Kapitel 6

Bala

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Elonore kam nun immer tiefer in den kleinen Wald, in dessen Inneren, wie sie wusste, die Sümpfe waren. Genau dort glaubte sie das Medaillon, besser gesagt eine Hälfte davon, zu finden. Es war wieder diese schreckliche Stille. Eine Ruhe, die jeden in den Wahnsinn trieb.
Hier und da war ein Vogel zu hören, aber auch das lenkte Elonore einfach nicht von ihren Gedanken ab, die immer noch um Colet kreisten. Es war ihr, als ob ein Teil von ihr selbst, ein Teil ihres Seins, verloren gegangen sei. Sie nahm nur das Nötigste von ihrer Umgebung war. Eigentlich war sie nicht dort. Sie war wo anders. An einem Ort, den es nicht gibt, den niemand sehen oder beschreiben kann. Irgendwie war nichts mehr so, wie es einstmals gewesen ist.
Colet kam so eben am Rande des Waldes an. Tausende Gedanken schwirrten nun in seinem Kopf. Wo ist sie hingegangen? Ist ihr was passiert? Kann ich ihr helfen? Er konnte erst mal keinen klaren Gedanken fassen. Das Herz von Colet schlug heftig.
Minutenlang irrte er nur im Äußeren Teil des Waldes, bis sein Kopf endlich wieder etwas klares sagte: „Wenn sie das Medaillon sucht, und das tut sie, dann wird sie zu den Sümpfen geritten sein.“
So schnell er jetzt nur konnte und es bei dem Gelände, voller Steine und Stöcke, möglich war, ritt er nun eben zu jenem Ort hin.
„Mach sie diesmal fertig oder du wirst es bereuen!“ sagte die dunkle Person wieder am nicht bekannten Ort.
Elonore kam nun in eine immer feuchtere Gegend. Die Bäume wurden weniger, dafür die Büsche immer mehr. Auch steigerte sich die Dunkelheit mehr und mehr. Der Boden war nun immer weicher, Eos fiel es inzwischen alles andere als leicht voran zu kommen. Das Einhorn sank immer wieder ein und benötigte Kraft den Fuß raus zu bekommen. Der Prinzessin war es unwohl zu Mute, am liebsten wäre sie nun auf irgend einem Staatsakt, so stressig diese auch waren, aber dort war immerhin keine Bedrückende Ruhe, keine ungewisse Stille, was man keinem Menschen gönnte, dem ärgsten Feind nicht.
Etwas flog am Kopf der Prinzessin vorbei und sie erschrak, ihr Herz schlug kurz nicht mehr. Sie erkannte, dass es eine Libelle war, aber mindestens einen halben Meter lang. „Ich komme der Medaillon-Hälfte immer näher.“ stellte sie somit in ihren Gedanken fest. „Laut dem Hinweis haben sich Tiere vergrößert. Das kann vom Medaillon kommen. Ach, es muss daher kommen.“
Ihr Herz und ihr Verstand schienen ihr zu deuten, sie ist auf dem richtigen Weg. Auch Eos nickte nun etwas. Elonore hielt kurz die Puzzle-Hälfte fest, welche sie in ihrer Westentasche hatte. „Ich werde es schaffen, Bruder. Das verspreche ich.“
Eos blieb auf ein mal stehen. Elonore war verwundert. Sie stieg ab. Könnte vielleicht... „Eos, ist die Medaillon-Hälfte hier?“ Wiehernd nickte Eos. Nun sah sich die Prinzessin um, ihre Hand immer am Griff ihres Schwertes. Wachsam darauf achtend, ob ein Feind auftauchen würde. In ihr war es kalt. Anscheinend war es Eos nicht möglich, die genaue Stelle zu beschreiben, Elonore war sich klar, dass nur sie es finden konnte. Sie sah auf den Boden, auf die Sträucher. Ihre Füße sanken mit jedem Schritt ein, sie musste viel Kraft einsetzen. Jedes Geräusch schreckte sie auf, sie achtete auf jedes Detail. Um das Medaillon zu finden, ließ die Prinzessin ihr Herz sprechen. Sie vertraute ihrer inneren Stimme und schloss ihre Augen. Ihre Gefühle sollten sie nun leiten. Keine Zweifel waren in ihr, selten war sie sich so sicher. Ob Eos ihr dieses Selbstvertrauen gab? Oder hatte sie es doch schon immer in sich und Elonore hatte es nur nicht erkannt? Sie tat Schritte, mit geschlossenen Augen. Sie fühlte wie sie dem Medaillon-Stück immer näher kam.
