Helene Persak
Mitglied
Soeben erreichen sie die Baumreihe und es bleibt ihr keine Zeit, sich wieder zu fangen. Ebenso wie jene, welche die Lehranstalt von der großen Fläche abtrennt, trennt diese hier den Lehrlingsstrand ab.
Murmeln durchdringt die Wand.
Das war es mit der Ruhe. Natürlich haben die anderen Abschließenden die gleiche Idee gehabt, seufzt sie. Wie schon die Tage davor. Warum sollte es auch anders sein? Entschlossen, heute nicht zu ungewöhnlich zu wirken, strafft sie ihre Schultern und folgt den Freunden.
Dämmriges Licht empfängt sie, als sie den Strand betreten.
Nur vereinzelte Sumzastrahlen durchdringen die Baumkronen, welche über den Großteil der Liegefläche gespannt wurden. Anders als die abgrenzenden Bäume tragen diese ihre Äste oben. Sollen Schatten spenden, statt vor Blicken zu schützen. Sanftes Licht, welches durch die voll behangenen Äste dringt, erfüllt den Liegebereich. Die seltenen Lichtstrahlen lassen den Sand an einigen Stellen glitzern und an anderen in Schatten liegen.
Zum Wasser hinab und nach rechts führt sie ihr Weg. Kühl umspielt sie der Wind, als sie in Richtung des Grenzfelsens gehen. Immer auf der Suche nach einem Liegeplatz.
So laut es mir auch vorkommt, grübelt sie, es ist hier noch nie so ruhig wie zu diesen Prüfungstagen gewesen.
Alle haben noch Lehrzeit, außer wir. Wie gut, dass die kleinen Bälger auch heute nicht her kommen werden. Was bin ich froh, dass sie ihren eigenen, winzigen Teich haben. In dem können sie Schwimmen lernen und kreischen so viel sie wollen.
Erst mit neun Zyklen dürfen sie hier her.
Wie es wohl auf dem Erwachsenenstrand wird?, grübelt sie, den Felsen musternd. Dort werden wir die Jungen sein. Ob wir dort die Bälger sein werden? Aber nein, ist sie sich sicher, wir sind dann erwachsen und tollen nicht herum wie sie. Begeistert von der Erkenntnis, dass nur noch wenige Nächte zwischen jetzt und ihrem Erwachsensein liegen, malt sie sich ihr restliches Leben aus.
Als die Freunde endlich einen Platz gefunden haben, lässt sich Gabrialla ausgelaugt auf ihre Decke gleiten. Ihr Kopf pocht und ihr Kiefer schmerzt, als sie sich zurücksinken lässt.
„Du willst doch nicht etwa hier liegenbleiben?“, lässt Maries sie innehalten. Verwirrt, sieht Gabrialla zur Freundin hinauf. Halb vom Wasser wieder zu ihr gedreht sieht diese sie kritisch an. „Es ist unser letzter Tag am See.“, fährt diese fort, als wäre ihr Gabriallas verwirrter Blick nicht aufgefallen. „Sie nur, wie schön die Sumza ihn erhellt.“ Gabriallas Blick schweift zum See. In unendlichen Blautönen schimmernd liegt er nur wenige Schritte von ihr entfernt. „Du kannst doch nicht wirklich hierbleiben wollen!“ Michelle, welche ebenfalls schon dem Wasser zugewandt war, lächelt sie amüsiert an.
„Was ist los? Ihr seit es doch gewesen, die immer erst hier sitzen und reden wollten. Was ist heute anders?“
„Gabrialla“, seufzt Marie, kommt aber nicht weiter, da Michelle das Wort ergreift.
„Das waren die letzten Prüfungen für uns! Bei den vorherigen konnten wir uns über die Aufgaben unterhalten, da sie für alle gleich waren. Heute hat jeder andere, speziell nach seiner Wahl, bekommen. Wir können nur abwarten wie unser Ergebnis wird.“
Doch sie kann den Unterschied nicht erkennen.
„Tatsächlich?“ Es kommt mir vor, als würden sie über alles reden, was es gibt. Jetzt soll das kein Grund sein zu reden? Warum? Einen genervten Seufzer unterdrückend, erhebt sie sich ergeben, Was soll es bringen, weiter darüber zu reden?, und folgt den Freundinen, die sie weiterhin belustigt und abschätzend ansehen.
Am Strand noch, hält sich Gabrialla zurück. Bleibt im Tempo der Freunde. Sobald sie jedoch das Wasser erreicht haben, ändert sich das. Während die anderen langsamer werden, behält sie ihr Tempo bei. Empörte Kommentare prasseln auf sie ein, als sie die Freunde überholt und mit dem kühlen Nass bespritzt. Doch Gabrialla eilt weiter, bis sie mehrere Schritte vor ihnen ist. Dann, hüfthoch im Wasser stehend, dreht sie sich herum und erwidert: „Warum werdet ihr auch langsamer?“. Mit einem Grinsen lässt sie sich rückwärts in das Wasser fallen.
Erfrischende Kälte nimmt sie auf, als sie vollständig unter taucht und lässt ihre Haut kribbeln. Die Sumza hat ihren Höhepunkt erst vor kurzem überschritten, doch die wärmste Zeit des Tages liegt noch vor ihnen. Sie genießt die Abwechslung der Kälte auf ihrer Haut. Die Stille unter der Wasserfläche. Doch, zu lange darf sie nicht verharren. Benehm dich normal, Gabrialla. So wie die anderen auch, ermahnt sie sich.
