalls zu spielen.
Der Zwerg funkelte ihn an, sagte aber nichts. Alle anderen stiegen aus, offensichtlich interessiert wie diese Runde weiterging.
Die ersten Karten wurden aufgedeckt. Eine Drei in grün, eine Neun in rot und eine Zehn in grün. Er hatte zwei Paare, eine sehr gute Kombination. Er wusste nicht wie er damit umgehen sollte, also gab er an Gorgul ab. Dieser taxierte den Halbork und wettete erneut.
Rafael überlegte nicht lange und bezahlte die Wette. Die Anderen am Tisch blickten gespannt zwischen den beiden hin und her.
Die nächste Karte wurde aufgedeckt, ein Ritter in grün. Das brachte ihn nicht weiter, und er gab ab. Gorgul grinste breit und setzte alles was er hatte. Er sagte kein Wort, verschränkte die Arme vor dem Körper und blickte den Halbork intensiv an.
Rafael hatte etwas mehr als der Zwerg, aber wenn er die Wette bezahlte, blieb ihm fast nichts. Er dachte lange nach und es wurde sehr still im Raum. Das Meer rauschte draußen gleichmäßig vor sich hin. Schließlich schob Rafael sein Geld in die Mitte.
„Geh weinen, Ebergesicht, ich hab‘ eine perfekte grüne Blüte.“, Gorgul deckte einen König und ein Ass in grün auf, fünf Karten in der gleichen Farbe waren stärker als seine zwei Paare. Als er seine Karten aufdeckte, ging ein Raunen durch den Raum.
„Jetzt bin ich wieder im Spiel und die Missgeburt kann schlafen gehen.“
Rafael wähnte sich geschlagen, doch alle anderen hielten den Atem an, als die letzte Karte umgedreht wurde.
Eine Zehn in Rot.
Rafael hatte ein volles Boot, einen Drilling und ein Paar als Kombination und schlug damit die Blüte. Gorguls Mund blieb offen stehen, während Rolaf das Spielgeld zu Rafael schob.
„Dreckiger Betrüger!“, Gorgul hieb mit den Armen auf den Tisch, die Vibration ließ einige der Spielmünzen vom Tisch auf- und herabspringen.
„Es ist doch nur…“, Alexandro wollte ihn beruhigen und die Hand auf die Schulter legen, doch der Zwerg stieß sie weg und hüpfte auf den Stuhl auf dem er saß, nur um im nächsten Moment mit Gewalt über den Tisch zu springen.
Sitzend empfing Rafael den kleinen Mann. Der Stuhl wäre umgefallen, wenn der Raum genug Platz geboten hätte. Er blieb gekippt an die Wand stehen, Gorgul holte aus und wollte Rafael im Gesicht treffen. Die Position war schlecht, Rafael überrascht, so dass er nur schlecht reagieren und die eigene Hand erheben konnte. Der Schlag traf ihn hart an der Schläfe und glitt weg, doch die nächste Faust würde folgen. Rafael warf sich herum und sie fielen zur Seite auf den Boden zwischen Türe, Tisch und Schränken, kaum Platz sich zu bewegen, Geschweige denn zu Kämpfen.
Gorgul schrie ihn an: „Stirb du Hurenbock, du nichtswürdiger Eberjunge!“ und hieb jetzt tiefer, versuchte die Nieren unterhalb des Brustkorbs zu treffen. Rafael stöhnte, der Schläge waren präzise. Der Schmerz trieb ihm Tränen in die Augen.
Er rollte weiter, so gut er konnte, ein Versuch über den Zwerg zukommen, doch der blockierte mit einem Kniestoß, der mittig auf Rafaels Oberschenkel traf.
Also versuchte Rafael seinen linken Ellenbogen einzusetzen, zielte auf Gorguls Kinn. Der Zwerg war es augenscheinlich gewöhnt in engen Räumen zu kämpfen und parierte, doch unterschätzte er die Wucht und bekam die eigene Faust schmerzhaft gegen den Kopf. Rafael wollte sich aufbäumen um den Zwerg niederhalten zu können, da wurde er unsanft hinaufgerissen.