Elonore hielt inne und öffnete die Augen. Sie ging auf die Knie. „Hier! Genau hier!“ sagte nun die Stimme ihres Herzens. Elonore fing an zu graben, voller Hektik mit ihren Händen, kämpfte sie sich durch den tiefen, feuchten Boden. Ihre Finger verkrampften, ihre Hände taten ihr weh, ihr Atem ging kurz und hektisch, sie warf jeden Brocken weg von sich. Ihr Gesicht, ihre Weste wurden schmutzig.
Da war Eos Wiehern zu hören, laut und voller Angst. Elonore sah zuerst zu Eos, die ein paar Meter neben ihr stand, dann hinter sich. Und ihr stockte der Atem, zwei der Muskulösen Echsen-Gestalten
mit den Riesen-Krallen rannten auf sie zu. Schnell zog Elonore ihr Schwert, als schon die erste Gestalt vor sie sprang und zu schlug. Elonore rollte sich zur Seite und stand auf, die Echse zog ihre Kralle raus. Elonore dachte nur an Flucht, aber da stand die andere Echse vor ihr und griff an.
Elonore verteidigte sich mit dem Schwert. Das Monster schlug, einmal, zweimal, Elonore brauchte viel Kraft, fühlte gewaltigen Druck auf den Armen, hatte Angst. Es kam wieder ein Schlag und Elonore wich nach unten aus-und vernahm zu ihrer Verwunderung einen lauten Schrei einer Echsen-Gestalt.
Diese war von der Kralle seines Kameraden erwischt worden. Wieder ein mal war das Schicksal auf Elonores Seite. Aber schon wurde sie erneut angegriffen. Sie schlug zurück, drehte sich, wich aus, schlug wieder. Aber nun ging ihre Kraft aus. Eos sprang ihr zur Hilfe, aber die Echse schlug und stieß die Stute zur Seite. Eos stürzte. „Eos!“ schrie die Thronfolgerin.
Das Monster schlug nun wieder und schleuderte Elonore weg, als diese ihr Schwert zur Abwehr nutzte. Nun kam es Schritt für Schritt auf sie zu. Elonore versuchte aufzustehen, aber ihre Kraft war nicht da. Das Monster holte aus-da sprang etwas dazwischen und hielt die Klauen der Kreatur auf.

Elonore konnte nicht glauben, wen sie da sah. Ihr Herz und ihr Seelenleben schwankten zwischen gewaltigen Schock und einer unbeschreiblichen Freude. „Colet!“
„Prinzessin,“ keuchte dieser nun hervor, während er gegen die Klauen drückte, „beeilt euch, holt das Medaillon.“
Elonore konnte zuerst gar nichts tun, sie war gelähmt. Dann aber rannte sie los, instinktiv wieder an die Stelle, wo sie zuletzt gegraben hatte. Sie kniete sich nieder und grub nun wieder, nun aber umso mehr motiviert. Sie wollte nicht nur für Kaleb, für Heminaz das Medaillon finden-sie wollte es nun auch für Colet finden. Dieses Gefühl erzeugte in ihr eine riesige Hitze, es setzte neu Kräfte in ihr frei. Sie glaubte tiefer zu graben als es jede Schaufel hätte tun können.
Colet hatte inzwischen sein Messer gezogen und wich den Schlägen immer wieder aus. Er wollte nicht aufgeben, obwohl er wusste, dass er keine Chance hatte gegen diese Kreatur. Aber jeder Gedanke an Elonore stärkte ihn. Er rollte sich unter einem Schlag durch und stach zu. Das Monster schrie fürchterlich auf und griff wieder an, aber wieder entkam Colet. Die Wut des Monsters steigerte sich mit jedem Misserfolg.
Elonore grub und grub. Aber sie stieß nicht auf das Medaillon. Sie zweifelte: Hatte sie sich doch geirrt? War das Medaillon vielleicht doch ganz wo anders? War er nun da, der eine Fehler, der alles vernichtete, zerstörte, wofür sie gekämpft hatte? Nein, das konnte nicht sein, sie darf einfach nicht aufgeben, es muss hier sein. Sie grub weiter.
