Kühlschranklampe

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Die Kühlschranklampe

Es ist wirklich unbegreiflich, wovon man sich heutzutage
alles trennt, ohne auch nur ein leises Wort darüber zu
verlieren. War früher nichts für die Ewigkeit, so taugt es
jetzt nicht mal mehr lange genung, um sich daran gewöhnen
zu können. Dies ist ein universelles statement: Es gilt für
Katzen und Autos sowie für Menschen und sonstiges
Inventar. Wahrscheinlich wäre Jake damals einfach an
seinem Schicksal vorbei gerast, hätte jener verchromte
Türgriff nicht im Sonnenlicht reflektiert und wäre nicht
gerade dies die Eigenart der Prädestination, auch dann
einzutreten, wenn alles andere dagegenspricht. Das
Funkeln war mehr als eine leichte Brise Glitzerstaub in den
Augen, vielmehr ein von der Intensität her störendes aber
vom Wesen her durchaus verlockendes Blenden. Sogleich
galt es die Quelle zu entdecken und hinter einem Busch
befand sich die besagte Ursache für die temporäre
Beeinträchtigung der Sehkraft: Jener chromatische Türgriff.
Er diente dazu, den an ihm befestigten Kühlschrank zu
öffnen : Ein WK-CF7 mit Diesel-Kompressor und
thermodynamischem Expansionsventil. Der als Sperrmüll
gezeichnete Kasten fand gerade noch Platz in dem
geräumigen Kombi und daheim begrüßte die ganze Familie
den neuen Mitbewohner mit Begeisterung, zumal der
alte Kalte vor kurzem das Zeitliche gesegnet hatte. Dort
stand er nun, voll aufgetankt und began langsam warm bzw.
kühl zu laufen. Alles stellte Jakes Frau Marge hinein: Milch
und Saft und Butter sowie in das Gefrierfach : Speiseeis und
Fleisch. Die vier Kinder : Anton, Antonia , Mike ...wo ist
Judy ? Judy war verschwunden. Zunächst glaubten alle, sie
sei noch in der Schule. Etwas später tendierten die
Meinungen dahin, daß sie bei einer Freundin sein könnte und
schließlich hätte man ernsthaften Grund zur Sorge gehabt,
wäre nicht der WK-CF7 als tröstendes Element in der Nähe
gewesen, mit all' den köstlichen Sachen. Es war etwas
verwunderlich, wie lange die Vorräte in diesem Kasten
hielten und nicht etwa was diverse Haltbarkeitszeiten betrifft
sondern rein quantitativ fiel auf, daß gerade das teuere Fleisch
im Gefrierfach nicht weniger werden wollte. Marge konnte
sich nicht einmal daran erinnern, wann sie das letzte Mal an
der Wursttheke hatte anstehen müssen. Da aber nun
derartige Vorratsmengen vorhanden waren, und weil sie in
dem hübschen blauen Licht der Kühlschranklampe besonders
schmackhaft erschienen blieb es nicht aus, das Jake seine
Frau und die beiden Kinder beständig an Gewicht
zunahmen. Natürlich wuchs auch der WK-CF7
mit der Zeit und viele Nachbarn wurden 'geladen ihn zu
besuchen. Meist waren sie beeindruckt von der
monumentalen Erscheinung des Stahlgiganten, der bald das
ganze Wohnzimmer einnahm und niemand wollte sich eine
Innenraumbesichtigung entgehen lassen, nicht bei einem
solch bezaubernden blauen Licht. So vergingen die Jahre
und Jake blieb bei seinem Kühlschrank, der längst über das
Haus und die Straßen , den Ort und die Stadt, das Land und
die Welt hinausgewachsen war. Irgendwann gab es nur noch
den Kühlschrank und einen überdimensional aufgedunsenen
Jake. Er wußte was zu tun war, betrat die kalte Kammer,
schluckte einen letzten Bissen hinunter, um mit einer
gewaltigen Wucht zu detonieren. Schließlich entstanden
bunte Galaxien und Sonnensysteme und wer genau hinsieht,
der kann ab und zu, wenn jemand gerade mal wieder die Tür
öffnet, das blaue Licht der Kühlschranklampe erblicken,
welches dann die Unendlichkeit erhellt.
 



 
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