Warum?, hallt es in ihr wieder.
Ich will normal sein!, erwidert sie, bevor ihr bewusst wird, wem sie antwortet. Ihre Füße suchen nach Grund und eilig durchstößt sie die Wasserfläche.
Als sie auftaucht, hört sie Juls verärgerte Stimme: „... nicht verstehen, wie sie das macht.“ Neugierig, dreht sie sich zu ihm herum, und ist erstaunt, als sie seinen Blick trifft.
„Was den?“, blubbert sie, den Mund wieder halb unter der Wasserfläche.
„Du läufst so mühelos durch das Wasser,“ klärt Michelle sie auf, „als wäre es nicht vorhanden. Juls würde das auch gerne, doch er weiß nicht, wie du das machst. Wir übrigens auch.“ Obwohl sie Gabrialla anlächelt, erkennt diese das Grüblerische in ihren Augen. Sie erinnert sich: Darüber hatten wir schon oft gesprochen. Sie verstehen nicht, warum ich einfach weiter gehe und ich nicht, warum sie langsamer werden. Doch, grummelt sie, keiner kann es dem anderen erklären. Das Wasser ist ein Widerstand, sagen sie. Natürlich ist es schwerer, durch das Wasser zu gehen. Aber, sie sind doch draußen schon so langsam, warum werden sie dann hier noch langsamer? Mir macht das keinen Unterschied.
Sie hat keine Lust, dass ganze noch einmal durchzusprechen. Also dreht sie sich herum und schwimmt hinaus, der großen Steinwand entgegen.
Sie erscheint so nah, dennoch widersteht sie dem Drang dorthin zu schwimmen. Es lohnt sich nicht, dafür die Gärten zu riskieren. Sie werden es wissen und mich in die Küche stecken, mahnt sie sich.
Ihre Gedanken schweifen zu der Zeit, in der sie noch der mittleren Gruppe angehörte. Damals habe ich mehrfach versucht, sie zu erreichen. Doch, ... erinnert sie sich verärgert, die Aufpasser haben mich immer eingeholt.
Oft erst kurz nachdem ich den Schwimmbereich verlassen hatte. Ihr Blick streift die letzten Bäume, die etwa 30 Schritt vom Strand entfernt aus dem Wasser ragen. Dahinter erstrahlt der See im ungefilterten Licht der Sumza.
Doch, zwei oder drei mal, meint sie, hatte ich es bis zum Schatten, welcher von der Wand auf dem See geworfen wird, geschafft. Aber, nie weiter. Die Erinnerungen an die Bestrafung danach, verdrängt sie eilig. Weiter wandert ihr Blick, über das beschattete Wasser. Sie schätzt die Strecke, von den Bäumen bis zu Wand, auf noch einmal 30 Schritt.
Wie schön ruhig es dorten sein muss?
Ihr Blick trift auf die Wand wandert hinauf, sucht die Kante weit oben, über welche einzelne Äste hinausragen. Sie winken ihr zu, rufen sie und wollen sie dazu verleiten hinauf zu steigen. Doch sie darf nicht.
Das ist die Grenze. Hier endet die Farm. Keiner darf dort hinauf.
Sie zwingt sich, ihren Blick abzuwenden. Lässt ihn über das Wasser gleiten, bis er erneut die, im Wasser stehenden Bäume trifft.
Wie sie das gemacht haben?, fragt sie sich wieder einmal. Zügig schwimmt sie zu dem ihr am nächsten Stehenden und umrundet ihn.
Wie oft habe ich sie betrachtet? Wie oft bin ich zu ihren Wurzeln getaucht? Und doch habe ich nie herausgefunden, wie sie in diesem tiefen Wasser wachsen konnten. Ihr fällt auf, dass dies, ebenso wie Juls Frage, eine ist, die wohl immer ungeklärt bleibt. Diese Bäume stehen schon ewig. Als einfache Ländlerin werde ich das nie erfahren. Und mehr, ist sie sich bewusst, werde ich als Frau nie werden.
Wut und Vorfreude vermischen sich in ihr. Wut, dass sie als Mädchen nie die Möglichkeit haben wird Oberhaupt der Ländler oder auch nur sein Stellvertreter zu werden. Vorfreude, dass sie bald Ländlerin wird. Die Möglichkeit, dass nicht, hat sie mittlerweile vollkommen verdrängt.
Ein leises Läuten verlangt ihre Aufmerksamkeit und ruft sie zurück an den Strand.
„Du wolltest wohl gar nicht mehr zurückkommen, oder?“, begrüßt sie Michelle.
„Ich habe die Zeit vergessen. Es war so schön ruhig da draußen.“
„Ein hoch auf die Zeitglocke, die uns immer wieder erinnert, nicht zu lange im Wasser zu bleiben.“, zwinkert ihr Sven zu.
„Ja, ein Hoch darauf. Und auf den, der mir sagen kann, warum nicht?“, murmelt sie.
„Wirklich? Du willst schon wieder darüber diskutieren? Haben wir nicht schon oft genug ...?“
„Nein, will ich nicht,“ unterbricht sie Marie etwas zu grob. Ihr gebt ja doch nur wieder, was uns gelehrt wurde. Dass dies kein Sinn ergebender Grund ist, scheint ihr nicht zu verstehen. „Entschuldigung Marie. Es liegt mir einfach nicht, hier herum zu liegen.“
„Als wenn wir das nicht alle längst wüssten“, kann, oder will sich Juls nicht verkneifen. Zuckt jedoch nur mit den Schultern, als ihn zwei Augenpaare tadelnd ansehen.
