Helene Persak
Mitglied
Eine gefühlte Ewigkeit später, ist Maries Neugierde so weit befriedigt, dass Gabrialla sich in das Wasser stehlen kann.
Ich muss weg hier. Eilig taucht sie unter, stößt sich vom Boden ab und mach zwei kräftige Züge, bevor sie wieder auftaucht. Sie schaut nicht zurück, doch der Blick auf die letzte Baumreihe im Wasser, zeigt ihr, dass sie sicher schon die Hälfte der Schwimmfläche überwunden hat. Die anderen werden noch nicht einmal richtig im Wasser sein. Gut so. Ich kann etwas Ruhe gerade sehr gebrauchen. Zügig schwimmt sie weiter, bis sie fast an der letzten Reihe angekommen ist. Vorsicht, sicher wird irgendwo jemand aufpassen, jetzt, wo die Jüngeren auch hier sind. Ich will nicht riskieren, dass sie mich als unbesonnen einfangen. In kleinen, viel zu schwächlichen Zügen, steuert sie den ihr nächst gelegenen Baum an, um an seinen Wurzeln hinauf zu klettern.
Frieden., seufzt sie und lehnt sich entspannt an den Stamm. Hier, fernab der tobenden und plappernden Masse, lässt sie ihren Blick schweifen. Erneut sucht sie die Öffnung, welche dieser seltsame Raum gebildet hat. Ob Gideon jetzt dort oben ist? Sieht er jetzt zu uns hinab? Kann er mich sehen?
Hier kann sie, obwohl die Glock noch mehrmals läutet, fast die restliche Zeit verbringen. Ich bin nicht im Wasser, also verstoße ich nicht gegen die Regel.
„Wenn du hier nicht übernachten willst, solltest du langsam wieder zurückkommen.“, reist Juls Stimme sie aus ihren Gedanken.
Ist es schon so spät?, überrascht sucht sie das Wasser ab. Noch gut hinter dem Baum sieht sie ihn dann.
„Also, Michelle ist über den Gedanken nicht glücklich, aber wenn du willst ...“ Besorgt ruckt ihr Blick zum Strand. Doch Michelle ist nicht dort. Bis zu ihren Schultern steht diese im Wasser und blick zu ihr.
„Ich komme.“, ruft sie, etwas zu laut für Juls Antwort, aber vielleicht laut genug für Michelle. Ein schneller Blick, ob Juls auch nicht zu nahe ist, dann taucht sie auch schon in das kalte Wasser ein.
Keiner der Freunde hat es sichtlich eilig zurückzugehen. Die Sperrzeit ist noch mehr als einen Teilstrich entfernt - die Zeit, die sie benötigen, um zur Lehranstalt zu gelangen.
Die Glocke, welche sie auffordert, für heute endgültig das Wasser zu verlassen, klingt genau, als Gabrialla nach ihrem Tuch greift.
Mehrere Herzschläge später erreicht auch Juls die Gruppe. Schwer atmend nimmt er von Marie sein Tuch entgegen.
„Danke Juls.“, begrüßt Michelle ihn, doch Juls ist so außer Atem, dass er nur abwinkt.
Ein Messen ist unnötig.
Stimmt, denn wir gehören einer Gemeinschaft an!, erinnert sie sich energisch. Wir sind Teil eines ganzen. Jeder hat seinen Platz. Jeder hat etwas beizutragen.
Was er? Nach Luft ringen?, kichert es spöttisch und Gabrialla zuckt zurück.
Als sie sich auf den Rückweg machen, beginnt die Sumza schon hinter den fernen Hügeln zu versinken.
Es ist zu früh, um in die Lehranstalt zu gehen., seufzt sie. Es ist bestimmt noch einen Strich hell. Was freue ich mich, wenn ich bald diese Zeit auch genießen kann.
„Was ist los?“
„Es ist noch viel zu früh.“, antwortet sie auf Michelles Frage. „Viel zu schade, um jetzt schon in ein Gebäude zu gehen.“
„Aber, Gabrialla,“ erwidert diese Milde, „Wir müssen uns noch für die Nacht herrichten. Du weißt ....“
„ ... PERFEKTE ZÄHNE, SCHÖNE HAUT UND HAARE FÜR EIN GESUNDES LEBEN.“, zitieren beide eine der Regeln.
