Helene Persak
Mitglied
„Setzt euch.“, erklingt auch gleich die Aufforderung dieser. Fügsam lassen sich auch die letzten auf ihre Plätze sinken.
Ein letzter Händedruck von Michelle, vom Stuhl neben ihr, dann Lössen sich auch ihre Hände voneinander und Gabrialla ist alleine. Alleine mit ihren Ängsten und Wünschen.
Seit der Pflanzzeit, seit es wärmer geworden ist und die Jungen Ländler in den Gärten waren, habe ich mich um Antworten bemüht. Es war recht anstrengend, mich mit ihnen anzufreunden, seufzt sie. Doch, noch anstrengender, sinniert sie, erleichtert, dies hinter sich zu haben, war es Antworten zu bekommen. Antworten auf die Frage, wie ich die Prüfung bestehen kann. Und dass alles, ohne bei ihnen den Willen zu wecken dies zu melden.
Unterwürfigkeit vorzuspielen war so seltsam und hat mich manchmal so sehr abgestoßen. Ich bin überrascht, dass so viele der Alten mir das geglaubt haben, überlegt sie. Die Jüngeren, vor allem die nur einen Zyklus älter sind, waren schwieriger. Entschlossen reckt sie ihr Kinn nach vorne, als ihre Gedanken zu dem Brunnen wandern.
Wie lange habe ich Ausschau nach ihm gehalten? Demjenigen, der als Vielversprechendster unter den neuen Ländlern gilt. Er ist der Einzige, im Kreis des Oberhauptes, der hauptsächlich in den Gärten arbeitet. Der Einzige, der mir meine dringendste Frage beantworten konnte: Wie kann ich sicher stellen, das sie mich zur Ländlerin erwählen? Fast denke ich, dass ich ein wenig weit gegangen bin. Belustigt unterdrückt sie ein Grinsen. Wie hätte ich widerstehen können? Was wäre die Alternative gewesen, als vor ihm am Brunnen zu sein und den Eimer hinein fallen zu lassen? Wie und wo hätte ich ihn sonst ausfragen können, als so kurz vor der Sperrstunde, wo er doch noch Wasser brauchte? Dumpf schlägt ihr Herz, als sie ihn erneut vor sich sieht.
Nervös den Stand der Sumza prüfend, als sie, viel zu langsam und ungeschickt, den Eimer erneut befüllt. Ein wohliger Schauer rieselt über ihren Rücken, sammelt sich in ihrem Nacken, als seine Augen vor ihr erscheinen. Angst! Angst davor, nicht rechtzeitig innerhalb der Gebäude zu sein und seine Vorbildfunktion nicht gerecht zu werden. Etwas regt sich in ihr.
Wie angenehm das war, hört sie ein Wispern, zu bestimmen, wann er vortreten darf. Sollte es nicht immer so sein? In schneller Abfolge blitzen Gesichter vor ihrem inneren Auge auf. Gesichter von Menschen, welche die Regeln deuten oder für die Einhaltung sorgen. Menschen, die sie Leiten sollen, wo sie nicht hin will. Gesichter von Lehrlingen, die ihr das Gefühl geben weniger zu sein, die sie meiden oder maßregeln wollen.
Und immer wieder diese ängstlichen Augen
Ja, stimmt sie seufzend zu.
Als hätte es die Bestätigung gebraucht, schiebt sich das Dunkle erneut empor. Streckt sich nach dem Zurückgebliebenem, will sich vereinen.
Gabrialla fühlt, wie sie zur Seite gleitet, ihr Körper sich anspannt und aufrichtet. Farben scheinen sich zu verschieben, Formen klarer zu werden und sich doch nicht zu verändern.
Was geschieht?
Warum sollte ich mich nach anderen Richten?, wispert es. Was könnten sie dagegen machen? Wer kann mir etwas entgegensetzen? Nur weil ich mich freiwillig ergebe ....
„Vergesst nicht, zu trinken“, unterbricht die Stimme der Lehrerin ihre Gedanken.
Huch. Was war los? Verwirrt blinzelnd blickt sich Gabrialla um. Die Prüfung!, erinnert sie sich wieder. Erleichtert bemerkt sie: Sie hat noch nicht angefangen. Wo war ich nur wieder?
„Gabrialla?“, wird sie direkt von der Lehrerin gefordert, „das gilt auch für dich!“ Wie auf Kommando ertönt ein lautes Knurren aus ihrem Magen. Eilig greift sie nach ihrem Gefäß und nimmt, unter den belustigten Blicken der um sie sitzenden, einige Schlucke zu sich.
