Kein Anschluss unter dieser Nummer!

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Sandra Z.

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Ich war schon 14, als meine Eltern in unserem neu gebauten Eigenheim einen Telefonanschluss legen ließen. Ich kannte niemanden, mit dem ich gerne telefoniert hätte und strafte das Gerät mit Missachtung. Ab und zu wählte ich höchstens mal die Nummer der Zeitansage, wenn meine Armbanduhr stehengeblieben war.

Der Siegeszug des Mobiltelefons in den 90ern ließ mich ebenfalls völlig kalt. Es ist mir bis heute unbegreiflich, warum eine Privatperson rund um die Uhr erreichbar sein möchte. Außerdem kann ich überhaupt kein Vertrauen zu diesem Kommunikationsmittel aufbauen und werde das Gefühl nicht los, dass es immer, wenn man es am dringendsten braucht, kläglich versagt (kein Netz verfügbar, Teilnehmer nicht erreichbar, Akku leer).

Schon bald wünschte sich unsere Tochter ein Handy zum Geburtstag. „Dann weißt du immer, wo ich gerade bin!“ Ich war sehr skeptisch und vertröstete sie immer wieder auf später. Mit 13 kaufte sie sich ihr erstes Nokia von ihrem Taschengeld, das Dank ihrer beiden Omas schon zu einem beachtlichen Guthaben angewachsen war. Danach führte ich jahrelang recht einseitige Gespräche mit ihrer Mailbox: „The person you have called, is...“ Egal wie lieblich der Klingelton, das Klingeln des Telefons bleibt für mich eine Ruhestörung und im Zeitalter von facetime und skype nehmen die Attacken auf meine Privatsphäre ungeahnte Dimensionen an. Jetzt muss ich sogar noch vollständig bekleidet sein und mir die Haare kämmen, bevor ich einen Anruf entgegennehme!

Ich war schon Mitte 40, als ich ein Geschäftshandy zugeteilt bekam, und gezwungen wurde, dieses auch zu benutzen. Pflichtschuldig schaltete ich das Gerät pünktlich um 8 Uhr morgens ein und legte es auf die Fensterbank neben meinem Arbeitsplatz. Um 17 Uhr schaltete ich es wieder aus und warf es achtlos in meine Handtasche. In sieben Jahren hat es ganze zwei Mal geklingelt!

Eines Tages kam ich von der Arbeit nach Hause und fand eine merkwürdige Nachricht auf unserem Anrufbeantworter vor. Es war eine nonverbale Nachricht und sie klang wie Gummistiefel, die durch Schlamm waten. Als unsere Tochter nach Hause kam, sagte ich zu ihr: „Da hat irgendein Perverser eine Nachricht auf unserem AB hinterlassen. Schau bitte mal nach, wer das war!“ Das Kind hörte die Nachricht ab und rief empört: „Mama! Du hast dich selber angerufen! Dein Handy war nicht richtig abgeschaltet und deine Handtasche hat unsere Nummer gewählt!“
 

Aufschreiber

Mitglied
Hallo Sandra Z.,

Dein Schreibstil gefällt mir gut, allerdings fehlt mir ein wenig die Pointe. Dass sich die Protagonistin selbst angerufen hat, ist meiner Ansicht nach zu wenig absurd, als dass ich es als Pointe (an-)erkennen wollte.

Witziger wäre es vielleicht, wenn sich diese Anrufe häuften und sie *irgendwann* der Sache auf den Grund ginge.
So nach dem Motto: "Ich kann das Teil nicht leiden - und jetzt hab ich auch noch einen Stalker..."
Das würde aber wahrscheinlich ein bisschen "Dramaturgie" erfordern, Spannungsaufbau und dergleichen.

Beste Grüße,
Steffen
 

Sandra Z.

