Wolfgang Urach
Mitglied
„Tust du mir noch ‘nen Pastis?“, fragte Beppo, der hinten im Saal auf der Polsterbank an der Wand saß.
Nino unterbrach das Gläserputzen und füllte ein Glas, das er dann seinem Freund brachte.
Die Eingangstür knarrte, als Onkel Ettore eintrat. Auf den Gehstock sich stützend, bewegte er sich langsam dem chrom-polierten Tresen zu.
„Sei gegrüßt, mein Neffe!“, sagte Lilianas Onkel mit gebrochener Stimme.
„Wie immer, Onkel Ettore?“
„Ja, ja“, antwortete der Onkel.
„Geht es dir gut, Onkel?“, rief Liliana mit ihrer mächtigen Stimme aus der Küche.
„Ja, danke“, meinte der Alte in Richtung Küche und musste seine raue Stimme anstrengen.
„Wie es scheint, hast du den Kegelclub revolutioniert“, meinte Nino schmunzelnd, als er einen Schoppen Rotwein vor Ettore hinstellte und sich wieder an Beppo wandte.
„Ach, weißt du“, fing Beppo an, „wenn es schon eine Revolution ist, wenn man ein neues Clubmitglied mitbringt…“
„Ein Schwarzer!“, Nino warf theatralisch die Arme in die Luft.
„Ja und?“, meinte Beppo nur und schlürfte an seinem gelben Getränk. „Er hat Probleme in seinem Heimatland gehabt, weil er der Regierung widersprochen hat, deshalb ist er zu uns gekommen...“
„Und dann seine Kegeltechnik! Dieser spezielle Spin-Dreh-Wurf! Er hat sich nicht nur Freunde gemacht, dadurch dass er sofort zu den besten Keglern gehörte“, erinnerte sich Nino, der auch beim Kegelabend dabei gewesen war.
Onkel Ettore hörte mit gespitzten Ohren zu.
„Soll er denn extra schlecht spielen, weil er eine Neuer ist und dazu noch ein Schwarzer?“, fragte Beppo verständnislos.
„Du hast recht, Beppo. Ich bin dumm. Aber ich kenne Leute, die so denken“, erklärte Nino.
In diesem Moment ging wieder die Eingangstür, und laut palavernd traten Gigi und der dicke Bruno ein.
„Wir könnten das doch jetzt jedes Jahr machen“, beharrte Gigi im Gespräch mit seinem neuen Freund.
„Aber nein! Wir sind doch keine Schausteller oder Künstler!“, wehrte sich der dicke Bruno.
„Hallo, Nino!“, rief Gigi dem Kneipenwirt entgegen.
„Hallo!“, antwortete Nino.
„Wer ist das?“, wollte Onkel Ettore wissen und machte eine Kopfbewegung zu Bruno hin.
„Guten Tag, Onkel Etti!“, wandte sich Gigi an Ettore. Natürlich war Ettore nicht Gigis Onkel, aber alle nannten Ettore Onkel Ettore, weil er der Onkel Lilianas war.
„Guten Tag, junger Freund!“, antwortete dieser zurückhaltend. Onkel Ettore mochte nicht, dass Gigi ihn „Etti“ nannte. Aber was sollte man machen, wenn Gigi sich etwas in den Kopf gesetzt hatte?
„Onkel Etti, das ist Bruno, ein neuer Freund. Bruno, das ist Lilianas Onkel Ettore.“
„Soso“, sagte Onkel Ettore.
„Angenehm“, sagte der dicke Bruno höflich; aber seine Wortwahl passte irgendwie nicht.
„Was ist das Tagesgericht, Nino?“, fragte Gigi den Wirt.
„Was das Tagesgericht ist, will Gigi wissen“, rief Nino in die Küche, während er eine Hälfte der Schwingtür mit dem Fuß aufhielt.
„Hähnchenkeule mit Fritten und Salat“, antwortete Lilianas Bass von ihrer Arbeitsstätte.
„Och, nein, das hatten wir doch schon letzte Woche“, kommentierte Gigi unzufrieden.
„Du kannst ja woanders hingehen, wenn du das Essen hier nicht magst“, entgegnete Nino, zog eine Schnute und begann, wieder Gläser zu waschen.
„Willst du was trinken? Einen Kaffee?“, fragte Gigi Bruno.