„Also dann,“ fährt die Lehrerin fort, „es läuft ab, wie bei den anderen Prüfungen. Ihr kennt das jetzt alle schon.“
Als die Flüssigkeit ihren Magen erreicht, verschwindet auch der Rest des wohligen Schauers aus ihrem Kopf und Nacken. Leicht und doch, als hätte sie etwas verloren, bleibt sie zurück.
Noch einmal schwenkt der Blick der Lehrerin über die Gruppe und bleibt kurz bei ihr hängen. Einen Herzschlag, doch für Gabrialla zu lange, bevor er weiter, zu deren Tisch gleitet.
„Dann also,“ fährt sie fort, als der Blick die Prüfungsbögen trifft, „Stifte auf den Tisch und ruhe.“ Erwartungsvoll, als würden sie einer Belohnung und nicht einer Prüfung entgegensehen, richten sich die Lehrlinge auf. Gehorsam der Lehrerin entgegenblickend, erinnern sie mehr an die Statue, welche vor dem Haus der Oberhäupter aufgestellt ist, denn an 17 Zyklen alte Menschen.
Alleine Gabrialla kann nicht still sitzen. Unruhig wiegt sie ihre Hüfte, um ihre Ungeduld, ihren Drang sich zu bewegen, eine alternative zu geben.
Jetzt geht es los. Jetzt wird es ernst. Das darf ich nicht in den Teich setzen. Mit, vor Nervosität zitternden Fingern, nimmt sie ihren Prüfungsbogen entgegen und legt ihn, streng nach Vorschrift, umgedreht auf ihren Tisch. Mit, ebenfalls nach Vorschrift, auf eben diesen verschränkten Händen, wartet sie, bis die Lehrerin ihnen das Zeichen gibt.
In dem Versuch, sich von ihrer Unruhe abzulenken und sich auf die Prüfung einzustimmen, ruft sie sich die letzten in Erinnerung.
Die ersten Prüfungen waren Simpel.
Die Erste von ihnen sollte sicher stellen, dass wir die grundlegenden Regeln der Farm kennen.
Wie sollte ich sie nicht kennen? Sehne ich sie doch herbei. Sie sind so viel Freier, so viel angenehmer als die der Lehrlinge.
Doch, ohne sie zu kennen, wird man nie zu einem Erwachsenen erklärt, hat sie gelernt.
Nebenbei sind sie, nach scheinbar persönlichen Dingen befragt worden.
Nach Kinder und Partnerwunsch.
Wäh, die brauche ich nicht. Natürlich habe ich das nicht geschrieben.
Nach dem Bestreben, das sie selber antreibt. Sei es Kinder, Partner, Freunde oder Arbeit.
Was war hier wohl die richtige Antwort? Die Farm natürlich! Sicher nicht die Freiheit, nach der ich mich mehr als alles andere sehen, überlegt sie höhnisch.
Ging es in der ersten Prüfung darum, das Gelernte abzufragen, so wolle man hier ihre Reife erfahren. Scheinbar.
Den eigentlich, das hat sie bei ihren Erkundungen erfahren, geht es nur darum, was sie in dieser Position für die Farm machen kann. „Welchen Vorteil, welche Bereicherung hat die Farm, wenn du in dieser Position arbeitest?“ Hatte ihr einer der Befragten gesagt.
In der zweiten Prüfung, am dritten Tag der Prüfungszeit, war ihr allgemeines Wissen gefordert. Das, was sie all die Zyklen gelernt haben. Rechnen, Schreiben und die Grundlagen aller Arbeitsstätten.
Wer zumindest etwas aufgepasst hat, konnte nicht falsch Antworten. Aber, seit nunmehr neun Sumarzeiten arbeite ich in den Gärten und habe noch nie Schönschrift gebraucht. Es war schwer, doch ich habe mir alle Mühe gegeben.
Jetzt, bei der letzten Prüfung, geht es um die Arbeitsstellen. Hier geht es darum, ihre Eignung, ihr Wissen, Wollen und Können für die ausgesuchten Stellen zu erfahren. Jeder durfte sich drei Bereiche, erste bis dritte Wahl, aussuchen.
Jede Stelle hat nur eine begrenzte Anzahl an Stellen. Es ist schwer, eine der Beliebtesten zu bekommen.
