Kinderlied (gelöscht)

L

Lothar

Gast
Kinderlied

Liebe/r Slyfly!

Freut mich, dass Du dieses Thema auf gegriffen hast. 57 Jahre zu spät scheint man auf ein Mal doch darüber sprechen zu dürfen. Sogar die alten Großen Schweiger von Gestern nehmen sich jetzt dieses Themas an. Die anderen alten Stoffe sind ihnen ausgegangen, bzw. sie sind finanziell nicht mehr verwertbar, weil sie sich abgetragen haben. Die alten Herren brauchen Geld, und da kommen jetzt die lange negierten Themen gerade Recht. Ich weiß jedenfalls nicht, ob das auf ein Mal ehrliche Anteilnehme und Bewusstseinsbildung bzw. -veränderung ist, oder bloß das Bedürfnis nach Neuer Geltung und Kohle. Mich beschimpft man ja deshalb seit 25 Jahren, sogar heute noch. Und ich wette, genau diese Thematik wird jetzt nach Günter Grass zum neuen Marktrenner werden. Und weil jetzt auf ein Mal die Kohle stimmt, wird es auch akzeptiert. Früher ließen die Verlage derartige Bücher ja in den Schubladen verschimmeln. Ausrede: Das kauft Keiner!

Günter Grass in seinem neuen Buch "Wilhelm Gustlof":
"Das nagt an dem Alten. Eigentlich, sagt er, wäre es Aufgabe seiner Generation gewesen, dem Elend der ostpreußischen Flüchtlinge Ausdruck zu geben (...). Niemals, sagt er, hätte man über so viel Leid, nur weil die eigene Schuld übermächtig und bekennende Reue in all den Jahren vordringlich gewesen sei, schweigen, das gemiedene Thema den Rechtsgestrickten überlassen dürfen. Dieses Versäumnis sei bodenlos ..."

Das Selbe gilt auch für die Vertreibungsproblematik der Sudetendeutschen, der Banater, der Siebenbürger, usw. Genau das wurde aber von der Alten Linken nie kapiert. Vergangenheit kann man nur aufarbeiten und bewältigen, wenn man alle Seiten unparteiisch und objektiv sieht. Die Alte Linke hat immer und überall eine "differenzierende Sichtweise" eingefordert, dabei gingen sie selbst in schwer undifferenzierender Weise an die Alte Zeit heran. Und das kapieren die Meisten von ihnen bis Heute nicht. Daran ist unser ganzes System erkrankt. Diese alte Sicht der Dinge ist Ursprung der Probleme von Heute. Günter Grass scheint einer der ganz, ganz Wenigen zu sein, die das jetzt kurz vor ihrem Lebensende noch begreifen, was sie angestellt haben. Unsere Enkel werden in 20, 30 Jahren entsetzt sein über so viel Dummheit.

Übrigens eine sehr schöne Geschichte, von wem hast Du sie? Doch nicht etwas selbst erlebt? Oder ist sie Dir irgendwie eingefallen? In Deinem Profil sieht man leider nicht, wer Du bist, wie alt, usw.

Liebe Grüße
Lothar
 

slyfly

Mitglied
Lieber Lothar,

erst einmal vielen Dank für Deine Antwort. Ich hoffe nicht, dass jetzt das große Geldmachen einsetzt und sich alle auf einen "fahrenden" Zug begeben, nur weil Günter Grass ein Thema aufgriff, mit welchem man sich ohnehin auseinandersetzen sollte. Ehrlicherweise muss ich an dieser Stelle gestehen, dass ich sein Buch noch nicht gelesen habe.

Zu Deinen Ausführungen: ich beschäftige mich mit dem Thema seit meiner Schulzeit - vor allem getrieben durch das beharrliche Schweigen meiner Oma, über die damalige Zeit zu sprechen (sie stammt aus Frankfurt/Oder, Vater war bei der SS (durch seine Tätigkeit bei der Post - angeblich). Mehr war nie aus ihr herauszubekommen. Ich kann Dir nur Recht geben, dass es höchste Zeit wird, sich neu und differenziert damit auseinanderzusetzen.

Auf die Geschichte bin ich durch einen Bericht von Guido Knopp gekommen, der schon eine Weile her ist. In einem Interview erzählte eine Überlebende der W. Gustlof, dass sie ihren Kindern niemals das Lied "Alle meine Entchen" vorsingen konnte, weil sie sich dadurch immer an die Ereignisse jener Nacht erinnert fühlte, irgendwie hat mich das nie losgelassen. Alles andere der Geschichte ist fiktion.