„Ich kann mir nicht vorstellen, wie es für dich ist. Gabrialla.“, antwortet ihr Marie, die Juls noch zwei Herzschläge anschaut, bevor sie sich wieder zu ihr herum dreht. „Ich kenne niemanden, den es so nach draußen drängt wie dich. Du bist so oft draußen, außerhalb der inneren Gebäude und die letzten Tage, die Zeit der Prüfung, hier mit uns gefangen. Ich überlege,“ fragend wandert ihr Blick zu Michelle, „wie das wohl für dich ist. Ob es für uns eine ähnliche Situation gibt?“
Ach, Marie. Immer versucht sie, alle zu verstehen. Versucht zu ergründen, warum jemand so handelt wie er handelt. Sie passt so gut in die Kinderstädte. Sie will jeden verstehen und behüten. Wie oft hat sie bei mir schon aufgegeben? Ich bin einfach zu anders.
„Diese Frage stelle ich mir schon lange nicht mehr,“ erwidert die angesprochene, seltsam abwesend. „Ich frage mich jedes Mal nur, ob sie wieder zurückkommt.“ Nadeln gleich sticht der schmerzliche Unterton Gabrialla.
Traurig mustert sie die Freundin, greift nach deren Hand und verspricht:„Ich werde immer wieder kommen, Michelle.“ Vorsichtig, um der Freundin nicht weh zu tun, jedoch kräftig genug, um ihrer Aussage Nachdruck zu verleihen, drückt sie deren Hand. „Wo soll ich den sonst hin? Den Jägern werde ich mich nicht stellen. Da kannst du sicher sein.“, ihr Lächeln verebbt, als Michelles Blick weiterhin düster bleibt.
„Und was ist mit den Wächtern?“ Gabriallas Atem stockt und ihre Muskeln verspannen. Es gibt nur einen Grund, warum Michelle das gesagt hat.
„Was soll mit denen sein?“, möchte Sven auch schon wissen. „Die nächste Holung ist noch fern.“
Stöhnend lässt Gabrialla ihren Kopf auf die Decke fallen. Der Sand puffert den Aufprall leicht ab, dennoch spürt sie den Schlag fester als erwartet.
Jetzt geht es los. Eigentlich dachte ich, sie haben es den anderen schon erzählt.
„Gabrialla ist einem Wächter begegnet. Sie hat ihn nicht nur gesehen, sondern er hat sie auch noch angesprochen. Sie und Gideon.“ Auf einmal umhüllt sie schweigen. Ihr kommt es vor, als würde im Umkreis von mehreren Schritten um sie alle schweigen. In dem Bewusstsein, dass sie dem nicht entkommen kann, dreht sie sich zu ihren Freunden.
„Es war noch weit vor der Sperrzeit. Nach den Regeln hätte er uns nichts anhaben können.“, als sie sieht, dass Michelle etwas erwidern will, versucht sie abzulenken: „Außerdem war ich nur wegen Gideon so spät dran. Ich hatte nicht mit ihm und seine Frage gerechnet.“ Ihr Plan geht auf, den Ginos Blick ändert sich von ängstlich in neugierig. „Welche Frage kann einen den so aufhalten?“, möchte Svens Partner von ihr wissen.
„Gideon hat Gabrialla gefragt, ob sie mit ihm die Partnerschaft eingehen will.“, platzt Marie hervor, bevor Gabrialla überhaupt ihren Mund öffnen kann. Ein kurzer Blick zu Michelle zeigt ihr jedoch, dass diese sich nicht hat ablenken lassen.
Werde ich sie je überzeugen können? Noch vor unserer Holung?, sie kann es nicht sagen. Schweigend hört sie Maries Schilderung von dem zu, was sie den beiden Freundinen zwei Nächte vor der ersten Prüfung erzählt hat.
„Es war wenige Tage vor der ersten Prüfung. Michelle und ich saßen nach dem Abendessen noch unter dem Baum und haben auf Gabriallas Rückkehr gewartet. Ihr beide wart schon unten bei den Jungs. Sie“, ihr Kopf nickt zu Michelle, „war wohl kurz davor vor das Tor zu gehen und nach ihr zu rufen, als wir sie laufen gesehen haben.“
Oh, wirklich? Ich hatte sie nicht gesehen. Das hat sie mir nicht erzählt!
„Wir waren beide so erleichtert, sage ich euch. Die Erzieherinnen waren schon da, um das Tor zu schließen, haben aber verzögert. Natürlich ist sie zum Lehrleiter gebracht worden, bevor wir mit ihr sprechen konnten. Wir haben sie erst im Schlafraum wieder gesehen.“ Sogar Gino, der jeder Neuigkeit eifrig lauscht, scheint langsam das Interesse zu verlieren, als Marie zum Eigentlichen kommt: „Sie hat uns erzählt, dass Gideon sie im Garten abgefangen hat, um mit ihr zurückzugehen.“
Naja, so war es nicht wirklich. Er hat meine Arbeit unterbrochen, grummelt sie verstimmt, unter dem Vorwand mir etwas zeigen zu wollen. Sie hört Marie nur noch halb zu, dreht sich herum und blickt zur linken Seite des Sees. Dorthin, wo die Steinwand hinabsinkt, um schließlich im Sand zu verschwinden.