„Ja, gerne.“
„Zwei Kaffee“, bestellte Gigi beim schmollenden Wirt. Der warf zwei kleine Tassen in die Espressomaschine und würdigte Gigi keines weiteren Blickes.
„Aber das war doch Klasse, unser Markt der Magier!“
„Gigi“, bremste Bruno den euphorischen Freund, „es war ein Kinderfest. Und es war schön, weil neben unseren Kindern noch viele Kinder aus der Stadt gekommen sind.“
„Das Zelt des Wahrsagers…“, träumte Gigi noch.
„Ja, Gigi, das war eine tolle Idee“, gab Bruno zu.
„Davon habe ich gestern in unserer Stadtzeitung gelesen.“, krächzte Ettore.
„Der Wahrsager war ich“, erzählte Gigi stolz.
„Ihr hattet euch gut vorbereitet“, beglückwünschte Beppo die Organisatoren von seinem Platz hinten im Saal.
„Die Kinder waren richtig begeistert von den Jongleuren, vom Feuerschlucker, von Alexandras Liedern, dem Grillen, dem Kostümfest im Schloss von Beppo dem Ersten…“
„Hör auf, Gigi“, wehrte Bruno mit seinen dicken Händen ab, „es hat uns auch Spaß gemacht, ja, das ist wahr, aber wir sind keine Clowns. Wir haben das Fest durchgeführt, damit Giacomo und Sascha die Kinder aus der Stadt kennen lernen. Wir sind ein fahrendes Volk, aber das heißt nicht, dass wir Zirkusleute sind. – Es war viel wichtiger für mich, dass Alfons mir gesagt hat, dass ich noch während der zwei Monate, die wir noch hier bleiben wollen, bei ihm weiterarbeiten kann. Da fällt mir ein, ich muss mich beeilen; er wartet auf mich!“
„Ich begleite dich“, antwortete Gigi spontan. „Bis später dann, Nino!“
„Bis später dann“, murmelte der Angesprochene, immer noch beleidigt.
„Machst du den Schlagersender an?“, fragte Onkel Ettore. Wortlos drehte Nino am Einstellknopf.
Zuerst rauschte es, dann flatterten die sanften Gitarrenklänge von Simon & Garfunckel in Ninos Kneipe:
„I am just a poor boy,
and my story is seldom told…“,
stimmte der Pop-Troubador an.
Beppo summte an seinem Tisch, während Onkel Ettore mit den Fingerknöcheln den Takt leise auf die Tresen schlug. Beppo, Onkel Ettore und Nino versanken in den Melodiewellen dieser weichen Ballade aus New York, bis die Eingangstür wieder knarrte und eine ganze Gruppe von Männern die Kneipe betrat.
Nino stockte das Herz. Zuerst dachte er, es wäre eine Abteilung von Spezialpolizisten, denn alle trugen dasselbe schwarze Halstuch, dasselbe gebügelte schwarze Hemd, eine dunkelblaue Jeans und auf Hochglanz polierte schwarze Springerstiefel. Dann erkannte Nino einen aus der Gruppe. Es war Nicola, der Maurer.
Nino wollte seinen Freund fragen: „Was machst du denn mit denen?“ Aber Nicola kam ihm zuvor: „Entschuldige, Nino, dass wir zu so vielen bei dir einfallen, aber wir hatten eine Besprechung, und ich dachte…“
„Acht Krüge frisch gezapftes, lappalisches Bier“, unterbrach ihn ein Mann mit rundem, kahlgeschorenen Schädel und kleinen Schweinsäuglein.
Nino zögerte einen Moment, erstens weil er nicht gewohnt war, dass man so mit ihm in seiner eigenen Kneipe sprach, zweitens weil er verwirrt war, was ein „lappalisches“ Bier war, und drittens weil er keine Bierkrüge, sondern nur Biergläser hatte.
„Kann denn keiner mal dieses Kummerkastengeheule abstellen und gute lappalische Volksmusik im Radio suchen“, kläffte ein Typ mit nach hinten festgegelten schwarzen Haaren und einem Rauschebart.
„Was soll das alles?“, fragte Onkel Ettore krächzend.
„Ich bin doch seit kurzem in die Sammelbewegung zur Wohle Lappaliens S-W-L eingetreten“, erklärte Nicola schnell mit unsicherer Stimme.
„Zur Rückbesinnung auf die Werte der leibhaftigen Lappalier“, bekräftigte die runde Glatze.
Beppo fühlte sich unwohl und leerte schnell sein Glas.