„Ich weiß, Michelle.“, sie bemüht sich, nicht all zu niedergeschlagen zu klingen, doch will es ihr nicht einleuchten: Warum soll ich mich für jemanden Pflegen, wenn es doch heißt, mein Leben endet mit der Holung? Ist ein Leben beendet, wenn interessiert es, ob der Körper schön war oder nicht? Michelles mildes Lächeln schwankt nicht, vielmehr vertieft es sich, als sie nach Gabriallas Hand greift und sie sachte drückt.
„Das wird schön,“ lockt sie. „Morgen, vor Mittentag, wirst du noch einmal in die Gärten gehen. Nach dem Essen haben wir Zeit die Strapazen der letzten Tage abzulegen und uns für den nächsten Tag, für unsere Berufung, herzurichten. Gemeinsam.“ Gabrialla bemüht sich das Lächeln der Freundin zu erwidern, doch beherrscht ihre Gedanken etwas anderes.
Einen halben Tag gegen einen ganzen Tag Haare, Haut, Nägel und Zähne Pflegen? Doch dieses Mal scheint Michelle nichts von ihren Gedanken mit zu bekommen. Immer noch lächelnd, dreht sie sich zu Sven um, der kichernd auf sie einredet. Die Gruppe nimmt wider den Pfad, der sie, nun rechts, an der großen Fläche vorbei führt. Bevor sie nach links abschwenken, um dann den kurzen Weg zur Lehranstalt zu nehmen.
Ob ich morgen Gideon sehen werde? Wenn ich früh genug in den Garten komme, kann ich die Zeitspanne dort sein, wo die frühe Gruppe noch da ist und die zweite kommt. Ihre Gedanken beginnen sich zu überschlagen aufgrund der Möglichkeiten, die ihr offen stehen und derer, die ihr verwert bleiben. Keiner der Freunde spricht sie mehr an und so kann sie sich in ihren Gedanken verlieren.
Als die Gruppe unerwartet nach rechts schwenkt, wird Gabrialla soweit aus ihren Gedanken gerissen, dass sie vernimmt: „... alle zurück. Ungewöhnlich, aber wir müssen sehen, dass wir rechtzeitig in der Lehranstalt sind. Gleich, was die hier vorhaben.“
Also nehmen wir den Pfad, den ich immer von der Farm komme, sinniert sie und taucht wieder in ihre Überlegungen ab.
Erst, als Michelle hinter ihr zurückbleibt, stockt sie erneut.
Sie sind, dem rechten Pfad folgend, an der Baumreihe, welche die Lehranstalt abtrennt, angelangt.
Gabrialla hat sie schon durchschritten, doch Michelle verharrt zwischen den Bäumen. Ebenso wie Juls, Marie, Sven und Gino, die anderen der Gruppe.
„Was...?“
„Scht ...!“ Überrascht von Svens grobem Befehl verstummt Gabrialla abrupt.
Was ist hier los? Prüfend lässt sie ihren Blick über die Freunde gleiten. Warum sehen sie auf einmal so verängstigt aus? Wohin schauen sie nur? Nichts Böses ahnend, dreht sie sich in die Richtung, in welche die Freunde Blicken. Dabei fängt ihr Blick andere Lehrlinge ein. Jüngere.
Müssten sie nicht schon drinnen sein? Sie sind doch viel zu Jung, für eine der älteren Gruppen.
„Wächter.“, hört sie Michelle atemlos flüstern.
Da hat Gabriallas Blick sein Ziel erreicht. Die Lehranstalt und die Wächter?, mehr überrascht als verängstigt, stolpert Gabrialla zurück zwischen die Bäume. Was machen Wächter hier? Am Tage! Vor der Lehranstalt!
Gabrialla blinzelt.
Wächter, ruft etwas in ihr und beginnt sich auszubreiten. Ob der, dem ich begegnet bin, auch dabei ist? Neugierig streckt sie ihren Hals und lässt ihren Blick über die Lichtung gleiten. Es sind mehrere, nicht nur einer. Wie? Eine Frau? Ein weiblicher Wächter?