„Es muss so gefühlserregend gewesen sein.“
Marie., seufzt sie erschöpft und ist froh, dass sie sich schon abgedreht hat. Sodass keiner ihr Grinsen sehen kann. Marie ist so gefühlsbetont. Ihr Blick wandert weiter. Sucht die Stelle, zu der Gideon sie geführt hat. Es ist nichts zu sehen. Doch dort muss sie sein. Rechts ist der Grenzwald. Sie mustert die Bäume, die so viel höher und mächtiger gewirkt haben, als sie davor stand. Es ist erstaunlich, dass Bäume auf einer so steilen, ansteigenden Fläche wachsen können. Und da, weiter links, das muss der kleine Wald, die Anhäufung von Bäumen, korrigiert sie mit einem erneuten Blick auf den mächtigen Wald, sein, der meinen Weg zu den Gärten begrenzt.
Ein Bild erscheint ihr. Ein Raum, dem eine Wand und das Dach zu fehlen scheint. Ein Raum, dessen fehlende Wand den Blick frei gibt auf die große Steinwand und den See unter ihnen.
Von hier unten sieht es nicht so hoch oben aus. Doch von oben war es atemraubend.
„Und, was sagst du?“, meint sie, Gideon neben sich fragen zu hören. Sie war so überrascht, so vollkommen überwältigt, dass sie keinen verständlichen Satz sprechen konnte.
Ich denke, ich habe seine Geduld sehr strapaziert, mit meinen andauernden Fragen. Aber, ich konnte einfach nicht glauben, dass jenes, was ich da gesehen habe, wirklich die Steinwand und unser Badesee war. Doch, die Menschen, die ich dort zwischen dem Baumdach, so unglaublich klein, gesehen habe, haben seine Beteuerung bestätigt. Es war unglaublich, erinnert sie sich, mit wohligem Schaudern. Der See ist um so vieles Größer als dieser kleine Teil hier. Und dann hat sich alles geändert.
Ihre Gedanken folgen dem Weg, den sie zurücknahmen. Es war fast der Gleiche. Alleine, dass sie früher die grüne Fläche verlassen hatten und der Weg steiler hinab war. Sie war noch so gefangen, gebannt von dem Ausblick, dass sie erst gemerkt hat, dass Gideon mit ihr spricht, als er stehen geblieben ist.
Alls er mich gefragt hat, was ich nach meiner Lehrzeit machen will, dachte ich, er will mich verspotten. Ich war so schockiert und dann so enttäuscht, weil ich annahm, er würde immer noch nicht glauben, dass ich, als Frau, in den Gärten arbeiten könnte. Mein erster Gedanke war ihn anzuschreien und zu gehen. Erinnert sie sich und amüsiert sich jetzt über ihre Blindheit. Nie hätte ich gedacht, dass er mich fragen würde mit ihm eine Partnerschaft einzugehen.
„Wie viele Zyklen hat Gideon?“, möchte Marie wissen und reist sie aus ihren Gedanken.
„Bald hat er 20“, antwortet sie, nach kurzem Überlegen, verwirrt über diese Frage. „Noch in diesem Zyklus,“ er hat mir gesagt wann, doch ich weiß nicht ..., „im neuen Lehrzyklus. Leider weiß ich nicht mehr genau wann“, gesteht sie beschämt. Warum habe ich das vergessen? „Noch vor der Einsperrung!“, ruft sie triumphierend aus, doch das interessiert Marie anscheinend nicht mehr.
„Ist das nicht wunderbar?,“ erzählt diese schon weiter. „Er hat fast bis zum Schluss auf sie gewartet. Nur noch wenige Nächte und seine Entscheidung wäre beschlossen. Wenn Gabrialla ihm nicht zugesagt hätte, müsste er seine Zeit alleine verbringen.“
„Ich habe ihm nicht zugesagt“, murmelt Gabrialla. Doch wohl zu laut, den auf einmal, herrscht Stille hinter ihr.
Das ist nicht gut. Resignierend schließt sie ihre Augen und sammelt Kraft. Es hat keinen Sinn. Wenn ich mich dem jetzt nicht stelle, werden sie mich drängen.
„Wir wurden unterbrochen, weißt du noch?“ Beklommen dreht sie sich herum, um ihren Freunden entgegenzusehen. „Außerdem war ich die letzten Tage immer hier, mit euch. Wann hätte ich ihm zusagen können?“
„Aber, ...“
„Marie,“ unterbricht sie auch gleich, „es sind noch 20 Nächte, bis zum Ende des Lehrzyklus. Wir sind fertig mit den Prüfungen und unserer Lehrzeit. Nach zwei Nächten werden wir unserem Beruf zugeteilt. Ich habe vorgenommen nun jeden Tag, zumindest kurz in den Gärten zu sein. Ich bin mir vollkommen sicher, dass ich ihn dabei bald wieder sehen werde.“
„Und,“ fällt Juls sichtlich neugierig ein. „Was hat es nun mit dem Wächter zu tun?“ Für ihn scheint das Thema beendet zu sein, ebenso wie für Gabrialla. Doch, nicht für Marie, wie deren Blick sie wissen lässt.“ Was wollte er? Ich habe nicht gehört, dass jemand geholt wurde und die Ernte ist, wie Sven so richtig sagt noch weit.“ Sichtlich nervös schiebt sich Gino näher an Sven heran.
