Friedensbringer
Mitglied
Es war bereits heller Morgen als Elisander die knarrende Treppe hinauf an Deck nahm. Das Sonnenrund war gerade eben komplett über den Horizont hinaus, und es konnten nur Minuten sein, bis Rolaf zum Frühstück rief. Der drahtige Halbelf streckte sich ausgiebig und wanderte zu der kleinen Bank vorne an der Vasa Baltazar. Das sanfte Schaukeln des gleichmäßigen Wellengangs wirkte Übel erregend, als er die Beine hoch legte und den Blick in Fahrtrichtung kehrte.
Drei lange Wochen waren sie nun auf See, Haferschleim, Fisch und Zwieback hingen Elisander zu den spitzen Ohren heraus und er sehnte sich nach festem Boden unter den gelangweilten Füßen. Er erwartete täglich das rettende Rufen „Land in Sicht!“.
Oder wenigstens „Vielleicht sind wir bald da.“.
Aber da war kein Land.
Und außer ihm schien es niemanden zu stören.
Er schwang den Kopf zur anderen Seite, sah an den strafen Segeln vorbei zum Ruder an dem der Kapitän selbst stand und Kurs hielt. Rubin übernahm fast alle Aufgaben des Steuermanns Alexandro seit dem Sturm. Doch der Matrose war nicht der einzige, an dem der Wind seine Spuren hinterlassen hatte.
Rafael war wie verwandelt. Aus dem zurückhaltenden, unsicheren Halbjungen war ein selbstsicherer, dominanter Orkmann geworden. Sogar sein Gang hatte sich gewandelt, seine Haltung war anders. Rafael war plötzlich erwachsen. Selbst mit dem Streitsüchtigen Zwerg hatte er sich vertragen, geradezu angefreundet. Elisander hätte dergleichen auf der ersten Hälfte ihrer Fahrt nicht für möglich gehalten.
Und Veyd. Der Halbelf wusste nur durch einige kurze Erzählungen von Gorgul was an dem Abend in der Kapitänskajüte vorgefallen war. Aus dem überheblichen Naivling war offenbar eine Lachnummer gemacht worden. Auch er war nicht mehr der Gleiche.
Als Taruk und Elisander am Morgen den betrunkenen Veyd zwischen den Kisten und Seilen gefunden hatten, war Taruk aus dem Lachen nicht mehr heraus gekommen und hatte sofort Kjolp hinzu geholt. Fast waren sie über seinen herausstehenden Fuß gestolpert und hatten den sonst so stolzen Menschen in seinem eigenen Erbrochenen mit einer Flasche Fusel in der Hand angetroffen. Die Kopfschmerzen vom Rum dauerten, nach Veyds Angaben, die nächsten drei Tage. Seine Versuche der adligen Dame schöne Augen zu machen, dämmerten bloß noch schwach. Fast lustlos lächelte er sie an. Seine Hoffnung war ebenso verflogen wie seine Attitude.
Seit diesem Morgen gab er nicht mehr pausenlos mit Frauen- oder Seegeschichten an, sondern begann zuzuhören. Natürlich, gefragt hatte er auch zuvor, doch nun war etwas anders. Die Fragen stellte er nicht mehr nur, um eine Atempause zwischen seinen Geschichten zu haben oder allgemeine Hintergrundinformationen zu bekommen, er war endlich gewillt zuzuhören.
Nicht das Elisander gewillt war viel zu erzählen.
Dennoch war der Umgang angenehmer, herzlicher, und Elisander, auch wenn seine Zunge sich nicht lockerte, genoss die neuerlichen Gespräche mit dem jungen Mann.
Nicht so Rafael. Den Erzählungen nach waren die beiden sehr scharf aneinander geraten und der Art nach wie sie miteinander umgingen, hatte sie Einander nur oberflächlich verziehen. Warum genau Rafael auf den jungen Mann wütend war, entging Elisander zwar, doch ihm wurde eines bewusst:
Nach ihrer Ankunft, würden sich ihre Wege sicher bald trennen.
Und das stellte den Halbelfen vor ungeahnte Probleme.
Einem der Beiden zu folgen schien die einzige vernünftige Wahl. Nur wem? Zwar kannte er Rafaels Vergangenheit, doch viel würde ihm dies nicht mehr nutzen. Der Halbork war zu weit weg von allem, was ihm Angst machen konnte und Elisander hatte keine Beweise. Aber er war stark und verblüffend clever, außerdem vorsichtig und wahrscheinlich ein sicherer Begleiter.
Veyd auf der anderen Hand hatte erstaunliche Fähigkeiten. Seefahrer, Kartograph, Magierlehrling. Letzteres machte ihn für den Halbelf zwar nicht zum besseren Freund, hatte jedoch verschiedene Vorteile. Außerdem hatte sich seine Einstellung zuletzt deutlich verbessert. Trotzdem musste Elisander immer noch am Verstand eines Mannes zweifeln, der Gold für Wildfremde herauswarf und offenbar in den blauen Tag hinein lebte.
Erneut wendete er den Kopf und blickte wieder voraus. Ein wenig Zeit blieb ihm noch für seine Entscheidung.
Beim Frühstück wurde das Verlangen, den Haferschleim doch lieber stehen zu lassen, zu groß. Kaum mehr als zwei Löffel bekam Elisander hinunter. Rafael ging es offenbar nicht anders, auch er ließ den halben Teller stehen. Nur Veyd konnte offenbar lange genug gegen den Brechreiz ankämpfen um seine komplette Portion zu vertilgen. Erstaunliche Leistung.
„Und Jungs,“, Rolaf sprach sie erst an, nachdem der Magier den Raum verlassen hatte, „glaubt ihr, wir sehen heute Land?““
Elisanders Kinn hing durch, seine Augen kniff er zu schmalen Schlitzen zusammen. „Was meinst du? Seit drei Tagen hoffe ich auf festen Boden und frisches Brot.“
Rolaf hielt sich vor Lachen den Bauch. Auch Veyd schmunzelte. Er klärte ihn auf. „Freund Elisander, die Seeleute wissen genau, wo wir sind und können so auch ziemlich genau sagen, wann wir ankommen.“
„So?“, Elisander sah verblufft zu Rolaf. „Und was soll dann die Frage?“
„Och Halbspitz, schmoll doch nicht. Ich mache nur Spaß. Noch vier bis fünf Stunden, dann laufen wir in den Hafen. Noch heute betrittst du Bregoheim.“
Elisander lief ein Lächeln über das Gesicht. „Fantastisch! Warum erzählt man mir sowas nicht früher?“
Dann dachte er an seine Begleiter. Veyd und Rafael hatten sich bisher nicht zu ihren Plänen geäußert, und er vermutete, dass sie Keine hatten. Er fühlte sich kurz wie ein Kind, welches zwischen seinen zwei Vätern wählen sollte, ohne einen von Beiden zu kennen. Ein wirklich hässlicher Vater und ein wirklich Einfältiger. Schwere Wahl.
„Veyd, du warst es der uns auf dieses Schiff geholt hat. Wie geht es weiter?“
Der Mensch schaute ihn an, von oben nach unten und zurück. „Ich? Korrektur, Freund Elisander, es war deine Idee und dein Verdienst, dass wir diese Reise antreten konnten.“
Recht hatte er zwar, aber… „Aber es war dein Geld und auch dein Wunsch die Welt zu sehen und etwas zu erleben.“
„Geld, ja… da sprichst du einen wichtigen Punkt an. Wieviel haben wir noch?“
„Mich brauchst du nicht ansehen,“, sagte Elisander, „Alles was ich besaß, hat dieser verfluchte Zauberer.“
„Ich besitze ebenfalls nichts.“
Beide blickten zu Rafael, Elisander noch eine Spur erstaunter als Veyd. Er wusste, dass der Halbork log, doch wenn er ihn jetzt denunzieren würde, würde er sich deutlich auf Veyds Seite stellen. Und noch war er sich nicht sicher, ob es die war, auf die er wollte.
„Keine einzige Münze?“
Rafael blickte verlegen zwischen den beiden hin und her.
„Nun, sechs Kupfermünzen würde ich mal als Nichts bezeichnen. Oder sehen die Herren das anders?“
Sein Blick wurde wiedermal herausfordernd. Er scheute die Konfrontation zu Veyd nicht mehr, schien sie vielleicht sogar zu genießen. Und es stimmte, sechs Kupfer waren nichts.
„5 Silber und 22 Kupfer sind bei mir in der Börse. Große Sprünge sind mit dem Geld nicht drin.“, Veyd blickte durch das Bullauge hinaus aufs Meer, „Wir werden uns direkt in Bregoheim eine Arbeit suchen. Vielleicht als Hafenarbeiter oder als Begleitwachen für eine Karawane?“
Rolaf lachte auf. Als ihn Veyd irritiert ansah, gab er ihm Antwort.
„Ich habe ja deinen Ziersäbel gesehen, aber wenn ihr keine Waffen und Rüstungen im Bart vom Halbork versteckt habt, dürfte es mit einer Anstellung als Leibwächter schwer werden.“
„Wir werden schon etwas finden. Keiner von uns ist auf den Kopf gefallen.“
Rafael grunzte. Ein schwer zu deutendes Geräusch. Elisander gefielen die vagen Vorstellungen die Veyd von ihrer Zukunft zu malen begann jedenfalls nicht.
„Ich würde ja sagen, wir packen schon mal unsere Sachen zusammen und bereiten uns auf die Ankunft vor. Aber viel Gepäck haben wir ja nicht…“, animiert von Veyds süffisantem Lächeln, wand Elisander sich in Richtung des Fensterchens und verschloss die Ohren einstweilen vor seinem Gebrabbel. Manchmal flüchtete sich der Mensch eben doch in seine alte Überheblichkeit.
Das Meer lief langsam auf und ab, kraus wogte das Weiß auf den Kuppen. Hätte er den Anblick nicht schon so lange vor den trägen Augen, wäre er vermutlich noch immer davon angetan. Gleichzeitig wollte ihn das Rauschen beruhigen und das spärliche Frühstück wieder hoch bringen. Die Entscheidung stand noch aus.
„… und was meinst du, Elisander?“
Überrumpelt blickte der Halbelf beim Klang seines Namens um sich. Sie erwarteten eine Antwort.
„Ähh… ja?“
„Was meinst Du, sollen wir den Zwerg fragen, ob wir eine Zeit mit ihm gehen können?“
„Öh, ich…“, er hatte keine Ahnung, und sein Magen war seinem Kopf keine Stütze beim Denken, „…glaube wir können ihn fragen und dann entscheiden?““
Lustlos antwortete Rafael auf den Vorschlag. „Ich glaube kaum, dass uns Gorgul für unsere Anwesenheit bezahlen wird. Wir haben ihm nichts zu bieten.“
„Ach du alter Gramork, Fragen kostet nichts.“, freundschaftlich aber unsicher hieb Veyd dem Halbork auf die Schulter. Rafael schmunzelte schwach.
„Land in Sicht.“
Weit entfernt klang der Ruf, der plötzlich an Elisanders Ohren drang. Niemand sonst am Tisch schien ihn gehört zu haben.
„Land in Sicht?“
„Was faselst du da, Halbspitz?“, Rolaf musterte ihn. Dann erklang der Ruf erneut, näher, von einer anderen Stimme.