Wie gut, das so wenige Ländler werden wollen. Wie schön, dass ich sicher nicht gutgenug für die Beliebtesten bin. Denn, genau diese hat sie sich als alternativen ausgesucht.
Als die Lehrerin ihre Runde beendet hat, schließt Gabrialla, wie so oft, die Augen und atmet bewusst ein und aus, um sich zu beruhigen und zu fokussieren.
„Also dann, beginnt.“ Ihre Augen schnellen auf, doch zu langsam. Das Rascheln offenbart ihr, dass sie zu spät ist. Wie geübt, drehen alle fast gleichzeitig den Bogen um und beginnen zu lesen. Eilig macht sie es ihnen nach.
Sofort beginnt die Lehrerin und die, bei den Prüfungen anwesenden Erzieher, mit ihren stetigen Wanderungen.
Hitzig sucht sie den Bogen für die Gärten und hält beklommen bei der ersten Frage inne.
Warum willst du Ländler werden? Instinktiv versucht sie zu schlucken. Doch ihre Anspannung und ihr dadurch verkrampfter Mund, behindern das.
Natürlich ist das die erste Frage!, ruft sie sich zur Ordnung. Was sollte es sonst sein? Ich muss mich beruhigen. Entschlossen nimmt sie sich einen Moment, um erneut ihre Augen zu schließen, und tief ein und aus zu Atmen.
Also, was haben sie gesagt? Nur die Gemeinschaft zählt. Alleine wer für die Gemeinschaft gut ist, kann für die Gemeinschaft sorgen und nur das zählt. Somit, muss ich meine Antworten, auf das Wohl der Gemeinschaft ausrichten!
Die Farm braucht Nahrung zum Überleben. Ohne Nahrung stirbt die Gemeinschaft und die Farm kann ihre Aufgabe nicht erfüllen. Ländler sorgen für diese Nahrung und sie brauchen Nachwuchs.
Sobald sie diese erste Frage beantwortet hat, ist es, als würde sie nur wieder eine der regelmäßigen Prüfungen schreiben. Konzentriert arbeitet sie sich durch die nächsten Fragen.
Als sie die letzte Frage beantwortet, dass letzte Wort geschrieben hat, überkommt sie das Gefühl tiefer Erleichterung.
Fertig!, ausgelaugt lässt sie sich in ihren Stuhl zurücksinken. Endlich fertig. Erleichtert und zufrieden mit dem Geleisteten faltet sie fügsam ihre Hände auf den Tisch. Schweigend, den Blick gehorsam gesenkt, wartet sie auf das Ende der Prüfung. Doch, nichts geschieht. Verwirrt schweift ihr Blick zu Michelle. WAS?, ruckartig setzt sie sich gerade auf, Ich bin vor Michelle fertig? Neugierig lässt sie ihren Blick über die anderen schweifen. Ich bin als Erste fertig?, erkennt sie überrascht. Wie kann das sein? Üblicherweise bin ich doch eine der Letzten. Was habe ich falsch gemacht? Panik überkommt sie, als sie erneut nach den Unterlagen greift und alles noch einmal durchgeht. Sie dreht jedes Blatt zwei Mal in ihren Händen und schaut, ob sie eine Frage ausgelassen hat.
Alles beantwortet, bestätigt sie überrascht. Wie kann es dann sein, dass ich als Erste fertig bin? Mit steigender Panik beginnt sie die Fragen erneut durch zu gehen und ihre Antworten zu prüfen. Überlegt, bei welchen sie mehr schreiben, noch treffender werden kann.
„Eure Stifte ablegen.“, erklingt es auf einmal. Zu früh - oder zu spät? - um Gabriallas Unsicherheit zu vertreiben.
Wie?, verwirrter als zuvor, blickt sie auf und zu ihrer Lehrerin. Ich bin noch nicht fertig! Obwohl es sie drängt, weiter zu schreiben, überwiegt auch hier die Erziehung und sie legt ihren Stift ab.
„Ich hoffe, ihr habt alle daran gedacht genug zu trinken? Ihr seit noch am Auswachsen und es ist schon spät. Ihr braucht diese Ergänzung um gut zu wachsen.“
Immer diese Mahnungen, mault sie in sich hinein, greift jedoch ebenfalls nach ihrem Behälter, wie all die anderen und leert ihn in einem Zug.
