Kennen Sie eigentlich die Boisenbergs?

4,30 Stern(e) 4 Bewertungen

ChinoNF

Mitglied
Haben Sie schon mal von den Boisenbergs gehört? Ella und Fred Boisenberg, um genau zu sein. Seit April sind das meine neuen Nachbarn. Die haben das Haus der Bogners gekauft, die Bogners mit den zwei Hush Puppies. Diese hässlichen, wurstähnlichen Viecher mit den langen Ohren. Die Biester konnten nicht einmal richtig bellen, geschweige denn laufen. Aber egal. Die Bogners sind Geschichte.

Die Boisenbergs sind ganz anders als die Bogners. Keine Haustiere, keine wilden Partys am Pool und keine Einladungen an die Nachbarn. Seit über einem Jahr sind sie jetzt unsere Nachbarn und haben es bis heute nicht für nötig gehalten, mich einzuladen. Nicht, dass ich darauf Wert legen würde und eigentlich geht es mich ja auch nichts an, mögen Sie denken. Trotzdem: Man lädt die Nachbarn ein, wenn man neu ist, wenigstens zum Kaffee.

Was bei den Bogners die Hush Puppies, das sind bei den Boisenbergs die Liegestühle. Jeden Morgen im Sommer, Punkt sieben Uhr, öffnet sich die Terrassentür. Fred Boisenberg, gekleidet in einen astreinen Hawaii-Hemden-Morgenmantel, betritt die Terrasse. Er reckt und streckt sich, dann holt er aus der Tasche des Mantels eine Packung John Player Special. Diese Art Zigaretten, die man als Jugendlicher geraucht hat, um besonders cool zu erscheinen. Aus der anderen Tasche holt Fred ein goldenes Sturmfeuerzeug. Damit wird die John Player angezündet – es folgt ein tiefer, intensiver Lungenzug.

Als Nächstes nimmt Fred immer die beiden, sonnenblumengelben Strandtücher (die er lässig um den Hals gelegt hat) und platziert sie auf den Liegestühlen. Die stehen jeden Tag an derselben Stelle – so wie am Tag zuvor und immer an derselben Stelle wie den Tag davor und so weiter. Ein bisschen Gezupfe hier, ein wenig Geradeziehen da; schon ist das Tageslager hergerichtet. Jeden Tag stehen die Liegen so dicht beieinander, dass sich die Armlehnen berühren. Immer platziert an derselben Stelle, ein paar Meter vor dem Pool und direkt am Rand der marmorgefliesten Terrasse.

Irgendwann kurz nach acht taucht dann Ella auf. Oft hat sie eine Tageszeitung dabei, die legt sie auf den Tisch neben den Liegestühlen. Meistens bleibt sie ungelesen auf dem Tisch zurück. Irgendwie sinnlos, das Ganze.

So geht das im Sommer Tag für Tag.

Die beiden liegen auf ihren gepolsterten Liegen, solange, bis es Zeit für das Mittagessen ist. Dann verschwinden sie für zwei Stunden im Haus. Danach kommt die zweite Schicht am Pool, bis 18 Uhr. Tag für Tag. So sicher wie das Amen in der Kirche, hätte meine Oma gesagt.

Bis auf heute. Heute ist alles anders.

Ich war richtig erschrocken. Heute Morgen sind die Liegestühle weg. Einfach so. Ich habe extra zweimal hingeschaut, heute Morgen um sechs und dann um halb sieben. Dann habe ich gewartet (kann ja sein, dass die Boisenbergs die Liegen für die Nacht weggeräumt hatten). Aber auch kurz vor sieben sind die Liegestühle nicht da und jetzt wird es spannend. Gleich hat Fred seinen morgendlichen Auftritt, ich bin gespannt, was passiert.
Da, die Terrassentür öffnet sich. Heraus tritt Fred in seinem hässlichen, bunten Bademantel. Noch hat er nicht gemerkt, was passiert ist. Jetzt wendet er sich zur Seite, nimmt die Badetücher vom Hals und ...

Seltsam. Irgendwie ist er nicht geschockt oder überrascht. Er tippt sich an die Stirn, nimmt das Handtuch (heute Morgen seltsamerweise nur eins) ab und legt es auf den Boden. Fast scheint es, als ob er einfach nur etwas vergessen hätte, fast, als ob alles so wäre wie jeden Morgen. Boisenberg steckt sich die John Player an. Dann greift er in die Tasche und holt einen Schlüsselbund heraus. Er schlurft zur Garage, steckt den Schlüssel in das elektronische Schloss, dreht diesen um. Langsam, mit einem leisen Quietschen, öffnet sich das Tor. Fred verschwindet in der Dunkelheit des Garageninneren. Kurz darauf kommt er mit dem ersten Liegestuhl wieder heraus. Er zieht diesen in Richtung Pool, setzt ihn ab und legt das Handtuch darauf. So, als ob nichts gewesen wäre. Jetzt geht er zurück Richtung Garage. Er verschwindet ein zweites Mal im Dunkeln und kommt mit dem zweiten Liegestuhl zurück. Den stellt er neben den anderen, fast so, als hätte er es das ganze Jahr über jeden Morgen nicht anders getan. Und jetzt kommt Ella aus dem Wohnzimmer. Raten Sie mal, was sie mit nach draußen bringt? Das zweite, gelbe Badetuch, das Tuch, welches sonst immer schon auf der Liege lag, wenn sie in den Garten kam. Unglaublich!