„Land in Sicht!“
„Tatsächlich!“, Rafael fuhr hoch, grinste breit. „Wir haben es geschafft.“
„Keine Eile ihr Zwei.“, beschwichtigend hob Veyd seine Hände. „Wenn der Ausguck jetzt Land meldet, sind trotzdem noch zwei Stunden bis zum Anlegen, und das dauert auch ein bisschen.“
Er behielt Recht. Elisander stand an Deck und wartete. Erst kamen ferne Berge in Sicht, kurze Zeit später Andeutungen von Küstenlinie und einer Stadt. Dem rastlosen Halbelf kam es vor, als würde das Schiff langsamer, der Wind schwächer. Schließlich konnte er einzelne Häuser, Personen und immer mehr von der Stadt erkennen. Bregoheim sah Silfing ähnlich, das sie vor einer Ewigkeit hinter sich gelassen hatten. Der Morgen war klar und die Herbstsonne ließ den Hafen erstrahlen. Wie in Zeitlupe näherten sie sich.
Dann ging es doch ganz schnell, und die Vasa Baltasar lag plötzlich im Hafen und ihre Reise war vorbei.
„Tut mir Leid, Meister Finkental, aber für drei Abenteurer als Geleit habe ich keine Verwendung.“, Gorgul hatte sich gerade von Kapitän Rubin verabschiedet und stand nun vor dem Dreigespann. „„Ich gehe mir jetzt erstmal eine Unterkunft und ein paar Packer organisieren.“
„Meister Grabssohn, vielleicht könnten wir für euch die Güter tragen? Zumindest zu eurer Unterkunft.“
„So? Nun, meinethalben, aber mehr als eine Silberkrone gibt’s dafür nicht.“
„Vier Kupfer für jeden von uns und wir haben ein Geschäft.“, Veyd hielt ihm die Hand hin, der Zwerg zögerte kurz und schlug dann ein.
Und so brachten sie etliche Kisten aus dem Schiffsbauch auf den Kai und von dort zu einem Lagerhaus neben dem gehobenen Gasthof „Acht Segel“ in dem Gorgul gastieren wollte. Elisander fiel auf, dass nur ein geringer Teil der Ladung dem Zwerg gehörte. Uthar Baal und die edle Dame waren schnell verschwunden, ohne große Verabschiedung. Die restliche Ladung wurde von den Matrosen der Baltasar auf Deck gebracht, doch schienen sie keine Eile zu haben, ließen Rafael, Veyd und ihm den Vortritt. Als die letzte Kiste des Händlers hinaus gebracht wurde, war noch die Hälfte der anderen Kisten im Laderaum. Bevor sie die Waren zum Lagerhaus schleppten, verabschiedeten sie sich von der Mannschaft und Kapitän Rubin, sprachen allerlei gute Worte und erhielten eben solche für die weitere Reise.
Gorgul hatte einen Karren organisiert, mit dem sie nun die Ladung über die Kaimauer zum Lagerraum brachten und unter den wachsamen Augen des Zwerges verstauten. Gorgul bezahlte sie und empfahl sich.
Jetzt standen sie, kaum eine Stunde nach der Mittagszeit, am Hafen einer fremden Stadt, und waren immer noch ohne Plan. Immerhin hatte niemand Elisander bisher gezwungen sich für einen von Beiden zu entscheiden.
„Gehen wir erstmal etwas Essen, ich habe Hunger.“, Veyd gab den Ton an und auch die Richtung vor. Elisander bemerkte zögern in Rafaels Bewegung, doch er folgte.
Sie kehrten in einer billigen Kaschemme ein, ein Ort namens „Zum holprigen Holzbein“, der günstiger schien als die Acht Segel. Das Essen, ein Tageseintopf mit vielen Möhren und Kartoffeln, schmeckte fad und kostete sie ihren heutigen Lohn. Nachdem sie schweigend gegessen hatten, ergriff der Mensch wieder als erster das Wort.
„Nun, Jungs, wir haben es lange vor uns hergeschoben. Wohin sollen wir uns wenden?“
Elisander blickte unschlüssig von Veyd zu Rafael, niemand sagte etwas.
Er ließ den Blick durch den Raum schweifen. An der Theke saß eine heruntergekommene Gestalt, tief über ihr Bier gebeugt. Der Mann, vermutlich ein Mensch, sah aus als würde er schlafen. An einem anderen Tisch hatten vier Seemänner, zwei Menschen und zwei Zwerge, gerade ihr Essen beendet und unterhielten sich leise. Der Wirt hinter der Theke saß gelangweilt auf einem Stuhl und machte einen ähnlich ungepflegten Eindruck wie die Kneipe. Der einzige Lichtblick war ein blankpoliertes Schwert, das an der Wand an einer hölzernen Wandplatte hing. Dem Aussehen nach musste es mehr Wert sein, als das ganze Gebäude.
Früher war Elisander häufig in solchen Schuppen gewesen. Aus geschäftlichen Gründen. Doch ohne Kontakte konnte er hier sicherlich keinen Auftrag an Land ziehen. Zumal Veyd und Rafael wohl andere Vorstellungen von ihrer nächsten Anstellung hatten.
„In Ordnung,“, Veyd erbarmte sich endlich die Stille zu durchbrechen. „wie wäre es, wenn ich mal beim Wirt frage, ob er eine Idee hat, wo wir einen Broterwerb finden können?““
Obwohl er eine Frage gestellt hatte, wartete Veyd nicht auf eine Antwort. Rafael und Elisander blickten ihm hinterher, während er auf den missmutigen Wirt zusteuerte.
„Und, Rafael, willst du auch eine Stelle von diesem Wirt?“, Elisander grinste den Halbork schief an.
„Ehrlich, Elisander, ich weiß es nicht.“
„Dann geht es dir wie mir. Aber wir brauchen bald Geld.“
An der Theke schienen Veyd und der Wirt in ein echtes Gespräch vertieft. Immerhin bessere Aussichten, als eine klare Abfuhr. Schließlich kam Veyd lächelnd zurück.
„Und?“
„Gute Neuigkeiten! Offenbar stellt die Stadtwache von Bregoheim zurzeit jeden ein, der eine Hellebarde gerade halten kann. Die Kaserne ist am Stadtrand, Herr Lindtbert hat mir den Weg beschrieben. Sollen wir?“
Ganz so, als wäre die Sache entschieden, erwartete der Mensch anscheinend, dass sie aufstehen und ihm folgen.
„Heißt das, wir werden Stadtwächter?“, Elisander kam die Vorstellung mehr als merkwürdig vor. Er sollte die Ordnung in der Stadt aufrechterhalten?
„Ja und nein. Herr Lindtbert hat erzählt, dass die Stadtwache um Milizionäre aufstockt, wegen der Angriffe des Ogerstammes aus den Bergen.“, die Gesichter von Rafael und Elisander wurden blasser, „Keine Sorge, Freunde. Die erfahrenen Kämpfer kümmern sich um das Problem. Aber sie brauchen Leute die an der Stadtmauer und den Wachttürmen die Stellung halten, während die erste Garde unterwegs ist.“
Das klang schon besser, trotzdem… „Ich bin aber kein Kämpfer, Veyd. Wer weiß ob ich eine Hellebarde halten kann. Oder eine Stellung. Ich bin Schlosser, falls du es vergessen haben solltest.“
„Bleib locker. Du hast uns auf die Vasa gebracht, ich bring uns in die Stadtwache.“
Rafael blieb bestechend ruhig. Veyd fixierte ihn.
„Und Großer, sollen wir los?“
Betont langsam und dominant stemmte sich der Halbork erst auf den Tisch und dann hoch, bis er schließlich demonstrativ die Arme vor der Brust verschränkte. Elisander wähnte schon das Schlimmste, während Rafael Veyd musterte.
Seine Worte straften Elisanders Vorahnung lügen: „In Ordnung, gehen wir.“
Ein mulmiges Gefühl blieb dennoch in Elisanders Magengrube.
Die Straßen von Bregoheim hatten nur auf den ersten Blick Ähnlichkeit mit denen in Silfing oder anderen Großstädten auf seinem Heimatkontinent. Während sie Daheim flach und gerade verliefen, kaum bis wenig Steigung hatten, und eigentlich immer breit genug für dicke Ochsenwagen waren, kam ihm Elisander selbst die Hauptstraße eng vor. Jedenfalls vermutete er, dass sie die Hauptstraße nahmen. Der Boden hatte Unebenheiten, sie stiegen förmlich nach oben, und die Straße knickte und bog sich nach Herzenslust.
Und es blieb nicht bei diesem Unterschied. Am Hafen war es durch den frischen Seewind nicht zu spüren gewesen, aber jetzt in den Straßen, als sie sich vom Meer entfernten, fiel Elisander die Wärme auf. Es war Herbst, drüben war das Wetter manchmal noch heiter gewesen, aber hier drückte die Sonne mit viel mehr Kraft als an manchem Hochsommertag im Reich Balsam. Es roch noch immer nach Salz und Fisch, und zwischen den hellen Gebäuden in den beklemmenden Straßen kam sich Elisander so fremd vor, wie noch nie.
Zielstrebig führte Veyd sie durch die Stadt. Unvermittelt standen sie nach einer Kurve am Rande eines weiten Platzes auf dem sich ein paar Duzend Marktstände lose verteilten. Die Hauptzeit des Markts schien vorüber, einzelne Besucher schlenderten zwischen den Wagen hin und her, viele der Händler bauten bereits ihre Stände ab.
„Wir müssen dort an dem Tempel links vorbei. Da hinten sieht man schon die Stadtmauer.“
Veyd deutete quer über den Platz auf ein breites, grau-schwarzes Gebäude mit vier riesigen Statuen davor. Den Symbolen auf den Brustbereichen der Hünen nach, musste es ein Tempel von Garamed, dem Gott des Lichtes, sein. Farbgebung und Größe verstörten Elisander. Garamedtempel im Reich Balsam waren weiß und kaum mehr als kleine Schreine. Dieses Monument war dagegen majestetisch, unheimlich und einschüchternd, gleichzeitig eine Warnung vor der Macht des Gottes und eine Demonstration der Überzeugung seiner Anhänger. Zum Glück war Elisander nicht abergläubisch.
Sie suchten sich einen Weg durch die Stände und Händler, besahen im Vorbeigehen die Waren und beobachteten einige kleine Kinder, die in ein Spiel vertieft an ihnen vorbei rannten.
Elisander bemerkte, dass auch Rafael und Veyd den Tempel im Auge behielten. Der Halbork schien ähnlich beeindruckt wie er, Veyd hingegen wirkte fast euphorisch, grinste breit als sie den Statuen näher kamen.
„Seht euch diese Baukunst an, dieses Meisterwerk. Solche Tempel habe ich bei uns nie gesehen.“
Still stimmten ihm Elisander und Rafael zu. Sie verließen den Platz und folgten erneut einer gewundenen Straße bald etwas bergauf, bald etwas bergab, den Stadtmauern entgegen.
