MartinEnrique
Mitglied
Robert und Jan begrüßten sich so, wie sie es immer getan hatten. Sie tauschten einen langen, festen Händedruck und fassten sich dabei mit der anderen Hand bei der Schulter. Dann setzten sie sich auf ihre beiden gewohnten Hocker, ganz links an der schönen alten Mahagoni-Bar im White Lion Club.
Sie bestellten dieselben Drinks, die sie früher schon zusammen genommen hatten – Robert einen Wodka mit Bitter Lemon und Jan einen Cuba Libre. Sie stießen an und tranken. Dann sahen sie einander an, ohne ein Wort zu sagen. Das Schweigen dauerte nur einen vergänglichen Augenblick, doch Jan kam er vor wie ein ganzes Zeitalter, beinahe noch länger als die sechs Monate, die er Robert nicht gesehen hatte.
„Wie geht´s dir?“ fragte er schließlich, und die Frage war weit weniger banal als sie klang.
„Es geht. Mittlerweile geht es.“ Robert nickte sachte. Seine Antwort kam sehr langsam, als hätte er sie gründlich überdacht, während er Jan betrachtet hatte. „Sagen wir, aus dem großen Schmerz ist zumindest ein nicht ganz so großer geworden.“ Er hielt inne.
Jan überlegte, ob er eine anwärmende Nachfrage stellen sollte, aber es war nicht nötig. Robert war gekommen um zu reden und jetzt, da die Einleitung erledigt war, wollte er reden, unbedingt.
„Als Lisa mir gesagt hat, es gibt da einen Anderen, habe ich es gar nicht gehört. Und als sie dann eine Woche später ausgezogen ist, also das war, als ob jemand stirbt, und du bekommst den Brief mit der Einladung zur Beerdigung. Natürlich verstehst du, was da steht, aber du hast keine Ahnung, was es zu bedeuten hat.“ Robert trank einen großen Schluck und fuhr fort.
„Als ich es nach ein paar Tagen doch kapiert hatte, fing es an weh zu tun, jeden verfluchten Tag ein bisschen mehr. Ich fing an rumzulaufen, damit ich nicht in meiner Wohnung sein muss. Ich bin so oft so sinnlos durch die Stadt gelaufen, ich hab´ gar nicht gewusst, was ich da tue. Einmal wollte ich in eine Bar, mich zuschütten, aber als ich drin war, konnte ich es nicht ertragen – alle sind fröhlich, alle haben jemanden zum Unterhalten und ich stehe da und bin ganz allein. Also bin ich wieder raus und hab´ mich auf den Bordstein gesetzt, ohne was zu trinken – den ganzen Abend lang. Irgendwann ging drinnen die Musik aus und die Bar schloss. Da bin ich aufgestanden und nach Hause gegangen.“
Robert lachte freudlos und schüttelte den Kopf, als wunderte er sich über sich selbst.
„Ich hab´ auch ein paarmal versucht, irgendein Hühnchen zu akquirieren, so als Trostpreis, aber selbst das ging nicht. Ich konnte es einfach nicht. Es hätte sowieso nicht geholfen. Also hat es weiter weh getan und ich konnte nichts dagegen machen. Es hat so beschissen weh getan, das stellst du dir nicht vor“, flüsterte Robert, während er sein fast leeres Glas auf der Theke drehte und versonnen die kreiselnde gelblich-grüne Flüssigkeit darin beobachtete, als könne ihr Tanz ihn vom Unglück dieser Welt ablenken. Jan fühlte seine Kehle rauh werden, als er mitansah, wie das Leid in seinem alten Freund wieder gegenwärtig wurde.
„In der letzten Zeit ist es ein bisschen besser geworden. Ich gehe wieder aus und es gibt sogar Tage, da wache ich auf und denke nicht gleich als Erstes an sie. Aber sie ist noch lange nicht aus meinem Kopf verschwunden. Keine Ahnung, ob sie jemals weg sein wird. Ich fand sie immer so hübsch und so toll und so, so…“ Robert fahndete nach edlen, großen Ausdrücken, die seiner Lisa gerecht wurden, Lisa, die so klar vor seinem geistigen Auge stand, in dem gelb-weißen Sommerkleid mit den Spaghetti-Trägern, das er so an ihr gemocht und mit dem schalkhaften Lächeln, das er so geliebt hatte. Er fand keine.