Was ist hier los?

Mittlerweile glaube ich, die beiden wollen mich verarschen. Bestimmt haben die gemerkt, dass ich sie beobachte bei ihrem seltsamen Ritual und ihren komischen Verhaltensweisen. Vielleicht haben sie auch mein Fernglas gesehen und ahnen, dass sie nicht einfach tun und lassen können, was sie wollen. Schließlich sind sie meine Nachbarn. Da muss man sich schon einmal ein wenig anpassen. Oder auch ein wenig mehr. Ich mag es nämlich gar nicht, wenn sich Nachbarn so seltsam verhalten ...

Vielleicht sogar so seltsam wie die Bogners und deren Viecher ... Gekläfft haben die, zwar nicht so richtig, weil die konnten das ja nicht, diese komischen Köter. Aber sie haben es versucht. Immer, wenn sie mich auf dem Balkon gesehen haben, haben die gekläfft. Obwohl es mein Recht ist, dort zu stehen und zu gucken, was die Nachbarn so treiben – mein gutes Recht. Schließlich kann nicht jeder tun und lassen, was er will. Schon gar nicht, wenn er mein Nachbar sein will. Die Bogners mussten das lernen – irgendwann haben deren Biester dann nicht mehr gekläfft. Was so ein spezielles Leckerlie doch bewirken kann. Die Viecher waren aber auch zu blöde - fressen einfach alles, egal ob mit oder ohne Rattengift.

Bei den Boisenbergs ist das irgendwie anders. Ich kann es gar nicht richtig beschreiben, die nerven mich halt irgendwie auf ihre Art. Sonnenstühle, die immer an derselben Stelle stehen und so und dann versuchen die auch noch, mich zu verarschen. Darauf stehe ich gar nicht.
Bogners sind ausgezogen, nachdem es schließlich ihren Hunden an den Kragen ging. Hätten ja bloß rechtzeitig reagieren müssen. Mal schauen, was mir für die Boisenbergs so einfällt ... Hunde haben die ja nicht. Aber soo, das kann ich Euch sagen, so geht es nicht weiter ...

Vielleicht richte ich mal ein Grillfest aus. Wartet ab, ihr Boisenbergs!
 

ackermann

Mitglied
Liebe(r) @ChinoNF, das ist die Art von Geschichten die ich liebe . Dieser hintergründige, schwarze Humor ... und das angedachte, "dramatische" Ende der Boisenbergs.

Kennen Sie eigentlich die Boisenbergs? Nee, bisher kannte ich die nicht. Aber ich habe mich echt gefreut sie kennengelernt zu haben - bevor es zu spät ist :cool:


Viele Grüße
ackermann
 

ChinoNF

Mitglied
Hallo Ackermann,

es freut mich, dass Dir meine Geschichte der Boisenbergs gefallen hat. Wenn es mir gelungen ist, die durchaus krankhafte Beobachtungswut des Erzählers dem Leser zu vermitteln freut mich das umso mehr. Und schwarzen Humor, den wollte ich tatsächlich auch transportieren... genau diese Stimmung wollte ich erzeugen. Schön, dass es funktioniert hat!
:)
Danke nochmal für die freundliche Bewertung!

Viele Grüße,
ChinoNF
 

ChinoNF

Mitglied
Moin hein,

vielen Dank für die freundliche Beurteilung. Freut mich wirklich, wenn Dir die Geschichte ebenfalls gefallen hat...

LG
ChinoNF
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Sehr schön.

Fenster zum Hof lässt grüßen - und der Text reizt förmlich zu einem Gegenartikel aus der Sicht der Boisenbergs:

Seit April wohnen wir in nun in unserem neuen Haus. Eigentlich ist alles wunderbar ... wir haben eine Terrasse, Pool, Garage, alles war man möchte, genug Platz und fühlen uns wohl ...

wenn nicht unser Nachbar wäre.

Das ist ein komischer Kauz, feist, Brille, Halbglatze. Der hat den ganzen Tag nichts zu tun, beobachtet uns, manchmal sogar mit dem Fernglas! Dabei denkt er, wir merken das nicht. Natürlich wissen wir das. Ist ja nicht zu übersehen, der Typ. Wovon lebt der? Ist der schon Rentner mit keine Zeit für gar nichts? Naja, wir haben uns jedenfalls eine paar schöne Rituale für den Wichser ausgedacht. Ein Mal haben wir die gewechselt und da hättet ihr dessen Augen mal sehen sollen! Ha! Sind dem bald aus dem Kopf gefallen!

Der rafft jetzt nichts mehr.

Trotzdem - Ella stört der total, und das kann ich gut verstehen, schließlich starrt er immer sie besonders an. Am besten laden wir ihn zum Tee ein. Wir haben noch welchen mit Bittermandelaroma.

:)
 



 
Oben Unten