Krâ und Agelstern

Felix

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Der beißende Geruch von Rauch und Feuer brannte in der Nase.
Erstaunt überhaupt noch etwas riechen zu können, öffnete Darius sein linkes Auge einen spaltbreit, jederzeit bereit die flammenden Abgründe der Totenwelt zu erblicken.
Stattdessen sah er in einen grauen Himmel, der von schwarzen Gewitterwolken verhangen war, die lediglich Sturm und Regen verkündeten. Diesen Umstand ignorierte Darius allerdings und nahm stattdessen einen tiefen Atemzug der nasskalten aber frischen Herbstlust.
Er war am Leben.
Zu seinem Leidwesen brachte das zurückerlangte Leben aber auch einige unangenehme Gefühle mit sich, wie den stechenden Schmerz in seinem linken Oberschenkel, der sich sofort einstellte, als Darius das Bein bewegen wollte.
Mit einem Fluchen zog er scharf die Luft ein, hielt sich das angeschlagene Bein und wagte einen Blick nach Rechts und Links.
Er war nicht in der Totenwelt, aber in einer von vielen Welten der Toten, denn was sich um ihn herum erstreckte waren die Leichen gefallener Soldaten in ihren zerschossenen Uniformen, die Kadaver ihrer Reittiere und die Trümmer ihrer Versorgungswagen.
Darius war ein lebender in einer toten Welt und sie hatten ihn zurückgelassen. Sie hatten ihn für tot gehalten und einfach auf dem Schlachtfeld zurückgelassen. Eine plötzliche Panik überkam ihn und er griff sich mit einer hastigen Bewegung an den Hals, nur um die Hand eine Sekunde später wieder beruhigt fallen zu lassen.
Die Leichenfledderer mussten ihn übersehen haben und hatten ihm nicht das Lederbeutelchen, das er um den Hals trug abgenommen.
Die Wunde an seinem Oberschenkel, die vermutlich durch eine Kugel verursacht worden war, schmerzte höllisch, doch Darius war schon zu lange Soldat, um diesen Umstand noch als quälend zu empfinden. Trotzdem brachte der Schmerz einen Schwall von Übelkeit mit sich und er musste einen Moment lang die Augen schließen, um gegen das ungute Gefühl anzukämpfen.
Noch einmal wanderte seine Hand zu der Lederschlaufe um seinen Hals, aber dieses Mal stach ihm etwas schmerzhaft in den Handrücken. Als Darius nun erschrocken auffuhr scheuchte er eine Krähe und eine Elster auf, die dreist um seinen scheinbar toten Körper herumgeschlichen waren.
„Verschwindet ihr dreckigen Biester“ knurrte er und zog den Langdolch aus seinem Gürtel, um die aufdringlichen Tiere zu verscheuchen. Doch beide Vögel flatterten immer wieder behände aus seiner Reichweite, nur um sich ihm schließlich wieder zu nähern und ihn neugierig zu beobachten.
„Verdammt, unzählige Tote liegen auf diesem Feld und ausgerechnet dem letzten Lebenden hier müsst ihr auf die Nerven gehen“ resigniert schob Darius den Dolch zurück in die Scheide und machte sich unter Schmerzen daran sich zu erheben.
„Oh entschuldige, aber es war so, dass du für uns na ja…besonders appetitlich aussahst“ sagte da plötzlich die Krähe und warf der Elster einen Seitenblick zu.
Diese nickte bestätigend.
„Ja, der Lederbeutel, den du um den Hals trägst hat mich neugierig gemacht und ich habe mich gefragt, welch goldener Schmuck sich darin verbergen mag. Und außerdem…“
„…außerdem sah dein Fleisch noch besonders rosig und zart aus. Nicht so starr und kalt wie das deiner Kameraden hier“ beendete die Krähe den Satz und warf einen abschätzigen Blick auf das Schlachtfeld.
Darius sackte zurück auf seinen Hosenboden, anscheinend war er zwar nicht tot, aber immerhin doch wahnsinnig.
„Was…“ begann er fassungslos, stellte aber im nächsten Moment fest, dass er überhaupt nicht wusste, was er hätte sagen sollen.
„Ach wie unhöflich von uns, dass wir uns noch nicht vorgestellt haben, obwohl wir dich schon fast bestehlen und verspeisen wollten. Mein Name ist Agelstern und das schwarze Federvieh dort heißt Krâ“ sagte die Elster und neigte den Kopf leicht, was wohl die Andeutung einer Verbeugung sein sollte.
„Aber es war auch nicht gerade nett von dir, uns einfach mit dem Dolch zu attackieren. Du hättest uns verletzen können“ protestierte Krâ pikiert und hüpfte auf Darius’ Bein.
„Ja genau, immerhin konnten wir ja nicht ahnen, dass du noch am Leben warst und wollten nur unsere Bedürfnisse stillen. Das kannst du uns nicht zum Vorwurf machen“ Agelsterns Augen überblickten das nahe Umfeld auf der Suche nach etwas Glitzerndem.
Inzwischen hatte Darius seine Fassung wieder gewonnen und sich sogar eine Frage zu recht gelegt.
„Was oder wer seid ihr und was wollt ihr noch von mir, jetzt, da ich ganz offensichtlich lebendig bin“ fragte er in seiner gewohnt barschen Art und schickte sich ein zweites Mal an aufzustehen.