Nino schenkte die acht Gläser Bier aus.
„Wir wollen eben helfen“, meinte Nicola zwischen zwei Schlücken.
„Jawohl!“, holte die Glatze groß aus. „Für ein starkes Lappalien! Hilfe für arbeitslose Lappalier! Keine Hilfe für Ausländer und Zigeuner, die hierhin kommen, nur um uns Arbeit wegzunehmen und zu bestehlen!“
Nino sah in die kleinen Augen der Glatze. Wut stieg in ihm hoch. Wieso hatten diese komischen Schwarzhemden das Recht, ihn so von oben herab zu behandeln, zu verlangen den Radiosender zu wechseln, und so komische, wirre Sachen in seiner Kneipe laut zu verkünden.
„Bis morgen“, sagte Beppo leise, bevor er aus der Kneipe ins Freie schlüpfte. Nino sah ihm an und stellte fest, dass der alte Beppo Angst hatte.
Onkel Ettore war auch verwirrt von dem hochgedrehten Gerede über Lappalien. Aber er wollte sich nicht einschüchtern lassen: „Bin ich ein Lappalier?“, fragte er mit gebrochener Stimme.
„Natürlich“, sagte der Rauschebart und strich sich seine gegelten Haare glatt, „du bist ein leibhaftiger Lappalier, und wir werden dich gegen Diebe, Verbrecher und Ausländer verteidigen und beschützen.“
Nino wurde immer wütender. Um sich abzureagieren, begann er, Gläser zu putzen.
Die acht Schwarzhemden hatten einen Kreis um Onkel Ettore geschlossen.
„Ich… ich“, stotterte Lilianas Onkel, „ich brauche aber keinen, um mich zu … verteidigen; jedenfalls… also das hat auch bisher auch ohne Schutztruppe ganz gut geklappt.“
In Gedanken spendete Nino Onkel Ettore Beifall.
„Äh… ich glaube… du hast natürlich Recht…“, versuchte Nicola, die Situation einzurenken.
Aber die Glatze hatte schon eine viel verdrehtere Antwort parat: „Früher gab es auch weniger Gesindel und Verbrecher in unserem schönen Lappalien. Heute müssen wir unsere römisch-germanischen Wurzeln gegen Ausländer und Zigeuner verteidigen.“
Nino stockte hart in seiner Bewegung. Das kann doch nicht wahr sein, dachte er. Das geputzte Glas zerbrach im Geschirrtuch des ungläubigen Kneipenwirts. „Mist“, sagte er und schüttete zornig die Scherben in den Abfalleimer.
„Was gibt es denn heute zu essen?“, fragte Nicola an.
„Ja genau, unsere lappalischen Mägen brüllen schon vor Hunger“, rief der Rauschebart aus. Und alle acht lachten herzlich.
Nino wurde bleich. Er öffnete die Schwingtür und rief: „Liliana, kommst du mal?“
Es verging einen Moment, dann drückte Liliana die Schwingtür auf, während sie sich die Unterarme in einem Geschirrtuch abwischte.
Ihr Mann schaute sie fest an und fragte: „Hast du heute Zeit gehabt, Einkäufe zu machen?“
Liliana blickte in die Runde, sah ihren verängstigten und verwirrten Onkel, guckte in das zornige Gesicht von Nino und sagte, schon wieder auf dem Weg in die Küche: „Nein, heute gibt’s nichts; ich hatte keine Zeit, einzukaufen. Wenn du deinen Gästen etwas anbieten willst, musst du selbst die Einkäufe machen“, klang ihr Bass von neuem aus der Küche. Onkel Ettore wollte schon sagen, dass es wohl heute Hähnchenkeule geben würde, aber Nino sah ihn scharf an, und so sagte Ettore nichts und machte den offenen Mund wieder zu.
„Das ist aber schade“, sagte die Glatze.
„Dann müssen wir woanders hin“, gab der Rauschebart den Abrückbefehl.
Die acht verschwanden aus Ninos Kneipe. Als letzter ging Nicola. Er hatte Lilianas Trick durchschaut.
„Vielleicht habt ihr recht“, sagte er, schaute Nino kurz an und folgte dann schnell seinen neuen Freunden.
Nino verfolgte wortlos, wie die Tür hinter seinem Freund knarrend ins Schloss fiel.
Nachdenklich schob Nino seinem Onkel Ettore noch einen Schoppen Rotwein hin, obwohl dieser gar nichts gesagt hatte. Dann fing er wieder an, Gläser zu putzen.