Mit dem bekannten Gefühl, etwas unerledigt gelassen zu haben, wartet sie, bis die Unterlagen von ihrem Tisch genommen werden. Als dann die Lehrerin das Zeichen gibt, ist sie eine der ersten, die aufspringt.
FREI! Endlich frei! Vor Unruhe zappelnd wartet sie, bis auch Michelle sich erhoben hat und dem Strom folgt. Nur ein Gedanke beschäftigt sie: Ich will hier raus. Einfach nur weg.
Als sie ihren Raum verlassen, spaltet sich die Lehrgruppe. Während Gabrialla und Michelle mit dem Hauptteil dem Flur folgen, wenden sich andere nach rechts zur Glasfront.
Einige von ihnen nehmen den kurzen Durchgang zur Tür, welche nach draußen führt. Andere folgen dem Strom noch drei Schritte, bis zur Balustrade, um dann die Treppe in das untere Stockwerk zu nehmen.
Aufmerksam, um mit keinen der anderen, offensichtlich ebenso erleichterten, Lehrlingen zusammen zu stoßen, folgt Gabrialla dem Strom weiter. Es ist der gleiche Weg, den sie auch her genommen haben. Doch nur bis zur Kuppel. Dort lösen sie sich von dem Strom.
„Wie lief es bei dir?“, erkundigt sich Michelle, als sie nach den anderen Ausschau halten.
„Ich habe das Gefühl, es lief zu gut.“, gesteht Gabrialla. Was ihr einen irritierten Blick der Freundin einbringt.
„Ich hab dich doch noch schreiben sehen. Kurz bevor die Prüfung vorbei war.“
„Richtig, da habe ich die Prüfung zum dritten Mal durchgeschaut, Michelle. Ich war vor dir fertig!“, fügt sie eindringlich an. „Alle anderen haben noch geschrieben. Das ist das Erste mal, dass ich vor allen anderen fertig war. Das erste Mal, das ich nicht bei den Letzten war.“ Schweigend sieht Michelle sie an.
Sie glaubt mir nicht.
„Vielleicht,“ antwortet Michelle dann doch, „Ist das ein gutes Zeichen. Du bist so oft in den Gärten, Gabrialla. Wäre es nicht verwunderlich, wenn du nicht jede der Fragen beantworten könntest? Schau, wie oft habe ich mit Lehrlingen, außerhalb unserer Gruppe, zu tun? Ich kann nur das Theoretische für die Arbeit einer Lehrerin. Du jedoch schon das Praktische in den Gärten ebenfalls.“
Vielleicht ... ob Michelle recht hat? Hat mir die Praxis einen größeren Vorteil als ihre Theorie gebracht? In einer theoretischen Prüfung?
„Hallo ihr beiden.“, unterbricht die ankommende Marie ihr Grübeln.
„Hallo Freunde,“ empfängt Michelle auch gleich die vier Neuankömmlinge. „Wie empfandet ihr die Prüfung?“
„Schwieriger als die Anderen, definitiv.“, antwortet ihr Sven eilig. „Ich habe mir die Fragen zu der Holzformung nicht so schwierig vorgestellt.“
„Na, was hast du den gedacht?“, lacht Juls. „Die Holzformung ist, ebenso wie die Metallformung die beliebteste Stelle der Männer. Wobei,“ fügt er selbstbewusst hinzu, „die Metallformung natürlich nur was für harte Männer ist.“ Das Zwinkern, das er dabei an Marie richtet, entringt Gabrialla nur ein genervtes Schnaufen. „Schreibarbeit,“ fährt er an Gino gerichtet fort, „kann jeder Machen.“
„Das ist schwieriger, als du denkst,“ verteidigt sich dieser, „Die Akten müssen akkurat geschrieben, beschriftet und sortiert werden.“
„Ja, schon klar ....“
„Los, lasst uns gehen,“ kommentiert Michelle diese Unterhaltung. Greift nach Gabriallas und Maries Hand, als sie dem nachlassenden Strom folgt.
Das ist der Zeitpunkt, als Gabrialla aufhört den Unterhaltungen zu folgen. Die Jungs ignoriert sie vollständig, während sie Michelles und Maries noch beiläufig folgt. Sie geht lieber ihren eigenen Gedanken nach, als sie vor Juls zu äußern.
Sobald wir gegessen haben, mache ich mich auf dem Weg in den Garten. Bei der ganzen Vorbereitung bin ich nicht mehr dazu gekommen. Ich will jedoch unbedingt mit Gideon reden. Bevor ich meiner Arbeit zugeteilt werde. Ich muss das endlich klären.