Klobig und kompakt baute sich schließlich die Kaserne, ihr vorläufiges Ziel, vor ihnen auf. Der Bau war mit nur wenigen Fenstern durchsetzt und offenbar direkt in die Stadtmauer integriert. Das breite, doppelflügelige Holztor trug eine Bronzeplatte zur Schau, welche drei Krummsäbel zeigte, zwei gekreuzt und einen alleine, so dass sie wie ein „„X“ und ein „I“ aussahen. Hinter dem Tor waren Rufe, Befehle zu hören.
„Sollen wir klopfen?“, Veyd schaute immer noch lächelnd zu seinen Begleitern.
Elisander war etwas Unwohl bei dem Anblick des sandfarbenen Baues mit den wenigen Öffnungen und den ungewohnten Geräuschen.
„Wir können es uns ja ansehen, was soll schon passieren.“, Rafaels Stimme klang teilnahmslos, sein Gesichtsausdruck war schwer für Elisander zu deuten.
Veyd ging zum Tor und hämmerte dreimal gegen das Holz. Es dauerte einen Augenblick, dann öffnete sich der linke Flügel des Tores ein Stück. Ein junger Zwerg stand im Tor, die Uniform die er trug war gelb und weiß gefärbt, an seinem Gürtel hing ein langer Säbel. Seine blonden Haare und sein blonder Bart waren kurz geschoren, seine Augen begutachteten die drei Fremdlinge wachsam.
„Kann ich helfen?“
„Seid gegrüßt, werter Herr Zwerg, mein Name ist Veyd Finkental und ich komme aus dem Reich Balsam. Meine Freunde hier und ich suchen Arbeit und es heißt, die Stadtwache kann neue Recken gebrauchen. Darum sind wir jetzt hier und suchen Einlass und Anstellung.“
Der Ausdruck auf dem Gesicht des Zwergen blieb wachsam, vorsichtig. Er taxierte jeden genau.
„Wartet hier.“
Dann schloss sich das Tor wieder.
Zeit verging und Elisander sah sich die Gegend um die Kaserne genauer an. Die Straße die Kaserne und Stadtmauer von den nächsten Wohnhäusern trennte war recht breit, so wie er Straßen aus Balsephon gewöhnt war. Als er sich umwand und in Richtung des Platzes blickte über den sie gelaufen waren, konnte er in der Ferne das Wasser sehen. Offenbar waren sie tatsächlich viele Schritt über dem Meeresspiegel. Auch war der Hafen näher als er vermutet hätte. Die Innenstadt innerhalb der Stadtmauern musste kleiner sein, als sich der Weg quer hindurch angefühlt hatte. Sein Blick glitt weiter und er sah eine große offene Schmiede ein Stück die Straße entlang der Stadtmauer hinunter. Vielleicht konnte er als Gehilfe unterkommen, wenn aus dem Stadtwachentraum nichts werden sollte?
Schwere Schritte hinter dem Tor schnitten seinen Gedanken ab. Das Tor öffnete sich und eine Menschenfrau in metallener Rüstung, jedoch ohne Helm, schaute die drei Gefährten geringschätzig an.
„Ihr sucht Arbeit?“
„Jawohl, meine Dame.“, Veyd verbeugte sich leicht, doch die Frau wirkte wenig beeindruckt, verzog die Lippe und antwortete barsch.
„Ich bin keine Dame, Fremder. Mein Name ist Julide Schwarz und ich bin Venrich der Stadtwache. Nennt mich Venrich Schwarz, für den Anfang.“, sie zögerte einen Moment und musterte Elisander genau, bevor sie weitersprach. „Und ihr glaubt, ihr könntet in einer Wache dienen?“
Elisander kam der Schmied in den Sinn, mühevoll unterdrückte er den Reflex hinüber zu sehen. Er kannte die Art Mensch die vor ihm Stand, und wusste er durfte keine Schwäche zeigen, wenn er bei den Beiden bleiben wollte. Er sah ihr direkt in die Augen, während er sprach.
„Venrich Schwarz, ihr überseht, dass die Talente eines Mannes sich nicht allein in den Muskeln zeigen. Zweifellos, in einem Wettbewerb des Armdrückens wären meine Chancen gegen meine Freunde hier bedauerlich. Doch ich bin leise und schnell und anpassungsfähig, und schließlich habe ich auch nicht vor eine so fähige Wachfrau wie euch zu enttäuschen.“
Sie lächelte nun. „Leise beeindruckt keinen Oger auf dem Feld, aber für schnell habe ich eine Schwäche. In Ordnung, folgt mir, ich zeige euch die Kaserne, dann entscheidet ihr ob unsere Miliz euer nächstes Daheim wird.“
Mit einer Handbewegung gab sie ihnen den Weg vor, eine Treppe führte sie nach oben in den zweiten Stock der Kaserne. Durch eine kleine Türe gelangten sie auf einen langen offenen Gang mit Blick auf den Innenhof.
„Hier trainieren wir die neuen Milizionäre. Wir hatten eine Stadtwache von fast neunzig Mann, durch die Angriffe des Ogerstammes haben wir einige verloren und müssen auch immer mehr von den Wachmannschaften der anderen Türme abziehen.“
Unter ihnen hieben Menschen und Zwerge mit langen Stäben aufeinander ein, zwei Menschen in Rüstungen die denen von Venrich Schwarz ähnelten, gaben Anweisungen und brüllten bei Fehltritten oder unkontrollierten Schlägen.
„Mit dem bisherigen Zuspruch an Rekruten haben wir ausreichend Mannstärke um die Oger auf Dauer von der Stadt fern zu halten...“
„Augenblick, Venrich Schwarz, “, Veyd unterbrach die Frau in ihrem Redeschwall, „sollen wir gegen die Oger kämpfen?“
Die Wachfrau schaute kurz überrascht, prustete dann aber aus vollem Hals. Über die Balustrade gelehnt, lachte sie eine ganze Weile, bevor sie in der Lage war zu antworten.
„Ihr? Du? Hahahar. Nein, Fremder, diesen Spaß überlasst ihr uns. Wir lehren die richtige Stadtwache ein Jahr lang den Umgang mit Schwert, Hellebarde und Armbrust, schulen sie im militärischen Umgang und Taktiken. Für euch bleiben unterhaltsame Aufgaben wie den Südturm zu bewachen. Oder den Ostturm. Oder zur Abwechslung mal den nordöstlichen Turm, der ist etwas anders konstruiert. Ihr unterschreibt einen sechs monatigen Vertrag, und steht nach zwei Wochen Grundausbildung einfach als Wächter in Türmen.“
Sie ließ ihre Worte einen Moment wirken, Veyd sah beinahe etwas enttäuscht aus, doch für Elisander klang ihre Zukunft nun wesentlich entspannter. Unter ihnen gab es inzwischen rhythmische Folgen von Rufen und dem Klopfen von Holz auf Holz.
„Wenn ihr sie braucht, wir haben eine Unterkunft hier in der Kaserne, da gibt es drei Mahlzeiten pro Tag. Dann seid ihr aber auch mit für die Sauberkeit hier verantwortlich. Wenn ihr euch entschließt den Vertrag zu unterschreiben, habt ihr zehn Stunden pro Tag Dienst und erhaltet zwei Silber Sold pro Zehntag.“
Passend gab es unten Laute Befehle „Trupp Aufstellung!“ und die Milizionäre nahmen in Reih und Glied nebeneinander Platz.
„Speer rechts!“
Die Holzstäbe wurden gleichzeitig von etwa dreißig Recken aufgestampft, der dumpfe, laute Klang hallte in Elisanders Brustkorb wider und ließ ihn erschaudern.
Die Türe auf die sie zugesteuert waren, öffnete sich und ein junger Mensch blickte zu ihnen den Gang entlang.
„Venrich Schwarz? Der Hauptmann wünscht euch zu sprechen.“
Die Frau blickte zu Veyd und lächelte.
„Bleibt hier und denkt darüber nach, ich bin gleich wieder bei euch.“, im Weggehen fügte sie hinzu, „Und eure Namen müsst ihr mir dann auch nennen.“
Dann verschwand sie mit dem jungen Wachmann hinter der Türe und Rafael, Veyd und Elisander waren sich selbst überlassen. Rafael lehnte nachdenklich über der Balustrade und sah auf den Hof hinab, von dem sich die Milizionäre langsam durch drei verschiedene Türen entfernten. Veyd lehnte an die Wand und sah lächelnd unter dem Vordach hinweg zum Himmel hinauf. Elisander wusste nichts Besseres und setzte sich einfach auf den staubigen Steinboden.
„Nun, meine Freunde, was sagt ihr? Es klingt nicht so abenteuerlich wie ich gehofft hatte…“, Rafael wand sich zu Veyd und warf ihm einen zweifelnden Blick zu, während dieser weitersprach, „…aber es gibt vernünftiges Geld und wir könnten so den anstehenden Winter verbringen, bevor wir uns einen neuen Plan machen.“
Elisander war sich zwar nicht sicher, aber… „Du könntest Recht haben Veyd, wenn wir bis zum Frühling in der Kaserne ein paar Silber verdienen, stehen wir uns definitiv besser als in diesem Moment.“
Rafael blieb weiterhin still. Veyd kam dem Halbork näher, blickte ihm gerade in die Augen. „Wie steht es mit dir, Rafael, sollte diese Art sich zu beschäftigen dir nicht liegen?“
„Was willst du damit sagen?“, Rafael stellte sich auf, drückte das Kreuz durch und wuchs über Veyd hinaus.
„Nun, du bist ein halber Ork, Kriegshandwerk fließt doch in deinem Blut.“
Verächtlich schnaufte der Halbork aus. „Meinst du, ja? Ich weiß zwar nicht viel von meinem Blut, weder dem Einen noch dem Anderen, doch ich weiß was ich nicht mehr…“, er hielt inne, bevor er weitersprach, „……was ich nicht muss. Ich muss deinen Befehlen nicht folgen.“
„Rafael, so habe ich das nie gewollt. Aber einer von uns muss nun einmal die Führung übernehmen.“
„Ist das so.“, Rafael blickte zu Boden und lehnte sich wieder an den Stein hinter sich.
„Es reicht mir…“, Veyd baute sich vor dem Halbork auf und stemmte seine Hände gegen die Schultern des größeren Mannes, „…warum dich das, was ich auf dem Schiff gesagt habe, derart aufgeregt hat. Ich weiß es einfach nicht. Aber ich habe viel für dich getan, dir die Überfahrt bezahlt und für dich die Arbeit auf dem Schiff übernommen, die du nicht hinbekommen hast. Sollte das nicht etwas wert sein?“
Rafael befreite sich vom Griff des Menschen und gab ihm einen kräftigen Stoß, der ihn zwei Schritt zurückwarf. „Und jetzt?“, der Halbork brüllte, in dem offenen Gang hallte seine Stimme wieder und unterstrich seine Worte mit einer aggressiven Resonanz. „„Bin ich dein Sklave? Hast du mich gekauft? Meister Finkental, der Große?“
Veyd riss die Hände beschwichtigend hoch.
„Warte, was ist hier los? Niemand sagt etwas von Sklaverei. Ich erwarte nur etwas Respekt.“
Elisander blickte verstört zwischen den großen Männern hin und her.
„So viel Respekt wie du der Dame von Braunfurt hast zu Teil werden lassen?“, Rafael verschränkte die Arme, während Veyd Röte ins Gesicht stieg. Dann schüttelte er seinen Kopf.