Murmeln durchdringt die Wand.
Das war es mit der Ruhe. Natürlich haben die anderen Abschließenden die gleiche Idee gehabt, seufzt sie. Wie schon die Tage davor. Warum sollte es auch anders sein? Entschlossen, heute nicht zu ungewöhnlich zu wirken, strafft sie ihre Schultern und folgt den Freunden.
Dämmriges Licht empfängt sie, als sie den Strand betreten.
Nur vereinzelte Sumzastrahlen durchdringen die Baumkronen, welche über den Großteil der Liegefläche gespannt wurden. Anders als die abgrenzenden Bäume tragen diese ihre Äste oben. Sollen Schatten spenden, statt vor Blicken zu schützen. Sanftes Licht, welches durch die voll behangenen Äste dringt, erfüllt den Liegebereich. Die seltenen Lichtstrahlen lassen den Sand an einigen Stellen glitzern und an anderen in Schatten liegen.
Zum Wasser hinab und nach rechts führt sie ihr Weg. Kühl umspielt sie der Wind, als sie in Richtung des Grenzfelsens gehen. Immer auf der Suche nach einem Liegeplatz.
So laut es mir auch vorkommt, grübelt sie, es ist hier noch nie so ruhig wie zu diesen Prüfungstagen gewesen.
Alle haben noch Lehrzeit, außer wir. Wie gut, dass die kleinen Bälger auch heute nicht her kommen werden. Was bin ich froh, dass sie ihren eigenen, winzigen Teich haben. In dem können sie Schwimmen lernen und kreischen so viel sie wollen.
Erst mit neun Zyklen dürfen sie hier her.
Wie es wohl auf dem Erwachsenenstrand wird?, grübelt sie, den Felsen musternd. Dort werden wir die Jungen sein. Ob wir dort die Bälger sein werden? Aber nein, ist sie sich sicher, wir sind dann erwachsen und tollen nicht herum wie sie. Begeistert von der Erkenntnis, dass nur noch wenige Nächte zwischen jetzt und ihrem Erwachsensein liegen, malt sie sich ihr restliches Leben aus.
Als die Freunde endlich einen Platz gefunden haben, lässt sich Gabrialla ausgelaugt auf ihre Decke gleiten. Ihr Kopf pocht und ihr Kiefer schmerzt, als sie sich zurücksinken lässt.
„Du willst doch nicht etwa hier liegenbleiben?“, lässt Maries sie innehalten. Verwirrt, sieht Gabrialla zur Freundin hinauf. Halb vom Wasser wieder zu ihr gedreht sieht diese sie kritisch an. „Es ist unser letzter Tag am See.“, fährt diese fort, als wäre ihr Gabriallas verwirrter Blick nicht aufgefallen. „Sie nur, wie schön die Sumza ihn erhellt.“ Gabriallas Blick schweift zum See. In unendlichen Blautönen schimmernd liegt er nur wenige Schritte von ihr entfernt. „Du kannst doch nicht wirklich hierbleiben wollen!“ Michelle, welche ebenfalls schon dem Wasser zugewandt war, lächelt sie amüsiert an.
„Was ist los? Ihr seit es doch gewesen, die immer erst hier sitzen und reden wollten. Was ist heute anders?“
„Gabrialla“, seufzt Marie, kommt aber nicht weiter, da Michelle das Wort ergreift.
„Das waren die letzten Prüfungen für uns! Bei den vorherigen konnten wir uns über die Aufgaben unterhalten, da sie für alle gleich waren. Heute hat jeder andere, speziell nach seiner Wahl, bekommen. Wir können nur abwarten wie unser Ergebnis wird.“
Doch sie kann den Unterschied nicht erkennen.
„Tatsächlich?“ Es kommt mir vor, als würden sie über alles reden, was es gibt. Jetzt soll das kein Grund sein zu reden? Warum? Einen genervten Seufzer unterdrückend, erhebt sie sich ergeben, Was soll es bringen, weiter darüber zu reden?, und folgt den Freundinen, die sie weiterhin belustigt und abschätzend ansehen.
Am Strand noch, hält sich Gabrialla zurück. Bleibt im Tempo der Freunde. Sobald sie jedoch das Wasser erreicht haben, ändert sich das. Während die anderen langsamer werden, behält sie ihr Tempo bei. Empörte Kommentare prasseln auf sie ein, als sie die Freunde überholt und mit dem kühlen Nass bespritzt. Doch Gabrialla eilt weiter, bis sie mehrere Schritte vor ihnen ist. Dann, hüfthoch im Wasser stehend, dreht sie sich herum und erwidert: „Warum werdet ihr auch langsamer?“. Mit einem Grinsen lässt sie sich rückwärts in das Wasser fallen.
Erfrischende Kälte nimmt sie auf, als sie vollständig unter taucht und lässt ihre Haut kribbeln. Die Sumza hat ihren Höhepunkt erst vor kurzem überschritten, doch die wärmste Zeit des Tages liegt noch vor ihnen. Sie genießt die Abwechslung der Kälte auf ihrer Haut. Die Stille unter der Wasserfläche. Doch, zu lange darf sie nicht verharren. Benehm dich normal, Gabrialla. So wie die anderen auch, ermahnt sie sich.
Warum?, hallt es in ihr wieder.