Ein letzter Händedruck von Michelle, vom Stuhl neben ihr, dann Lössen sich auch ihre Hände voneinander und Gabrialla ist alleine. Alleine mit ihren Ängsten und Wünschen.
Seit der Pflanzzeit, seit es wärmer geworden ist und die Jungen Ländler in den Gärten waren, habe ich mich um Antworten bemüht. Es war recht anstrengend, mich mit ihnen anzufreunden, seufzt sie. Doch, noch anstrengender, sinniert sie, erleichtert, dies hinter sich zu haben, war es Antworten zu bekommen. Antworten auf die Frage, wie ich die Prüfung bestehen kann. Und dass alles, ohne bei ihnen den Willen zu wecken dies zu melden.
Unterwürfigkeit vorzuspielen war so seltsam und hat mich manchmal so sehr abgestoßen. Ich bin überrascht, dass so viele der Alten mir das geglaubt haben, überlegt sie. Die Jüngeren, vor allem die nur einen Zyklus älter sind, waren schwieriger. Entschlossen reckt sie ihr Kinn nach vorne, als ihre Gedanken zu dem Brunnen wandern.
Wie lange habe ich Ausschau nach ihm gehalten? Demjenigen, der als Vielversprechendster unter den neuen Ländlern gilt. Er ist der Einzige, im Kreis des Oberhauptes, der hauptsächlich in den Gärten arbeitet. Der Einzige, der mir meine dringendste Frage beantworten konnte: Wie kann ich sicher stellen, das sie mich zur Ländlerin erwählen? Fast denke ich, dass ich ein wenig weit gegangen bin. Belustigt unterdrückt sie ein Grinsen. Wie hätte ich widerstehen können? Was wäre die Alternative gewesen, als vor ihm am Brunnen zu sein und den Eimer hinein fallen zu lassen? Wie und wo hätte ich ihn sonst ausfragen können, als so kurz vor der Sperrstunde, wo er doch noch Wasser brauchte? Dumpf schlägt ihr Herz, als sie ihn erneut vor sich sieht.
Nervös den Stand der Sumza prüfend, als sie, viel zu langsam und ungeschickt, den Eimer erneut befüllt. Ein wohliger Schauer rieselt über ihren Rücken, sammelt sich in ihrem Nacken, als seine Augen vor ihr erscheinen. Angst! Angst davor, nicht rechtzeitig innerhalb der Gebäude zu sein und seine Vorbildfunktion nicht gerecht zu werden. Etwas regt sich in ihr.
Wie angenehm das war, hört sie ein Wispern, zu bestimmen, wann er vortreten darf. Sollte es nicht immer so sein? In schneller Abfolge blitzen Gesichter vor ihrem inneren Auge auf. Gesichter von Menschen, welche die Regeln deuten oder für die Einhaltung sorgen. Menschen, die sie Leiten sollen, wo sie nicht hin will. Gesichter von Lehrlingen, die ihr das Gefühl geben weniger zu sein, die sie meiden oder maßregeln wollen.
Und immer wieder diese ängstlichen Augen
Ja, stimmt sie seufzend zu.
Als hätte es die Bestätigung gebraucht, schiebt sich das Dunkle erneut empor. Streckt sich nach dem Zurückgebliebenem, will sich vereinen.
Gabrialla fühlt, wie sie zur Seite gleitet, ihr Körper sich anspannt und aufrichtet. Farben scheinen sich zu verschieben, Formen klarer zu werden und sich doch nicht zu verändern.
Was geschieht?
Warum sollte ich mich nach anderen Richten?, wispert es. Was könnten sie dagegen machen? Wer kann mir etwas entgegensetzen? Nur weil ich mich freiwillig ergebe ....
„Vergesst nicht, zu trinken“, unterbricht die Stimme der Lehrerin ihre Gedanken.
Huch. Was war los? Verwirrt blinzelnd blickt sich Gabrialla um. Die Prüfung!, erinnert sie sich wieder. Erleichtert bemerkt sie: Sie hat noch nicht angefangen. Wo war ich nur wieder?
„Gabrialla?“, wird sie direkt von der Lehrerin gefordert, „das gilt auch für dich!“ Wie auf Kommando ertönt ein lautes Knurren aus ihrem Magen. Eilig greift sie nach ihrem Gefäß und nimmt, unter den belustigten Blicken der um sie sitzenden, einige Schlucke zu sich.