„Wovon redest du?“
„Bitte, Veyd. Du hast ihr nachgesetzt und alles versucht um in ihren Rock zu kommen.“
Veyd legte den Kopf schief. „Bist du eifersüchtig auf mich?“
„Du kapierst es nicht, Veyd.“, Rafael schnaufte wieder. „Du hast dich nicht wie ein Ehrenmann benommen, gegenüber der Dame und mir gegenüber. Deine Pläne, deine Wünsche, dein Gemächt, etwas anderes hattest du nicht im Kopf. Respekt bekommst du von mir Keinen für dein Geld.“
Veyd ließ die Worte auf sich wirken. Elisander konnte das Rattern förmlich auf seinem Gesicht ablesen, das durch den Verstand des Mannes ging.
„Vielleicht hast du nicht Unrecht.“, seine Einsicht kam von Herzen, Elisander bemerkte die gewachsene Reife in ihm. „Es tut mir leid, wenn ich dich beleidigt habe, es war keine Absicht. Du bist ein freier Mann, was möchtest du tun?“, sagte Veyd und machte dazu eine einladende Geste.
Die Miene des Halborks offenbarte Überraschung. „Nun, wenn du so fragst…“, erneut lehnte er sich auf die Brüstung und blickte in den Hof, „…ich werde mich nicht in diesen Gefängnishof begeben. Ein Leben nur mit Regeln, Vorschriften, Anweisungen. Ich möchte das hinter mir lassen.“
Elisander hatte es geahnt. Der Halbelf stellte sich zu Rafael. „Aber Rafael, was hast du denn dann vor?“
„Keine Ahnung. Raus aus dieser Stadt, denke ich, und sehen wohin mich meine Schritte bringen.“
„Ist das dein Ernst? Aber du hast kein Geld und kennst dich nicht aus…“, Veyd starrte den Halbork fassungslos an.
„Und wenn schon. Wolltest du nicht Abenteuer erleben? Was stellst du dir vor, außer hinaus zu ziehen und der Straße zu folgen?“
Die Worte zeigten Wirkung bei dem jungen Menschen der sich Abenteurer nennen wollte. Er verschränkte die Arme und lehnte sich ebenfalls gegen die Brüstung.
„Schon, ja, aber Rafael, ohne Geld? Eure Kleider sind ziemlich zerschlissen, wir haben nur meinen Rucksack und praktisch keine Möglichkeit uns zu verteidigen. Als wir in Silfing aufgebrochen sind, dachte ich noch, du hättest eben eine solche Geschichte hinter dir wir Elisander. Das du einfach nur bettelarm bist… es macht keinen Unterschied. Ich finde hier einige Monate in der Stadtwache zu verbringen, die Stadt kennen zu lernen und ein paar Silber zur Seite zu legen, ist genug Abenteuer für den Anfang. Findest du nicht?“
„Im Gegensatz zu dir sind mir Abenteuer gleichgültig. Was mir nicht einerlei ist, das ist meine Freiheit. Hier in diese Arena, mit einer metallbekleideten Amazone als Herrin über mein Wohl und Wehe, hier finde ich die Freiheit nicht. Dort hinter diesen Mauern, da könnte es etwas davon für mich geben.“
Veyd wand sich dem Halbelf zu. „Was meinst du, Elisander?“
„Ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich mich entscheide, wenn ich vor der Wahl stehe.“, Elisander schaute zwischen beiden hin und her. Seine Entscheidung fiel ihm nun doch erstaunlich leicht. „Veyd, du hast recht. Ich werde mit dir in den Dienst der Wache eintreten.“
Veyd blickte nun von Elisander zu Rafael. „Das heißt… das heißt wir trennen uns hier? Aber… so war das nicht geplant.““
„Wie hattest du es geplant? Dachtest du, du triffst zwei Fremde und hast sofort lebenslange Gefährten?“, Elisander zuckte verlegen mit den Schultern.
„Veyd, mach dir keine Sorgen.“, Rafael legte dem Menschen seine Pranke auf die Schulter. „Du träumst von den Geschichten über Abenteuer, die wirst du auch ohne mich finden. Wer weiß, wen du in der Wache triffst?“
Betroffen, fast traurig sah Veyd zu Boden. „Ihr habt ja Recht, es war töricht anzunehmen ich hätte bereits die perfekte Gruppe gefunden.“
Er durchmaß den Gang der Breite nach und lehnte sich nun an die Wand, den Kopf erhoben und ein gewinnendes Lächeln aufgesetzt.
„Dann ist es so entschieden. Der Halbelf und der Mensch werden Milizionäre, der Halbork wird Wanderer. Aber du nimmst meine restlichen Münzen, damit du zumindest etwas Kapital hast.“
Nach seiner Tasche greifend, kniete sich Veyd hin. „Was ist… so eine Krakenkacke, das Geld ist weg. Da war ein Beutelschneider dran, seht!“
Er hielt den anderen seinen Rucksack hin, Elisander grinste. „Diese fröhlichen Kinder auf dem Marktplatz. Dann also kein Startguthaben für den guten Rafael.“
Richard fluchte stammelnd weiter, nervös tastete auch der Halbork an seiner Hosen herum. Seine Erleichterung verriet bald, dass er verschont geblieben war.
„Und nun?“
Elisanders Frage blieb unbeantwortet im Raum stehen. Schließlich erhob sich Veyd und seufzte tief.
„Nun denn, sagen wir dem Venrich Schwarz das sie zwei neue Rekruten hat und dann bringen wir unseren Großen hier zum Stadttor.“
Es dauerte noch eine ganze Weile bis die Dame zurückkam. Die schweren Schritte ihrer Rüstung waren schon von weitem zu hören und die drei Freunde schauten gebannt zur Türe bis sie endlich aufging.
„Und, Männer, ist eure Entscheidung gefallen?“
„Jawohl, Venrich Schwarz, Elisander hier und ich, Veyd Finkental, werden sich eurer Stadtwache anschließen.“
„Wunderbar.“, sie lächelte, beinahe charmant, und sah Rafael an. „Wie steht es mit euch, Herr Halbork? Keine Berufung zur Stadtwache für euch?“
„Nein, ich habe andere Pläne.“
„Schade, breite Kreuze kann man nicht genug haben. Einerlei, wir machen gleich die Verträge für euch fertig. Gehe ich recht, dass ihr in der Kaserne schlafen möchtet?“
„Einstweilen ja, Venrich Schwarz. Aber können wir vor der Weihe zur Stadtwache noch unseren Freund auf den Weg bringen?“, Elisander klopfte dem Halbork bei diesen Worten auf die Schulter und setzte ein kaum gespieltes, wehmütiges Lächeln auf.
„Ganz wie ihr wollt. Ich bringe euch nach unten und stelle einen anderen Rekruten ab, der euch später umherführt, wenn ihr zurück seid. Einverstanden?“
Nur Momente vergingen, bis sie wieder vor dem Tor der Kaserne standen. Unschlüssig welchen Weg sie einschlagen sollten, fragten sie ein älteres Zwergenmütterchen nach dem Weg. Sie wies sie links an der Kaserne vorbei die Mauer entlang, bis zum „Erzmarkt““ wie sie den Platz nannte.
Während sie der Straße folgten, die Mauer zu ihrer Rechten, sann Elisander über seine neue Situation nach.
Das er Phileaos und Dedalos, zwei Halblinge die er ebenso gut Freunde wie Veyd nennen konnte, zurückgelassen hatte, war kaum mehr als zwanzig Tage her. Schuldig an Phileaos zerbrochenen Fuß, hatte er nichts unternommen um den Beiden zu helfen. Ob sie ebenso gehandelt hätten? Vermutlich ja. Aber wenn er Veyd und Rafael so besah, traute er diesen beiden solches Verhalten nicht zu. Wenn er nun bei Veyd blieb, war er zwar vor dem Magier in Übersee sicher und sein Auskommen schien auch unbedroht, doch wohin sollte das führen? Hier in Bregoheim gab es sicherlich Einnahmequellen für einen geschickten Schlossknacker, nur mit dem Ehrenmann hier an seiner Seite waren die nötigen Kontakte nicht einfach herzustellen. Sollte er am Ende ein gewöhnliches Leben mit einem normalen Beruf leben? Einen Schlosser hier ausfindig machen und als Geselle arbeiten? Sicherlich nicht in Veyds Sinne, und nicht so spannend wie seine unklaren Vorstellungen von Abenteuern, aber vielleicht auf Dauer gesünder für Elisander.
Die nächsten Monate als Wachmann boten ihm in allen Fällen ausreichend Zeit, seine Pläne zu ordnen und seine Zukunft zu planen. Ob Veyd ein Teil dieser Zukunft sein würde, noch wusste der Halbelf keine Antwort darauf.
Sie fanden den kleinen Marktplatz, gesäumt von hohen Bäumen hinter denen ein großes Tor aus der Stadt hinausführte, verlassen vor.
„Warum er wohl Erzmarkt heißt? Sieht nicht aus, als würde hier viel gehandelt.“, Richard sah sich um, konnte aber keine typischen Anzeichen eines normalen Marktes entdecken.
„Ich habe gehört, die Oger hindern die Erzhändler und Bergleute an der Arbeit.“, sagte Rafael gelangweilt.
Veyd ließ seinen Blick über die Häuser gleiten.
„Nun, umso wichtiger ist unser Beitrag zur Sicherheit des Landes!“
Elisander sah den pathetischen Veyd zweifelnd an und konnte sich eine Antwort nicht verkneifen.
„Oder… wir verdienen beim Rumsitzen ein paar Silber, machen einen Bogen um alles was einem Oger ähnelt und leisten einen Beitrag zur Sicherheit unserer Rückräder.“
„Genug davon,“, Veyd winkte ab, „Venrich Schwarz erwartet uns bald zurück an der Kaserne, wir sollten Rafael entlassen.““
Der junge Mensch mit dem angeschlitzten Rucksack und der geraden Haltung hielt dem stinkenden Halbork mit der zerschlissenen Kleidung seine Hand hin. Es gab ein klatschendes Geräusch als dieser zugriff und beide lächelten. Veyd legte seine freie Linke auf Rafaels Schulter und sah an ihm vorbei zum Tor.
„Es ist ein wahrer Jammer, dass ich dich nicht von meinen Plänen überzeugen konnte. Ich wünsche dir alles Gute für deinen Weg, wo auch immer er enden mag.“
„Veyd, du bist ein seltsamer Mensch, und vielleicht habe ich dir manches Mal Unrecht getan. Ich wünsche auch euch das Beste.“, dann löste sich ihr Handschlag. Rafael drehte sich zu Elisander und hielt die Pranke hin.
„Halt das Ohr steif, Großer.“, Elisander zwinkerte, während Rafael ob der Neckerei böse mit den Augen funkelte.
„Lass dich nicht umbringen, Halbelf.“
Mit diesen Worten verließ der Halbork sie und ging zum Tor, Elisander sah ihm kurz nach und wollte schon zurückgehen, als er bemerkte, dass Veyd noch keine Anstalten machte zu gehen.
„Kommst du?“
Rafael erreichte das Tor und sprach mit der Wache dort. Noch immer blickte Veyd hinter ihm her.