Ich will normal sein!, erwidert sie, bevor ihr bewusst wird, wem sie antwortet. Ihre Füße suchen nach Grund und eilig durchstößt sie die Wasserfläche.
Als sie auftaucht, hört sie Juls verärgerte Stimme: „... nicht verstehen, wie sie das macht.“ Neugierig, dreht sie sich zu ihm herum, und ist erstaunt, als sie seinen Blick trifft.
„Was den?“, blubbert sie, den Mund wieder halb unter der Wasserfläche.
„Du läufst so mühelos durch das Wasser,“ klärt Michelle sie auf, „als wäre es nicht vorhanden. Juls würde das auch gerne, doch er weiß nicht, wie du das machst. Wir übrigens auch.“ Obwohl sie Gabrialla anlächelt, erkennt diese das Grüblerische in ihren Augen. Sie erinnert sich: Darüber hatten wir schon oft gesprochen. Sie verstehen nicht, warum ich einfach weiter gehe und ich nicht, warum sie langsamer werden. Doch, grummelt sie, keiner kann es dem anderen erklären. Das Wasser ist ein Widerstand, sagen sie. Natürlich ist es schwerer, durch das Wasser zu gehen. Aber, sie sind doch draußen schon so langsam, warum werden sie dann hier noch langsamer? Mir macht das keinen Unterschied.
Sie hat keine Lust, dass ganze noch einmal durchzusprechen. Also dreht sie sich herum und schwimmt hinaus, der großen Steinwand entgegen.
Sie erscheint so nah, dennoch widersteht sie dem Drang dorthin zu schwimmen. Es lohnt sich nicht, dafür die Gärten zu riskieren. Sie werden es wissen und mich in die Küche stecken, mahnt sie sich.
Ihre Gedanken schweifen zu der Zeit, in der sie noch der mittleren Gruppe angehörte. Damals habe ich mehrfach versucht, sie zu erreichen. Doch, ... erinnert sie sich verärgert, die Aufpasser haben mich immer eingeholt.
Oft erst kurz nachdem ich den Schwimmbereich verlassen hatte. Ihr Blick streift die letzten Bäume, die etwa 30 Schritt vom Strand entfernt aus dem Wasser ragen. Dahinter erstrahlt der See im ungefilterten Licht der Sumza.
Doch, zwei oder drei mal, meint sie, hatte ich es bis zum Schatten, welcher von der Wand auf dem See geworfen wird, geschafft. Aber, nie weiter. Die Erinnerungen an die Bestrafung danach, verdrängt sie eilig. Weiter wandert ihr Blick, über das beschattete Wasser. Sie schätzt die Strecke, von den Bäumen bis zu Wand, auf noch einmal 30 Schritt.
Wie schön ruhig es dorten sein muss?
Ihr Blick trift auf die Wand wandert hinauf, sucht die Kante weit oben, über welche einzelne Äste hinausragen. Sie winken ihr zu, rufen sie und wollen sie dazu verleiten hinauf zu steigen. Doch sie darf nicht.
Das ist die Grenze. Hier endet die Farm. Keiner darf dort hinauf.
Sie zwingt sich, ihren Blick abzuwenden. Lässt ihn über das Wasser gleiten, bis er erneut die, im Wasser stehenden Bäume trifft.
Wie sie das gemacht haben?, fragt sie sich wieder einmal. Zügig schwimmt sie zu dem ihr am nächsten Stehenden und umrundet ihn.
Wie oft habe ich sie betrachtet? Wie oft bin ich zu ihren Wurzeln getaucht? Und doch habe ich nie herausgefunden, wie sie in diesem tiefen Wasser wachsen konnten. Ihr fällt auf, dass dies, ebenso wie Juls Frage, eine ist, die wohl immer ungeklärt bleibt. Diese Bäume stehen schon ewig. Als einfache Ländlerin werde ich das nie erfahren. Und mehr, ist sie sich bewusst, werde ich als Frau nie werden.
Wut und Vorfreude vermischen sich in ihr. Wut, dass sie als Mädchen nie die Möglichkeit haben wird Oberhaupt der Ländler oder auch nur sein Stellvertreter zu werden. Vorfreude, dass sie bald Ländlerin wird. Die Möglichkeit, dass nicht, hat sie mittlerweile vollkommen verdrängt.
Ein leises Läuten verlangt ihre Aufmerksamkeit und ruft sie zurück an den Strand.
„Du wolltest wohl gar nicht mehr zurückkommen, oder?“, begrüßt sie Michelle.
„Ich habe die Zeit vergessen. Es war so schön ruhig da draußen.“
„Ein hoch auf die Zeitglocke, die uns immer wieder erinnert, nicht zu lange im Wasser zu bleiben.“, zwinkert ihr Sven zu.
„Ja, ein Hoch darauf. Und auf den, der mir sagen kann, warum nicht?“, murmelt sie.
„Wirklich? Du willst schon wieder darüber diskutieren? Haben wir nicht schon oft genug ...?“
„Nein, will ich nicht,“ unterbricht sie Marie etwas zu grob. Ihr gebt ja doch nur wieder, was uns gelehrt wurde. Dass dies kein Sinn ergebender Grund ist, scheint ihr nicht zu verstehen. „Entschuldigung Marie. Es liegt mir einfach nicht, hier herum zu liegen.“
„Als wenn wir das nicht alle längst wüssten“, kann, oder will sich Juls nicht verkneifen. Zuckt jedoch nur mit den Schultern, als ihn zwei Augenpaare tadelnd ansehen.