„Was tust du da?“, zischt Michelles Stimme an ihrem Ohr. Gabrialla stockt, einen Schritt vor der Wand, spürt eine Hand auf ihrem Arm und wird zurückgezogen.
Grr, grollt es ihn ihr.
Was ist geschehen?, blinzelt sie verwirrt. Ihr Blick ruckt nach hinten und trifft Michelles. Noch die Hand an ihrem Arm, sieht diese sie zutiefst beunruhigt an.
Doch das Dunkle in ihr interessiert etwas anderes. Ihr ist etwas aufgefallen: Sie stehen bei unserem Lehrraum, erkennt sie, durch die vielen Eindrücke überwältigt, erst jetzt, in ihrer Erinnerung. Sie dreht sich wieder herum und sucht erneut die Wächter.
Dabei gleitet ihr Blick über die Baumreihe zu ihrer Linken. In Gruppen stehen die Lehrlinge, über die sie vorhin so abschätzend hinüber geglitten ist, verängstigt zwischen den Baumreihen.
Es sind noch so viele draußen. Warum geht keiner von ihnen rein? Die Wächter stehen weit weg vom Weg, ist sie sich sicher, in dem kurzen Blick vorhin, erkannt zu haben.
Sie ist bei eben diesen angekommen und sucht jetzt den Weg. Für die Wächter sollte diese Entfernung kein Hindernis sein. Warum also stehen sie sonst so weit entfernt, als aus Absicht? Das bringt mich wider zu der Frage: Was wollen sie hier? Die Lehrlinge sind nicht zum Ernten freigegeben. Die Holung ist erst im nächsten Zyklus. Mehrere Monde entfernt.
Eine Bewegung am Rande ihres Blickfeldes, lässt ihre Überlegungen stoppen. Neugierig wendet sie ihren Blick von den Wächtern ab und einer Gruppe von Lehrlingen zu, die wohl der mittleren Gruppe angehören könnten.
Gespannt beobachtet sie, wie zwei von ihnen sich langsam von der Baumreihe lösen. Langsam, die Wächter immer im Blick behaltend, bewegen sie sich auf den Weg zu.
Immer schön den Regeln folgen. Auch wenn es das Leben kostet.
DIE WEGE SIND ZU NUTZEN. DIE WEGE FÜHREN UNS DAHIN, WO WIR HINKOMMEN SOLLEN. ES GIBT KEINEN GRUND DIE WEGE ZU VERLASSEN.
Wie oft ich eben diese Regel, vorwiegend kurz vor Torschluss, übergangen habe. Ihr Blick wird zur Grimasse, als sie an die vielen Male denkt, die sie deswegen gescholten wurde. Eine von vielen sinnlosen Regeln hier.
Doch diese Lehrlinge befolgen sie, wie sie nun für alle deutlich vorführen. Soeben erreichen sie den Kreis, in dem sich die drei Wege zu und der eine von der Lehranstalt treffen. Ihr Blick schweift neugierig weiter. Sucht die Baumreihe und die Gruppen dort. Da bemerkt sie aus dem Augenwinkel, wie einer der beiden Lehrlinge sich löst. Sofort ruckt ihr Blick zu den Wächtern. Doch diese verharren weiterhin in fast vollkommener Bewegungslosigkeit. Der junge jedoch, dadurch wohl ermutigt, beschleunigt seine Schritte weiter. Er eilt nun alleine auf das Tor zu und durchschreitet es unbehelligt.
Als hätte dies etwas in Gang gesetzt, beschleunigt nun auch das Mädchen.
Sobald sie ihr Ziel sicher erreicht hat, schält sich eine weitere Gruppe aus den Bäumen und folgt den ersten Lehrlingen. Angespannt, die neue Gruppe nicht aus den Augen lassend, beobachtet Gabrialla die Wächter.
Als wären wir nicht da. So, als wären wir Luft. Genau wie man uns gelehrt hat. Wir sind es nicht wert von ihnen beachtet zu werden.
„Wir sollten auch los.“ Es ist Marie, die zu dieser Feststellung kommt und ihrer aller Aufmerksamkeit hat. „Die Sperrzeit ist nahe und wir ...“
„Wir können nicht an den Wächtern vorbei.“, krächzt Gino, eng an Sven gepresst.