„Was ist Veyd, gehen wir zurück?“
„Ach, Elisander, ich mache mir Sorgen um ihn.“
Elisander sah Veyd zweifelnd an. „Er weiß schon, was er tut.“
„Hoffen wir es…“
Endlich drehte sich auch Veyd um und sie gingen gemeinsam zur Kaserne zurück.
Drei lange Wochen waren sie nun auf See, Haferschleim, Fisch und Zwieback hingen Elisander zu den spitzen Ohren heraus und er sehnte sich nach festem Boden unter den gelangweilten Füßen. Er erwartete täglich das rettende Rufen „Land in Sicht!“.
Oder wenigstens „Vielleicht sind wir bald da.“.
Aber da war kein Land.
Und außer ihm schien es niemanden zu stören.
Er schwang den Kopf zur anderen Seite, sah an den strafen Segeln vorbei zum Ruder an dem der Kapitän selbst stand und Kurs hielt. Rubin übernahm fast alle Aufgaben des Steuermanns Alexandro seit dem Sturm. Doch der Matrose war nicht der einzige, an dem der Wind seine Spuren hinterlassen hatte.
Rafael war wie verwandelt. Aus dem zurückhaltenden, unsicheren Halbjungen war ein selbstsicherer, dominanter Orkmann geworden. Sogar sein Gang hatte sich gewandelt, seine Haltung war anders. Rafael war plötzlich erwachsen. Selbst mit dem Streitsüchtigen Zwerg hatte er sich vertragen, geradezu angefreundet. Elisander hätte dergleichen auf der ersten Hälfte ihrer Fahrt nicht für möglich gehalten.
Und Veyd. Der Halbelf wusste nur durch einige kurze Erzählungen von Gorgul was an dem Abend in der Kapitänskajüte vorgefallen war. Aus dem überheblichen Naivling war offenbar eine Lachnummer gemacht worden. Auch er war nicht mehr der Gleiche.
Als Taruk und Elisander am Morgen den betrunkenen Veyd zwischen den Kisten und Seilen gefunden hatten, war Taruk aus dem Lachen nicht mehr heraus gekommen und hatte sofort Kjolp hinzu geholt. Fast waren sie über seinen herausstehenden Fuß gestolpert und hatten den sonst so stolzen Menschen in seinem eigenen Erbrochenen mit einer Flasche Fusel in der Hand angetroffen. Die Kopfschmerzen vom Rum dauerten, nach Veyds Angaben, die nächsten drei Tage. Seine Versuche der adligen Dame schöne Augen zu machen, dämmerten bloß noch schwach. Fast lustlos lächelte er sie an. Seine Hoffnung war ebenso verflogen wie seine Attitude.
Seit diesem Morgen gab er nicht mehr pausenlos mit Frauen- oder Seegeschichten an, sondern begann zuzuhören. Natürlich, gefragt hatte er auch zuvor, doch nun war etwas anders. Die Fragen stellte er nicht mehr nur, um eine Atempause zwischen seinen Geschichten zu haben oder allgemeine Hintergrundinformationen zu bekommen, er war endlich gewillt zuzuhören.
Nicht das Elisander gewillt war viel zu erzählen.
Dennoch war der Umgang angenehmer, herzlicher, und Elisander, auch wenn seine Zunge sich nicht lockerte, genoss die neuerlichen Gespräche mit dem jungen Mann.
Nicht so Rafael. Den Erzählungen nach waren die beiden sehr scharf aneinander geraten und der Art nach wie sie miteinander umgingen, hatte sie Einander nur oberflächlich verziehen. Warum genau Rafael auf den jungen Mann wütend war, entging Elisander zwar, doch ihm wurde eines bewusst:
Nach ihrer Ankunft, würden sich ihre Wege sicher bald trennen.
Und das stellte den Halbelfen vor ungeahnte Probleme.
Einem der Beiden zu folgen schien die einzige vernünftige Wahl. Nur wem? Zwar kannte er Rafaels Vergangenheit, doch viel würde ihm dies nicht mehr nutzen. Der Halbork war zu weit weg von allem, was ihm Angst machen konnte und Elisander hatte keine Beweise. Aber er war stark und verblüffend clever, außerdem vorsichtig und wahrscheinlich ein sicherer Begleiter.
Veyd auf der anderen Hand hatte erstaunliche Fähigkeiten. Seefahrer, Kartograph, Magierlehrling. Letzteres machte ihn für den Halbelf zwar nicht zum besseren Freund, hatte jedoch verschiedene Vorteile. Außerdem hatte sich seine Einstellung zuletzt deutlich verbessert. Trotzdem musste Elisander immer noch am Verstand eines Mannes zweifeln, der Gold für Wildfremde herauswarf und offenbar in den blauen Tag hinein lebte.
Erneut wendete er den Kopf und blickte wieder voraus. Ein wenig Zeit blieb ihm noch für seine Entscheidung.
Beim Frühstück wurde das Verlangen, den Haferschleim doch lieber stehen zu lassen, zu groß. Kaum mehr als zwei Löffel bekam Elisander hinunter. Rafael ging es offenbar nicht anders, auch er ließ den halben Teller stehen. Nur Veyd konnte offenbar lange genug gegen den Brechreiz ankämpfen um seine komplette Portion zu vertilgen. Erstaunliche Leistung.
„Und Jungs,“, Rolaf sprach sie erst an, nachdem der Magier den Raum verlassen hatte, „glaubt ihr, wir sehen heute Land?““
Elisanders Kinn hing durch, seine Augen kniff er zu schmalen Schlitzen zusammen. „Was meinst du? Seit drei Tagen hoffe ich auf festen Boden und frisches Brot.“
Rolaf hielt sich vor Lachen den Bauch. Auch Veyd schmunzelte. Er klärte ihn auf. „Freund Elisander, die Seeleute wissen genau, wo wir sind und können so auch ziemlich genau sagen, wann wir ankommen.“
„So?“, Elisander sah verblufft zu Rolaf. „Und was soll dann die Frage?“
„Och Halbspitz, schmoll doch nicht. Ich mache nur Spaß. Noch vier bis fünf Stunden, dann laufen wir in den Hafen. Noch heute betrittst du Bregoheim.“
Elisander lief ein Lächeln über das Gesicht. „Fantastisch! Warum erzählt man mir sowas nicht früher?“
Dann dachte er an seine Begleiter. Veyd und Rafael hatten sich bisher nicht zu ihren Plänen geäußert, und er vermutete, dass sie Keine hatten. Er fühlte sich kurz wie ein Kind, welches zwischen seinen zwei Vätern wählen sollte, ohne einen von Beiden zu kennen. Ein wirklich hässlicher Vater und ein wirklich Einfältiger. Schwere Wahl.
„Veyd, du warst es der uns auf dieses Schiff geholt hat. Wie geht es weiter?“
Der Mensch schaute ihn an, von oben nach unten und zurück. „Ich? Korrektur, Freund Elisander, es war deine Idee und dein Verdienst, dass wir diese Reise antreten konnten.“
Recht hatte er zwar, aber… „Aber es war dein Geld und auch dein Wunsch die Welt zu sehen und etwas zu erleben.“
„Geld, ja… da sprichst du einen wichtigen Punkt an. Wieviel haben wir noch?“
„Mich brauchst du nicht ansehen,“, sagte Elisander, „Alles was ich besaß, hat dieser verfluchte Zauberer.“
„Ich besitze ebenfalls nichts.“
Beide blickten zu Rafael, Elisander noch eine Spur erstaunter als Veyd. Er wusste, dass der Halbork log, doch wenn er ihn jetzt denunzieren würde, würde er sich deutlich auf Veyds Seite stellen. Und noch war er sich nicht sicher, ob es die war, auf die er wollte.
„Keine einzige Münze?“
Rafael blickte verlegen zwischen den beiden hin und her.
„Nun, sechs Kupfermünzen würde ich mal als Nichts bezeichnen. Oder sehen die Herren das anders?“
Sein Blick wurde wiedermal herausfordernd. Er scheute die Konfrontation zu Veyd nicht mehr, schien sie vielleicht sogar zu genießen. Und es stimmte, sechs Kupfer waren nichts.
„5 Silber und 22 Kupfer sind bei mir in der Börse. Große Sprünge sind mit dem Geld nicht drin.“, Veyd blickte durch das Bullauge hinaus aufs Meer, „Wir werden uns direkt in Bregoheim eine Arbeit suchen. Vielleicht als Hafenarbeiter oder als Begleitwachen für eine Karawane?“
Rolaf lachte auf. Als ihn Veyd irritiert ansah, gab er ihm Antwort.
„Ich habe ja deinen Ziersäbel gesehen, aber wenn ihr keine Waffen und Rüstungen im Bart vom Halbork versteckt habt, dürfte es mit einer Anstellung als Leibwächter schwer werden.“
„Wir werden schon etwas finden. Keiner von uns ist auf den Kopf gefallen.“
Rafael grunzte. Ein schwer zu deutendes Geräusch. Elisander gefielen die vagen Vorstellungen die Veyd von ihrer Zukunft zu malen begann jedenfalls nicht.
„Ich würde ja sagen, wir packen schon mal unsere Sachen zusammen und bereiten uns auf die Ankunft vor. Aber viel Gepäck haben wir ja nicht…“, animiert von Veyds süffisantem Lächeln, wand Elisander sich in Richtung des Fensterchens und verschloss die Ohren einstweilen vor seinem Gebrabbel. Manchmal flüchtete sich der Mensch eben doch in seine alte Überheblichkeit.
Das Meer lief langsam auf und ab, kraus wogte das Weiß auf den Kuppen. Hätte er den Anblick nicht schon so lange vor den trägen Augen, wäre er vermutlich noch immer davon angetan. Gleichzeitig wollte ihn das Rauschen beruhigen und das spärliche Frühstück wieder hoch bringen. Die Entscheidung stand noch aus.
„… und was meinst du, Elisander?“
Überrumpelt blickte der Halbelf beim Klang seines Namens um sich. Sie erwarteten eine Antwort.
„Ähh… ja?“
„Was meinst Du, sollen wir den Zwerg fragen, ob wir eine Zeit mit ihm gehen können?“
„Öh, ich…“, er hatte keine Ahnung, und sein Magen war seinem Kopf keine Stütze beim Denken, „…glaube wir können ihn fragen und dann entscheiden?““
Lustlos antwortete Rafael auf den Vorschlag. „Ich glaube kaum, dass uns Gorgul für unsere Anwesenheit bezahlen wird. Wir haben ihm nichts zu bieten.“
„Ach du alter Gramork, Fragen kostet nichts.“, freundschaftlich aber unsicher hieb Veyd dem Halbork auf die Schulter. Rafael schmunzelte schwach.
„Land in Sicht.“
Weit entfernt klang der Ruf, der plötzlich an Elisanders Ohren drang. Niemand sonst am Tisch schien ihn gehört zu haben.
„Land in Sicht?“
„Was faselst du da, Halbspitz?“, Rolaf musterte ihn. Dann erklang der Ruf erneut, näher, von einer anderen Stimme.