„Es ist kaum zu übersehen, dass wir beide Vögel sind. Zugegeben, wir sind sprechende Vögel, aber noch immer Vögel. Die viel größere Frage ist: Wer bist du?“ fragte Agelstern, während er einem in der Nähe liegenden Toten den Ehering vom Finger zog.
Darius wusste nicht, was er denken oder sagen sollte. Scheinbar war er verrückt und damit endgültig ein Opfer des Krieges geworden. Machte es da noch einen Unterschied, ob er zwei Vögeln seinen Namen verriet oder nicht?
„Darius“ murmelte er, während er sich mit Hilfe seines Gewehres auf die Füße stemmte ohne dabei sein linkes Bein unnötig zu belasten.
„Soso, Darius der Soldat also. Und was hast du nun vor, da du unter die Lebenden zurückgekehrt bist, Darius?“ Krâ, der nun wieder auf dem Boden gelandet war, starrte ihn von unten herauf an.
„Du hast es eben gesagt, ich bin Soldat, also werde ich versuchen zu meiner Kompanie zurückzukehren“ Darius schulterte sein Gewehr, rückte die zerschlissene weiße Uniform einigermaßen zurecht und humpelte los. „Das heißt ich werde zu ihr zurückkehren, falls sie noch existiert. Keine Ahnung wer diese verdammte Schlacht überhaupt gewonnen hat“ fügte er hinzu, während sein Blick ein weiteres Mal über das Schlachtfeld wanderte, auf dem sich die Leichen der Königstreuen in ihren weißen Uniformen und die der Rebellen gleichermaßen stapelten.
Agelstern hatte den Ehering inzwischen wieder fallen gelassen und folgte zusammen mit Krâ dem verwundeten Soldaten, der immer wieder unter seinem verletzten Bein zusammenzubrechen drohte.
Schnell hatten sie ihn wieder eingeholt, schlugen ein paar Mal mit den Flügeln und ließen sich jeweils auf einer von Darius’ Schultern nieder.
„Ich verstehe, du willst also den großen Helden spielen, der letztendlich doch für König und Vaterland sein Leben lässt“ spöttelte Agelstern und beäugte neugierig die vergoldeten Knöpfe an der Uniform.
„Du musst wirklich verrückt sein. Sie halten dich für tot, du könntest dich auf und davon machen und ein neues Leben beginnen, fernab von diesem Krieg mit all seinen Toten. Stattdessen rennst du deinem Verderben hinterher, damit du es wieder glücklich in die Arme schließen kannst“ krächzte Krâ und pickte auf Darius’ Kopf herum, als wolle er prüfen, ob sich im Inneren überhaupt ein Gehirn befindet.
Der Soldat fegte seinen Schnabel mit einer heftigen Handbewegung weg und warf der Krähe einen bösen Blick zu.
„Was soll ich denn machen? Der Krieg verzehrt, aber er ernährt auch nun einmal. Er hat mir vor Jahren schon meinen Sohn genommen, aber nur als Soldat kann ich das Geld verdienen, um überhaupt zu überleben. Eigentlich müsstet ihr Aasgeier das doch verstehen, keiner lebt besser vom Krieg als ihr beide.“
Kurze Zeit herrschte beleidigtes Schweigen und Darius hatte das Gefühl, dass sich die beiden Vögel hinter seinem Rücken Blicke zuwarfen. Schließlich sagte Agelstern:
„Du sollst wissen, dass wir deinen Kommentar als äußerst beleidigend empfinden. Schon allein uns als Aasgeier zu bezeichnen kränkt uns in unserer Würde. Wir haben ein viel schöneres Gefieder und sind auch wesentlich klüger. Du hast dich wohl noch nie gefragt, warum wir sprechen können, was?“
„Nein, habe ich nicht. Ich muss durchgedreht sein, das ist alles.“
„Nun eigentlich liegt es daran, dass wir ziemlich kluge Tiere sind, wie eigentlich alle Krähen und Elstern. Aber wir haben unsere Sprachkenntnisse wohl auch Malvander zu verdanken, er hat uns das sprechen beigebracht“ ergänzte Krâ seinen Gefährten.
Darius seufzte lediglich und fuhr sich durch das zerzauste braune Haar, das bereits an einigen Stellen ergraute. Seit dreißig Jahren diente er in der Armee des Königs, man würde wohl sagen er war ein Veteran, doch dies hier erlebte er mit seinen ungefähr fünfundvierzig Jahren zum ersten Mal.
Eine Weile herrschte Schweigen und Darius konzentrierte sich komplett darauf humpelnd über das Schlachtfeld zu irren und schließlich den Spuren eines Armeetrosses zu folgen, welchem das wusste er nicht, die er schließlich entdeckt hatte. Er musste dringend in das nächste Dorf gelangen, um Informationen über den Ausgang der Schlacht und den Aufenthalt seiner Kompanie zu erlangen.
Der Gedanke, dass er den ganzen Weg mit diesen beiden Vögeln zurücklegen sollte, ließ ihn dabei innerlich aufschreien.
„Warum lasst ihr mich eigentlich noch immer nicht in Ruhe?“ zischte er ungehalten und griff nach der Feldflasche an seinem Gürtel aus der er einen kräftigen Schluck nahm. Der Schnaps lief warm und tröstend seine Kehle herunter und lies ihn für einen Moment die Schmerzen in seinem Oberschenkel vergessen.
„Sieh an, der Schweigsame hat seine Zunge doch nicht verschluckt, ich bin erleichtert“ Agelsterns Stimme troff vor Sarkasmus.