Nino unterbrach das Gläserputzen und füllte ein Glas, das er dann seinem Freund brachte.
Die Eingangstür knarrte, als Onkel Ettore eintrat. Auf den Gehstock sich stützend, bewegte er sich langsam dem chrom-polierten Tresen zu.
„Sei gegrüßt, mein Neffe!“, sagte Lilianas Onkel mit gebrochener Stimme.
„Wie immer, Onkel Ettore?“
„Ja, ja“, antwortete der Onkel.
„Geht es dir gut, Onkel?“, rief Liliana mit ihrer mächtigen Stimme aus der Küche.
„Ja, danke“, meinte der Alte in Richtung Küche und musste seine raue Stimme anstrengen.
„Wie es scheint, hast du den Kegelclub revolutioniert“, meinte Nino schmunzelnd, als er einen Schoppen Rotwein vor Ettore hinstellte und sich wieder an Beppo wandte.
„Ach, weißt du“, fing Beppo an, „wenn es schon eine Revolution ist, wenn man ein neues Clubmitglied mitbringt…“
„Ein Schwarzer!“, Nino warf theatralisch die Arme in die Luft.
„Ja und?“, meinte Beppo nur und schlürfte an seinem gelben Getränk. „Er hat Probleme in seinem Heimatland gehabt, weil er der Regierung widersprochen hat, deshalb ist er zu uns gekommen...“
„Und dann seine Kegeltechnik! Dieser spezielle Spin-Dreh-Wurf! Er hat sich nicht nur Freunde gemacht, dadurch dass er sofort zu den besten Keglern gehörte“, erinnerte sich Nino, der auch beim Kegelabend dabei gewesen war.
Onkel Ettore hörte mit gespitzten Ohren zu.
„Soll er denn extra schlecht spielen, weil er eine Neuer ist und dazu noch ein Schwarzer?“, fragte Beppo verständnislos.
„Du hast recht, Beppo. Ich bin dumm. Aber ich kenne Leute, die so denken“, erklärte Nino.
In diesem Moment ging wieder die Eingangstür, und laut palavernd traten Gigi und der dicke Bruno ein.
„Wir könnten das doch jetzt jedes Jahr machen“, beharrte Gigi im Gespräch mit seinem neuen Freund.
„Aber nein! Wir sind doch keine Schausteller oder Künstler!“, wehrte sich der dicke Bruno.
„Hallo, Nino!“, rief Gigi dem Kneipenwirt entgegen.
„Hallo!“, antwortete Nino.
„Wer ist das?“, wollte Onkel Ettore wissen und machte eine Kopfbewegung zu Bruno hin.
„Guten Tag, Onkel Etti!“, wandte sich Gigi an Ettore. Natürlich war Ettore nicht Gigis Onkel, aber alle nannten Ettore Onkel Ettore, weil er der Onkel Lilianas war.
„Guten Tag, junger Freund!“, antwortete dieser zurückhaltend. Onkel Ettore mochte nicht, dass Gigi ihn „Etti“ nannte. Aber was sollte man machen, wenn Gigi sich etwas in den Kopf gesetzt hatte?
„Onkel Etti, das ist Bruno, ein neuer Freund. Bruno, das ist Lilianas Onkel Ettore.“
„Soso“, sagte Onkel Ettore.
„Angenehm“, sagte der dicke Bruno höflich; aber seine Wortwahl passte irgendwie nicht.
„Was ist das Tagesgericht, Nino?“, fragte Gigi den Wirt.
„Was das Tagesgericht ist, will Gigi wissen“, rief Nino in die Küche, während er eine Hälfte der Schwingtür mit dem Fuß aufhielt.
„Hähnchenkeule mit Fritten und Salat“, antwortete Lilianas Bass von ihrer Arbeitsstätte.
„Och, nein, das hatten wir doch schon letzte Woche“, kommentierte Gigi unzufrieden.
„Du kannst ja woanders hingehen, wenn du das Essen hier nicht magst“, entgegnete Nino, zog eine Schnute und begann, wieder Gläser zu waschen.
„Willst du was trinken? Einen Kaffee?“, fragte Gigi Bruno.
„Ja, gerne.“
„Zwei Kaffee“, bestellte Gigi beim schmollenden Wirt. Der warf zwei kleine Tassen in die Espressomaschine und würdigte Gigi keines weiteren Blickes.