Auch Gabrialla drängt etwas vorwärts, doch Michelles Hand hält sie zurück.
„Aber, die Sperrzeit!“, wirft Marie ein.
„Sie hat recht“, pflichtet Juls ihr bei, bevor noch jemand anders etwas sagen kann. „Wir müssen in die Lehranstalt. Sind wir noch draußen, wenn die Glocke ertönt, sind wir nicht mehr sicher.“
Gabrialla sucht Michelles Blick und blinzelt verwundert.
Pure Panik steht in ihren Augen geschrieben und schnürt Gabrialla die Luft ab.
Mein.
In einer geschmeidigen Bewegung, schiebt sie sich zwischen Michelle und den Wächtern. Dreht sich herum und mustert sie eingehend.
Eine kleine Bewegung ist es, doch für Gabrialla so deutlich, als würde er vor ihr Stehen. Einer der Wächter hebt seinen Kopf. Klar und schneidend trifft sein Blick den ihren. Nur für einen Herzschlag dauert ihr Blickkontakt.
Doch das genügt.
Schwach.
Etwas ziept an ihr, fordert ihre Aufmerksamkeit und zerrt sie aus ihrer Trance. Gabrialla dreht sich blinzelnd herum.
Entsetzt blicken die Freunde ihr entgegen.
Was ist? Was habe ich nun schon wider falsch gemacht?
„Du weist, was wir gelernt haben.“, tadelt sie Sven, mit vor Anspannung zitternder Stimme. „Du darfst sie nicht ansehen.“
Marie, die sich ängstlich in das Zentrum ihrer kleinen Gruppe drückt, fügt hinzu: „Ich habe noch nie einen Wächter gesehen. Außer auf den Bildern. Dass du einfach in ihre Richtung gehen willst, begreife ich nicht.“
„Sei doch froh darüber. Sie sind gefährlich. Keiner sollte sich wünschen, sie je zu sehen.“, meint Juls, Gabrialla immer noch prüfend beobachtend. Doch Gabrialla bemerkt wohl, dass auch er vor Angst zittert, selbst wenn er versucht, es vor den anderen zu verstecken.
„Was die hier nur wollen?“, fragt sie neugierig und merkt erst zu spät, wie verträumt ihre Stimme klingt. „Ich wusste gar nicht, dass sie jemals hierher, so nah an die Lehranstalt, gekommen sind. Einer von euch?“, versucht sie, ihre Unachtsamkeit zu überspielen. Doch offensichtlich funktioniert es nicht.
„Gabrialla!“, Marie ist die Erste, die ihre Starre überwindet und mit entsetzter Stimme auf sie einredet. „Das sind Wächter! Wenn Wächter in der Nähe sind, hat das nie etwas Gutes zu bedeuten.“
„Genau“, stimmt Juls ihr erneut zu, „es war noch nie gut, wenn ein Wächter hier war. Du hast vor wenigen Nächten schon einen gesehen und heute sind es drei.“ Erinnert er die Gruppe. „Mir ist es egal, was sie hier wollen. Ich will nur weit genug weg von ihnen sein. Kommt,“ wendet er sich an die anderen, „lasst uns endlich rein gehen. Nicht, dass noch einer auf die Idee kommt, zu uns zu kommen.“ Er ergreift Maries Hand, dreht sich um und eilt, an den Bäumen vor bei auf das Tor zu. Sven und Gino folgen ihnen ohne ein Wort.
Nur Michelle bleibt bei Gabrialla stehen, blickt sie jedoch besorgt an. „Manchmal, mache ich mir wirklich sorgen um dich.“, flüstert sie. „Wo kommen nur diese Gedanken her. Vielleicht grübelst du einfach zu viel.“, versucht sie, Gabriallas Verhalten zu rechtfertigen. Doch es klingt nicht überzeugt. „Es kann einfach nicht gut sein, so alleine im Garten. Auch wenn es dir noch so gut gefällt.“ Sie geht an Gabrialla vorbei, um den anderen zu folgen. Bevor sie diese jedoch hinter sich gelassen hat, streckt sie ihren Arm aus, greift nach ihrer Hand und zieht sie mit sich.