„Um ehrlich zu sein brauchen wir dich, um Malvander zu finden. Er…hat uns verloren“ erklärte Krâ und Darius meinte einen Anflug von Scham in der Stimme der Krähe zu vernehmen.
„Wenn ihr ihn genauso behandelt habt wie mich ist es kein Wunder, dass er euch vergessen hat. Gerade eben wolltest du mich noch fressen und du wolltest meine kostbarsten Gegenstände stehlen und jetzt soll ich euch helfen diesen Malvander zu finden. Wer ist er überhaupt?“ eigentlich hatte Darius es überhaupt nicht wissen wollen, doch diese Frage war ihm dann doch herausgerutscht.
Er war sich nur nicht sicher, ob er auch die Antwort hören wollte.
„Malvander? Na Malvander ist der Direktor des größten Zirkus der Welt! Und wir beide sind seine geliebten Begleiter, die ihm immer mit Rat und Tat zur Seite stehen“ verkündete Agelstern stolz und reckte den Schnabel gen Himmel.
Darius musste einen Moment stehen bleiben und sich an einen toten Baum lehnen, der wie ein knorriger Finger aus dem Schlachtfeld heraus ragte. Die Schmerzen waren einfach zu groß.
„Des größten Zirkus der Welt?“ fragte er ungläubig und warf der Elster einen genervten Seitenblick zu. Seit Ausbruch der großen Rebellion und des Krieges vor zehn Jahren waren keine Schausteller und kein Zirkus mehr durch die Lande des Königreiches gezogen.
„Agelstern meint den Seelenzirkus, den Karneval der toten Seelen“ erklärte ihm Krâ, als spräche er mit einem Idioten, stutzte dann aber einen Moment.
„Aber du kannst den Zirkus ja gar nicht kennen, denn du bist ja nicht tot“ berichtigte er sich etwas nachdenklicher.
„In der Tat, aber in Anbetracht der Tatsache, dass mir zwei sprechende Vögel eine Geschichte über einen Zirkus erzählen, der nur von Toten gesehen werden kann, würde ich nun lieber sterben“ grunzte Darius und nahm noch einen weiteren Schluck aus seiner Feldflasche, bevor er sich von dem Baumgerippe abstieß und weiter humpelte.
Im nächsten Moment schrie er gequält auf, als ihm Krâ schmerzhaft auf den Kopf pickte.
„Rede nicht so abschätzig über den Seelenzirkus! Damit beleidigst du nicht nur die Toten, sondern auch unseren Herren Malvander“ empörte sich die Krähe und nahm mit stiller Befriedigung Darius’ Schmerzen zur Kenntnis.
„Seit die Menschen durch Krieg, Elend und Seuchen sterben gibt es den Seelenzirkus. Es ist ein großer Karneval mit Zelten, Karussellen und Schaustellern, die die verstorbenen ins Jenseits begleiten sollen. Und jedes Mal werden einige der verstorbenen Kinder auserwählt, um im Zirkus aufgezogen und ausgebildet zu werden. Auch die Schausteller des Zirkus sind Geister der Verstorbenen“ fuhr Krâ in schwärmerischem Tonfall fort.
„Ach Krâ du siehst doch, dass der tapfere Soldat ein Ignorant ist. Für ihn zählen nur der König und sein eigenes Überleben, etwas darüber hinaus existiert nicht“ Agelsterns Kehle entwich ein gedämpftes Krächzen, was wohl soviel wie ein Kichern sein sollte.
Darius warf den beiden Vögeln böse Seitenblicke zu, verzichtete aber auf eine weitere scharfe Bemerkung.
„Und euer Herr Malvander ist also der Direktor dieses Zirkus und ihr seine Haustiere?“
„Wir bevorzugen den Begriff treue Begleiter“, korrigierte ihn Agelstern, „nur Hunde und Katzen sind Haustiere. Wir sind etwas zu…klug für diese Bezeichnung.“
Krâ nickte und plusterte sich auf, um diese Worte zu unterstreichen.
„Aber ihr seid lebendig, wie könnt ihr die ach so treuen Begleiter eines Geistes sein?“ Darius zog die Stirn in Falten, dieses Gespräch, ja die gesamte Situation, wurde immer skurriler.
„Niemand hat gesagt, dass Malvander ein Geist ist.“
Darius Kopf ruckte schlagartig in Krâs Richtung.
„Dieser Mann lebt? Ich meine, er ist kein Toter?“
„Nein, Malvander ist etwas besonderes. Auch er hat bereits ein Mal die Welt der Toten und den Seelenzirkus erblickt, er war Soldat genau wie du, aber eine alte Hexe hat ihn wieder ins Leben zurückgeholt. Trotzdem konnte er weiterhin mit den Toten Kontakt aufnehmen, anscheinend ist ein Teil von ihm bei der Wiederbelebung im Jenseits geblieben, und seitdem wandelt er zwischen den beiden Welten. Er ist das Bindeglied, etwas Besonderes, deswegen ist er ja auch der Direktor“ Krâ sprach, als wolle er einem besonders dummen Schüler einen an und für sich leichten Sachverhalt erklären.
Wieder blieb Darius einen Moment stehen, um sich hinzuknien und sein verletztes Bein auszuruhen. Inzwischen hatte er die Ausläufer des Schlachtfeldes und die Reste eines Feldlagers erreicht. Hier lagen keine Leichen mehr, sondern nur noch zurückgelassene Karren und Zelte, teils intakt und teils zerstört. Er schloss für einen Moment die Augen, um seine Gedanken zu sammeln. Für seinen Geschmack hatte er bereits zu viel über Hexen, Geister und die Totenwelt von zwei sprechenden Vögeln gehört, als gesund für jeden menschlichen Verstand sein konnte.