„Also dann,“ fährt die Lehrerin fort, „es läuft ab, wie bei den anderen Prüfungen. Ihr kennt das jetzt alle schon.“
Als die Flüssigkeit ihren Magen erreicht, verschwindet auch der Rest des wohligen Schauers aus ihrem Kopf und Nacken. Leicht und doch, als hätte sie etwas verloren, bleibt sie zurück.
Noch einmal schwenkt der Blick der Lehrerin über die Gruppe und bleibt kurz bei ihr hängen. Einen Herzschlag, doch für Gabrialla zu lange, bevor er weiter, zu deren Tisch gleitet.
„Dann also,“ fährt sie fort, als der Blick die Prüfungsbögen trifft, „Stifte auf den Tisch und ruhe.“ Erwartungsvoll, als würden sie einer Belohnung und nicht einer Prüfung entgegensehen, richten sich die Lehrlinge auf. Gehorsam der Lehrerin entgegenblickend, erinnern sie mehr an die Statue, welche vor dem Haus der Oberhäupter aufgestellt ist, denn an 17 Zyklen alte Menschen.
Alleine Gabrialla kann nicht still sitzen. Unruhig wiegt sie ihre Hüfte, um ihre Ungeduld, ihren Drang sich zu bewegen, eine alternative zu geben.
Jetzt geht es los. Jetzt wird es ernst. Das darf ich nicht in den Teich setzen. Mit, vor Nervosität zitternden Fingern, nimmt sie ihren Prüfungsbogen entgegen und legt ihn, streng nach Vorschrift, umgedreht auf ihren Tisch. Mit, ebenfalls nach Vorschrift, auf eben diesen verschränkten Händen, wartet sie, bis die Lehrerin ihnen das Zeichen gibt.
In dem Versuch, sich von ihrer Unruhe abzulenken und sich auf die Prüfung einzustimmen, ruft sie sich die letzten in Erinnerung.
Die ersten Prüfungen waren Simpel.
Die Erste von ihnen sollte sicher stellen, dass wir die grundlegenden Regeln der Farm kennen.
Wie sollte ich sie nicht kennen? Sehne ich sie doch herbei. Sie sind so viel Freier, so viel angenehmer als die der Lehrlinge.
Doch, ohne sie zu kennen, wird man nie zu einem Erwachsenen erklärt, hat sie gelernt.
Nebenbei sind sie, nach scheinbar persönlichen Dingen befragt worden.
Nach Kinder und Partnerwunsch.
Wäh, die brauche ich nicht. Natürlich habe ich das nicht geschrieben.
Nach dem Bestreben, das sie selber antreibt. Sei es Kinder, Partner, Freunde oder Arbeit.
Was war hier wohl die richtige Antwort? Die Farm natürlich! Sicher nicht die Freiheit, nach der ich mich mehr als alles andere sehen, überlegt sie höhnisch.
Ging es in der ersten Prüfung darum, das Gelernte abzufragen, so wolle man hier ihre Reife erfahren. Scheinbar.
Den eigentlich, das hat sie bei ihren Erkundungen erfahren, geht es nur darum, was sie in dieser Position für die Farm machen kann. „Welchen Vorteil, welche Bereicherung hat die Farm, wenn du in dieser Position arbeitest?“ Hatte ihr einer der Befragten gesagt.
In der zweiten Prüfung, am dritten Tag der Prüfungszeit, war ihr allgemeines Wissen gefordert. Das, was sie all die Zyklen gelernt haben. Rechnen, Schreiben und die Grundlagen aller Arbeitsstätten.
Wer zumindest etwas aufgepasst hat, konnte nicht falsch Antworten. Aber, seit nunmehr neun Sumarzeiten arbeite ich in den Gärten und habe noch nie Schönschrift gebraucht. Es war schwer, doch ich habe mir alle Mühe gegeben.
Jetzt, bei der letzten Prüfung, geht es um die Arbeitsstellen. Hier geht es darum, ihre Eignung, ihr Wissen, Wollen und Können für die ausgesuchten Stellen zu erfahren. Jeder durfte sich drei Bereiche, erste bis dritte Wahl, aussuchen.
Jede Stelle hat nur eine begrenzte Anzahl an Stellen. Es ist schwer, eine der Beliebtesten zu bekommen.