Bereitwillig lässt sich Gabrialla, die überhaupt nicht versteht, was sie falsch gemacht hat, mit ziehen.
Ich muss weg hier. Eilig taucht sie unter, stößt sich vom Boden ab und mach zwei kräftige Züge, bevor sie wieder auftaucht. Sie schaut nicht zurück, doch der Blick auf die letzte Baumreihe im Wasser, zeigt ihr, dass sie sicher schon die Hälfte der Schwimmfläche überwunden hat. Die anderen werden noch nicht einmal richtig im Wasser sein. Gut so. Ich kann etwas Ruhe gerade sehr gebrauchen. Zügig schwimmt sie weiter, bis sie fast an der letzten Reihe angekommen ist. Vorsicht, sicher wird irgendwo jemand aufpassen, jetzt, wo die Jüngeren auch hier sind. Ich will nicht riskieren, dass sie mich als unbesonnen einfangen. In kleinen, viel zu schwächlichen Zügen, steuert sie den ihr nächst gelegenen Baum an, um an seinen Wurzeln hinauf zu klettern.
Frieden., seufzt sie und lehnt sich entspannt an den Stamm. Hier, fernab der tobenden und plappernden Masse, lässt sie ihren Blick schweifen. Erneut sucht sie die Öffnung, welche dieser seltsame Raum gebildet hat. Ob Gideon jetzt dort oben ist? Sieht er jetzt zu uns hinab? Kann er mich sehen?
Hier kann sie, obwohl die Glock noch mehrmals läutet, fast die restliche Zeit verbringen. Ich bin nicht im Wasser, also verstoße ich nicht gegen die Regel.
„Wenn du hier nicht übernachten willst, solltest du langsam wieder zurückkommen.“, reist Juls Stimme sie aus ihren Gedanken.
Ist es schon so spät?, überrascht sucht sie das Wasser ab. Noch gut hinter dem Baum sieht sie ihn dann.
„Also, Michelle ist über den Gedanken nicht glücklich, aber wenn du willst ...“ Besorgt ruckt ihr Blick zum Strand. Doch Michelle ist nicht dort. Bis zu ihren Schultern steht diese im Wasser und blick zu ihr.
„Ich komme.“, ruft sie, etwas zu laut für Juls Antwort, aber vielleicht laut genug für Michelle. Ein schneller Blick, ob Juls auch nicht zu nahe ist, dann taucht sie auch schon in das kalte Wasser ein.
Keiner der Freunde hat es sichtlich eilig zurückzugehen. Die Sperrzeit ist noch mehr als einen Teilstrich entfernt - die Zeit, die sie benötigen, um zur Lehranstalt zu gelangen.
Die Glocke, welche sie auffordert, für heute endgültig das Wasser zu verlassen, klingt genau, als Gabrialla nach ihrem Tuch greift.
Mehrere Herzschläge später erreicht auch Juls die Gruppe. Schwer atmend nimmt er von Marie sein Tuch entgegen.
„Danke Juls.“, begrüßt Michelle ihn, doch Juls ist so außer Atem, dass er nur abwinkt.
Ein Messen ist unnötig.
Stimmt, denn wir gehören einer Gemeinschaft an!, erinnert sie sich energisch. Wir sind Teil eines ganzen. Jeder hat seinen Platz. Jeder hat etwas beizutragen.
Was er? Nach Luft ringen?, kichert es spöttisch und Gabrialla zuckt zurück.
Als sie sich auf den Rückweg machen, beginnt die Sumza schon hinter den fernen Hügeln zu versinken.
Es ist zu früh, um in die Lehranstalt zu gehen., seufzt sie. Es ist bestimmt noch einen Strich hell. Was freue ich mich, wenn ich bald diese Zeit auch genießen kann.
„Was ist los?“
„Es ist noch viel zu früh.“, antwortet sie auf Michelles Frage. „Viel zu schade, um jetzt schon in ein Gebäude zu gehen.“
„Aber, Gabrialla,“ erwidert diese Milde, „Wir müssen uns noch für die Nacht herrichten. Du weißt ....“
„ ... PERFEKTE ZÄHNE, SCHÖNE HAUT UND HAARE FÜR EIN GESUNDES LEBEN.“, zitieren beide eine der Regeln.