„Ich kann mir nicht vorstellen, wie es für dich ist. Gabrialla.“, antwortet ihr Marie, die Juls noch zwei Herzschläge anschaut, bevor sie sich wieder zu ihr herum dreht. „Ich kenne niemanden, den es so nach draußen drängt wie dich. Du bist so oft draußen, außerhalb der inneren Gebäude und die letzten Tage, die Zeit der Prüfung, hier mit uns gefangen. Ich überlege,“ fragend wandert ihr Blick zu Michelle, „wie das wohl für dich ist. Ob es für uns eine ähnliche Situation gibt?“
Ach, Marie. Immer versucht sie, alle zu verstehen. Versucht zu ergründen, warum jemand so handelt wie er handelt. Sie passt so gut in die Kinderstädte. Sie will jeden verstehen und behüten. Wie oft hat sie bei mir schon aufgegeben? Ich bin einfach zu anders.
„Diese Frage stelle ich mir schon lange nicht mehr,“ erwidert die angesprochene, seltsam abwesend. „Ich frage mich jedes Mal nur, ob sie wieder zurückkommt.“ Nadeln gleich sticht der schmerzliche Unterton Gabrialla.
Traurig mustert sie die Freundin, greift nach deren Hand und verspricht:„Ich werde immer wieder kommen, Michelle.“ Vorsichtig, um der Freundin nicht weh zu tun, jedoch kräftig genug, um ihrer Aussage Nachdruck zu verleihen, drückt sie deren Hand. „Wo soll ich den sonst hin? Den Jägern werde ich mich nicht stellen. Da kannst du sicher sein.“, ihr Lächeln verebbt, als Michelles Blick weiterhin düster bleibt.
„Und was ist mit den Wächtern?“ Gabriallas Atem stockt und ihre Muskeln verspannen. Es gibt nur einen Grund, warum Michelle das gesagt hat.
„Was soll mit denen sein?“, möchte Sven auch schon wissen. „Die nächste Holung ist noch fern.“
Stöhnend lässt Gabrialla ihren Kopf auf die Decke fallen. Der Sand puffert den Aufprall leicht ab, dennoch spürt sie den Schlag fester als erwartet.
Jetzt geht es los. Eigentlich dachte ich, sie haben es den anderen schon erzählt.
„Gabrialla ist einem Wächter begegnet. Sie hat ihn nicht nur gesehen, sondern er hat sie auch noch angesprochen. Sie und Gideon.“ Auf einmal umhüllt sie schweigen. Ihr kommt es vor, als würde im Umkreis von mehreren Schritten um sie alle schweigen. In dem Bewusstsein, dass sie dem nicht entkommen kann, dreht sie sich zu ihren Freunden.
„Es war noch weit vor der Sperrzeit. Nach den Regeln hätte er uns nichts anhaben können.“, als sie sieht, dass Michelle etwas erwidern will, versucht sie abzulenken: „Außerdem war ich nur wegen Gideon so spät dran. Ich hatte nicht mit ihm und seine Frage gerechnet.“ Ihr Plan geht auf, den Ginos Blick ändert sich von ängstlich in neugierig. „Welche Frage kann einen den so aufhalten?“, möchte Svens Partner von ihr wissen.
„Gideon hat Gabrialla gefragt, ob sie mit ihm die Partnerschaft eingehen will.“, platzt Marie hervor, bevor Gabrialla überhaupt ihren Mund öffnen kann. Ein kurzer Blick zu Michelle zeigt ihr jedoch, dass diese sich nicht hat ablenken lassen.
Werde ich sie je überzeugen können? Noch vor unserer Holung?, sie kann es nicht sagen. Schweigend hört sie Maries Schilderung von dem zu, was sie den beiden Freundinen zwei Nächte vor der ersten Prüfung erzählt hat.
„Es war wenige Tage vor der ersten Prüfung. Michelle und ich saßen nach dem Abendessen noch unter dem Baum und haben auf Gabriallas Rückkehr gewartet. Ihr beide wart schon unten bei den Jungs. Sie“, ihr Kopf nickt zu Michelle, „war wohl kurz davor vor das Tor zu gehen und nach ihr zu rufen, als wir sie laufen gesehen haben.“
Oh, wirklich? Ich hatte sie nicht gesehen. Das hat sie mir nicht erzählt!
„Wir waren beide so erleichtert, sage ich euch. Die Erzieherinnen waren schon da, um das Tor zu schließen, haben aber verzögert. Natürlich ist sie zum Lehrleiter gebracht worden, bevor wir mit ihr sprechen konnten. Wir haben sie erst im Schlafraum wieder gesehen.“ Sogar Gino, der jeder Neuigkeit eifrig lauscht, scheint langsam das Interesse zu verlieren, als Marie zum Eigentlichen kommt: „Sie hat uns erzählt, dass Gideon sie im Garten abgefangen hat, um mit ihr zurückzugehen.“
Naja, so war es nicht wirklich. Er hat meine Arbeit unterbrochen, grummelt sie verstimmt, unter dem Vorwand mir etwas zeigen zu wollen. Sie hört Marie nur noch halb zu, dreht sich herum und blickt zur linken Seite des Sees. Dorthin, wo die Steinwand hinabsinkt, um schließlich im Sand zu verschwinden.
