ARIIOOL
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Mein Name ist Adul. Ich soll sechsundzwanzig Jahre alt sein und lebte in Neu Delhi. So steht es zumindest auf der kleinen Karte, die sich in dem Jutebeutel findet, der, bildhaft beschrieben, mit meinem hageren Körper verwachsen ist. Es finden sich weitere Dinge in diesem fleischlosen Körperteil, dem Rest meiner Vergangenheit, der mich stets begleitet. Das Foto einer Frau, daneben ein fremder Adul. Ein Adul, der lacht und volle Wangen zeigt. Wo wurde das Bild aufgenommen? Es muss Neu Delhi sein, es ist der gleiche Himmel. Alles andere hat sich verändert. Meine Lider zittern, ein Nachhall des Übergangs einer traumlosen Nacht in einen weiteren Tag.
Der Lehmboden unter meinem Körper ist mit Lagen bräunlicher Pappe ausgelegt. Ich weiß, dass darin teure Dinge verpackt waren. Die Stelle, auf der ich die Nacht verbracht habe, zeigt ein feuchtes Abbild meiner abgemagerten Gestalt. Es war eine gute Nacht. Die brütende Hitze des vergangenen Tages wurde von einem Vorläufer des drohenden Monsuns weggeweht. Über mir, wie das innere Dach des Shiva Mandir, sehe ich die Streben der Brücke. Es ist mein Schlafplatz, mein kleines Reich. Ich bin früh aufgewacht. Wie ein einsamer, knorriger Baum stehe ich inmitten schlafender Körper. Bald werden sich die Tore öffnen und die Körper werden sich, sorgsam am Rand des schlafenden Teppichs beginnend, in das Umland ergießen und alle werden das gleiche Ziel haben. Ich mag es nicht, über schlafende Menschen zu steigen. Daher warte ich, bis sich Namib erhebt, dessen Atem mir diese Nacht in den Nacken blies.
Neben den Ausgabestationen für Leichensäcke stehen einige gelbe Trucks. Gelb wie Hoffnung, auch die Lebensmittelrationen sind mit gelber Folie verschweißt. Die Robs erwarten keinen Dank. Ihnen ist es gleichgültig, ob ich lebe, oder Namib sich einige hundert Rupien verdient, indem er meine dürren Überreste in einem der schwarzen Leichensäcke abgibt. They Take Care For Us, in Gelb auf Schwarz, lese ich jeden Morgen auf einem Plakat, das nicht verrotten will. Da ist was dran. Sie sorgen für uns. Mir bleibt die Entscheidung, wie ich heute meinen Tag verbringe. Am Fluss Yamuna werden wie in alten Zeiten Leichen verbrannt. Ich mag die Gerüche von Weihrauch und knusprigem Fleisch. Selbst die Blumen sind dort noch echt. Es ist das Privileg der wenigen Auserwählten, nach den alten Bräuchen begraben zu werden. Kollaborateure, die den Robs die Türen öffneten. Sagt Namib, und der war früher Lehrer. Hat er in einer schlaflosen Nacht erwähnt. Ich beschließe, zur Mauer zu gehen, bevor die Mittagssonne mir die Kopfhaut verbrennt. In ihrem Schatten finde ich manchmal Dinge, die mich an mein anderes Leben erinnern. Entsorgt von glücklichen Menschen, so bilde ich es mir ein. In meinen Gedanken färbt dieses erkaufte Glück auf mich ab, kühlt meine verbrennende Existenz. Auf den umlagerten Bildschirmen am Rand der Shahdara Road sehe ich zwischen verstaubten Haarschöpfen den Wetterbericht. Es wird kühler werden und auch Regen wird wie ein Geschenk des Gottes Parjanya in Aussicht gestellt. Ich habe für heute genug erlebt und beschließe, zu gehen.
Die Kühle des Invasivraums dringt durch den Anzug, der meine Nerven mit Eindrücken versorgte. Ich zwänge mir den Helm vom Kopf, schüttle die Haare.
»Du bekommst auch gar nicht genug, Beeil dich, deine Mutter hat Rogan Joh Curry gemacht.« Ich brauche eine Sekunde, um die Stimme meinem Vater zuzuordnen.
»Wann beabsichtigt der junge Herr, etwas für die Schule zu tun?« Er musste das sagen, erkläre ich mir, so sind die Regeln, mit denen er seine Rolle als Vater verbindet.
»Noch nie was von Anschauungsunterricht gehört? So paukt man heutzutage Geschichte.« Ich trag’ voll auf, wiederhole Details zur Erderwärmung, zur Robokalypse, habe mir sogar die Straßennamen gemerkt. Er nickt zufrieden.