„Ich weiß, Michelle.“, sie bemüht sich, nicht all zu niedergeschlagen zu klingen, doch will es ihr nicht einleuchten: Warum soll ich mich für jemanden Pflegen, wenn es doch heißt, mein Leben endet mit der Holung? Ist ein Leben beendet, wenn interessiert es, ob der Körper schön war oder nicht? Michelles mildes Lächeln schwankt nicht, vielmehr vertieft es sich, als sie nach Gabriallas Hand greift und sie sachte drückt.
„Das wird schön,“ lockt sie. „Morgen, vor Mittentag, wirst du noch einmal in die Gärten gehen. Nach dem Essen haben wir Zeit die Strapazen der letzten Tage abzulegen und uns für den nächsten Tag, für unsere Berufung, herzurichten. Gemeinsam.“ Gabrialla bemüht sich das Lächeln der Freundin zu erwidern, doch beherrscht ihre Gedanken etwas anderes.
Einen halben Tag gegen einen ganzen Tag Haare, Haut, Nägel und Zähne Pflegen? Doch dieses Mal scheint Michelle nichts von ihren Gedanken mit zu bekommen. Immer noch lächelnd, dreht sie sich zu Sven um, der kichernd auf sie einredet. Die Gruppe nimmt wider den Pfad, der sie, nun rechts, an der großen Fläche vorbei führt. Bevor sie nach links abschwenken, um dann den kurzen Weg zur Lehranstalt zu nehmen.
Ob ich morgen Gideon sehen werde? Wenn ich früh genug in den Garten komme, kann ich die Zeitspanne dort sein, wo die frühe Gruppe noch da ist und die zweite kommt. Ihre Gedanken beginnen sich zu überschlagen aufgrund der Möglichkeiten, die ihr offen stehen und derer, die ihr verwert bleiben. Keiner der Freunde spricht sie mehr an und so kann sie sich in ihren Gedanken verlieren.
Als die Gruppe unerwartet nach rechts schwenkt, wird Gabrialla soweit aus ihren Gedanken gerissen, dass sie vernimmt: „... alle zurück. Ungewöhnlich, aber wir müssen sehen, dass wir rechtzeitig in der Lehranstalt sind. Gleich, was die hier vorhaben.“
Also nehmen wir den Pfad, den ich immer von der Farm komme, sinniert sie und taucht wieder in ihre Überlegungen ab.
Erst, als Michelle hinter ihr zurückbleibt, stockt sie erneut.
Sie sind, dem rechten Pfad folgend, an der Baumreihe, welche die Lehranstalt abtrennt, angelangt.
Gabrialla hat sie schon durchschritten, doch Michelle verharrt zwischen den Bäumen. Ebenso wie Juls, Marie, Sven und Gino, die anderen der Gruppe.
„Was...?“
„Scht ...!“ Überrascht von Svens grobem Befehl verstummt Gabrialla abrupt.
Was ist hier los? Prüfend lässt sie ihren Blick über die Freunde gleiten. Warum sehen sie auf einmal so verängstigt aus? Wohin schauen sie nur? Nichts Böses ahnend, dreht sie sich in die Richtung, in welche die Freunde Blicken. Dabei fängt ihr Blick andere Lehrlinge ein. Jüngere.
Müssten sie nicht schon drinnen sein? Sie sind doch viel zu Jung, für eine der älteren Gruppen.
„Wächter.“, hört sie Michelle atemlos flüstern.
Da hat Gabriallas Blick sein Ziel erreicht. Die Lehranstalt und die Wächter?, mehr überrascht als verängstigt, stolpert Gabrialla zurück zwischen die Bäume. Was machen Wächter hier? Am Tage! Vor der Lehranstalt!
Gabrialla blinzelt.
Wächter, ruft etwas in ihr und beginnt sich auszubreiten. Ob der, dem ich begegnet bin, auch dabei ist? Neugierig streckt sie ihren Hals und lässt ihren Blick über die Lichtung gleiten. Es sind mehrere, nicht nur einer. Wie? Eine Frau? Ein weiblicher Wächter?
„Was tust du da?“, zischt Michelles Stimme an ihrem Ohr. Gabrialla stockt, einen Schritt vor der Wand, spürt eine Hand auf ihrem Arm und wird zurückgezogen.
