Kulturschock in Hamburg

alexknappe

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Wir schreiben das Jahr 2020, ein kalter Winter und eine Decke von Angst und Verzicht liegt
über Deutschland. Ich war gerade in meinem ersten Jahr einer Ausbildung von der ich nicht wusste, dass ich sie gar nicht machen wollte. Ich wohnte in 20 Quadratmetern in einem Vorort von Köln und lebte von dem was ich hatte. Die Schule war schwierig und uninteressant, und der Nebenjob ging Freitags oft bis tief in die Nacht. Es war bescheiden, doch es reichte mir. Ich wusste, in Köln würde sich mein Leben ändern, doch was das Schicksal sich für mich überlegte, übertraf meine kühnsten Träume.

Eines Tages stöbere ich durch Tinder, auf der Suche nach Anschluss und neuen Kontakten, wie jeder Tinder Nutzer es wahrscheinlich beschreiben würde, und stieß auf das beste was einem jungen Mann auf der Suche nach Glück passieren kann. Es geht natürlich um ein Mädchen. Sie ist das, was man hat, wenn man als Teenager von der perfekten Frau philosophiert. Es wäre nicht mein Leben, wenn ich nicht immer noch einen draufsetzen würde. Sie wohnte nähmlich nicht wie ich in Köln, ja noch nicht einmal in NRW. Ganz Europa reicht als Distanz noch immer nicht aus. Die schönste Frau der Welt lebt nicht in Paris, Mailand oder Madrid. Die Frau kommt aus Peru. Auf den ersten Blick ein Schock und eine Abschreckung für jeden Tinder Nutzer. Doch ich war nie wie jeder. Ich verliebte mich in Ihr Lächeln und Ihre Augen, und gab mein letztes Super Like. Eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Doch wie sollte man sich kennenlernen? Wie sollte es überhaupt eine gute Idee sein, jemand derart weit entferntes zu imponieren? Man braucht Geduld, ganz viel Geduld.

Zu beginn beabsichtigter niemand von uns, so etwas wie eine Beziehung einzugehen. Wir waren zunächst an dem Leben, dem Land und der Kultur des Anderen interessiert und erfreuten uns oft schon an den einfachsten Geschichten. Als ich einen Freund eines Tages fragte, was ich tun solle wenn mir die Themen ausgingen, sagte er ich könnte über alles reden was ich möchte, da ihr selbst die einfachste Geschichte wie ein Blick durch ein Fernglas erscheint, mit dem Sie in unsere Welt schauen kann. Dieses Glück hatten wir natürlich beide, ich noch etwas mehr als sie. Ich habe schon immer von Südamerika geträumt und aus dem nichts wird mir diese Welt gezeigt und der Traum zum ersten Mal zur Wirklichkeit.

Wir schrieben, telefonierten auch mal, und irgendwann sagte sie endlich, sie würde für ein Praktikum 3 Monate in Hamburg leben, und wir können uns ja mal treffen, wenn ich Lust hätte. Das hatte ich. Nachdem sie ein paar Mal versuchte, ein Wochenende frei zu haben und mich in Köln zu besuchen, entschloss ich mich nach Hamburg zu fahren, um sie endlich zu sehen. Ich packte eine kleine Tasche mit dem nötigsten, und setzte mich in den Zug Richtung Norden. Kurz vor meiner Ankunft im Hamburger Hauptbahnhof stieg meine Nervosität spürbar an und ich fühlte eine Mischung aus Aufregung und Vorfreude. Als ich ankam war sie noch einkaufen, also machte ich mich auf den Weg zu der Adresse. Ich fuhr ein Stück mit der U-Bahn, ein paar Haltestellen mit dem Bus und war schließlich da. Ich fasste mir ein Herz und klingelte. Sie ließ mich herein, und kam mir auf einer großen Holztreppe entgegen. Das Haus in dem sie mit einer alten Dame wohnte, hatte seine besten Jahre hinter sich, bot aber eben dadurch eine schöne Atmosphäre für die erste Begegnung. Als ich bei ihr war nahm sie mich herzlich in den Arm, während ich meiner Nervosität und meiner deutschen Gene geschuldet ein Händeschütteln inszenieren wollte. Sie gewann natürlich, und ich hatte den ersten Kulturschock im eigenen Land.

Nach den ersten Höflichkeiten kamen wir ins Gespräch und verstanden uns sofort. Ich fragte zunächst noch, ob wir deutsch sprechen könnten, sie präferierte Spanisch. Ich wollte sie beeindrucken, also tat ich mein bestes. Wie schnell sich mein Spanisch im Laufe der nächsten Monate entwickeln würde, hatte ich zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen können. Einen Großteil übernahm dabei die Frau, der ich an einem Samstag Mittag in einer kleinen Wohnung in Hamburg gegenüber saß. Während wir uns näher kennenlernten und den Moment genossen, durfte ich das erste Mal Zeuge ihrer herausragenden Kochkünste werden. Es gab „Lomo Saltado“, eines der beliebtesten und leckersten Gerichte, die Peru zu bieten hat. Nachdem wir gegessen hatten stand Hamburg Sightseeing auf dem Plan. Die Stadt kannten wir mittlerweile beide ganz gut. Sie war schon seit ein paar Wochen da, und mich hat es im Laufe meines Lebens auch schon oft in die Hansestadt gezogen. Wir besuchten die Speicherstadt und den Hafen, die für uns aber mehr als Filmkulisse dienten und das Gespräch zwar anstießen, aber nicht bestimmten.

Heute kommt es mir ein bisschen so vor, als versuchten wir beide einfach alles richtig zu machen. Wir waren kein „one of a million“ Date, wir hatten keine banalen Absichten und logen uns nicht an, um Eindruck zu machen. Sie erzählte von Ihrem Land, dem Stress in der Uni und der Arbeit im deutsch-peruanischen Konsulat in Hamburg, in dem sie ein Praktikum machte. Ich hatte gerade eine Ausbildung zum Mediengestalter Bild und Ton in Köln begonnen, und war von ihren Erzählungen mehr als beeindruckt. Es trafen Welten aufeinander. Ich war ein klassisches Dorfkind, ein Party Gänger mit vielen Freunden und wenig Pflichten. Ich hatte eine kleine Wohnung in Köln, und bis dahin ein einfaches Leben. Sie war anders. Sie studiert Jura, ist Mitglied einer Wohltätigkeitsorganisation und gibt nebenbei privat Deutschunterricht. Was für eine Vita! Trotzdem sah sie etwas in mir, etwas das ich selbst gar nicht suchte.

Am nächsten Morgen frühstückte ich in einer kleinen Wohnung in Hamburg, mit meiner neuen Freundin aus Peru. Es ging sehr schnell, denn es gab keine zweite Chance. Ich besuchte sie jedes Wochenende in Hamburg, einmal zeigte ich ihr sogar Köln und Münster, meine Heimat. Jeden Freitag fielen wir uns in die Arme, und jeden Sonntag flossen Tränen. Es war nicht leicht, doch wenn ich damals schon gewusst hätte, wo wir heute zusammen stehen, dann wäre ich viel früher, das erste Mal nach Hamburg gefahren.
 



 
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