„Land in Sicht!“
„Tatsächlich!“, Rafael fuhr hoch, grinste breit. „Wir haben es geschafft.“
„Keine Eile ihr Zwei.“, beschwichtigend hob Veyd seine Hände. „Wenn der Ausguck jetzt Land meldet, sind trotzdem noch zwei Stunden bis zum Anlegen, und das dauert auch ein bisschen.“
Er behielt Recht. Elisander stand an Deck und wartete. Erst kamen ferne Berge in Sicht, kurze Zeit später Andeutungen von Küstenlinie und einer Stadt. Dem rastlosen Halbelf kam es vor, als würde das Schiff langsamer, der Wind schwächer. Schließlich konnte er einzelne Häuser, Personen und immer mehr von der Stadt erkennen. Bregoheim sah Silfing ähnlich, das sie vor einer Ewigkeit hinter sich gelassen hatten. Der Morgen war klar und die Herbstsonne ließ den Hafen erstrahlen. Wie in Zeitlupe näherten sie sich.
Dann ging es doch ganz schnell, und die Vasa Baltasar lag plötzlich im Hafen und ihre Reise war vorbei.
„Tut mir Leid, Meister Finkental, aber für drei Abenteurer als Geleit habe ich keine Verwendung.“, Gorgul hatte sich gerade von Kapitän Rubin verabschiedet und stand nun vor dem Dreigespann. „„Ich gehe mir jetzt erstmal eine Unterkunft und ein paar Packer organisieren.“
„Meister Grabssohn, vielleicht könnten wir für euch die Güter tragen? Zumindest zu eurer Unterkunft.“
„So? Nun, meinethalben, aber mehr als eine Silberkrone gibt’s dafür nicht.“
„Vier Kupfer für jeden von uns und wir haben ein Geschäft.“, Veyd hielt ihm die Hand hin, der Zwerg zögerte kurz und schlug dann ein.
Und so brachten sie etliche Kisten aus dem Schiffsbauch auf den Kai und von dort zu einem Lagerhaus neben dem gehobenen Gasthof „Acht Segel“ in dem Gorgul gastieren wollte. Elisander fiel auf, dass nur ein geringer Teil der Ladung dem Zwerg gehörte. Uthar Baal und die edle Dame waren schnell verschwunden, ohne große Verabschiedung. Die restliche Ladung wurde von den Matrosen der Baltasar auf Deck gebracht, doch schienen sie keine Eile zu haben, ließen Rafael, Veyd und ihm den Vortritt. Als die letzte Kiste des Händlers hinaus gebracht wurde, war noch die Hälfte der anderen Kisten im Laderaum. Bevor sie die Waren zum Lagerhaus schleppten, verabschiedeten sie sich von der Mannschaft und Kapitän Rubin, sprachen allerlei gute Worte und erhielten eben solche für die weitere Reise.
Gorgul hatte einen Karren organisiert, mit dem sie nun die Ladung über die Kaimauer zum Lagerraum brachten und unter den wachsamen Augen des Zwerges verstauten. Gorgul bezahlte sie und empfahl sich.
Jetzt standen sie, kaum eine Stunde nach der Mittagszeit, am Hafen einer fremden Stadt, und waren immer noch ohne Plan. Immerhin hatte niemand Elisander bisher gezwungen sich für einen von Beiden zu entscheiden.
„Gehen wir erstmal etwas Essen, ich habe Hunger.“, Veyd gab den Ton an und auch die Richtung vor. Elisander bemerkte zögern in Rafaels Bewegung, doch er folgte.
Sie kehrten in einer billigen Kaschemme ein, ein Ort namens „Zum holprigen Holzbein“, der günstiger schien als die Acht Segel. Das Essen, ein Tageseintopf mit vielen Möhren und Kartoffeln, schmeckte fad und kostete sie ihren heutigen Lohn. Nachdem sie schweigend gegessen hatten, ergriff der Mensch wieder als erster das Wort.
„Nun, Jungs, wir haben es lange vor uns hergeschoben. Wohin sollen wir uns wenden?“
Elisander blickte unschlüssig von Veyd zu Rafael, niemand sagte etwas.
Er ließ den Blick durch den Raum schweifen. An der Theke saß eine heruntergekommene Gestalt, tief über ihr Bier gebeugt. Der Mann, vermutlich ein Mensch, sah aus als würde er schlafen. An einem anderen Tisch hatten vier Seemänner, zwei Menschen und zwei Zwerge, gerade ihr Essen beendet und unterhielten sich leise. Der Wirt hinter der Theke saß gelangweilt auf einem Stuhl und machte einen ähnlich ungepflegten Eindruck wie die Kneipe. Der einzige Lichtblick war ein blankpoliertes Schwert, das an der Wand an einer hölzernen Wandplatte hing. Dem Aussehen nach musste es mehr Wert sein, als das ganze Gebäude.
Früher war Elisander häufig in solchen Schuppen gewesen. Aus geschäftlichen Gründen. Doch ohne Kontakte konnte er hier sicherlich keinen Auftrag an Land ziehen. Zumal Veyd und Rafael wohl andere Vorstellungen von ihrer nächsten Anstellung hatten.
„In Ordnung,“, Veyd erbarmte sich endlich die Stille zu durchbrechen. „wie wäre es, wenn ich mal beim Wirt frage, ob er eine Idee hat, wo wir einen Broterwerb finden können?““
Obwohl er eine Frage gestellt hatte, wartete Veyd nicht auf eine Antwort. Rafael und Elisander blickten ihm hinterher, während er auf den missmutigen Wirt zusteuerte.
„Und, Rafael, willst du auch eine Stelle von diesem Wirt?“, Elisander grinste den Halbork schief an.
„Ehrlich, Elisander, ich weiß es nicht.“
„Dann geht es dir wie mir. Aber wir brauchen bald Geld.“
An der Theke schienen Veyd und der Wirt in ein echtes Gespräch vertieft. Immerhin bessere Aussichten, als eine klare Abfuhr. Schließlich kam Veyd lächelnd zurück.
„Und?“
„Gute Neuigkeiten! Offenbar stellt die Stadtwache von Bregoheim zurzeit jeden ein, der eine Hellebarde gerade halten kann. Die Kaserne ist am Stadtrand, Herr Lindtbert hat mir den Weg beschrieben. Sollen wir?“
Ganz so, als wäre die Sache entschieden, erwartete der Mensch anscheinend, dass sie aufstehen und ihm folgen.
„Heißt das, wir werden Stadtwächter?“, Elisander kam die Vorstellung mehr als merkwürdig vor. Er sollte die Ordnung in der Stadt aufrechterhalten?
„Ja und nein. Herr Lindtbert hat erzählt, dass die Stadtwache um Milizionäre aufstockt, wegen der Angriffe des Ogerstammes aus den Bergen.“, die Gesichter von Rafael und Elisander wurden blasser, „Keine Sorge, Freunde. Die erfahrenen Kämpfer kümmern sich um das Problem. Aber sie brauchen Leute die an der Stadtmauer und den Wachttürmen die Stellung halten, während die erste Garde unterwegs ist.“
Das klang schon besser, trotzdem… „Ich bin aber kein Kämpfer, Veyd. Wer weiß ob ich eine Hellebarde halten kann. Oder eine Stellung. Ich bin Schlosser, falls du es vergessen haben solltest.“
„Bleib locker. Du hast uns auf die Vasa gebracht, ich bring uns in die Stadtwache.“
Rafael blieb bestechend ruhig. Veyd fixierte ihn.
„Und Großer, sollen wir los?“
Betont langsam und dominant stemmte sich der Halbork erst auf den Tisch und dann hoch, bis er schließlich demonstrativ die Arme vor der Brust verschränkte. Elisander wähnte schon das Schlimmste, während Rafael Veyd musterte.
Seine Worte straften Elisanders Vorahnung lügen: „In Ordnung, gehen wir.“
Ein mulmiges Gefühl blieb dennoch in Elisanders Magengrube.
Die Straßen von Bregoheim hatten nur auf den ersten Blick Ähnlichkeit mit denen in Silfing oder anderen Großstädten auf seinem Heimatkontinent. Während sie Daheim flach und gerade verliefen, kaum bis wenig Steigung hatten, und eigentlich immer breit genug für dicke Ochsenwagen waren, kam ihm Elisander selbst die Hauptstraße eng vor. Jedenfalls vermutete er, dass sie die Hauptstraße nahmen. Der Boden hatte Unebenheiten, sie stiegen förmlich nach oben, und die Straße knickte und bog sich nach Herzenslust.
Und es blieb nicht bei diesem Unterschied. Am Hafen war es durch den frischen Seewind nicht zu spüren gewesen, aber jetzt in den Straßen, als sie sich vom Meer entfernten, fiel Elisander die Wärme auf. Es war Herbst, drüben war das Wetter manchmal noch heiter gewesen, aber hier drückte die Sonne mit viel mehr Kraft als an manchem Hochsommertag im Reich Balsam. Es roch noch immer nach Salz und Fisch, und zwischen den hellen Gebäuden in den beklemmenden Straßen kam sich Elisander so fremd vor, wie noch nie.
Zielstrebig führte Veyd sie durch die Stadt. Unvermittelt standen sie nach einer Kurve am Rande eines weiten Platzes auf dem sich ein paar Duzend Marktstände lose verteilten. Die Hauptzeit des Markts schien vorüber, einzelne Besucher schlenderten zwischen den Wagen hin und her, viele der Händler bauten bereits ihre Stände ab.
„Wir müssen dort an dem Tempel links vorbei. Da hinten sieht man schon die Stadtmauer.“
Veyd deutete quer über den Platz auf ein breites, grau-schwarzes Gebäude mit vier riesigen Statuen davor. Den Symbolen auf den Brustbereichen der Hünen nach, musste es ein Tempel von Garamed, dem Gott des Lichtes, sein. Farbgebung und Größe verstörten Elisander. Garamedtempel im Reich Balsam waren weiß und kaum mehr als kleine Schreine. Dieses Monument war dagegen majestetisch, unheimlich und einschüchternd, gleichzeitig eine Warnung vor der Macht des Gottes und eine Demonstration der Überzeugung seiner Anhänger. Zum Glück war Elisander nicht abergläubisch.
Sie suchten sich einen Weg durch die Stände und Händler, besahen im Vorbeigehen die Waren und beobachteten einige kleine Kinder, die in ein Spiel vertieft an ihnen vorbei rannten.
Elisander bemerkte, dass auch Rafael und Veyd den Tempel im Auge behielten. Der Halbork schien ähnlich beeindruckt wie er, Veyd hingegen wirkte fast euphorisch, grinste breit als sie den Statuen näher kamen.
„Seht euch diese Baukunst an, dieses Meisterwerk. Solche Tempel habe ich bei uns nie gesehen.“
Still stimmten ihm Elisander und Rafael zu. Sie verließen den Platz und folgten erneut einer gewundenen Straße bald etwas bergauf, bald etwas bergab, den Stadtmauern entgegen.
Klobig und kompakt baute sich schließlich die Kaserne, ihr vorläufiges Ziel, vor ihnen auf. Der Bau war mit nur wenigen Fenstern durchsetzt und offenbar direkt in die Stadtmauer integriert. Das breite, doppelflügelige Holztor trug eine Bronzeplatte zur Schau, welche drei Krummsäbel zeigte, zwei gekreuzt und einen alleine, so dass sie wie ein „„X“ und ein „I“ aussahen. Hinter dem Tor waren Rufe, Befehle zu hören.