„Sie war einfach mein Ding, weißt du“, schloss er.
Jan wusste es. Während der drei Jahre, die Robert mit Lisa zusammen war, hatte er die Beiden bestimmt fünzigmal getroffen und bestimmt fünfzigmal hatte er den glücklichen Blick erlebt, mit dem Robert sie angestrahlt hatte. In diesem Augenblick war sein Herz ein Brocken Granit und sein Magen eine Grube voll vergifteter gelber Galle. Er nickte stumm.
„Das Verrückte ist, mir war das nie klar“, fuhr der Andere fort. „Es war für mich so normal, so selbstverständlich, dass sie war. Ich war nie dankbar dafür. Erst, als sie weg war, habe ich begriffen, was sie für ein Geschenk war. Immer, wenn ich jetzt irgendwo ein glückliches Pärchen, könnte ich heulen vor Neid und weil ich so traurig bin, dass ich das nicht habe. Warum muss einem das immer erst danach klarwerden?“
Jan hatte eine schlaue Bemerkung auf der Zunge, dass das wohl normal sei und dass man immer erst hinterher wisse, was man verloren hat, so in der Art. Er schluckte sie hinunter. Er war zum Zuhören gekommen, nicht zum Sprechen. Robert verbrachte eine Stunde und zwei weitere Longdrinks damit, von Lisa zu reden, und von seinem Schmerz in jenem Moment, da sie mit ihrem Koffer durch die Tür geschritten war und sie hinter sich zugemacht hatte, und Jan hörte zu. Erst, als Robert merkte, dass er begann, sich zu wiederholen, wechselte er das Thema.
„Es hat so wehgetan und nicht mal du warst da, mit dem ich reden konnte.“
Jan schluckte.
„Ich wollte dich anrufen, Wirklich, ich hatte ein paar Mal schon den Hörer in der Hand, aber ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte“, stotterte er. Seine Erwiderung kam ihm selbst so ekelhaft lahm vor, dass er sich schämte.
„Ich habe verzweifelt auf deinen Anruf gewartet, bis mir irgendwann klar wurde, er kommt nicht. Das hat mich verdammt traurig gemacht – und gleichzeitig war ich verdammt sauer auf dich. Ich war so wütend, ich hätte irgendwas kaputtschlagen können.“ Wie um seine Worte zu untermalen wog Robert seine Faust prüfend in der anderen Hand. Jan sah es und fühlte sich verpflichtet, darauf einzugehen.
„Glaubst du, es geht dir besser, wenn du mir eine verpasst?“ Jans alter Freund sah ihn sehr lange an. Schließlich lösten sich seine vergrämten Züge und zum ersten Mal an diesem Abend fand ein Lächeln den Weg in Roberts Gesicht.
„Nein“ erwiderte er ruhig. „Ich akzeptiere es. Sie hat sich eben neu verliebt. Dafür kann ich ihr doch keinen Vorwurf machen.“
In diesem Moment merkte auch Jan, wie angespannt er die ganze Zeit gewesen war. Ohne es zu wollen, entließ er einen mächtigen Atemstoß in die zigarilloschwangere Luft des White Lion.
„Ich hoffe so sehr, dass du mir verzeihst, so wie du ihr verzeihen konntest. Ja – wenn sich ein Mensch verliebt, dann kann er nichts dagegen machen. Aber gemein ist es trotzdem, ich weiß.“
Robert lächelte immer noch. „Vielleicht gehen wir nächste Woche zusammen weg?“
„Das wäre schön“, antwortete Jan.
„Musst du los?“
„Ja, zuhause wartet das Essen auf mich. Aber ich rufe dich an, versprochen.“
Sie plauderten noch ein paar Minuten über ihre Jobs und die letzten Ligaergebnisse, bevor sie sich erhoben. Robert bestand darauf, ihre Lagen zu zahlen, dann reichte er Jan die Hand zum Abschied.