Herzliche Grüße
slyfly
(Michaela, 29 Jahre)
 
L

Lothar

Gast
Kinderlied

Liebe Slyfly!

So wie Du auf die Geschichte gestoßen bist, habe ich mir fast so gedacht.

Aber Du wirst sehen, jetzt kommt die große Geldmache auf diesem Gebiet. Auch das ist Zeitenwende. Grass, der Alte, der Akzeptierte, hat da jetzt ein Thema aufgemacht, das bis jetzt der Zensur unterlag. Ich weiß, Viele werden jetzt wieder sagen: Zensur, so was hat es bei uns nie gegeben. Bei uns doch nicht! Bei uns hatte doch Jeder jede Freiheit. Aber es war Zensur! Wer darüber objektiv berichten wollte, hatte keine Chance, einen Verleger und einen Vertrieb zu finden. Ohne Vertrieb war man ja auch aufgeschmissen. Ich möchte nicht wissen, wie viele Bücher da auf Eis liegen. So blieb die Thematik nur den Rechten überlassen. Und wie die das aufgearbeitet haben, braucht man ja nicht zu erläutern. Das Thema war für uns Linke einfach tabu. Und das war ein Verbrechen!!! Weil dadurch nämlich die Vergangenheitsbewältigung allgemein gesehen keine Akzeptanz fand, ebenfalls irgendwie dauernd auf Eis lag und nur stockend voran kam. Hätte man auch das geschehene Leid an den vertriebenen Deutschen bewusst gemacht, dann hätten die Überlebenden der Konzentrationslager und vom Arbeitsdienst nicht bis Heute auf ihre gerechtfertigten Entschädigungen warten müssen.

Das Alles ist nun mal passiert. Dass die Junge Linke Ende der 60er und Anfang der 70er den Mumm nicht hatte, das Thema anzugreifen, verstehe ich. Aber es hat sich dann Anfang der 80er Keine/r von den nun schon Großen KünstlerInnen gefunden, der/die Mumm genug in seinen/ihren Knochen gehabt und den großen Schritt gewagt hätte. Die haben Alle beinhart gemauert und haben das Ganze als Lüge und Was weiß ich abgetan. Viele tun das ja heute noch. Man muss sich ja nur ansehen, was da für absoluter Irrsinn von manchen deutsch-österr. Intellektuellen hinsichtlich der Benes-Dekrete kommt. Katastrophe. So einseitig darf man nicht mit Geschichte umgehen. Das ist ja wie bei den Nazis, nur von der anderen Seite her.

Du siehst es ja an Dir. Deine Großmutter hat geschwiegen. Du hast Dich dann irgendwann noch mehr dafür interessiert.

Es ist immer ein Fehler, seinen Kindern nur die halbe Wahrheit zu erzählen. Irgendwann kommen sie selber drauf, dass da Etwas nicht ganz stimmt. Und dann zweifeln Manche sogar an dieser halben Wahrheit und fallen womöglich auf die Andere Seite mit ebenfalls bloß einer halben Wahrheit herein, siehe das Neo-Nazi-Problem. Wer seinen Kindern nur die halbe Wahrheit erzählt, begeht eine Art Verbrechen an der Zukunft. Aber das wollen ja selbst heute noch nur die Wenigsten verstehen. In diesem Sinne ist G. Grass tatsächlich ein absolute Größe, wenn er sie auch erst verdammt spät ausgespielt hat.

Jedenfalls bin ich froh, dass hier in der LL Jemand den Mumm hat, darüber zu reden. Werde demnächst mal in Deine anderen Beiträge schauen.

Liebe Grüße
Lothar.
 

slyfly

Mitglied
Lieber Lothar,

gespannt werde ich die Entwicklung beobachten - neue Diskussionen dazu sind ja durchaus zu begrüßen. Ohne falsche Scham, ohne abwiegeln nach dem Motto: wir waren das ja nicht etc. Man darf gespannt sein!

Übrigens habe ich selbst das gar nicht als Mumm empfunden, diese Geschichte hier ins Forum zu stellen...

Herzliche Grüße

slyfly
(die in ihren anderen Geschichten eher unpolitische Themen zum Inhalt hat )
 



 
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