Eilig nahm er noch einen großen Schluck Schnaps aus seiner Feldflasche und bemerkte, wie sich der drohende Aufruhr in seinem Inneren schlagartig linderte.
Mit einem Seufzen verschloss er die Flasche und richtete sich auf.
„Also gut, ich habe zwei Möglichkeiten“, sagte er ächzend, während er sich zwischen zwei zerschossenen Palisadenzäunen hindurchzwängte, „auf der einen Seite habe ich Hunger, ich könnte euch jetzt töten und anschließend verspeisen. Ich habe keine Ahnung, wie Elstern- und Krähenfleisch schmeckt, aber immerhin hattest du ja auch keine Skrupel mich zu verspeisen“ mit einem wölfischen Grinsen betrachtete er Krâ.
Als die Krähe daraufhin erschrocken krächzte und sich von seiner Schulter mehrere Meter in die Luft erhob, fing Darius an zu lachen und fuhr fort:
„Oder ich ergebe mich meinem Wahnsinn und trage euch Plagegeister mit mir rum, bis ich zur Armee zurückgefunden habe. Den restlichen Weg zu Malvander könnt ihr getrost alleine finden, ich glaube nicht an diesen ganzen Hexenkram und werde euch bestimmt nicht in irgendwelche Gefilde der Toten folgen.“
Einen kurzen Moment herrschte wieder herrliche Stille, in der sogar einmal die beiden Vögel schwiegen, um ihre Möglichkeiten zu überdenken. Schließlich schienen sie sich entschlossen zu haben und Agelstern sagte:
„Also gut, suche doch deinen König und deine Armee, das kann uns nur recht sein. Wo die Armee ist, da ist der Krieg und wo der Krieg ist sind die Toten und dort werden auch Malvander und der Zirkus sein.“
„Ihr könnt sie also sehen, die Toten und den Zirkus, obwohl ihr selber unter den Lebenden seid?“
„Allerdings, wie Katzen auch können wir die Toten sehen und in unserem Fall auch Kontakt mit ihnen aufnehmen. Glaub mir, das gemeine Volk hält uns nicht umsonst für Weise“ Krâ ließ sich wieder behutsam auf Darius’ linker Schulter nieder, wobei er den gewaltbereiten Soldaten nicht aus den Augen ließ.
„Für einen vom Krieg gezeichneten Mann, der nicht an alte Ammenmärchen glaubt stellst du uns doch ziemlich viele Fragen über den Seelenzirkus“ stellte Agelstern vergnügt fest.
Darius betrachtete das weite grüne Weideland zu seinen Füßen, das nun nicht mehr von Toten, Fuhrwerken und Zelten niedergedrückt wurde, durch das sich aber trotzdem deutlich die Spur eines einzigen großen Trosses schlängelte, die in Richtung Norden führte.
Sein Gewehr als Gehstock benutzend folgte Darius nun dieser Spur und ließ das Totenfeld hinter sich, von dem das Krächzen weiterer Krähen und der beißende Geruch von Verwesung herüberwehten.
„Ich befürchte der Schnaps wirkt schneller als selbst mir lieb sein kann, aber irgendwie muss ich euch ja nun ertragen. Und wo wir gerade davon reden: Zuerst sollten wir eine Taverne aufsuchen, denn meine Feldflasche ist fast leer, aber trotzdem kann ich mich noch auf den Beinen halten. Das müssen wir ändern.“

„Also ich glaube nicht, dass wir hier eine Taverne finden, die deinen Wünschen entgegen kommen könnte.“
Agelstern hatte sich auf einem ausgebrannten Dachfirst niedergelassen, von wo aus er das gesamte Dorf, oder das was davon noch übrig war, überblicken konnte.
Das Bild, das sich ihm bot, war allerdings erschreckend: Eingestürzte Dächer, ausgebrannte Häuser und rußgeschwärzte Mauern waren alles, was Darius entdecken konnte während er die einzige Straße des Dorfes entlang stapfte.
Schon von weitem hatten sie bereits die Rauchwolken wie riesige graue Säulen in den Himmel steigen sehen, hatten aber trotzdem, oder gerade deswegen, den Weg hierher eingeschlagen.
Nur gespenstische Stille hatte sie in dem Weiler willkommen geheißen und tatsächlich hatte Darius bis jetzt noch keinen einzigen Dorfbewohner lebend oder tot erblickt.
Obwohl keine Gefahr zu erkennen war hielt er sein Gewehr mit dem aufgepflanzten Bajonett fest umklammert und schaute vorsichtig in jedes ausgebrannte Haus, jederzeit darauf vorbereitet eine grausame Überraschung zu erleben.
Kurz zuckte Darius zusammen, als hinter ihm der Dachfirst, auf dem Agelstern gesessen hatte, krachend in sich zusammenbrach und die Elster sich mit einigen schnellen Flügelschlägen in Sicherheit bringen musste.
„Wer könnte das hier getan haben?“ rätselte Darius laut, doch geschah dies vielmehr aus reiner Neugierde als aus irgendwelchem Abscheu. Solche Anblicke hatten sich ihm in den letzten Jahren schon zu oft geboten.