Mitglied
Guter Einwand, Steffen! Das liegt wohl daran, dass ich diese Geschichte aus einer ziemlich langen Kurzgeschichte über mein gestörtes Verhältnis zum Telefon "extrahiert" habe. Da hat es wohl nicht so hingehauen mit der "Dramaturgie" ;) Vielleicht werde ich mal die ganze Story posten...
 

onivido

Mitglied
Hallo Sandra,
"Pflichtschuldig schaltete ich das Gerät pünktlich um 8 Uhr morgens ein und legte es auf die Fensterbank neben meinem Arbeitsplatz. Um 17 Uhr schaltete ich es wieder aus ." das war einmal. Die gute alte Zeit. Jetzt verlangen die Arbeitgeber , dass man ueberall und jederzeit erreichbar sein muss. ...sein sollte, oder so aehnlich. Die Geschichte hat Erinnerungen erweckt an die Zeit, als ein mobiles Telefon eine Frage des sozialen Status war . Ich finde den Schluss gut.
Gruesse///Onivido
 
Beim Lesen jeder Zeile, Sandra Z., empfand ich große Nähe zu meiner Einstellung, besonders hier:

Es ist mir bis heute unbegreiflich, warum eine Privatperson rund um die Uhr erreichbar sein möchte.
Der Text als solcher gefällt mir stilistisch, gerade durch den zurückhaltenden Stil. Allerdings würde er so eher in die Sparten "Kurzprosa" oder "Tagebuch" passen. Humoristisch ist eigentlich nur der letzte Absatz, dieser dafür auch insoweit gelungen. Für mich Ahnungslosen war die Pointe neu und der Vergleich mit Gummistiefeln, watend im Schlamm, erheiternd.

Eine Kleinigkeit: Die Präposition "dank" schreibt man klein, falls sie nicht am Satzanfang steht, also "das dank ihrer beiden Omas".

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 

petrasmiles

Mitglied
Hallo Sandra,

auch von mir beifäliiges Nicken!

Ich kann Aufschreibers Kritik insofern nachvollziehen als ich wegen des trockenen Tones tatsächlich nicht mit einer Pointe gerechnet hätte (trotz der Rubrik, auf die ich meist nicht achte ...) und dann überrascht war. Die Pointe selbst finde ich gelungen - aber dann doch irgendwie freischwebend im Text, der nicht wirklich auf eine Pointe hin geschrieben ist.

trotzdem gerne gelesen!

Liebe Grüße
Petra
 

Sandra Z.

Mitglied
Beim Lesen jeder Zeile, Sandra Z., empfand ich große Nähe zu meiner Einstellung, besonders hier:



Der Text als solcher gefällt mir stilistisch, gerade durch den zurückhaltenden Stil. Allerdings würde er so eher in die Sparten "Kurzprosa" oder "Tagebuch" passen. Humoristisch ist eigentlich nur der letzte Absatz, dieser dafür auch insoweit gelungen. Für mich Ahnungslosen war die Pointe neu und der Vergleich mit Gummistiefeln, watend im Schlamm, erheiternd.

Eine Kleinigkeit: Die Präposition "dank" schreibt man klein, falls sie nicht am Satzanfang steht, also "das dank ihrer beiden Omas".

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
Vielen Dank für die Anregungen, Arno! Es ist sehr interessant zu sehen, wie unterschiedlich meine Selbstironie hier aufgefasst wird.
 

Sandra Z.

Mitglied
Hallo Sandra,

auch von mir beifäliiges Nicken!

Ich kann Aufschreibers Kritik insofern nachvollziehen als ich wegen des trockenen Tones tatsächlich nicht mit einer Pointe gerechnet hätte (trotz der Rubrik, auf die ich meist nicht achte ...) und dann überrascht war. Die Pointe selbst finde ich gelungen - aber dann doch irgendwie freischwebend im Text, der nicht wirklich auf eine Pointe hin geschrieben ist.

trotzdem gerne gelesen!

Liebe Grüße
Petra
Vielen Dank, Petra! Der Text ist bewusst nicht auf eine Pointe hin geschrieben, weil diese Begebenheiten nur ein Auszug sind aus 50 Jahren "leben mit einer Telefon-Phobie" o_O
 



 
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