„Schluss habe ich gesagt, Schluss!“, Alexandro brüllte ihm ins Ohr. Rolaf und er hielten ihn jeweils einen seiner Arme, hatten ihn auf die Beine gezogen. Gorgul lag noch am Boden, und schien zu überlegen. Dann trat er nach oben, traf den Halbork genau zwischen den Beinen.
Rafael klappte zusammen und fiel nach hinten, begrub Rolaf halb unter sich. Der Schmerz glitt über den ganzen Körper, sein Unterleib fühlte sich an, als wäre er aus Feuer und Eis zugleich und von Hammer und Amboss bearbeitet. Vage nahm er war, dass Alexandro Gorgul aufhalf und ihn aus der Kombüse warf.
Es dauerte einige Zeit, bis Rafael auf einem Stuhl Platz nehmen konnte. Elisander, Rolaf und Alexandro warteten, fragten immer wieder wie es ihm geht. Schließlich spürte er wieder den Schmerz in den Eingeweiden und an der Schläfe, ein gutes Zeichen dafür, dass der Schmerz im Schritt nachließ.
„Meinst du, du kannst wieder laufen?“
„Hmhm…“
„Ok, dann runter mit dir auf deine Pritsche.“, Alexandro klang nicht, als machte er einen Vorschlag.
„Aber… das Spiel?“
„Du bist raus. Ihr habt euch geprügelt, das tolerieren wir nicht.“
„Er hat doch angefangen, nicht ich.“
„Hast du ihn nicht niedergeworfen? Nach ihm getreten? Deinen Ellenbogen an sein Kinn gerammt?“
„Verteidigt habe ich mich, weiter nichts.“
„Das spielt keine Rolle, Halbork. Man könnte auch sagen, du hast ihn provoziert, alles eine Frage des Blickwinkels.“, Rolaf mischte sich ein, sein Ton war hart, unbarmherzig.
„Kein bisschen habe ich ihn provoziert, er ist einfach nur voreingenommen. Elisander, sag auch etwas.“
Der Halbelf hatte den Kopf gesenkt, konnte ihm nicht in die Augen sehen.
„Geh schon Rafael, lass uns in Ruhe weiter spielen. Es ist ihr Schiff, ihre Regeln. Wie wäre das: Wenn ich gewinnen sollte, gebe ich dir deinen Einsatz zurück, in Ordnung?“, für die letzten Worte traute er sich den Blick zu heben, doch Rafaels Erwiderung ließ ihn gleich wieder in seine alte Haltung schnellen.
„Dann macht eben wie ihr wollt.“, Rafael stand ruckartig auf, eine Geste die sein Unterleib ihn sogleich bereuen lehrte. Er ging hinaus und hoffte inständig, dass Veyd noch draußen war. Der Gedanke alleine nach unten zu gehen machte ihm Angst – der verrückte Zwerg konnte mit einem Messer auf ihn warten.
An Deck war niemand, oben am Ruder stand wieder Zacharias, von Zwerg und Mensch aus der Spielrunde war keine Spur zu sehen.
Rafael stellte sich eine Weile an die Brüstung und schaute aufs dunkle Meer. Die Schmerzen verblassten langsam, in seinem Kopf gab es noch ein gedämpftes Hämmern und zwischen seinen Beinen schwelte nur noch ein gelöschtes Lagerfeuer. Diese Nacht war kälter, der Wind aufgefrischt. Wolken zogen in großen Klumpen über das Firmament, der Mond nur in seltenen Lücken zu sehen. Er fragte sich kurz, wie Zacharias wohl ohne Sterne navigieren konnte, aber die Luft blies zu kühl durch seine Kleidung für eine Unterhaltung.
Er überwand seine Zweifel und schlich nach unten, doch seine Furcht war unbegründet. Niemand wartete auf ihn. Veyd war ebenfalls nicht zu sehen. Er legte sich in auf seine Pritsche, unter ihm las Uthar Baal und auf der anderen Seite schliefen die Elfen. Es dauerte einige Zeit, bis er in einen unruhigen Schlaf fiel.
 



 
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