Mit einem Krächzen ließ sich Krâ auf seiner linken Schulter nieder und schluckte im selben Moment etwas herunter.
Darius ahnte es bereits, bevor die Krähe es ausgesprochen hatte:
„Kein Wunder, dass du hier auf keinen einzigen Toten triffst. Du solltest dir einmal den Dorfplatz ansehen, dann findest du die Bevölkerung. Einige sind in keinem guten Zustand mehr…aber sie sind noch frisch und köstlich.“
Darius warf Krâ einen verächtlichen Blick zu und verscheuchte ihn von seiner Schulter. Er war nicht besonders entsetzt über den Mord an den Dorfbewohnern, auch wenn er selber stets nur geplündert und nie vergewaltigt und gemordet hatte, aber Krâs Festmahl widerte ihn an.
Bald schon wehte ihm der kühle Herbstwind den süßen Duft der Verwesung entgegen und kam damit wie ein Vorbote, der die Worte der Krähe beglaubigte.
Als Darius den kleinen runden Platz betrat bot sich ihm das Bild des Krieges in seiner gesamten Intensität:
Man hatte die gemordete Bevölkerung unter der Dorfeiche auf einen Haufen gestapelt, deren herunterfallende Blätter die Toten wie ein natürliches Leichentuch zu bedecken begannen. Nur fünf Männer und Frauen, das erkannte Darius erst auf den zweiten Blick, hatte man an den Ästen des bereits fast kahlen Baumes aufgeknüpft.
Auch sie wurden bereits ein Opfer der Aasvögel, während ihre schlaffen Körper wie stumme Glocken hin und her baumelten.
„Was für ein Massaker, es scheint ich folge Tod und Verderben auf ihren Spuren und komme immer an, wenn ihr Werk bereits getan ist“ Darius blieb vor dem Leichenberg stehen und versuchte in den Gesichtern zu lesen, in denen er aber nur Schrecken und Panik erkennen konnte.
„Dafür seiest du gepriesen“, erschallte Agelsterns Stimme aus dem Astwerk der Eiche, „Krâ und Ich hatten schon befürchtet, dass du uns niemals zu solch ausreichender Beute führen würdest, wie es Malvander stets getan hat, aber ihr Soldaten rennt dem Elend ja nur so hinterher.“
„Ihr könnt selbst dem Schrecklichsten etwas Gutes abgewinnen, nicht wahr?“
„Aber mitnichten, Krâ und Ich sind keine grenzenlosen Optimisten, aber das hier ist für uns eher…nun ja…ertragreich als grausam. Ihr Menschen würdet hundert tote Vögel auch nicht mit Entsetzen betrachten.“
Darauf fiel Darius keine Entgegnung ein und so wandte er seinen Blick wieder dem Leichenberg zu, um nach möglichen Überlebenden zu suchen. Ein fruchtloses Unterfangen, wie er selber wusste.
„Suchst du wen? Die sind aber alle…alle tot.“
Darius schreckte zurück, für einen Moment hatte er gedacht einer der Toten habe zu ihm gesprochen.
Tatsächlich war dies aber weder die Stimme eines Toten, noch die von Krâ oder Agelstern, sondern die Stimme eines Mädchens. Eines Kindes.
Als Darius sich verwundert umdrehte stand sie einfach da, in der Nähe eines zerstörten Hauses.
Ihre Kleidung war grob und ärmlich, ihr zotteliges Haar so dunkel wie ihr vom Ruß und Feuer geschwärztes Gesicht. Er schätzte sie auf sechs oder sieben Jahre.
Das Mädchen betrachtete ihn schüchtern aus dem Schutze der Ruine heraus und schien nicht ganz zu wissen, ob sie wegrennen oder bleiben sollte. Dass sie ihn angesprochen hatte war schon eine mutige Leistung sondergleichen gewesen.
„Ja…ja ich weiß, dass sie alle tot sind“ antwortete Darius und machte einige vorsichtige Schritte auf sie zu, „bist…bist du die einzige Überlebende?“
Das Mädchen nickte schüchtern, machte aber ebenfalls einige ängstliche Schritte zurück, als der heruntergekommene Soldat auf sie zukam.
„Wirst du mich auch töten?“ sie warf einen ängstlichen Blick auf seine Uniform, deren einstmals helles Weiß unter all dem Dreck und Blut kaum mehr zu erkennen war.
Auch Darius tat einen Blick an sich herunter und verstand plötzlich die Angst des Mädchens. Es war nicht nur die Angst eines Kindes vor einem Fremden, sondern die Angst vor einem Mann, der Ähnlichkeit mit den Soldaten hatte, die ihre Eltern und die Dorfbewohner töteten.
Es waren also die Männer des Königs gewesen.
Das bedeutete auf der einen Seite, dass er sich auf der richtigen Fährte befand, auf der anderen Seite aber auch, dass in dieser Gegend viele Leute lebten, die wahrscheinlich nichts lieber täten als einen Soldaten in der Uniform des Königs am nächsten Baum aufzuknüpfen.
Er musste sich vorsehen.
Inzwischen hatten auch Krâ und Agelstern ihre Beute ihren kreischenden und krächzenden Artgenossen überlassen und ließen sich neugierig auf Darius’ Schultern nieder.
Das Mädchen schreckte unter den bohrenden Blicken der Vögel noch weiter zurück, was von Darius nicht unbemerkt blieb.