Grr, grollt es ihn ihr.
Was ist geschehen?, blinzelt sie verwirrt. Ihr Blick ruckt nach hinten und trifft Michelles. Noch die Hand an ihrem Arm, sieht diese sie zutiefst beunruhigt an.
Doch das Dunkle in ihr interessiert etwas anderes. Ihr ist etwas aufgefallen: Sie stehen bei unserem Lehrraum, erkennt sie, durch die vielen Eindrücke überwältigt, erst jetzt, in ihrer Erinnerung. Sie dreht sich wieder herum und sucht erneut die Wächter.
Dabei gleitet ihr Blick über die Baumreihe zu ihrer Linken. In Gruppen stehen die Lehrlinge, über die sie vorhin so abschätzend hinüber geglitten ist, verängstigt zwischen den Baumreihen.
Es sind noch so viele draußen. Warum geht keiner von ihnen rein? Die Wächter stehen weit weg vom Weg, ist sie sich sicher, in dem kurzen Blick vorhin, erkannt zu haben.
Sie ist bei eben diesen angekommen und sucht jetzt den Weg. Für die Wächter sollte diese Entfernung kein Hindernis sein. Warum also stehen sie sonst so weit entfernt, als aus Absicht? Das bringt mich wider zu der Frage: Was wollen sie hier? Die Lehrlinge sind nicht zum Ernten freigegeben. Die Holung ist erst im nächsten Zyklus. Mehrere Monde entfernt.
Eine Bewegung am Rande ihres Blickfeldes, lässt ihre Überlegungen stoppen. Neugierig wendet sie ihren Blick von den Wächtern ab und einer Gruppe von Lehrlingen zu, die wohl der mittleren Gruppe angehören könnten.
Gespannt beobachtet sie, wie zwei von ihnen sich langsam von der Baumreihe lösen. Langsam, die Wächter immer im Blick behaltend, bewegen sie sich auf den Weg zu.
Immer schön den Regeln folgen. Auch wenn es das Leben kostet.
DIE WEGE SIND ZU NUTZEN. DIE WEGE FÜHREN UNS DAHIN, WO WIR HINKOMMEN SOLLEN. ES GIBT KEINEN GRUND DIE WEGE ZU VERLASSEN.
Wie oft ich eben diese Regel, vorwiegend kurz vor Torschluss, übergangen habe. Ihr Blick wird zur Grimasse, als sie an die vielen Male denkt, die sie deswegen gescholten wurde. Eine von vielen sinnlosen Regeln hier.
Doch diese Lehrlinge befolgen sie, wie sie nun für alle deutlich vorführen. Soeben erreichen sie den Kreis, in dem sich die drei Wege zu und der eine von der Lehranstalt treffen. Ihr Blick schweift neugierig weiter. Sucht die Baumreihe und die Gruppen dort. Da bemerkt sie aus dem Augenwinkel, wie einer der beiden Lehrlinge sich löst. Sofort ruckt ihr Blick zu den Wächtern. Doch diese verharren weiterhin in fast vollkommener Bewegungslosigkeit. Der junge jedoch, dadurch wohl ermutigt, beschleunigt seine Schritte weiter. Er eilt nun alleine auf das Tor zu und durchschreitet es unbehelligt.
Als hätte dies etwas in Gang gesetzt, beschleunigt nun auch das Mädchen.
Sobald sie ihr Ziel sicher erreicht hat, schält sich eine weitere Gruppe aus den Bäumen und folgt den ersten Lehrlingen. Angespannt, die neue Gruppe nicht aus den Augen lassend, beobachtet Gabrialla die Wächter.
Als wären wir nicht da. So, als wären wir Luft. Genau wie man uns gelehrt hat. Wir sind es nicht wert von ihnen beachtet zu werden.
„Wir sollten auch los.“ Es ist Marie, die zu dieser Feststellung kommt und ihrer aller Aufmerksamkeit hat. „Die Sperrzeit ist nahe und wir ...“
„Wir können nicht an den Wächtern vorbei.“, krächzt Gino, eng an Sven gepresst.
Auch Gabrialla drängt etwas vorwärts, doch Michelles Hand hält sie zurück.