Plötzlich fühlte die Prinzessin einen Schmerz an ihrem Fingerknöchel. An irgendetwas hatte sie sich angestoßen. „Wunderbar,“ dachte sie sich, „jetzt ist da auch noch ein Stein im Weg.“ Sie nahm das Objekt und wollte es weg werfen, aber...
„Moment mal, das...ist doch kein Stein!“ Dieses Ding war kalt, und-es war metallisch. Konnte es etwa...schnell wischte sie den Dreck weg. Immer mehr goldener Glanz kam zum Vorschein. Dann erkannte sie auch zwei kleine Sterne, in dem einen eine Sonne, in dem anderen eine Schneeflocke.
Stark leuchteten die dort befindlichen, kleinen Edelsteine, wie die zwei ersten Sterne, wenn sie am Abendhimmel auftauchen und die Dunkelheit durchbrechen.
Elonores Herz machte einen riesigen Hüpfer, sie lächelte. Sie erhielt einen richtigen Energie-Schub. Es war geschafft. Elonore hatte die erste Hälfte des Medaillons der Sterne gefunden. Die Aufgabe war nun zur Hälfte erfüllt. Sie dachte: „Ich habe es geschafft, Kaleb. Mutter, Vater, Eos: Ich habe die Hälfte des Medaillons gefunden.“
Am liebsten hätte sie nun los gejubelt, aber das laute Wiehern von Eos verhinderte es. Voller dunkler Vorahnung drehte sie sich um. Sie sah Colet, welcher immer mehr vom Monster bedrängt wurde, und Eos, die sich nun auch wieder dazu gesellt hatte. Verzweifelt kämpften das Einhorn und der Knecht gegen die unheimliche Gestalt, diese aber war wenig beeindruckt. Mit einem Stoß beförderte das Monster Eos zu Boden. Und dann trat es gegen Colet, der daraufhin Meter weit weg geschleudert wurde. „Eos!Colet!“ Voller Schreck musste nun Elonore mit an sehen, wie die Echsen-Gestalt nun Schritt für Schritt auf Colet zu kam. Colet war geschwächt, benommen. Das Herz der Prinzessin krampfte sich zusammen. Sie spürte, wie wichtig Colet für sie war. Nur noch zwei Schritte. Elonore zog ihr Schwert.
Colet sah die Kreatur auf sich zu kommen. Aber Colet empfand, was für ihn selber nicht zu erklären war, keine Angst mehr. Mit seinem Leben hatte er abgeschlossen. Er war nur froh, dass er der Prinzessin helfen konnte auf dieser wichtigsten Mission, die es je gab.
„Danke, Elonore,“ ging durch seinen Kopf, „Danke, dass ich dich kennen lernen durfte. Danke, dass ich dir helfen konnte. Ich hoffe, du vergisst mich nicht.“ Seine Augen schließend erwartete Colet nun den aller letzten Schlag. „Es wird nur kurz sein, ich werde keine Schmerzen fühlen. Ich bereue nichts!“
Ein Schrei war zu hören-vom Monster. Colet öffnete seine Augen und war völlig perplex. In der Seite des Echsen-Soldaten steckte Elonores Schwert. Mit allerletzter Verzweiflung und Kraft hatte die Prinzessin ihre Waffe in Richtung des Feindes geworfen. Elonore sah hin, atmete erleichtert tief durch als sie sah, dass die Waffe getroffen hatte. Nun aber siegte wieder die Erschöpfung, sie konnte sich nicht halten und sank auf ihre Knie.
Eos versuchte immer noch krampfhaft sich wieder auf ihre Beine zu bringen. Im ersten Moment völlig geschockt, überrascht und gelähmt war Colet. Es war also doch nicht seine Ende. Nachdem er ein paar Sekunden, die ihm aber wie eine Ewigkeit, ja wie Stunden vor kamen, verstreichen ließ um das zu verarbeiten, rappelte er sich so schnell wie möglich auf, sprang vor und stieß das Schwert noch tiefer in den Feind. Das Monster schrie erneut unglaublich beängstigend. Colet aber interessierte das gar nicht mehr, mit jeder Faser seines Körpers riss er nun das Schwert noch zur Seite, schlitzte die Kreatur so nochmal richtig auf. Diese ging daraufhin leblos zu Boden. Erschöpft, erleichtert, aber auch froh atmete Colet aus und legte sich hin.