Wie gut, das so wenige Ländler werden wollen. Wie schön, dass ich sicher nicht gutgenug für die Beliebtesten bin. Denn, genau diese hat sie sich als alternativen ausgesucht.
Als die Lehrerin ihre Runde beendet hat, schließt Gabrialla, wie so oft, die Augen und atmet bewusst ein und aus, um sich zu beruhigen und zu fokussieren.
„Also dann, beginnt.“ Ihre Augen schnellen auf, doch zu langsam. Das Rascheln offenbart ihr, dass sie zu spät ist. Wie geübt, drehen alle fast gleichzeitig den Bogen um und beginnen zu lesen. Eilig macht sie es ihnen nach.
Sofort beginnt die Lehrerin und die, bei den Prüfungen anwesenden Erzieher, mit ihren stetigen Wanderungen.
Hitzig sucht sie den Bogen für die Gärten und hält beklommen bei der ersten Frage inne.
Warum willst du Ländler werden? Instinktiv versucht sie zu schlucken. Doch ihre Anspannung und ihr dadurch verkrampfter Mund, behindern das.
Natürlich ist das die erste Frage!, ruft sie sich zur Ordnung. Was sollte es sonst sein? Ich muss mich beruhigen. Entschlossen nimmt sie sich einen Moment, um erneut ihre Augen zu schließen, und tief ein und aus zu Atmen.
Also, was haben sie gesagt? Nur die Gemeinschaft zählt. Alleine wer für die Gemeinschaft gut ist, kann für die Gemeinschaft sorgen und nur das zählt. Somit, muss ich meine Antworten, auf das Wohl der Gemeinschaft ausrichten!
Die Farm braucht Nahrung zum Überleben. Ohne Nahrung stirbt die Gemeinschaft und die Farm kann ihre Aufgabe nicht erfüllen. Ländler sorgen für diese Nahrung und sie brauchen Nachwuchs.
Sobald sie diese erste Frage beantwortet hat, ist es, als würde sie nur wieder eine der regelmäßigen Prüfungen schreiben. Konzentriert arbeitet sie sich durch die nächsten Fragen.
Als sie die letzte Frage beantwortet, dass letzte Wort geschrieben hat, überkommt sie das Gefühl tiefer Erleichterung.
Fertig!, ausgelaugt lässt sie sich in ihren Stuhl zurücksinken. Endlich fertig. Erleichtert und zufrieden mit dem Geleisteten faltet sie fügsam ihre Hände auf den Tisch. Schweigend, den Blick gehorsam gesenkt, wartet sie auf das Ende der Prüfung. Doch, nichts geschieht. Verwirrt schweift ihr Blick zu Michelle. WAS?, ruckartig setzt sie sich gerade auf, Ich bin vor Michelle fertig? Neugierig lässt sie ihren Blick über die anderen schweifen. Ich bin als Erste fertig?, erkennt sie überrascht. Wie kann das sein? Üblicherweise bin ich doch eine der Letzten. Was habe ich falsch gemacht? Panik überkommt sie, als sie erneut nach den Unterlagen greift und alles noch einmal durchgeht. Sie dreht jedes Blatt zwei Mal in ihren Händen und schaut, ob sie eine Frage ausgelassen hat.
Alles beantwortet, bestätigt sie überrascht. Wie kann es dann sein, dass ich als Erste fertig bin? Mit steigender Panik beginnt sie die Fragen erneut durch zu gehen und ihre Antworten zu prüfen. Überlegt, bei welchen sie mehr schreiben, noch treffender werden kann.
„Eure Stifte ablegen.“, erklingt es auf einmal. Zu früh - oder zu spät? - um Gabriallas Unsicherheit zu vertreiben.
Wie?, verwirrter als zuvor, blickt sie auf und zu ihrer Lehrerin. Ich bin noch nicht fertig! Obwohl es sie drängt, weiter zu schreiben, überwiegt auch hier die Erziehung und sie legt ihren Stift ab.
„Ich hoffe, ihr habt alle daran gedacht genug zu trinken? Ihr seit noch am Auswachsen und es ist schon spät. Ihr braucht diese Ergänzung um gut zu wachsen.“
Immer diese Mahnungen, mault sie in sich hinein, greift jedoch ebenfalls nach ihrem Behälter, wie all die anderen und leert ihn in einem Zug.
Mit dem bekannten Gefühl, etwas unerledigt gelassen zu haben, wartet sie, bis die Unterlagen von ihrem Tisch genommen werden. Als dann die Lehrerin das Zeichen gibt, ist sie eine der ersten, die aufspringt.