„Aber, die Sperrzeit!“, wirft Marie ein.
„Sie hat recht“, pflichtet Juls ihr bei, bevor noch jemand anders etwas sagen kann. „Wir müssen in die Lehranstalt. Sind wir noch draußen, wenn die Glocke ertönt, sind wir nicht mehr sicher.“
Gabrialla sucht Michelles Blick und blinzelt verwundert.
Pure Panik steht in ihren Augen geschrieben und schnürt Gabrialla die Luft ab.
Mein.
In einer geschmeidigen Bewegung, schiebt sie sich zwischen Michelle und den Wächtern. Dreht sich herum und mustert sie eingehend.
Eine kleine Bewegung ist es, doch für Gabrialla so deutlich, als würde er vor ihr Stehen. Einer der Wächter hebt seinen Kopf. Klar und schneidend trifft sein Blick den ihren. Nur für einen Herzschlag dauert ihr Blickkontakt.
Doch das genügt.
Schwach.
Etwas ziept an ihr, fordert ihre Aufmerksamkeit und zerrt sie aus ihrer Trance. Gabrialla dreht sich blinzelnd herum.
Entsetzt blicken die Freunde ihr entgegen.
Was ist? Was habe ich nun schon wider falsch gemacht?
„Du weist, was wir gelernt haben.“, tadelt sie Sven, mit vor Anspannung zitternder Stimme. „Du darfst sie nicht ansehen.“
Marie, die sich ängstlich in das Zentrum ihrer kleinen Gruppe drückt, fügt hinzu: „Ich habe noch nie einen Wächter gesehen. Außer auf den Bildern. Dass du einfach in ihre Richtung gehen willst, begreife ich nicht.“
„Sei doch froh darüber. Sie sind gefährlich. Keiner sollte sich wünschen, sie je zu sehen.“, meint Juls, Gabrialla immer noch prüfend beobachtend. Doch Gabrialla bemerkt wohl, dass auch er vor Angst zittert, selbst wenn er versucht, es vor den anderen zu verstecken.
„Was die hier nur wollen?“, fragt sie neugierig und merkt erst zu spät, wie verträumt ihre Stimme klingt. „Ich wusste gar nicht, dass sie jemals hierher, so nah an die Lehranstalt, gekommen sind. Einer von euch?“, versucht sie, ihre Unachtsamkeit zu überspielen. Doch offensichtlich funktioniert es nicht.
„Gabrialla!“, Marie ist die Erste, die ihre Starre überwindet und mit entsetzter Stimme auf sie einredet. „Das sind Wächter! Wenn Wächter in der Nähe sind, hat das nie etwas Gutes zu bedeuten.“
„Genau“, stimmt Juls ihr erneut zu, „es war noch nie gut, wenn ein Wächter hier war. Du hast vor wenigen Nächten schon einen gesehen und heute sind es drei.“ Erinnert er die Gruppe. „Mir ist es egal, was sie hier wollen. Ich will nur weit genug weg von ihnen sein. Kommt,“ wendet er sich an die anderen, „lasst uns endlich rein gehen. Nicht, dass noch einer auf die Idee kommt, zu uns zu kommen.“ Er ergreift Maries Hand, dreht sich um und eilt, an den Bäumen vor bei auf das Tor zu. Sven und Gino folgen ihnen ohne ein Wort.
Nur Michelle bleibt bei Gabrialla stehen, blickt sie jedoch besorgt an. „Manchmal, mache ich mir wirklich sorgen um dich.“, flüstert sie. „Wo kommen nur diese Gedanken her. Vielleicht grübelst du einfach zu viel.“, versucht sie, Gabriallas Verhalten zu rechtfertigen. Doch es klingt nicht überzeugt. „Es kann einfach nicht gut sein, so alleine im Garten. Auch wenn es dir noch so gut gefällt.“ Sie geht an Gabrialla vorbei, um den anderen zu folgen. Bevor sie diese jedoch hinter sich gelassen hat, streckt sie ihren Arm aus, greift nach ihrer Hand und zieht sie mit sich.
Bereitwillig lässt sich Gabrialla, die überhaupt nicht versteht, was sie falsch gemacht hat, mit ziehen.