„Mach´s gut, mein Freund. Grüß´ Lisa von mir.“
Sie bestellten dieselben Drinks, die sie früher schon zusammen genommen hatten – Robert einen Wodka mit Bitter Lemon und Jan einen Cuba Libre. Sie stießen an und tranken. Dann sahen sie einander an, ohne ein Wort zu sagen. Das Schweigen dauerte nur einen vergänglichen Augenblick, doch Jan kam er vor wie ein ganzes Zeitalter, beinahe noch länger als die sechs Monate, die er Robert nicht gesehen hatte.
„Wie geht´s dir?“ fragte er schließlich, und die Frage war weit weniger banal als sie klang.
„Es geht. Mittlerweile geht es.“ Robert nickte sachte. Seine Antwort kam sehr langsam, als hätte er sie gründlich überdacht, während er Jan betrachtet hatte. „Sagen wir, aus dem großen Schmerz ist zumindest ein nicht ganz so großer geworden.“ Er hielt inne.
Jan überlegte, ob er eine anwärmende Nachfrage stellen sollte, aber es war nicht nötig. Robert war gekommen um zu reden und jetzt, da die Einleitung erledigt war, wollte er reden, unbedingt.
„Als Lisa mir gesagt hat, es gibt da einen Anderen, habe ich es gar nicht gehört. Und als sie dann eine Woche später ausgezogen ist, also das war, als ob jemand stirbt, und du bekommst den Brief mit der Einladung zur Beerdigung. Natürlich verstehst du, was da steht, aber du hast keine Ahnung, was es zu bedeuten hat.“ Robert trank einen großen Schluck und fuhr fort.
„Als ich es nach ein paar Tagen doch kapiert hatte, fing es an weh zu tun, jeden verfluchten Tag ein bisschen mehr. Ich fing an rumzulaufen, damit ich nicht in meiner Wohnung sein muss. Ich bin so oft so sinnlos durch die Stadt gelaufen, ich hab´ gar nicht gewusst, was ich da tue. Einmal wollte ich in eine Bar, mich zuschütten, aber als ich drin war, konnte ich es nicht ertragen – alle sind fröhlich, alle haben jemanden zum Unterhalten und ich stehe da und bin ganz allein. Also bin ich wieder raus und hab´ mich auf den Bordstein gesetzt, ohne was zu trinken – den ganzen Abend lang. Irgendwann ging drinnen die Musik aus und die Bar schloss. Da bin ich aufgestanden und nach Hause gegangen.“
Robert lachte freudlos und schüttelte den Kopf, als wunderte er sich über sich selbst.
„Ich hab´ auch ein paarmal versucht, irgendein Hühnchen zu akquirieren, so als Trostpreis, aber selbst das ging nicht. Ich konnte es einfach nicht. Es hätte sowieso nicht geholfen. Also hat es weiter weh getan und ich konnte nichts dagegen machen. Es hat so beschissen weh getan, das stellst du dir nicht vor“, flüsterte Robert, während er sein fast leeres Glas auf der Theke drehte und versonnen die kreiselnde gelblich-grüne Flüssigkeit darin beobachtete, als könne ihr Tanz ihn vom Unglück dieser Welt ablenken. Jan fühlte seine Kehle rauh werden, als er mitansah, wie das Leid in seinem alten Freund wieder gegenwärtig wurde.
„In der letzten Zeit ist es ein bisschen besser geworden. Ich gehe wieder aus und es gibt sogar Tage, da wache ich auf und denke nicht gleich als Erstes an sie. Aber sie ist noch lange nicht aus meinem Kopf verschwunden. Keine Ahnung, ob sie jemals weg sein wird. Ich fand sie immer so hübsch und so toll und so, so…“ Robert fahndete nach edlen, großen Ausdrücken, die seiner Lisa gerecht wurden, Lisa, die so klar vor seinem geistigen Auge stand, in dem gelb-weißen Sommerkleid mit den Spaghetti-Trägern, das er so an ihr gemocht und mit dem schalkhaften Lächeln, das er so geliebt hatte. Er fand keine.