„Nein ich habe nicht vor dich zu töten, ich bin nur auf der…auf der Reise“ sagte er so freundlich wie es ihm möglich war und brachte sogar ein knappes Lächeln zustande.
Noch immer betrachtete das Mädchen ihn misstrauisch, doch zeigte ihr Blick nun auch eine gewisse Neugierde.
„Wie heißt du mein Kind?“ fragte nun Agelstern, der einen erstaunlich sanften und freundlichen Ton anschlug.
„Salysa“ das Mädchen zeigte bei ihrer Antwort keinerlei Überraschung über die Sprachfertigkeit der Elster. Ja, sie schien in keiner Weise verwundert zu sein.
„Salysa also“, Krâ beobachtete sie mit schief gelegtem Kopf, „du bist ein sehr tapferes Mädchen Salysa. Sag, liegen deine Eltern auch unter diesen Toten?“
„Nein, die Männer, die zu uns ins Dorf gekommen sind haben Mama und Papa dort bei der Eiche aufgehängt. Sie…sie haben sie beschimpft und so etwas.“
Bei der Erinnerung an ihre Eltern hatte Salysa wieder mit den Tränen zu kämpfen und plötzlich stapfte das Mädchen vorbei an Darius und den Vögeln zur alten Dorfeiche und schaute zu zwei der gehängten Leichen auf.
Die mühsam unterdrückten Tränen flossen nun wieder ungehindert.
„Das haben deine Kameraden angerichtet Darius und du willst zu ihnen zurückkehren. Du treuer Mann des Königs“ Krâs Stimme war ausdruckslos, doch verstand Darius die Botschaft sehr wohl.
„Sei ruhig, läge ihr Körper kalt und starr unter den anderen hättest du ihr schon längst die Augen ausgepickt. Also hör auf über mich zu richten.“
„Und was machen wir nun mit ihr? Sie wird verhungern, wenn wir sie hier zurücklassen, der Winter wird bald kommen“ sagte Agelstern.
Darius schnaubte.
„Gar nichts werden wir mit ihr machen. Sie hat ihre Eltern verloren, aber da ist sie lange nicht die einzige. Was wollt ihr tun? Allen Opfern dieses Krieges helfen? Euer Malvander tut das vielleicht im Jenseits, aber ich werde es nicht hier tun.“
Verärgert leerte Darius in drei Schlücken seine Feldflasche, doch dieses Mal konnte ihn auch der Schnaps nicht milder stimmen. Auch er hatte sein Entsetzen über diesen Anblick noch nicht ganz abstreifen können, doch unterdrückte er es gut.
Wieso war er auf diesem Schlachtfeld überhaupt wieder zu sich gekommen? Inzwischen fing er an diesen Wink des Schicksals zu hassen.
Krâ und Agelstern hockten inzwischen auf einem Ast über Salysa und den Toten und schienen mit dem Mädchen zu reden.
Darius hatte die Möglichkeit sie einfach alle drei hinter sich zu lassen und zu gehen. Sollten sie doch zusehen, wie sie über den Winter kamen, er jedenfalls würde nur überleben, wenn er zur Truppe zurückfand.
Er hatte schon ein paar Schritte in Richtung Dorfausgang gemacht, als er laut fluchend seine leere Feldflasche auf den Weg warf und zurück zur Dorfeiche stapfte.

„Ich möchte Abran wieder sehen“ verkündete Salysa ernst.
„Sicher, aber dabei können wir dir nicht helfen Kind“ antwortete Agelstern bedauernd und scharrte mit einem Fuß über die Baumrinde.
Darius blieb in einigen Metern Entfernung stehen und lauschte dem Gespräch.
„Aber wenn es stimmt was ihr sagt, dann seid ihr die Vögel des Herrn Malvander. Redet mit ihm und sagt, dass er Abran zu mir zurück schicken soll, ich vermisse ihn.“
„Abran ist tot und was tot ist kann nicht mehr zurückkehren. Aber vielleicht tröstet es dich zu hören, dass er bestimmt seinen Platz in Malvanders Zirkus gefunden hat“ versuchte Krâ das Mädchen zu trösten.
Salysa straffte sich, schluckte erneut ihre Tränen herunter und sah die beiden Vögel ernst an.
„Dann will ich sterben, um zu ihm zu gelangen“ sagte sie in kindlichem Trotz und schob die Unterlippe nach vorne.
„Aber…“ begann Krâ verzweifelt.
„Der Soldat da hat ein Gewehr, er kann mich erschießen.“
„Dieser Soldat wird das aber nicht tun“ aufgebracht packte Darius Salysa am Handgelenk und zog sie mit Kraft von der Eiche weg. Erst als das Mädchen vor Schmerz aufkreischte, ließ er sie wieder los.
Grund für seine heftige Reaktion war seine Überraschung über solch bittere Worte aus dem Mund eines Kindes. Dies schockierte ihn viel mehr als jeder tote Säugling den er je gesehen hatte.
Salysa warf ihm einen wütenden Blick zu, rieb sich schluchzend das Handgelenk und flüchtete zurück zur Eiche und zum vermeintlichen Schutz ihrer toten Eltern und der beiden Vögel.
Nun schwieg Darius betreten, während ihm Krâ und Agelstern erstaunlich verständnisvolle Blicke zuwarfen.
Auch sie waren von Salysas Worten überrascht.
Plötzlich ertönte dumpfes Donnern in der ferne und als Darius den Blick hob erkannte er, dass sich der Himmel weiter verdüstert hatte. Die Wolken waren nun fast pechschwarz und bis zum bersten gefüllt.
