KONTAKTE - Vierundzwanzig

Aufschreiber

Mitglied
In der Kammer ertönte ein leiser Glockenton. Anschließend sprach eine sanfte Stimme: "Bitte erwachen Sie! Sie werden in Kürze ihr Ziel erreichen. Bitte lassen Sie die Augen noch geschlossen und versuchen Sie, Ihren Körper zu fühlen!"
Das Geräusch, gefolgt von der Ansage, wiederholte sich ständig.

Anh atmete gemessen: ein, aus, ein und aus ... Sie kannte die Prozedur nur zu gut. Während ihres Studiums auf dem Mars war sie häufig zwischen dem roten und dem blauen Planeten gependelt. Damals war die Reisezeit noch einige Tage länger gewesen. Die Warmluft, die in ihre Anabiosebox geblasen wurde, wirkte, gemeinsam mit der Infusion belebender Stoffe, wie eine Verjüngungskur. Folgte man den Anweisungen geduldig, war man bei der Ankunft des Schiffes frisch und energiegeladen, als sei man neu geboren worden.

Auch in Jennys Box war das Revitalisierungsprogramm angelaufen. Für sie war das jedoch vollkommen neu und auch deshalb ein bisschen erschreckend. Hinzu kam, dass sie ja den Start ... verpasst hatte. Sie lag in ihrer Box und versuchte, die Panik zu überwinden, die ihr den Nacken hinauf kroch.
War etwas schief gegangen? Wo befand sie sich? Hatte der Pr'akso doch die Oberhand behalten? War sie nun Handelsware, Sexspielzeug für die Saurier, die Krokodile ... wie immer man diese Wesen nennen mochte?
Nur mit Mühe unterdrückte sie den Wunsch, die Augen weit aufzureißen und sich aus dieser Enge zu befreien. Stattdessen zwang sie ihr Bewusstsein zur Rationalität. Was war das Letzte, das sie erlebt hatte?
Es dauerte eine Weile, bis vor ihrem geistigen Auge die Stunner schwingende Anh auftauchte, umringt von den Secs, den irdischen Raumhafen - Sicherheitsleuten. Und da, am Boden, ...
Sie atmete auf, was in ihren Lungen einen kleinen, ziehenden Schmerz auslöste. Also gut, sie war in Sicherheit und sollte am besten auf diese Stimme hören.
Deren Mitteilung hatte sich inzwischen verändert: "Atmen sie ruhig und bewusst! Wenn sie spüren, dass die Atmung sich stabilisiert, beginnen sie, hinter den geschlossenen Lidern die Augen zu bewegen! Nach oben, ... nach unten, ..."
Das Ganze erschien ein wenig grotesk, funktionierte aber, ließ man sich darauf ein, hervorragend. Immer sicherer wurde die Körperkontrolle und es breitete sich ein tiefes Wohlgefühl aus.

Als Jenny endlich die Lider aufklappte, sah sie direkt in Anhs Gesicht. Die Gefährtin lächelte ihr zu. "Guten Morgen, meine Liebe. Geht es dir gut?"
Die jüngere Frau versuchte, zu nicken. Das gelang ihr nur bedingt. Zu steif war die Nackenmuskulatur von der langen Bewegungslosigkeit.
"Alles in Ordnung", krächzte eine unbekannte Stimme, die eher einem Mann hätte gehören können.
"Lass dir Zeit!", beruhigte Anh, "Ich werde mich schon einmal ein bisschen umsehen."

Sie trat zurück und wandte sich einem der Terminals zu, während Jenny ihre Revitalisierungs-Routine wieder aufnahm.

* * *

Im Forschungszentrum der Sternenflotte herrschte Hektik. Der größte Teil der Mitarbeiter war mit der weiteren Analyse der Materialien beschäftigt, die Damian und Oove bereitgestellt hatten. Wie die Beiden immer wieder betonten, musste man jetzt tatsächlich das gesamte System einer Prüfung unterziehen, wollte man erkennen, an welcher Stelle die Störung ihren Anfang genommen hatte.
Ja, die Oberkommandierenden der Sternenflotte weigerten sich noch immer, von einem "Alien" oder "Außerirdischen" zu sprechen. Stattdessen beharrte man auf dem Terminus "Störung", der sich auch in den Medien - unverfänglich - verbreiten ließ. Und die hatten das Thema sehr schnell entdeckt, als der eben noch hochverdächtigte Kryptowski so übereilt rehabilitiert worden war.

Die Presseabteilung der Flotte war vollauf beschäftigt damit, die Reise der beiden Forscherinnen geheim zu halten. Dieser Aspekt der Angelegenheit war nichts für die Öffentlichkeit. Wenn man schon diesen Paparazzi entgegenkommen musste, dann würde der Informationsfluss natürlich uneingeschränkt der Kontrolle der irdischen Autoritäten unterliegen. Leaks würde es nicht geben, durfte es nicht ...

Oove Johansson war die Leitung der Untersuchungen im nanoelektronischen Bereich übertragen worden. Das entsprach zwar eher der Qualifikation seines Stellvertreters, Roger Verillieurs, aber es war nicht relevant, denn Johansson würde nichts untersuchen. Er würde die Verantwortung tragen und - die Lorbeeren für die Erfolge ernten. Diese Regelung hatte er ... ausgehandelt.

Damian Kryptowski war kein Verwaltungsmensch. Er hatte darauf bestanden, aktiv an den Forschungsprojekten beteiligt zu sein. Diese Bitte hatte man ihm, angesichts seines allseits anerkannten Geniestreiches, mit Freuden erfüllt. Daher saß er nun an seinem angestammten Arbeitsplatz und wühlte sich durch Schaltungen, Programmfragmente, Treiber-Spezifikationen, Steuerungsprotokolle.
Man hatte ihm Marika Veszigyi zur Seite gestellt, eine hochbegabte Informatikerin, die sich trotz ihrer nur vierundzwanzig Lebensjahre bereits einen Namen unter den Wissenschaftlern der Welt gemacht hatte. Sie hatte bereits während ihres Grundstudiums beachtliche Erkenntnisse zum Thema multidimensionaler Indizes gewonnen, die später in ihre Dissertation mündeten. Diese wiederum bildete heute die Basis für alle Forschung auf dem Gebiet der Hyperraumnavigation.

Die junge Frau war leider, wie viele der Hochbegabten, die von ihrer Jugend an bewundert und umworben wurden, von eher schwierigem Charakter. Es mangelte ihr vor allem an Geduld und Empathie, was die Zusammenarbeit mit den anderen Mitarbeitern beinahe unmöglich machte.
Nur Damian ließ sich von ihren Macken nicht beeindrucken. Vielmehr machte er sich einen Spaß daraus, ihr immer wieder Aufgaben zu stellen, die sie hart forderten. Mehr als einmal war sie bereits zerknirscht zu ihm gekommen und hatte gestanden, dass sie mit ihrem Latein am Ende sei. Der erfahrene Simultroniker zeigte sich in solchen Situationen distanziert, aber wohlwollend. Er erklärte und half, ohne seine Überlegenheit zu betonen.

Auf diese Weise wuchs zwischen den Beiden eine Vertrautheit, wie er sie in seinem Leben bisher nur mit Jenny erlebt hatte.
 
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Hallo Steffen,

Ja, die Oberkommandierenden der Sternenflotte weigerten sich noch immer, von einem "Alien" oder "Außerirdischen" kein Komma ... zu sprechen.

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 



 
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