„Sie war einfach mein Ding, weißt du“, schloss er.
Jan wusste es. Während der drei Jahre, die Robert mit Lisa zusammen war, hatte er die Beiden bestimmt fünzigmal getroffen und bestimmt fünfzigmal hatte er den glücklichen Blick erlebt, mit dem Robert sie angestrahlt hatte. In diesem Augenblick war sein Herz ein Brocken Granit und sein Magen eine Grube voll vergifteter gelber Galle. Er nickte stumm.
„Das Verrückte ist, mir war das nie klar“, fuhr der Andere fort. „Es war für mich so normal, so selbstverständlich, dass sie war. Ich war nie dankbar dafür. Erst, als sie weg war, habe ich begriffen, was sie für ein Geschenk war. Immer, wenn ich jetzt irgendwo ein glückliches Pärchen, könnte ich heulen vor Neid und weil ich so traurig bin, dass ich das nicht habe. Warum muss einem das immer erst danach klarwerden?“
Jan hatte eine schlaue Bemerkung auf der Zunge, dass das wohl normal sei und dass man immer erst hinterher wisse, was man verloren hat, so in der Art. Er schluckte sie hinunter. Er war zum Zuhören gekommen, nicht zum Sprechen. Robert verbrachte eine Stunde und zwei weitere Longdrinks damit, von Lisa zu reden, und von seinem Schmerz in jenem Moment, da sie mit ihrem Koffer durch die Tür geschritten war und sie hinter sich zugemacht hatte, und Jan hörte zu. Erst, als Robert merkte, dass er begann, sich zu wiederholen, wechselte er das Thema.
„Es hat so wehgetan und nicht mal du warst da, mit dem ich reden konnte.“
Jan schluckte.
„Ich wollte dich anrufen, Wirklich, ich hatte ein paar Mal schon den Hörer in der Hand, aber ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte“, stotterte er. Seine Erwiderung kam ihm selbst so ekelhaft lahm vor, dass er sich schämte.
„Ich habe verzweifelt auf deinen Anruf gewartet, bis mir irgendwann klar wurde, er kommt nicht. Das hat mich verdammt traurig gemacht – und gleichzeitig war ich verdammt sauer auf dich. Ich war so wütend, ich hätte irgendwas kaputtschlagen können.“ Wie um seine Worte zu untermalen wog Robert seine Faust prüfend in der anderen Hand. Jan sah es und fühlte sich verpflichtet, darauf einzugehen.
„Glaubst du, es geht dir besser, wenn du mir eine verpasst?“ Jans alter Freund sah ihn sehr lange an. Schließlich lösten sich seine vergrämten Züge und zum ersten Mal an diesem Abend fand ein Lächeln den Weg in Roberts Gesicht.
„Nein“ erwiderte er ruhig. „Ich akzeptiere es. Sie hat sich eben neu verliebt. Dafür kann ich ihr doch keinen Vorwurf machen.“
In diesem Moment merkte auch Jan, wie angespannt er die ganze Zeit gewesen war. Ohne es zu wollen, entließ er einen mächtigen Atemstoß in die zigarilloschwangere Luft des White Lion.
„Ich hoffe so sehr, dass du mir verzeihst, so wie du ihr verzeihen konntest. Ja – wenn sich ein Mensch verliebt, dann kann er nichts dagegen machen. Aber gemein ist es trotzdem, ich weiß.“
Robert lächelte immer noch. „Vielleicht gehen wir nächste Woche zusammen weg?“
„Das wäre schön“, antwortete Jan.
„Musst du los?“
„Ja, zuhause wartet das Essen auf mich. Aber ich rufe dich an, versprochen.“
Sie plauderten noch ein paar Minuten über ihre Jobs und die letzten Ligaergebnisse, bevor sie sich erhoben. Robert bestand darauf, ihre Lagen zu zahlen, dann reichte er Jan die Hand zum Abschied.
„Mach´s gut, mein Freund. Grüß´ Lisa von mir.“