Kurz darauf erhellte ein erster Blitz krachend den Horizont.
Darius runzelte besorgt die Stirn und prompt landete der erste Regentropfen einen genauen Treffer auf seine Stirn.
In wenigen Momenten wurden aus einem Tropfen Tausende, die unter lautem Prasseln auf Menschen und Häuser und auf die Erde nieder gingen und diese in kürzester Zeit durchweichten.
Besorgt musterte auch Agelstern das Firmament. Wieder donnerte es, wieder leckte ein Blitz über den Erdboden.
„Ich glaube nicht, dass dieser Baum gerade der beste Aufenthaltsort für uns ist. Wir sollten wenigstens ein Dach finden, das noch nicht komplett eingestürzt ist.“
„Ich kenne ein Haus in dem wir uns vor dem Gewitter verstecken können“ verriet Salysa ihnen und stapfte sogleich voraus. Die anderen folgten ihr bis zu einem Gebäude, das zwar ebenfalls ausgebrannt war, dessen Dach aber nur zur Hälfte fehlte.
Durchnässt retteten sie sich ins Innere und als sich Darius auf einem morschen alten Schemel niederließ, merkte er erst wie müde er eigentlich war.

Dennoch konnte er keinen richtigen Schlaf finden, Wind und Donner peitschten durch die angebrochene Nacht und rissen ihn immer wieder aus seinen Wanderungen zwischen Traum und Realität.
Also richtete er sich von seinem spartanischen Strohlager auf, pickte einige lästige Halme aus seinen Haaren und betrachtete aus dem halbwegs trockenen Unterstand heraus die Toten. Dies mochte makaber sein, aber es gab ihm immer wieder die Gewissheit, dass er selber noch lebte.
Manchmal erfüllte ihn diese Erkenntnis mit Erleichterung, häufig aber auch mit Verbitterung.
In dieser Nacht war sich Darius seiner Gemütslage nicht ganz bewusst, lagen seine Gedanken doch sowieso ganz woanders.
Er hasste diese einsamen Momente, in denen die Welt ihn seinen Gedanken und Erinnerungen überließ und es nichts gab, das ihn davon hätte ablenken können.
Wir sehr er sich nun nach seiner Feldflasche sehnte.
Wieder einmal wanderte seine Hand unsicher zu dem kleinen Lederbeutel, den er an einem Band um den Hals trug und umfasste diesen, nur um sicher zu stellen, dass sein Inhalt noch vorhanden war.
Natürlich war er noch vorhanden, denn er würde Darius genauso lange verfolgen, wie die Erinnerungen an das Ereignis, die damit zusammenhingen.
Die Erlösung von seinen düsteren Gedanken kam in Form von Agelstern, der unbemerkt an Darius’ Seite gehüpft war.
„Du scheinst deine trüben Gedanken sehr zu mögen, hängst richtig an ihnen was?“
„Verschwinde und schlaf einfach weiter, verdammt.“
Darius’ Feindseligkeit übergehend warf ihm die Elster einen Gegenstand vor die Füße, der beim Aufprall leise klimperte. Da der Mond von den massiven Wolkengebirgen komplett verdeckt wurde und die stockfinstere Nacht nur zwischendurch von einem Blitz erhellt wurde, musste Darius das Etwas nahe an seine Augen führen, um überhaupt etwas zu erkennen.
Es handelte sich um zwei aufwendig geschnitzte Schlüssel mit einem äußerst komplizierten und geschwungenen Bart, die an einer kleinen Kette hingen.
Darius wusste sofort, was diese Schlüssel bedeuteten, er hatte sie schon oft genug bei toten Rebellen gesehen.
„Wo hast du die gefunden?“ fragte er geistesabwesend und wiegte die Schlüssel in der rechten Hand.
„Ich habe sie bei den toten Eltern des Mädchens entdeckt, als ich ihre Leichen nach Wertsachen durchstöbert habe. Ihr Vater hatte sie in der Innentasche seiner Weste versteckt.“
„Das scheint ihnen auch nicht mehr geholfen zu haben“ lachte Darius bitter auf.
Anscheinend hatte man Salysas Eltern und die drei anderen Dorfbewohner gehängt, weil sie als Mitglieder der Rebellion erkannt worden waren. Sie sollten noch lange als abschreckendes Exempel an der Eiche hängen.
„Ihre Eltern haben also dem Widerstand geholfen, ob Salysa wohl etwas davon weiß?“ Agelstern war auf Darius Arm geflattert und beäugte die Schlüssel interessiert.
„Wohl kaum, sie und ihr Bruder werden davon nichts erfahren haben. Trotzdem hat sie als einzige überlebt.“
„Wir sollten sie mitnehmen und irgendwo hin bringen, wo sie sicher ist und vielleicht arbeiten kann. Krâ und Ich kennen da eine kleine Taverne, abseits des Kriegsgeschehens, wo sie bestimmt aufgenommen wird.“
„Ich habe das Gefühl, dass mir bald eine ganze Horde von Tieren und Kindern hinterherlaufen wird, wenn ich so weiter mache. Ich habe selber nichts zu fressen und muss euch allen plötzlich helfen“ fluchte Darius, fügte dann aber plötzlich in etwas milderem Ton fort:
„Aber na gut, wir nehmen sie mit und bringen sie zu dieser Taverne. Hauptsache ich kriege dort auch was zu trinken.“
Agelstern krächzte zufrieden und sprang von Darius’ Arm herunter.