»Was jetzt mit Essen?« Nicht, dass ich mich groß drauf freue, auf das allabendliche Sit-in bei Reis und gebratenem Huhn. Es erfordert die Kunst der Vermeidung. Meine Tabuthemen sind anders als ihre. Mom erscheint, frisch abgenabelt von ihrer Arbeit. Tabuthema Nummer Eins. Koordinatorin für den automatisierten Abbau von Ressourcen, auf deren Vorhandensein uns erst die guten, alten Robs gebracht haben. Früher nannte man das einen Kumpel unter Tage. Heutzutage fliegen wir dafür zum Jupiter und plündern seine Asteroiden. Mein Dad, der seine laute Stimme nun mit seiner imposanten Erscheinung manifestiert, ist Biologe. Er nennt das so, weil er mit Pflanzen arbeitet. Unsere Pflanzen, selbst gezogen, selbst geerntet, selbst gekocht.
Das Zeug, das in der Schüssel vor mir grünlich schimmert. Tabuthema Nummer Zwei. Unser Haus ist autonom. Wir sind autonom. Ach Fuck, die ganze Welt ist jetzt autonom. Wir haben die Kurve gekriegt, aber letztendlich nur, weil die Robs beschlossen, die Biege zu machen. Das ist das Thema, das meine Eltern vermeiden. Ich denk’ mir, sie leben in der Vorstellung, dass die Menschheit überlegen war. Ich denk’ mir, den Robs war es bei uns zu langweilig. Eines Tages waren sie weg. Na ja, nicht ganz. Sie haben ihren Abfall dagelassen. Gute Sachen, so viel ist klar. Leere Batterien, deren chemische Raffiniertheit zunächst Rätsel aufgab.
Sonnenkollektoren, deren mineralischer Aufbau jedes auf Silizium basierende Solarpanel zu einem Spiegel degradierte. Okay, jetzt kommt Mom mit ihrem Lieblingsthema dazu. Extraterrestrische Mineralien, die niemand auf dem Schirm hatte. Sie kann stundenlang darüber reden. Ich kaue das Rogan Joh Curry und schau durch die Kuppel auf unsere Felder, lass mich von dem beruhigenden Kreiseln der Windrotoren einlullen, während mir Mom von Startsequenzen und Abbaumethoden erzählt. Ich bin woanders. Eigentlich stecke ich gedanklich schon wieder in meinem immersiven Anzug und pauke Geschichte.
Diese Simulation ist so cool. Knowing India, Delhi Edition. Ein echter Geheimtipp.
Meine Freunde werden begeistert sein …
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Der Lehmboden unter meinem Körper ist mit Lagen bräunlicher Pappe ausgelegt. Ich weiß, dass darin teure Dinge verpackt waren. Die Stelle, auf der ich die Nacht verbracht habe, zeigt ein feuchtes Abbild meiner abgemagerten Gestalt. Es war eine gute Nacht. Die brütende Hitze des vergangenen Tages wurde von einem Vorläufer des drohenden Monsuns weggeweht. Über mir, wie das innere Dach des Shiva Mandir, sehe ich die Streben der Brücke. Es ist mein Schlafplatz, mein kleines Reich. Ich bin früh aufgewacht. Wie ein einsamer, knorriger Baum stehe ich inmitten schlafender Körper. Bald werden sich die Tore öffnen und die Körper werden sich, sorgsam am Rand des schlafenden Teppichs beginnend, in das Umland ergießen und alle werden das gleiche Ziel haben. Ich mag es nicht, über schlafende Menschen zu steigen. Daher warte ich, bis sich Namib erhebt, dessen Atem mir diese Nacht in den Nacken blies.