„Es muss so gefühlserregend gewesen sein.“
Marie., seufzt sie erschöpft und ist froh, dass sie sich schon abgedreht hat. Sodass keiner ihr Grinsen sehen kann. Marie ist so gefühlsbetont. Ihr Blick wandert weiter. Sucht die Stelle, zu der Gideon sie geführt hat. Es ist nichts zu sehen. Doch dort muss sie sein. Rechts ist der Grenzwald. Sie mustert die Bäume, die so viel höher und mächtiger gewirkt haben, als sie davor stand. Es ist erstaunlich, dass Bäume auf einer so steilen, ansteigenden Fläche wachsen können. Und da, weiter links, das muss der kleine Wald, die Anhäufung von Bäumen, korrigiert sie mit einem erneuten Blick auf den mächtigen Wald, sein, der meinen Weg zu den Gärten begrenzt.
Ein Bild erscheint ihr. Ein Raum, dem eine Wand und das Dach zu fehlen scheint. Ein Raum, dessen fehlende Wand den Blick frei gibt auf die große Steinwand und den See unter ihnen.
Von hier unten sieht es nicht so hoch oben aus. Doch von oben war es atemraubend.
„Und, was sagst du?“, meint sie, Gideon neben sich fragen zu hören. Sie war so überrascht, so vollkommen überwältigt, dass sie keinen verständlichen Satz sprechen konnte.
Ich denke, ich habe seine Geduld sehr strapaziert, mit meinen andauernden Fragen. Aber, ich konnte einfach nicht glauben, dass jenes, was ich da gesehen habe, wirklich die Steinwand und unser Badesee war. Doch, die Menschen, die ich dort zwischen dem Baumdach, so unglaublich klein, gesehen habe, haben seine Beteuerung bestätigt. Es war unglaublich, erinnert sie sich, mit wohligem Schaudern. Der See ist um so vieles Größer als dieser kleine Teil hier. Und dann hat sich alles geändert.
Ihre Gedanken folgen dem Weg, den sie zurücknahmen. Es war fast der Gleiche. Alleine, dass sie früher die grüne Fläche verlassen hatten und der Weg steiler hinab war. Sie war noch so gefangen, gebannt von dem Ausblick, dass sie erst gemerkt hat, dass Gideon mit ihr spricht, als er stehen geblieben ist.
Alls er mich gefragt hat, was ich nach meiner Lehrzeit machen will, dachte ich, er will mich verspotten. Ich war so schockiert und dann so enttäuscht, weil ich annahm, er würde immer noch nicht glauben, dass ich, als Frau, in den Gärten arbeiten könnte. Mein erster Gedanke war ihn anzuschreien und zu gehen. Erinnert sie sich und amüsiert sich jetzt über ihre Blindheit. Nie hätte ich gedacht, dass er mich fragen würde mit ihm eine Partnerschaft einzugehen.
„Wie viele Zyklen hat Gideon?“, möchte Marie wissen und reist sie aus ihren Gedanken.
„Bald hat er 20“, antwortet sie, nach kurzem Überlegen, verwirrt über diese Frage. „Noch in diesem Zyklus,“ er hat mir gesagt wann, doch ich weiß nicht ..., „im neuen Lehrzyklus. Leider weiß ich nicht mehr genau wann“, gesteht sie beschämt. Warum habe ich das vergessen? „Noch vor der Einsperrung!“, ruft sie triumphierend aus, doch das interessiert Marie anscheinend nicht mehr.
„Ist das nicht wunderbar?,“ erzählt diese schon weiter. „Er hat fast bis zum Schluss auf sie gewartet. Nur noch wenige Nächte und seine Entscheidung wäre beschlossen. Wenn Gabrialla ihm nicht zugesagt hätte, müsste er seine Zeit alleine verbringen.“
„Ich habe ihm nicht zugesagt“, murmelt Gabrialla. Doch wohl zu laut, den auf einmal, herrscht Stille hinter ihr.
Das ist nicht gut. Resignierend schließt sie ihre Augen und sammelt Kraft. Es hat keinen Sinn. Wenn ich mich dem jetzt nicht stelle, werden sie mich drängen.
„Wir wurden unterbrochen, weißt du noch?“ Beklommen dreht sie sich herum, um ihren Freunden entgegenzusehen. „Außerdem war ich die letzten Tage immer hier, mit euch. Wann hätte ich ihm zusagen können?“
„Aber, ...“
„Marie,“ unterbricht sie auch gleich, „es sind noch 20 Nächte, bis zum Ende des Lehrzyklus. Wir sind fertig mit den Prüfungen und unserer Lehrzeit. Nach zwei Nächten werden wir unserem Beruf zugeteilt. Ich habe vorgenommen nun jeden Tag, zumindest kurz in den Gärten zu sein. Ich bin mir vollkommen sicher, dass ich ihn dabei bald wieder sehen werde.“
„Und,“ fällt Juls sichtlich neugierig ein. „Was hat es nun mit dem Wächter zu tun?“ Für ihn scheint das Thema beendet zu sein, ebenso wie für Gabrialla. Doch, nicht für Marie, wie deren Blick sie wissen lässt.“ Was wollte er? Ich habe nicht gehört, dass jemand geholt wurde und die Ernte ist, wie Sven so richtig sagt noch weit.“ Sichtlich nervös schiebt sich Gino näher an Sven heran.