Lieber Fabian

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Niklas May

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vielleicht, wahrscheinlich, wirst Du diese Zeilen niemals lesen. Und das ist womöglich auch besser so. Denn, was Du nun zu lesen imstande bist, könnte Dich verwirren, erschrecken, ekeln, oder aber durchaus bewegen, Dir schmeicheln, Dich verlegen machen. Ich werde Dir diese Zeilen nicht zukommen lassen, sie Dir nicht zugänglich machen, weil sie nach allem, was ich kenne, kitschig sind, und weil ich mich nicht traue. Ich schreibe Dich aber dennoch direkt an, so, als würdest Du diesen Brief doch eines Tages mal lesen, weil ich die Hoffnung nicht aufgeben mag, wenigstens die Fantasie, den Traum, nicht.

Und weil all das so herrlich banal ist, schreibe ich weiter nicht viel als das: seit Ewigkeiten bist Du der erste Mensch, den ich so sehr mag, dass es mir wehtut, wenn ich Dich nicht sehen, nicht mit Dir mich unterhalten kann. Wenn ich könnte, würde ich Dir stundenlang in die Augen sehen, mit Dir lächeln, sprechen. Von dem, was ich von unseren Gesprächen am Freitagabend und Samstag erinnere, bist Du ein sehr zarter, kluger, freundlicher Mensch, drängst Dich nicht in den Vordergrund, bist aber dennoch kein Mauerblümchen.

Du hast mich angesprochen. Ich erinnerte Dich an Oscar Wilde, und du hast dann gefragt, im Scherze oder mit Hintergedanke, ich weiß es natürlich nicht, ob ich, wie er, homosexuelle Neigungen hätte. Ich antwortete, im Einklang mit dem flockig-angeregten, in der Nähe des Scherzenden sich Befindlichen unseres Gesprächstons: „Vielleicht.“, woraufhin Du sagtest, wir müssen das hier ja nicht besprechen. Leider weiß ich weder deinen Wortlaut, noch erinnere ich mich hundertprozentig sicher an deinen Ton hierbei. Dessen ungeachtet jedoch, mochte ich Dich nahezu sofort nach diesem ersten Gespräch.

Dann sahen wir uns immer wieder in die Augen, und lächelten. Dies mag, wenn ich es mir recht überlege, aber natürlich auch nur deine bevorzugte Kommunikation mit relativ Fremden sein, falls Du nicht dermaßen wortgewandt bist. Am schlimmsten für mich wäre es wohl, wenn Du all dies aus reiner Kulanz getan hättest, also als Ausdruck deines Amtes als Fachschaftsmitglied.

Jedenfalls traute ich mich heute nicht mehr, Dich anzusprechen. De facto haben wir uns ja seit gestern nicht mehr unterhalten, als unser Gespräch durch irgendwas unterbrochen wurde, während wir über einander sprachen, und Du mir sagtest, wir kämen darauf noch zurück, das hättest Du nicht vergessen. Daher habe ich abgewartet, ob Du von Dir aus den Faden wiederaufnehmen würdest, denn ich wollte die Bestätigung, dass Du mir von Dir erzählen möchtest, und es eben nicht aus reiner Nettigkeit tust. Ebenso wenig wollte ich mich zu sehr entblößen in meinem Interesse an Dir.

Beim Zähneputzen heute Morgen, also vor dem Zubettgehen, sind wir uns kurz begegnet. Ich war überrascht, und murmelte: „Also, gute Nacht“, und du murmeltest ähnliches zurück.

Heute haben wir zwar auch nicht gesprochen, was daran liegen mag, dass ich deine Nähe mied, und, wenn wir doch nebeneinander oder gegenüber voneinander standen, ich in dem großen Kreise der anderen Fachschaftler viel zu unsicher war, es war zu wenig privat, als dass ich Dich nach deiner Herkunft und den bisherigen drei Jahren nach dem Abitur gefragt hätte. Aber wenn sich unsere Blicke trafen, und so auch heute, sind sie komisch aufeinander fixiert. Ich finde, auch deine Augen offenbaren ein Interesse - welches, freilich, das ist ihnen schlechterdings nicht einfach abzulesen. Schließlich könnte es Dir auch als ein bloßes lustiges Scherzen, Albern, Witzeln erscheinen, wenn wir einander derart ansehen. Ich weiß es nicht. Ich hoffe trotzdem insgeheim, hoffe, wie kaum je in meinem Leben.