„Aber das war doch Klasse, unser Markt der Magier!“
„Gigi“, bremste Bruno den euphorischen Freund, „es war ein Kinderfest. Und es war schön, weil neben unseren Kindern noch viele Kinder aus der Stadt gekommen sind.“
„Das Zelt des Wahrsagers…“, träumte Gigi noch.
„Ja, Gigi, das war eine tolle Idee“, gab Bruno zu.
„Davon habe ich gestern in unserer Stadtzeitung gelesen.“, krächzte Ettore.
„Der Wahrsager war ich“, erzählte Gigi stolz.
„Ihr hattet euch gut vorbereitet“, beglückwünschte Beppo die Organisatoren von seinem Platz hinten im Saal.
„Die Kinder waren richtig begeistert von den Jongleuren, vom Feuerschlucker, von Alexandras Liedern, dem Grillen, dem Kostümfest im Schloss von Beppo dem Ersten…“
„Hör auf, Gigi“, wehrte Bruno mit seinen dicken Händen ab, „es hat uns auch Spaß gemacht, ja, das ist wahr, aber wir sind keine Clowns. Wir haben das Fest durchgeführt, damit Giacomo und Sascha die Kinder aus der Stadt kennen lernen. Wir sind ein fahrendes Volk, aber das heißt nicht, dass wir Zirkusleute sind. – Es war viel wichtiger für mich, dass Alfons mir gesagt hat, dass ich noch während der zwei Monate, die wir noch hier bleiben wollen, bei ihm weiterarbeiten kann. Da fällt mir ein, ich muss mich beeilen; er wartet auf mich!“
„Ich begleite dich“, antwortete Gigi spontan. „Bis später dann, Nino!“
„Bis später dann“, murmelte der Angesprochene, immer noch beleidigt.
„Machst du den Schlagersender an?“, fragte Onkel Ettore. Wortlos drehte Nino am Einstellknopf.
Zuerst rauschte es, dann flatterten die sanften Gitarrenklänge von Simon & Garfunckel in Ninos Kneipe:
„I am just a poor boy,
and my story is seldom told…“,
stimmte der Pop-Troubador an.
Beppo summte an seinem Tisch, während Onkel Ettore mit den Fingerknöcheln den Takt leise auf die Tresen schlug. Beppo, Onkel Ettore und Nino versanken in den Melodiewellen dieser weichen Ballade aus New York, bis die Eingangstür wieder knarrte und eine ganze Gruppe von Männern die Kneipe betrat.
Nino stockte das Herz. Zuerst dachte er, es wäre eine Abteilung von Spezialpolizisten, denn alle trugen dasselbe schwarze Halstuch, dasselbe gebügelte schwarze Hemd, eine dunkelblaue Jeans und auf Hochglanz polierte schwarze Springerstiefel. Dann erkannte Nino einen aus der Gruppe. Es war Nicola, der Maurer.
Nino wollte seinen Freund fragen: „Was machst du denn mit denen?“ Aber Nicola kam ihm zuvor: „Entschuldige, Nino, dass wir zu so vielen bei dir einfallen, aber wir hatten eine Besprechung, und ich dachte…“
„Acht Krüge frisch gezapftes, lappalisches Bier“, unterbrach ihn ein Mann mit rundem, kahlgeschorenen Schädel und kleinen Schweinsäuglein.
Nino zögerte einen Moment, erstens weil er nicht gewohnt war, dass man so mit ihm in seiner eigenen Kneipe sprach, zweitens weil er verwirrt war, was ein „lappalisches“ Bier war, und drittens weil er keine Bierkrüge, sondern nur Biergläser hatte.
„Kann denn keiner mal dieses Kummerkastengeheule abstellen und gute lappalische Volksmusik im Radio suchen“, kläffte ein Typ mit nach hinten festgegelten schwarzen Haaren und einem Rauschebart.
„Was soll das alles?“, fragte Onkel Ettore krächzend.
„Ich bin doch seit kurzem in die Sammelbewegung zur Wohle Lappaliens S-W-L eingetreten“, erklärte Nicola schnell mit unsicherer Stimme.
„Zur Rückbesinnung auf die Werte der leibhaftigen Lappalier“, bekräftigte die runde Glatze.
Beppo fühlte sich unwohl und leerte schnell sein Glas.
Nino schenkte die acht Gläser Bier aus.