„Sollen wir klopfen?“, Veyd schaute immer noch lächelnd zu seinen Begleitern.
Elisander war etwas Unwohl bei dem Anblick des sandfarbenen Baues mit den wenigen Öffnungen und den ungewohnten Geräuschen.
„Wir können es uns ja ansehen, was soll schon passieren.“, Rafaels Stimme klang teilnahmslos, sein Gesichtsausdruck war schwer für Elisander zu deuten.
Veyd ging zum Tor und hämmerte dreimal gegen das Holz. Es dauerte einen Augenblick, dann öffnete sich der linke Flügel des Tores ein Stück. Ein junger Zwerg stand im Tor, die Uniform die er trug war gelb und weiß gefärbt, an seinem Gürtel hing ein langer Säbel. Seine blonden Haare und sein blonder Bart waren kurz geschoren, seine Augen begutachteten die drei Fremdlinge wachsam.
„Kann ich helfen?“
„Seid gegrüßt, werter Herr Zwerg, mein Name ist Veyd Finkental und ich komme aus dem Reich Balsam. Meine Freunde hier und ich suchen Arbeit und es heißt, die Stadtwache kann neue Recken gebrauchen. Darum sind wir jetzt hier und suchen Einlass und Anstellung.“
Der Ausdruck auf dem Gesicht des Zwergen blieb wachsam, vorsichtig. Er taxierte jeden genau.
„Wartet hier.“
Dann schloss sich das Tor wieder.
Zeit verging und Elisander sah sich die Gegend um die Kaserne genauer an. Die Straße die Kaserne und Stadtmauer von den nächsten Wohnhäusern trennte war recht breit, so wie er Straßen aus Balsephon gewöhnt war. Als er sich umwand und in Richtung des Platzes blickte über den sie gelaufen waren, konnte er in der Ferne das Wasser sehen. Offenbar waren sie tatsächlich viele Schritt über dem Meeresspiegel. Auch war der Hafen näher als er vermutet hätte. Die Innenstadt innerhalb der Stadtmauern musste kleiner sein, als sich der Weg quer hindurch angefühlt hatte. Sein Blick glitt weiter und er sah eine große offene Schmiede ein Stück die Straße entlang der Stadtmauer hinunter. Vielleicht konnte er als Gehilfe unterkommen, wenn aus dem Stadtwachentraum nichts werden sollte?
Schwere Schritte hinter dem Tor schnitten seinen Gedanken ab. Das Tor öffnete sich und eine Menschenfrau in metallener Rüstung, jedoch ohne Helm, schaute die drei Gefährten geringschätzig an.
„Ihr sucht Arbeit?“
„Jawohl, meine Dame.“, Veyd verbeugte sich leicht, doch die Frau wirkte wenig beeindruckt, verzog die Lippe und antwortete barsch.
„Ich bin keine Dame, Fremder. Mein Name ist Julide Schwarz und ich bin Venrich der Stadtwache. Nennt mich Venrich Schwarz, für den Anfang.“, sie zögerte einen Moment und musterte Elisander genau, bevor sie weitersprach. „Und ihr glaubt, ihr könntet in einer Wache dienen?“
Elisander kam der Schmied in den Sinn, mühevoll unterdrückte er den Reflex hinüber zu sehen. Er kannte die Art Mensch die vor ihm Stand, und wusste er durfte keine Schwäche zeigen, wenn er bei den Beiden bleiben wollte. Er sah ihr direkt in die Augen, während er sprach.
„Venrich Schwarz, ihr überseht, dass die Talente eines Mannes sich nicht allein in den Muskeln zeigen. Zweifellos, in einem Wettbewerb des Armdrückens wären meine Chancen gegen meine Freunde hier bedauerlich. Doch ich bin leise und schnell und anpassungsfähig, und schließlich habe ich auch nicht vor eine so fähige Wachfrau wie euch zu enttäuschen.“
Sie lächelte nun. „Leise beeindruckt keinen Oger auf dem Feld, aber für schnell habe ich eine Schwäche. In Ordnung, folgt mir, ich zeige euch die Kaserne, dann entscheidet ihr ob unsere Miliz euer nächstes Daheim wird.“
Mit einer Handbewegung gab sie ihnen den Weg vor, eine Treppe führte sie nach oben in den zweiten Stock der Kaserne. Durch eine kleine Türe gelangten sie auf einen langen offenen Gang mit Blick auf den Innenhof.
„Hier trainieren wir die neuen Milizionäre. Wir hatten eine Stadtwache von fast neunzig Mann, durch die Angriffe des Ogerstammes haben wir einige verloren und müssen auch immer mehr von den Wachmannschaften der anderen Türme abziehen.“
Unter ihnen hieben Menschen und Zwerge mit langen Stäben aufeinander ein, zwei Menschen in Rüstungen die denen von Venrich Schwarz ähnelten, gaben Anweisungen und brüllten bei Fehltritten oder unkontrollierten Schlägen.
„Mit dem bisherigen Zuspruch an Rekruten haben wir ausreichend Mannstärke um die Oger auf Dauer von der Stadt fern zu halten...“
„Augenblick, Venrich Schwarz, “, Veyd unterbrach die Frau in ihrem Redeschwall, „sollen wir gegen die Oger kämpfen?“
Die Wachfrau schaute kurz überrascht, prustete dann aber aus vollem Hals. Über die Balustrade gelehnt, lachte sie eine ganze Weile, bevor sie in der Lage war zu antworten.
„Ihr? Du? Hahahar. Nein, Fremder, diesen Spaß überlasst ihr uns. Wir lehren die richtige Stadtwache ein Jahr lang den Umgang mit Schwert, Hellebarde und Armbrust, schulen sie im militärischen Umgang und Taktiken. Für euch bleiben unterhaltsame Aufgaben wie den Südturm zu bewachen. Oder den Ostturm. Oder zur Abwechslung mal den nordöstlichen Turm, der ist etwas anders konstruiert. Ihr unterschreibt einen sechs monatigen Vertrag, und steht nach zwei Wochen Grundausbildung einfach als Wächter in Türmen.“
Sie ließ ihre Worte einen Moment wirken, Veyd sah beinahe etwas enttäuscht aus, doch für Elisander klang ihre Zukunft nun wesentlich entspannter. Unter ihnen gab es inzwischen rhythmische Folgen von Rufen und dem Klopfen von Holz auf Holz.
„Wenn ihr sie braucht, wir haben eine Unterkunft hier in der Kaserne, da gibt es drei Mahlzeiten pro Tag. Dann seid ihr aber auch mit für die Sauberkeit hier verantwortlich. Wenn ihr euch entschließt den Vertrag zu unterschreiben, habt ihr zehn Stunden pro Tag Dienst und erhaltet zwei Silber Sold pro Zehntag.“
Passend gab es unten Laute Befehle „Trupp Aufstellung!“ und die Milizionäre nahmen in Reih und Glied nebeneinander Platz.
„Speer rechts!“
Die Holzstäbe wurden gleichzeitig von etwa dreißig Recken aufgestampft, der dumpfe, laute Klang hallte in Elisanders Brustkorb wider und ließ ihn erschaudern.
Die Türe auf die sie zugesteuert waren, öffnete sich und ein junger Mensch blickte zu ihnen den Gang entlang.
„Venrich Schwarz? Der Hauptmann wünscht euch zu sprechen.“
Die Frau blickte zu Veyd und lächelte.
„Bleibt hier und denkt darüber nach, ich bin gleich wieder bei euch.“, im Weggehen fügte sie hinzu, „Und eure Namen müsst ihr mir dann auch nennen.“
Dann verschwand sie mit dem jungen Wachmann hinter der Türe und Rafael, Veyd und Elisander waren sich selbst überlassen. Rafael lehnte nachdenklich über der Balustrade und sah auf den Hof hinab, von dem sich die Milizionäre langsam durch drei verschiedene Türen entfernten. Veyd lehnte an die Wand und sah lächelnd unter dem Vordach hinweg zum Himmel hinauf. Elisander wusste nichts Besseres und setzte sich einfach auf den staubigen Steinboden.
„Nun, meine Freunde, was sagt ihr? Es klingt nicht so abenteuerlich wie ich gehofft hatte…“, Rafael wand sich zu Veyd und warf ihm einen zweifelnden Blick zu, während dieser weitersprach, „…aber es gibt vernünftiges Geld und wir könnten so den anstehenden Winter verbringen, bevor wir uns einen neuen Plan machen.“
Elisander war sich zwar nicht sicher, aber… „Du könntest Recht haben Veyd, wenn wir bis zum Frühling in der Kaserne ein paar Silber verdienen, stehen wir uns definitiv besser als in diesem Moment.“
Rafael blieb weiterhin still. Veyd kam dem Halbork näher, blickte ihm gerade in die Augen. „Wie steht es mit dir, Rafael, sollte diese Art sich zu beschäftigen dir nicht liegen?“
„Was willst du damit sagen?“, Rafael stellte sich auf, drückte das Kreuz durch und wuchs über Veyd hinaus.
„Nun, du bist ein halber Ork, Kriegshandwerk fließt doch in deinem Blut.“
Verächtlich schnaufte der Halbork aus. „Meinst du, ja? Ich weiß zwar nicht viel von meinem Blut, weder dem Einen noch dem Anderen, doch ich weiß was ich nicht mehr…“, er hielt inne, bevor er weitersprach, „……was ich nicht muss. Ich muss deinen Befehlen nicht folgen.“
„Rafael, so habe ich das nie gewollt. Aber einer von uns muss nun einmal die Führung übernehmen.“
„Ist das so.“, Rafael blickte zu Boden und lehnte sich wieder an den Stein hinter sich.
„Es reicht mir…“, Veyd baute sich vor dem Halbork auf und stemmte seine Hände gegen die Schultern des größeren Mannes, „…warum dich das, was ich auf dem Schiff gesagt habe, derart aufgeregt hat. Ich weiß es einfach nicht. Aber ich habe viel für dich getan, dir die Überfahrt bezahlt und für dich die Arbeit auf dem Schiff übernommen, die du nicht hinbekommen hast. Sollte das nicht etwas wert sein?“
Rafael befreite sich vom Griff des Menschen und gab ihm einen kräftigen Stoß, der ihn zwei Schritt zurückwarf. „Und jetzt?“, der Halbork brüllte, in dem offenen Gang hallte seine Stimme wieder und unterstrich seine Worte mit einer aggressiven Resonanz. „„Bin ich dein Sklave? Hast du mich gekauft? Meister Finkental, der Große?“
Veyd riss die Hände beschwichtigend hoch.
„Warte, was ist hier los? Niemand sagt etwas von Sklaverei. Ich erwarte nur etwas Respekt.“
Elisander blickte verstört zwischen den großen Männern hin und her.
„So viel Respekt wie du der Dame von Braunfurt hast zu Teil werden lassen?“, Rafael verschränkte die Arme, während Veyd Röte ins Gesicht stieg. Dann schüttelte er seinen Kopf.
