Liebes Tagebuch

Hera Klit

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Liebes Tagebuch

Liebes Tagebuch, ich vertraue mich dir an, weil ich weiß, du kannst schweigen.
Ich bastele im Moment auch einen raffinierten elektronischen Mechanismus, den ich in deinen Deckel einbauen werde und der dich zerstören wird, sobald fremde Hand deiner habhaft zu werden versucht, um meine tiefsten Gedanken und seelischen Zerwürfnisse ans Tageslicht zu fördern.

Da die Menschen mich samt und sonders schwer enttäuscht haben, darf ich hier ruhig eingestehen, dass du mein letzter Freund auf Erden bist.
Ich bin draußen im Land bekannt als normaler, etwas langweiliger Mann. Was immer dies bedeuten mag. Ich bin, wie fast alle Männer, hauptsächlich von Frauen erzogen worden und deswegen habe ich die Seele eines Speichel leckenden Hundes.

Also, wenn ich hier Ich sage, dann weiß ich gar nicht, was dies ist, dieses seltsame Ich. Wenn ich genau hinschaue, scheint es mir ein Konglomerat von verschiedenen Persönlichkeiten, ähnlich wie ein verwildertes Waldstück, das sich als Reaktionen auf Umwelteinflüsse scheinbar wie zufällig entwickelt hat. Da gibt es dicke Bäume und dünne Bäume, Bäume des Lichtes und Bäume des Schattens und alle konkurrieren um das Stückchen Land, das ihnen zur Verfügung gestellt wurde. Von wem auch immer.

Mein Hauptbaum steht wohl für diesen oben schon erwähnten langweiligen Typen, der es niemanden recht machen kann. Es gibt in meinem Wäldchen wohl viele Bäumchen, aber die meisten lassen sich nur schemenhaft erahnen. Nun ist aber ein Stämmchen über die Jahre herangereift, das sich anschickt meinen, auch nicht gerade mächtigen Hauptbaum zu verdrängen.
Ich nenne dieses Stämmchen Hera Klit. Sie ist wohl irgendwie weiblich. Sie wuchs zunächst fast unbemerkt heran, reifend unter steten Düngergaben in Form von Geringschätzung und Herablassung, meist zugefügt von wichtigen Frauen meines Umfeldes.

Zunächst und wohl am nachhaltigsten, sorgte meine liebe Mutter für das stete Wachstum des Hera Klit-Baumes in mir. Ihre Technik war vornehmlich die, des ins Vertrauen Ziehens, mit anschließendem -sobald mein Hauptbaum sich darin sonnte und zu wachsen anschickte- radikaler Abkehr und erteilen einer totalen Abfuhr, etwa durch Sätze wie:
„Du bist die größte Enttäuschung meines Lebens.“, oder „Dein Vater sagte schon immer, du taugst nichts, ich hätte auf ihn hören sollen.“
Dies waren üppige Düngergaben für meinen Baum mit Namen Hera Klit.

Jetzt hätte man meinem kümmernden Hauptbaum natürlich raten müssen, auf jeglichen Dünger der besagten Art zu verzichten, aber leider zeigte er sich bis dato völlig unbelehrbar und
statt die Kraft der freien Sonne als wichtigste Lebensenergie in sich aufzunehmen, wandte er sich gar von dieser ab und hungerte und lechzte nach salziger Düngerzufuhr durch spärlich gebende, egoistische, selbstsüchtige Frauenhände.

Mögen diese Frauen Schwestern, Mütter, Schwiegermütter, Tanten, Cousinen, Geliebte, Ehefrauen usw. gewesen sein, das einmal angestammte Düngemuster lief schonungslos immer wieder ab.
Und so steht dieser arme Baum nun da, mit wenig Blattwerk, das zudem noch welk ist und einem schwachen windgepeitschten Stämmchen und nur jämmerlich flach reichenden Würzelchen. Ein Bild des Jammers. Ob er noch lange der herben Witterung trotzen kann? Man nimmt es allgemein kaum an.

Doch da, hinter ihm, kleiner noch, aber mit der goldenen Sonne des Eigenwillens beschienen, gedeiht der Baum Hera und erhebt Anspruch, der herrlichste im Waldstück zu werden.


Sorry, liebes Tagebuch, eigentlich wollte ich dir ja etwas ganz anderes anvertrauen. Was habe ich da geschrieben? Was soll das? Mags blanker Unsinn sein, aber auch das müssen Tagebücher ertragen können. Also, behüte es und schweige, wie es sich für ein vernünftiges Tagebuch gehört und denke an den Sprengmechanismus.
 
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G

Gelöschtes Mitglied 24893

Gast
Schätzchen, Dein Leben mit Mama und teilen darin - Spannung; füge das bitte ins Tagebuch ein. Danke!
 



 
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