„Wir wollen eben helfen“, meinte Nicola zwischen zwei Schlücken.
„Jawohl!“, holte die Glatze groß aus. „Für ein starkes Lappalien! Hilfe für arbeitslose Lappalier! Keine Hilfe für Ausländer und Zigeuner, die hierhin kommen, nur um uns Arbeit wegzunehmen und zu bestehlen!“
Nino sah in die kleinen Augen der Glatze. Wut stieg in ihm hoch. Wieso hatten diese komischen Schwarzhemden das Recht, ihn so von oben herab zu behandeln, zu verlangen den Radiosender zu wechseln, und so komische, wirre Sachen in seiner Kneipe laut zu verkünden.
„Bis morgen“, sagte Beppo leise, bevor er aus der Kneipe ins Freie schlüpfte. Nino sah ihm an und stellte fest, dass der alte Beppo Angst hatte.
Onkel Ettore war auch verwirrt von dem hochgedrehten Gerede über Lappalien. Aber er wollte sich nicht einschüchtern lassen: „Bin ich ein Lappalier?“, fragte er mit gebrochener Stimme.
„Natürlich“, sagte der Rauschebart und strich sich seine gegelten Haare glatt, „du bist ein leibhaftiger Lappalier, und wir werden dich gegen Diebe, Verbrecher und Ausländer verteidigen und beschützen.“
Nino wurde immer wütender. Um sich abzureagieren, begann er, Gläser zu putzen.
Die acht Schwarzhemden hatten einen Kreis um Onkel Ettore geschlossen.
„Ich… ich“, stotterte Lilianas Onkel, „ich brauche aber keinen, um mich zu … verteidigen; jedenfalls… also das hat auch bisher auch ohne Schutztruppe ganz gut geklappt.“
In Gedanken spendete Nino Onkel Ettore Beifall.
„Äh… ich glaube… du hast natürlich Recht…“, versuchte Nicola, die Situation einzurenken.
Aber die Glatze hatte schon eine viel verdrehtere Antwort parat: „Früher gab es auch weniger Gesindel und Verbrecher in unserem schönen Lappalien. Heute müssen wir unsere römisch-germanischen Wurzeln gegen Ausländer und Zigeuner verteidigen.“
Nino stockte hart in seiner Bewegung. Das kann doch nicht wahr sein, dachte er. Das geputzte Glas zerbrach im Geschirrtuch des ungläubigen Kneipenwirts. „Mist“, sagte er und schüttete zornig die Scherben in den Abfalleimer.
„Was gibt es denn heute zu essen?“, fragte Nicola an.
„Ja genau, unsere lappalischen Mägen brüllen schon vor Hunger“, rief der Rauschebart aus. Und alle acht lachten herzlich.
Nino wurde bleich. Er öffnete die Schwingtür und rief: „Liliana, kommst du mal?“
Es verging einen Moment, dann drückte Liliana die Schwingtür auf, während sie sich die Unterarme in einem Geschirrtuch abwischte.
Ihr Mann schaute sie fest an und fragte: „Hast du heute Zeit gehabt, Einkäufe zu machen?“
Liliana blickte in die Runde, sah ihren verängstigten und verwirrten Onkel, guckte in das zornige Gesicht von Nino und sagte, schon wieder auf dem Weg in die Küche: „Nein, heute gibt’s nichts; ich hatte keine Zeit, einzukaufen. Wenn du deinen Gästen etwas anbieten willst, musst du selbst die Einkäufe machen“, klang ihr Bass von neuem aus der Küche. Onkel Ettore wollte schon sagen, dass es wohl heute Hähnchenkeule geben würde, aber Nino sah ihn scharf an, und so sagte Ettore nichts und machte den offenen Mund wieder zu.
„Das ist aber schade“, sagte die Glatze.
„Dann müssen wir woanders hin“, gab der Rauschebart den Abrückbefehl.
Die acht verschwanden aus Ninos Kneipe. Als letzter ging Nicola. Er hatte Lilianas Trick durchschaut.
„Vielleicht habt ihr recht“, sagte er, schaute Nino kurz an und folgte dann schnell seinen neuen Freunden.
Nino verfolgte wortlos, wie die Tür hinter seinem Freund knarrend ins Schloss fiel.
Nachdenklich schob Nino seinem Onkel Ettore noch einen Schoppen Rotwein hin, obwohl dieser gar nichts gesagt hatte. Dann fing er wieder an, Gläser zu putzen.