„Wovon redest du?“
„Bitte, Veyd. Du hast ihr nachgesetzt und alles versucht um in ihren Rock zu kommen.“
Veyd legte den Kopf schief. „Bist du eifersüchtig auf mich?“
„Du kapierst es nicht, Veyd.“, Rafael schnaufte wieder. „Du hast dich nicht wie ein Ehrenmann benommen, gegenüber der Dame und mir gegenüber. Deine Pläne, deine Wünsche, dein Gemächt, etwas anderes hattest du nicht im Kopf. Respekt bekommst du von mir Keinen für dein Geld.“
Veyd ließ die Worte auf sich wirken. Elisander konnte das Rattern förmlich auf seinem Gesicht ablesen, das durch den Verstand des Mannes ging.
„Vielleicht hast du nicht Unrecht.“, seine Einsicht kam von Herzen, Elisander bemerkte die gewachsene Reife in ihm. „Es tut mir leid, wenn ich dich beleidigt habe, es war keine Absicht. Du bist ein freier Mann, was möchtest du tun?“, sagte Veyd und machte dazu eine einladende Geste.
Die Miene des Halborks offenbarte Überraschung. „Nun, wenn du so fragst…“, erneut lehnte er sich auf die Brüstung und blickte in den Hof, „…ich werde mich nicht in diesen Gefängnishof begeben. Ein Leben nur mit Regeln, Vorschriften, Anweisungen. Ich möchte das hinter mir lassen.“
Elisander hatte es geahnt. Der Halbelf stellte sich zu Rafael. „Aber Rafael, was hast du denn dann vor?“
„Keine Ahnung. Raus aus dieser Stadt, denke ich, und sehen wohin mich meine Schritte bringen.“
„Ist das dein Ernst? Aber du hast kein Geld und kennst dich nicht aus…“, Veyd starrte den Halbork fassungslos an.
„Und wenn schon. Wolltest du nicht Abenteuer erleben? Was stellst du dir vor, außer hinaus zu ziehen und der Straße zu folgen?“
Die Worte zeigten Wirkung bei dem jungen Menschen der sich Abenteurer nennen wollte. Er verschränkte die Arme und lehnte sich ebenfalls gegen die Brüstung.
„Schon, ja, aber Rafael, ohne Geld? Eure Kleider sind ziemlich zerschlissen, wir haben nur meinen Rucksack und praktisch keine Möglichkeit uns zu verteidigen. Als wir in Silfing aufgebrochen sind, dachte ich noch, du hättest eben eine solche Geschichte hinter dir wir Elisander. Das du einfach nur bettelarm bist… es macht keinen Unterschied. Ich finde hier einige Monate in der Stadtwache zu verbringen, die Stadt kennen zu lernen und ein paar Silber zur Seite zu legen, ist genug Abenteuer für den Anfang. Findest du nicht?“
„Im Gegensatz zu dir sind mir Abenteuer gleichgültig. Was mir nicht einerlei ist, das ist meine Freiheit. Hier in diese Arena, mit einer metallbekleideten Amazone als Herrin über mein Wohl und Wehe, hier finde ich die Freiheit nicht. Dort hinter diesen Mauern, da könnte es etwas davon für mich geben.“
Veyd wand sich dem Halbelf zu. „Was meinst du, Elisander?“
„Ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich mich entscheide, wenn ich vor der Wahl stehe.“, Elisander schaute zwischen beiden hin und her. Seine Entscheidung fiel ihm nun doch erstaunlich leicht. „Veyd, du hast recht. Ich werde mit dir in den Dienst der Wache eintreten.“
Veyd blickte nun von Elisander zu Rafael. „Das heißt… das heißt wir trennen uns hier? Aber… so war das nicht geplant.““
„Wie hattest du es geplant? Dachtest du, du triffst zwei Fremde und hast sofort lebenslange Gefährten?“, Elisander zuckte verlegen mit den Schultern.
„Veyd, mach dir keine Sorgen.“, Rafael legte dem Menschen seine Pranke auf die Schulter. „Du träumst von den Geschichten über Abenteuer, die wirst du auch ohne mich finden. Wer weiß, wen du in der Wache triffst?“
Betroffen, fast traurig sah Veyd zu Boden. „Ihr habt ja Recht, es war töricht anzunehmen ich hätte bereits die perfekte Gruppe gefunden.“
Er durchmaß den Gang der Breite nach und lehnte sich nun an die Wand, den Kopf erhoben und ein gewinnendes Lächeln aufgesetzt.
„Dann ist es so entschieden. Der Halbelf und der Mensch werden Milizionäre, der Halbork wird Wanderer. Aber du nimmst meine restlichen Münzen, damit du zumindest etwas Kapital hast.“
Nach seiner Tasche greifend, kniete sich Veyd hin. „Was ist… so eine Krakenkacke, das Geld ist weg. Da war ein Beutelschneider dran, seht!“
Er hielt den anderen seinen Rucksack hin, Elisander grinste. „Diese fröhlichen Kinder auf dem Marktplatz. Dann also kein Startguthaben für den guten Rafael.“
Richard fluchte stammelnd weiter, nervös tastete auch der Halbork an seiner Hosen herum. Seine Erleichterung verriet bald, dass er verschont geblieben war.
„Und nun?“
Elisanders Frage blieb unbeantwortet im Raum stehen. Schließlich erhob sich Veyd und seufzte tief.
„Nun denn, sagen wir dem Venrich Schwarz das sie zwei neue Rekruten hat und dann bringen wir unseren Großen hier zum Stadttor.“
Es dauerte noch eine ganze Weile bis die Dame zurückkam. Die schweren Schritte ihrer Rüstung waren schon von weitem zu hören und die drei Freunde schauten gebannt zur Türe bis sie endlich aufging.
„Und, Männer, ist eure Entscheidung gefallen?“
„Jawohl, Venrich Schwarz, Elisander hier und ich, Veyd Finkental, werden sich eurer Stadtwache anschließen.“
„Wunderbar.“, sie lächelte, beinahe charmant, und sah Rafael an. „Wie steht es mit euch, Herr Halbork? Keine Berufung zur Stadtwache für euch?“
„Nein, ich habe andere Pläne.“
„Schade, breite Kreuze kann man nicht genug haben. Einerlei, wir machen gleich die Verträge für euch fertig. Gehe ich recht, dass ihr in der Kaserne schlafen möchtet?“
„Einstweilen ja, Venrich Schwarz. Aber können wir vor der Weihe zur Stadtwache noch unseren Freund auf den Weg bringen?“, Elisander klopfte dem Halbork bei diesen Worten auf die Schulter und setzte ein kaum gespieltes, wehmütiges Lächeln auf.
„Ganz wie ihr wollt. Ich bringe euch nach unten und stelle einen anderen Rekruten ab, der euch später umherführt, wenn ihr zurück seid. Einverstanden?“
Nur Momente vergingen, bis sie wieder vor dem Tor der Kaserne standen. Unschlüssig welchen Weg sie einschlagen sollten, fragten sie ein älteres Zwergenmütterchen nach dem Weg. Sie wies sie links an der Kaserne vorbei die Mauer entlang, bis zum „Erzmarkt““ wie sie den Platz nannte.
Während sie der Straße folgten, die Mauer zu ihrer Rechten, sann Elisander über seine neue Situation nach.
Das er Phileaos und Dedalos, zwei Halblinge die er ebenso gut Freunde wie Veyd nennen konnte, zurückgelassen hatte, war kaum mehr als zwanzig Tage her. Schuldig an Phileaos zerbrochenen Fuß, hatte er nichts unternommen um den Beiden zu helfen. Ob sie ebenso gehandelt hätten? Vermutlich ja. Aber wenn er Veyd und Rafael so besah, traute er diesen beiden solches Verhalten nicht zu. Wenn er nun bei Veyd blieb, war er zwar vor dem Magier in Übersee sicher und sein Auskommen schien auch unbedroht, doch wohin sollte das führen? Hier in Bregoheim gab es sicherlich Einnahmequellen für einen geschickten Schlossknacker, nur mit dem Ehrenmann hier an seiner Seite waren die nötigen Kontakte nicht einfach herzustellen. Sollte er am Ende ein gewöhnliches Leben mit einem normalen Beruf leben? Einen Schlosser hier ausfindig machen und als Geselle arbeiten? Sicherlich nicht in Veyds Sinne, und nicht so spannend wie seine unklaren Vorstellungen von Abenteuern, aber vielleicht auf Dauer gesünder für Elisander.
Die nächsten Monate als Wachmann boten ihm in allen Fällen ausreichend Zeit, seine Pläne zu ordnen und seine Zukunft zu planen. Ob Veyd ein Teil dieser Zukunft sein würde, noch wusste der Halbelf keine Antwort darauf.
Sie fanden den kleinen Marktplatz, gesäumt von hohen Bäumen hinter denen ein großes Tor aus der Stadt hinausführte, verlassen vor.
„Warum er wohl Erzmarkt heißt? Sieht nicht aus, als würde hier viel gehandelt.“, Richard sah sich um, konnte aber keine typischen Anzeichen eines normalen Marktes entdecken.
„Ich habe gehört, die Oger hindern die Erzhändler und Bergleute an der Arbeit.“, sagte Rafael gelangweilt.
Veyd ließ seinen Blick über die Häuser gleiten.
„Nun, umso wichtiger ist unser Beitrag zur Sicherheit des Landes!“
Elisander sah den pathetischen Veyd zweifelnd an und konnte sich eine Antwort nicht verkneifen.
„Oder… wir verdienen beim Rumsitzen ein paar Silber, machen einen Bogen um alles was einem Oger ähnelt und leisten einen Beitrag zur Sicherheit unserer Rückräder.“
„Genug davon,“, Veyd winkte ab, „Venrich Schwarz erwartet uns bald zurück an der Kaserne, wir sollten Rafael entlassen.““
Der junge Mensch mit dem angeschlitzten Rucksack und der geraden Haltung hielt dem stinkenden Halbork mit der zerschlissenen Kleidung seine Hand hin. Es gab ein klatschendes Geräusch als dieser zugriff und beide lächelten. Veyd legte seine freie Linke auf Rafaels Schulter und sah an ihm vorbei zum Tor.
„Es ist ein wahrer Jammer, dass ich dich nicht von meinen Plänen überzeugen konnte. Ich wünsche dir alles Gute für deinen Weg, wo auch immer er enden mag.“
„Veyd, du bist ein seltsamer Mensch, und vielleicht habe ich dir manches Mal Unrecht getan. Ich wünsche auch euch das Beste.“, dann löste sich ihr Handschlag. Rafael drehte sich zu Elisander und hielt die Pranke hin.
„Halt das Ohr steif, Großer.“, Elisander zwinkerte, während Rafael ob der Neckerei böse mit den Augen funkelte.
„Lass dich nicht umbringen, Halbelf.“
Mit diesen Worten verließ der Halbork sie und ging zum Tor, Elisander sah ihm kurz nach und wollte schon zurückgehen, als er bemerkte, dass Veyd noch keine Anstalten machte zu gehen.
„Kommst du?“
Rafael erreichte das Tor und sprach mit der Wache dort. Noch immer blickte Veyd hinter ihm her.
„Was ist Veyd, gehen wir zurück?“
„Ach, Elisander, ich mache mir Sorgen um ihn.“
Elisander sah Veyd zweifelnd an. „Er weiß schon, was er tut.“
„Hoffen wir es…“
Endlich drehte sich auch Veyd um und sie gingen gemeinsam zur Kaserne zurück.