FREI! Endlich frei! Vor Unruhe zappelnd wartet sie, bis auch Michelle sich erhoben hat und dem Strom folgt. Nur ein Gedanke beschäftigt sie: Ich will hier raus. Einfach nur weg.
Als sie ihren Raum verlassen, spaltet sich die Lehrgruppe. Während Gabrialla und Michelle mit dem Hauptteil dem Flur folgen, wenden sich andere nach rechts zur Glasfront.
Einige von ihnen nehmen den kurzen Durchgang zur Tür, welche nach draußen führt. Andere folgen dem Strom noch drei Schritte, bis zur Balustrade, um dann die Treppe in das untere Stockwerk zu nehmen.
Aufmerksam, um mit keinen der anderen, offensichtlich ebenso erleichterten, Lehrlingen zusammen zu stoßen, folgt Gabrialla dem Strom weiter. Es ist der gleiche Weg, den sie auch her genommen haben. Doch nur bis zur Kuppel. Dort lösen sie sich von dem Strom.
„Wie lief es bei dir?“, erkundigt sich Michelle, als sie nach den anderen Ausschau halten.
„Ich habe das Gefühl, es lief zu gut.“, gesteht Gabrialla. Was ihr einen irritierten Blick der Freundin einbringt.
„Ich hab dich doch noch schreiben sehen. Kurz bevor die Prüfung vorbei war.“
„Richtig, da habe ich die Prüfung zum dritten Mal durchgeschaut, Michelle. Ich war vor dir fertig!“, fügt sie eindringlich an. „Alle anderen haben noch geschrieben. Das ist das Erste mal, dass ich vor allen anderen fertig war. Das erste Mal, das ich nicht bei den Letzten war.“ Schweigend sieht Michelle sie an.
Sie glaubt mir nicht.
„Vielleicht,“ antwortet Michelle dann doch, „Ist das ein gutes Zeichen. Du bist so oft in den Gärten, Gabrialla. Wäre es nicht verwunderlich, wenn du nicht jede der Fragen beantworten könntest? Schau, wie oft habe ich mit Lehrlingen, außerhalb unserer Gruppe, zu tun? Ich kann nur das Theoretische für die Arbeit einer Lehrerin. Du jedoch schon das Praktische in den Gärten ebenfalls.“
Vielleicht ... ob Michelle recht hat? Hat mir die Praxis einen größeren Vorteil als ihre Theorie gebracht? In einer theoretischen Prüfung?
„Hallo ihr beiden.“, unterbricht die ankommende Marie ihr Grübeln.
„Hallo Freunde,“ empfängt Michelle auch gleich die vier Neuankömmlinge. „Wie empfandet ihr die Prüfung?“
„Schwieriger als die Anderen, definitiv.“, antwortet ihr Sven eilig. „Ich habe mir die Fragen zu der Holzformung nicht so schwierig vorgestellt.“
„Na, was hast du den gedacht?“, lacht Juls. „Die Holzformung ist, ebenso wie die Metallformung die beliebteste Stelle der Männer. Wobei,“ fügt er selbstbewusst hinzu, „die Metallformung natürlich nur was für harte Männer ist.“ Das Zwinkern, das er dabei an Marie richtet, entringt Gabrialla nur ein genervtes Schnaufen. „Schreibarbeit,“ fährt er an Gino gerichtet fort, „kann jeder Machen.“
„Das ist schwieriger, als du denkst,“ verteidigt sich dieser, „Die Akten müssen akkurat geschrieben, beschriftet und sortiert werden.“
„Ja, schon klar ....“
„Los, lasst uns gehen,“ kommentiert Michelle diese Unterhaltung. Greift nach Gabriallas und Maries Hand, als sie dem nachlassenden Strom folgt.
Das ist der Zeitpunkt, als Gabrialla aufhört den Unterhaltungen zu folgen. Die Jungs ignoriert sie vollständig, während sie Michelles und Maries noch beiläufig folgt. Sie geht lieber ihren eigenen Gedanken nach, als sie vor Juls zu äußern.
Sobald wir gegessen haben, mache ich mich auf dem Weg in den Garten. Bei der ganzen Vorbereitung bin ich nicht mehr dazu gekommen. Ich will jedoch unbedingt mit Gideon reden. Bevor ich meiner Arbeit zugeteilt werde. Ich muss das endlich klären.