KONTAKTE - Fünfundzwanzig

Aufschreiber

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Tek'Enh war nun doch ein bisschen aufgeregt. Die beiden irdischen Passagiere waren wiederbelebt worden und bereiteten sich auf die Übernahme im Orbit des Mars vor.
Menschen. Schon als Larve hatte der Telonische Kapitän von ihnen geträumt. So verletzlich und scheinbar primitiv sie erschienen, überraschten sie doch immer wieder mit ihrer unbändigen Willenskraft und unfassbaren Fantasie. Schon allein die Fortschritte, die die Menschheit seit der ersten Begegnung, vor zweiundzwanzig Jahren, gemacht hatten, nötigten einem Respekt ab. Ohne jegliche Hilfe hatte die Sternenflotte die Antriebstechnik ihrer Raumschiffe von einer beinahe lächerlichen Verbrennungsmaschinerie bis zur heutigen Fusor-Impuls Technologie gebracht, ein Schritt, für den die Wissenschaftler der Teloni mehr als einhundertfünfzig Jahre benötigt hatten.
Sein ganzes Leben lang hatte Tek'Enh die Entwicklung der Menschheit verfolgt. Es war einfach faszinierend, mit welchem Elan und Einsatz aller Beteiligten die Forschung und Entwicklung dieser Spezies vorwärts raste. Schon waren die Grundlagen der Hyperraumnavigation entdeckt worden. Ein paar kleine Schritte noch, dann wären die Menschen würdige Kandidaten für die Aufnahme in die Reihen der großen raumfahrenden Spezies.

Er fuhr aus seinen Betrachtungen hoch, als Tak'Unh, der Navigator, die Brücke des Schiffes betrat.
"Alles bereit?", fragte der Kapitän.
"Alles klar, Käpt'n." Auch die menschliche Sprache hatte die Kultur der Teloni beeinflusst. Sie hatte eine gewisse ... Entspannung in den Umgangston der Insektoiden gebracht.
Viele Teloni hatten sich infolgedessen eine knappe, weniger förmliche Ausdrucksweise angewöhnt.
So sagte Tek'Enh nun:
"Dann bereite bitte alles vor! Übernahme ist um 27:00 Bordzeit."
Früher hätte er sich in Schnörkeln verloren, wie:
"Stelle innerhalb einer akzeptablen Zeitspanne die Bereitschaft aller benötigten Einrichtungen und Individuen her! Als Endpunkt dieser Zeitspanne lege ich 27:00 fest, was sich auf die Zeitmessung an Bord unseres Raumfahrzeugs bezieht."

Tak'Unh gestikulierte Verständnis und entfernte sich.

* * *

Jenny Farnton hatte die Anabiosebox verlassen. Sie fühlte sich frisch, energiegeladen, hellwach. Anh Singh-Carlstien war von ihrer "Erkundungstour", wie sie die Untersuchung des winzigen Raumers genannt hatte, zurückgekehrt und hatte eine kleine Mahlzeit synthetisiert, die die beiden Frauen nun gemeinsam verzehrten.
Jenny trank von ihrem heißen Caj und betrachtete über den Tassenrand hinweg die Gefährtin. Eigentlich wusste sie fast nichts über diese Frau. Sie war eines Tages im Zentrum aufgetaucht und fast übergangslos in einer eigens für sie eingerichteten Abteilung verschwunden. Die seltenen Begegnungen, irgendwo auf dem Flur hatten keine Gelegenheit geboten, sich in Small-Talk zu ergehen oder persönliche Informationen auszutauschen.
Und Jenny hatte das auch nie vermisst. Das Zentrum war für sie immer nur der Arbeitsplatz gewesen. Interessant, aber nicht ihr Lebensinhalt. Das eigentliche Leben spielte sich ... sie erschrak beinahe ein bisschen, als der Gedanke seinen Abschluss fand.
Es hatte kein anderes Dasein, kaum Sozialkontakte, keine Freizeitgestaltung gegeben. Ein anderes "Leben" hatte sie nicht gehabt.

Anh konnte die intensive Musterung durch ihr jüngeres Gegenüber fast körperlich spüren. Sie tat, was Asiaten immer taten; sie lächelte und nickte Jenny leicht zu. Komisch war es schon, dass sie nun hier gemeinsam saßen und dennoch eigentlich nichts vom jeweils Anderen wussten. Das, erkannte sie wieder einmal, war der entscheidende Nachteil der Anabiose. Es entfiel die Zeit, die man mit einander verbrachte. Gemeinsam gelöste Aufgaben und die Gruppenbildung, die so wichtig war, für die Integrität der Gemeinschaft, all das begann erst dann, wenn es eigentlich bereits auf das fehlerfreie Funktionieren eines eingespielten Teams ankam.
Wieder lächelte sie Jenny zu, der Fremden, mit der sie unter den Außerirdischen leben sollte.
"Weißt du", hob sie an, "Ich glaube, dass diese Anabiose, bis kurz vor der Ankunft, ein Fehler ist."
Die junge Frau stellte ihre Tasse beiseite und nickte.
"Interessant, dass du das sagst. Ich habe auch gerade darüber nachgedacht, dass ich dich ja eigentlich gar nicht kenne - und dass das ziemlich schade ist."