Aber dann ist da Henrike, und nun weiß ich wirklich nicht, was ich aus dieser Geschichte machen soll. Deinen Kopf auf ihrer Schulter zu sehen, innig, ruhig, geborgen, ist Gift und Gegengift in einem. Meine, zugegeben etwas perfide, Hoffnung, die Beziehung zu Henrike wäre ein Alibi, passt hier nicht mehr unbedingt. Ihr scheint Euch durchaus zu lieben. Und ich bin Dir und der Welt dankbar, das gesehen gedurft zu haben. Andererseits nähren unsere Blickwechsel, und alle unsere Gespräche in mir zwangsläufig die Hoffnung, den Wunsch, dass Du auch für mich ähnliches empfinden könntest. Ich sehne mich nach deiner Schulter, deiner Hand, deinem Atem, Herzschlag. Und wenn aber Henrike dabei ist, wenn wir sprechen, dann ist es, als spräche ich mit jemand anderem. Denn ich befürchte, Henrike könnte eifersüchtig werden, obwohl wir noch gar nichts getan haben. Ich fühle mich von ihr beinahe gehasst, noch bevor ich sie kennengelernt habe.

Ich war einfach überwältigt von deiner Freundlichkeit, Liebenswürdigkeit. Vielleicht bist Du nicht wie ich, nicht mal annähernd, womöglich. Aber selbst dann sehnt sich ein jeder noch nach innigen Kontakten, guten Freundschaften. Vielleicht ist es bei Dir ebenso. Du bist offen für eine Freundschaft, in der wir einander gut verstehen, und über vieles sprechen können – Dinge auch, die anderswo unausgesprochen bleiben. „Mehr“ ist aber möglicherweise von Dir nie angestrebt, erwünscht gewesen. In mich verliebt hast Du Dich nicht.

Sollte diese Einschätzung stimmen, so wird mich das hart treffen. Meine Träume wären keine mehr, und ich müsste unsere Beziehung entweder gedrosselt belassen, oder beenden. Jenes erscheint schwierig und kompliziert, wenngleich nicht unmöglich, dieses schmerzlich aber eindeutig. Tragisch wären sicher beide Varianten.

Und so hoffe ich noch ein wenig weiter, bange vor dem Tag, an dem wir uns wiedersehen, an dem wir uns zu zweit bei einem Bier unterhalten, und ich nicht weiß, wie ich deine wundervollen Blicke deuten darf.

Bis dahin,
liebste Grüße,
Niklas
- Herbst 2014 -
 
Hier werden gut nachvollziehbar und sprachlich insgesamt überzeugend die Gedankengänge eines Menschen dargelegt, der von einer anderen Person nicht loskommt, aber nicht weiß, woran er mit ihr überhaupt ist. Nur zwei Stellen fand ich im Ausdruck weniger geglückt:

in der Nähe des Scherzenden sich Befindlichen unseres Gesprächstons
und

Und ich bin Dir und der Welt dankbar, das gesehen gedurft zu haben.
In letzterem Fall stört mich nicht nur das vielleicht bewusst Umständliche der Formulierung, sondern auch die "Welt". Was hat die denn damit zu tun?

Inhaltlich ist es ein interessanter Stoff. Während in früheren Generationen das Thema der sexuellen Orientierung in Gesprächen noch wenig miteinander Vertrauter strikt gemieden wurde, schafft nun das Halboffene in der Kommunikation neue Möglichkeiten für Missverständnisse.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 

Niklas May

Mitglied
Guten Abend,

herzlichen Dank für die Rückmeldung.

Das leicht Umständliche der zitierten Formulierungen, besonders der ersten, war sicher beeinflusst von der Lektüre Kants seinerzeit.

Und ich bin Dir und der Welt dankbar, das gesehen gedurft zu haben
Das Wort "Welt" könnte hier auch durch "Gott", oder das "Leben" ersetzt werden. Es soll die Tiefe der Dankbarkeit, die Rührung, die mit ihr einhergeht, vermitteln und akzentuieren. Und da ich mit dem Gottesbegriff so meine Schwierigkeiten hatte, und dieser Satz mit dem Wort "Leben" an der Stelle für mich eher zu einem älteren Erzähler passen würde, finde ich "Welt", wenn ich jetzt so darüber nachdenke, noch am passendsten.


Freundliche Grüße zurück
Niklas May
 

Michele.S

Mitglied
Hi Niklas

Inhaltlich ist das interessant. Sprachlich finde ich es ein wenig wirr und unnötig kompliziert. Aber ich kenne das, wenn ich einen Autor lese ahme ich auch unbewusst seinen Stil nach (oder besser gesagt versuche es)

Gruß

Michele
 

Niklas May

Mitglied
Hi Michele,

ja, davon kann man sich sicher nie ganz frei machen.
Danke fürs Lesen und vor allem für dein Feedback!

Grüße
Niklas
 



 
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