Elonore fiel die Last eines gesamten Berges vom Herzen. In ihr war das Gefühl, so eben nochmal ein neues Leben begonnen zu haben. Sie stand, das Medaillon in der Hand, auf und ging als erstes zu Eos und umarmte, vor lauter Glück weinend, ihre Gefährtin. „Eos...wir haben es geschafft.“ schluchzte sie.
Eos schmiegte sich an sie und schien ihr zu sagen: „Ja, das haben wir.“ Nach einiger Zeit half sie dem Einhorn auf die Beine, dann eilte sie zu Colet, welcher zwar unverletzt schien, aber völlig erschöpft laut schnaufte. Sie sah ihn an.
„Colet, alles mit dir in Ordnung?“
„Mir gings...schon mal besser, aber es ist alles gut soweit. Habt ihr es?“ brachte er stöhnend hervor. „Ja, ich hab es!“ erwiderte die Prinzessin und zeigte die Medaillon-Hälfte hervor, bevor sie sie in ihre Westentasche einsteckte. „Ohne dich hätte ich es nie geschafft. Danke!“
Colet lächelte sie an: „Ich wusste, dass ihr es schafft, Prinzessin. Ihr seid es würdig, unserem Land zu helfen und es zu führen.“
Elonore verlor sich aber nun in den braunen Augen des ehemaligen Bauern-Knechtes. Das Herz der Prinzessin schlug schneller als der Galopp eines jeden Pferdes. In ihr schwirrten tausende, nein, aba Millionen von Schmetterlingen. Sie spürte die gewaltigste und wohltuendste Wärme, die sie je gefühlt hatte. Leise flüsterte sie: „Hör endlich auf mich so zu nennen. Für dich bin ich einfach nur Elonore.“ Sie schloss ihre Augen und küsste ihn sanft.
Colet erwiderte den Kuss. Er wurde immer leidenschaftlicher. Die zwei umarmten sich fest, rollten sich zur Seite. Eos sah hinüber zu einem Gebüsch.
Glücklich und sich umarmend lagen die beiden nun nackt, auf einer Decke liegend und von einer Decke bedeckt aneinander. Sie streichelten sich. „Was machst du eigentlich hier, Colet?“
Colet erwiderte: „Mein Herr hat mich aus meinem Dienst entlassen. Er hat mir gesagt, ich soll dir folgen . Ich konnte einfach nicht mehr ohne dich leben. Prinzessin von Heminaz, ich habe dich vom ersten Moment an geliebt. Ich will nie wieder von dir getrennt sein. Nie wieder.“
Elonore glaubte zu schweben. Sie schmiegte sich an ihn. Alle Sorgen, alle Ängste, alle Zweifel, all das war nun vergessen, für immer. Sie hatte nun das größte Glück gefunden.
„Ich liebe dich auch. Vom ersten Augenblick an. Für immer.“ Sie reichten sich die Hände und schlossen ihre Augen, um diesen Moment zu genießen. Ihre Herzen schlugen im Einklang.
Eos unterbrach mit einem Wiehern nun diese Stille. Beide lachten.
„Ja, ich weiß, Eos, es wird Zeit. Wir müssen zurück!“ Sie standen auf und zogen sich an. Elonore besah nochmal die eine Hälfte des Medaillons. Sie sahen sich dann nochmal in die Augen, und sagten sich alleine durch diese Blicke, dass sie sich liebten und nun für immer beisammen sein würden. Dann stieg Elonore auf Eos und Colet auf sein Pferd, welches er geholt hatte während Elonore sich angezogen hatte.
„Alles können wir schaffen, so lange wir die Liebe haben. Das habt ihr uns immer wieder gesagt, Mutter, Vater, ihr hattet mit jedem Wort Recht. Ich fühle, dass ich alles schaffen kann. Nein, dass ich es werde, mit meinem Bruder und mit Colet. Kaleb, ich weiß nicht wo du gerade bist, aber sei dir sicher, wir schaffen es. Niemand hält uns auf. Absolut niemand.“

„Verdammt, Verdammt, Verdammt. Jetzt reicht es. Anscheinend muss ich nun noch schärfere Geschütze auffahren. Dann werde ich eben sie selbst nun zu ihren größten Feinden machen.“ Am Unbekannten Ort war dieser Schrei zu vernehmen. Der Hass war ungemein größer geworden.
 



 
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