"Achtung! An alle Passagiere! Bitte legen sie die Raumanzüge an und begeben sie sich zur Schleuse. Übernahme erfolgt in T plus fünfzehn Minuten. Ich wiederhole ..."
Das war der Zentralrechner des Raumers. Die beiden Passagiere erhoben sich, recyleten ihr Geschirr und begaben sich dann zum Packraum, wo Skaphander und ihr Gepäck bereit standen.

"Ich denke, wir sind kein schlechtes Paar", grinste Anh, bevor sie den leichten Helm über ihren Kopf stülpte.
"Wir werden sehen", antwortete Jenny, sobald sie den Funkkontakt aktiviert hatte, "ich bin optimistisch."

* * *

"Weißt du was?", zischte Marika, als sie wieder einmal eine Fehlermeldung angezeigt bekam, "Verarschen kann ich mich selber!" Damian schaute von seiner Arbeit auf und blickte in das zornrote Gesicht seiner hübschen Kollegin.
"Weißt du was?", antwortete er gelassen, "Das tust du auch ziemlich häufig."
"Ach so? Sag mir doch, wer von uns ist vierundzwanzig und hat drei Doktortitel vorzuweisen? Und wer von uns ist zweiunddreißig und hat sein bisheriges Leben mit dem Basteln von ein paar netten Simulationen verspielt?"

Damian lachte laut auf.
"Auf diese Art wirst du nie, ich betone, niemals, auch nur die Anfangsgründe der - hör gut zu - Sozialkompetenz ..."
"Braucht kein Mensch!", unterbrach sie ihn, "Fachkompetenz bringt die Gesellschaft und den Einzelnen vorwärts."
"Siehst du", kicherte ihr Streitgegner, "und schon hast du es wieder getan."
"Was denn bitte?"
"Dich selbst verarscht. Du kannst dir ein ganzes Leben lang einreden, dass du mit deiner asozialen, ja sogar anti-sozialen Art erfolgreich sein kannst. Aber du wirst - und das immer wieder - einfach ... auf deiner niedlichen Nase landen."

Marika schnappte nach Luft. Ihr Gesicht färbte sich - zu Damians Erstaunen - noch eine Nuance dunkelroter.
"Und was denkst du, sollte ich unternehmen, um mich dem ... Pöbel ..."
"Ho ho ho! Langsam, junges Fräulein! Es ist ganz einfach. Was tust du denn beispielsweise nach der Arbeit?"
"Ich bilde mich weiter. Lese Artikel, entwickle neue Ideen."
"Und das alles ganz allein, im stillen Kämmerlein, ohne jeglichen Kontakt zu deinen Mitmenschen."
"Na klar. Die meisten würden eh nicht verstehen, wovon ich spreche."
"Dann habe ich eine Wette für dich. Ich behaupte, dass es dir gefallen wird, einmal aus der Wissenschaftswelt auszusteigen und einfach nur ... zu leben.
Mein Vorschlag ist, dass wir den nächsten Monat über gemeinsam am gesellschaftlichen Leben teilnehmen werden. Kino, Parties, Sport und Spiel. Und wenn du am Ende des Monats keinen Gefallen daran gefunden hast, sorge ich dafür, dass du ein eigenes Labor bekommst. Nur für dich allein.
Gewöhnst du dich aber daran, besorge ich dir eine Wohnung in meinem Komplex - und wir werden die Sozialkontakte fortsetzen."
"Warum sagst du nicht einfach, dass du mit mir schlafen willst?"
"Weil das nicht der Punkt ist. - Ich hätte nichts dagegen, aber das wäre kaum anders, als mit einer Prostituierten, die an meinem Leben ansonsten keinerlei Anteil hat. Das will ich nicht. Ich will beides, dir helfen und - den Rest."

"Ok", schnaufte Marika, "wenigstens bist du ehrlich. Das erkenne ich an und werde deshalb das Spielchen mitmachen. Ein Monat ..."
"Abgemacht. Hand drauf!", sagte Damian und hielt der jungen Frau seine Pranke hin.
Sie legte ihre schlanke Kinderhand hinein, die der Mann sanft aber kräftig drückte.
 



 
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