„Oh ja, mach dir nur keine Sorgen mein durstiger Freund, du bekommst was zu trinken.“
Darius warf der Elster einen verdrießlichen Blick hinterher, während diese zu ihrem Heuballen zurückhüpfte.
Die Schlüssel wanderten fast unbewusst in die kleine Tasche an seinem Gürtel.

Es hatte noch immer nicht aufgehört zu regnen.
Inzwischen war ein neuer Herbsttag trübe und kalt angebrochen und Darius wurde aus seinem unruhigen Schlaf, in den er schließlich doch noch gefallen war, vom unbändigen Wind geweckt, der pfeifend durch Häuser und Baumwipfel fuhr.
Immerhin hatte sich das Gewitter gelegt und der Himmel präsentierte sich nun in einem trüben Blau und von grauen Regenwolken verhangen, die keinen Sonnenschein zuließen.
Darius war sich nicht einmal so sicher, ob er wirklich von dem erbarmungslosen Wind geweckt worden war, oder eher von seinem Magen, der in diesem Moment besonders laut und protestierend rumorte.
Die Anstrengungen des letzten Tages hatten ihn vergessen lassen, wie lange er schon keine Nahrung mehr zu sich genommen hatte. Fluchend stemmte er sich auf die Beine, sein linker Oberschenkel schmerzte unerträglich, und stapfte hinaus in den diesigen Tag.
Unweigerlich zog er seine Uniformjacke enger um sich, als die klamme Kälte sofort in seine Knochen drang und ihn am ganzen Körper frieren ließ.
In solchen Momenten wünschte sich Darius immer wenigstens Erinnerungen an glückliche Tage vor einem warmen Kamin zu besitzen, doch selbst dies blieb ihm verwehrt.
Noch immer leise über sich, sein Leben und die Welt im Allgemeinen fluchend entdeckte er durch den morgendlichen Dunst hindurch Krâ, der sich bereits wieder zusammen mit seinen Artgenossen zum Frühstück an den Toten gütlich tat.
Als die Krähe Darius und seinen angewiderten Blick bemerkte, entfuhr ihr ein Krächzen, das wie ein Lachen klang.
„Du wirst dich noch lange nicht daran gewöhnen was?“ Krâ schlang gerade einen Augapfel herunter und hätte er die Möglichkeit zum Grinsen gehabt, so hätte er das nun wohl getan.
„Ich war schon immer der Ansicht, dass es unsinnig ist die Toten zu ehren. Ich verstehe euch Menschen nicht. Solange sie leben sind euch eure Mitmenschen egal und ihr seid bereit sie zu töten, doch wenn sie dann erst einmal tot sind, ja dann trauert ihr um sie. Glaub mir, ich habe mit Malvander viele Menschen feiernd ins Jenseits begleitet, Gute wie Schlechte, und ich kann dir eines sagen: Weder die Guten noch die Schlechten verändern sich nach ihrem Tod in Hinsicht auf ihren Charakter.“
Noch einmal entfuhr Krâ ein krächzendes Lachen, dann pickte er wieder zwischen den starren Körperteilen herum.
„Wo sind Agelstern und Salysa?“ Darius versuchte so gut es ging der Krähe nicht bei ihrem Frühstück zuzuschauen. Ganz schlagartig war sein eigener Hunger vergangen, was er allerdings auch mit einer heimlichen Zufriedenheit feststellte.
„Die Kleine kennt einen Lagerraum im Gasthaus ihrer Eltern, dass die Plünderung überlebt hat und in dem noch ein paar Vorräte lagern sollen. Die Elster begleitet sie“ nuschelte Krâ, während er sich mit einem Artgenossen um einen Brocken Fleisch stritt. Schließlich zog sich die andere Krähe geschlagen zurück.
„Blödes Vieh und so etwas sind meine Artgenossen“ lamentierte Krâ und verschlang das Fleisch.
„Gut, dass du so zivilisiert bist.“
„Oh sie an, neben dem Schießen hat man dir auch noch Sarkasmus beigebracht, was?“
Mit einem leisen Scharren glitt Darius’ Dolch aus seiner Scheide.
„Ich könnte dir nun etwas über dein Verhältnis zur Gewalt sagen, aber…ich…ich lasse das lieber.“
Salysa und Agelstern erlösten Krâ aus dieser Situation, als sie mit einem mit Proviant gefüllten Rucksack zurückkehrten, den das Mädchen mit Mühe trug.
Darius nahm ihn ihr ab und warf ihn sich über die Schulter, das Gewehr wollte er als Wanderstab benutzen.
„Brot, Käse, gepökelter Schinken und ein paar Eier“ fasste Agelstern ihre Ausbeute knapp zusammen.
Das war nicht viel, aber genug, um Darius’ Magen wieder an seinen Hunger zu erinnern.
Salysa hingegen schien viel mehr an dem Regen und der Kälte zu leiden. Irgendwo hatte sie einen halb zerrissenen und fleckigen Überwurf aufgetan, der ihr viel zu groß war, doch trotzdem zitterte sie darunter deutlich.
„Wohin gehen wir nun? Ist es weit?“ fragte sie quängelnd und zog lautstark die Nase hoch.
„Keine Sorge Kind, die grüne Laterne ist nicht so weit von hier“ beschwichtigte Agelstern und warf Darius einen Blick zu, „und unser tapferer Soldat hier wird dich sogar tragen.“
 



 
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