Neben den Ausgabestationen für Leichensäcke stehen einige gelbe Trucks. Gelb wie Hoffnung, auch die Lebensmittelrationen sind mit gelber Folie verschweißt. Die Robs erwarten keinen Dank. Ihnen ist es gleichgültig, ob ich lebe, oder Namib sich einige hundert Rupien verdient, indem er meine dürren Überreste in einem der schwarzen Leichensäcke abgibt. They Take Care For Us, in Gelb auf Schwarz, lese ich jeden Morgen auf einem Plakat, das nicht verrotten will. Da ist was dran. Sie sorgen für uns. Mir bleibt die Entscheidung, wie ich heute meinen Tag verbringe. Am Fluss Yamuna werden wie in alten Zeiten Leichen verbrannt. Ich mag die Gerüche von Weihrauch und knusprigem Fleisch. Selbst die Blumen sind dort noch echt. Es ist das Privileg der wenigen Auserwählten, nach den alten Bräuchen begraben zu werden. Kollaborateure, die den Robs die Türen öffneten. Sagt Namib, und der war früher Lehrer. Hat er in einer schlaflosen Nacht erwähnt. Ich beschließe, zur Mauer zu gehen, bevor die Mittagssonne mir die Kopfhaut verbrennt. In ihrem Schatten finde ich manchmal Dinge, die mich an mein anderes Leben erinnern. Entsorgt von glücklichen Menschen, so bilde ich es mir ein. In meinen Gedanken färbt dieses erkaufte Glück auf mich ab, kühlt meine verbrennende Existenz. Auf den umlagerten Bildschirmen am Rand der Shahdara Road sehe ich zwischen verstaubten Haarschöpfen den Wetterbericht. Es wird kühler werden und auch Regen wird wie ein Geschenk des Gottes Parjanya in Aussicht gestellt. Ich habe für heute genug erlebt und beschließe, zu gehen.
Die Kühle des Invasivraums dringt durch den Anzug, der meine Nerven mit Eindrücken versorgte. Ich zwänge mir den Helm vom Kopf, schüttle die Haare.
»Du bekommst auch gar nicht genug, Beeil dich, deine Mutter hat Rogan Joh Curry gemacht.« Ich brauche eine Sekunde, um die Stimme meinem Vater zuzuordnen.
»Wann beabsichtigt der junge Herr, etwas für die Schule zu tun?« Er musste das sagen, erkläre ich mir, so sind die Regeln, mit denen er seine Rolle als Vater verbindet.
»Noch nie was von Anschauungsunterricht gehört? So paukt man heutzutage Geschichte.« Ich trag’ voll auf, wiederhole Details zur Erderwärmung, zur Robokalypse, habe mir sogar die Straßennamen gemerkt. Er nickt zufrieden.
»Was jetzt mit Essen?« Nicht, dass ich mich groß drauf freue, auf das allabendliche Sit-in bei Reis und gebratenem Huhn. Es erfordert die Kunst der Vermeidung. Meine Tabuthemen sind anders als ihre. Mom erscheint, frisch abgenabelt von ihrer Arbeit. Tabuthema Nummer Eins. Koordinatorin für den automatisierten Abbau von Ressourcen, auf deren Vorhandensein uns erst die guten, alten Robs gebracht haben. Früher nannte man das einen Kumpel unter Tage. Heutzutage fliegen wir dafür zum Jupiter und plündern seine Asteroiden. Mein Dad, der seine laute Stimme nun mit seiner imposanten Erscheinung manifestiert, ist Biologe. Er nennt das so, weil er mit Pflanzen arbeitet. Unsere Pflanzen, selbst gezogen, selbst geerntet, selbst gekocht.
Das Zeug, das in der Schüssel vor mir grünlich schimmert. Tabuthema Nummer Zwei. Unser Haus ist autonom. Wir sind autonom. Ach Fuck, die ganze Welt ist jetzt autonom. Wir haben die Kurve gekriegt, aber letztendlich nur, weil die Robs beschlossen, die Biege zu machen. Das ist das Thema, das meine Eltern vermeiden. Ich denk’ mir, sie leben in der Vorstellung, dass die Menschheit überlegen war. Ich denk’ mir, den Robs war es bei uns zu langweilig. Eines Tages waren sie weg. Na ja, nicht ganz. Sie haben ihren Abfall dagelassen. Gute Sachen, so viel ist klar. Leere Batterien, deren chemische Raffiniertheit zunächst Rätsel aufgab.
Sonnenkollektoren, deren mineralischer Aufbau jedes auf Silizium basierende Solarpanel zu einem Spiegel degradierte. Okay, jetzt kommt Mom mit ihrem Lieblingsthema dazu. Extraterrestrische Mineralien, die niemand auf dem Schirm hatte. Sie kann stundenlang darüber reden. Ich kaue das Rogan Joh Curry und schau durch die Kuppel auf unsere Felder, lass mich von dem beruhigenden Kreiseln der Windrotoren einlullen, während mir Mom von Startsequenzen und Abbaumethoden erzählt. Ich bin woanders. Eigentlich stecke ich gedanklich schon wieder in meinem immersiven Anzug und pauke Geschichte.
Diese Simulation ist so cool. Knowing India, Delhi Edition. Ein echter Geheimtipp.
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