Lukas und der Ostergarten

VeraL

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Wenn man sich auf etwas freut, vergeht die Zeit bis dahin oft besonders langsam. So ging es auch Lukas. Er saß im Auto und langweilte sich. Seine Bücher hatte er schon dreimal angeschaut und er hatte keine Lust mehr auf das Autokennzeichenspiel, das Mama mit ihm spielen wollte. Warum wohnten Oma und Opa nur so weit weg? Es war wirklich blöd, dass man sie nur in den Ferien besuchen konnte. Dabei hatten sie so einen tollen Garten. Lukas dachte an die vielen schönen Blumen, die dort im Sommer geblüht hatten, an die Bäume, die im Herbst leuchtend rote und gelbe Blätter bekommen hatte. Es hatte nach Äpfeln und frischgemähten Gras gerochen. Wie der Garten wohl jetzt im Winter aussah?

Endlich waren sie da. Opa öffnete die Tür und Lukas öffnete den Anschnallgurt. Lukas sprang aus dem Auto, rannte durch den Flur ins Wohnzimmer und öffnete die Tür zum Garten. Dann hielt er erschrocken an. Der Garten war tot. Die Bäume hatten keine Blätter, es gab keine bunten Blumen und es roch nur nach nasser Erde und in einem Baum krächzte eine schwarze Krähe. Natürlich hatte Lukas gesehen, dass zuhause die Bäume ebenfalls ihre Blätter verloren hatten, aber irgendwie hatte er gedacht, dass es hier anders wäre.

Opa stellte sich neben ihn. „Lukas, was ist denn los? Du hast noch kein Wort gesagt.“
„Opa, der Garten. Was ist mit ihm passiert? Alles ist tot.“
„Ja, natürlich. Jetzt ist Winter. Im Frühling wird alles wieder schön grün. Komm wieder ins Wohnzimmer und iss ein Stück Kuchen mit uns.“
Lukas konnte sich nicht vorstellen, dass an den kahlen Ästen wieder Blätter wachsen würden. Bestimmt würde der Garten nie wieder so schön werden wie letztes Jahr. Er wollte keinen Kuchen. Dicke Tränen liefen über sein Gesicht.

Oma sah, wie traurig er war. Sie nahm ihn auf den Schoss. „Ach, mein kleiner Junge. Mitten im Winter ist es schwer, sich den Frühling vorzustellen. Aber alles, was lebt, muss irgendwann sterben, damit neues Leben entstehen kann.“
Lukas kuschelte sich eng an Oma. Er glaubte ihr immer noch nicht ganz.
Oma fragte: „Kennst du die Geschichte von Ostern?“
Lukas schüttelte den Kopf.
Oma erzählte: „Vor langer, langer Zeit lebte Jesus. Er erzählte den Menschen von Gott. Einigen mächtigen Männern gefiel es nicht, was Jesus da erzählte. Sie beschlossen, dass Jesus sterben sollte. Sie ließen in gefangen nehmen. Er wurde gekreuzigt und starb. Seine Freunde nahmen ihn vom Kreuz ab und legten ihn in ein Grab. Sie rollten einen dicken Stein vor das Höhlengrab.“
Lukas sah Oma mit großen Augen an. Das war keine schöne Geschichte. Er bekam ein bisschen Angst.
Aber Oma erzählte weiter: „Drei Tage später gingen einige Frauen zum Grab. Sie waren erstaunt, als sie dort ankamen. Der große Stein war zur Seite gerollt und das Grab war leer. Ein Engel kam zu ihnen und sagte: ‚Jesus ist nicht hier. Er hat den Tod besiegt und ist auferstanden.‘ Jedes Jahr an Ostern feiern wir das. Und du wirst sehen. Auch unser Garten ist dann nicht mehr tot.“

Lukas war jetzt schon etwas weniger traurig und aß ein Stück Kuchen. Aber Oma merkte, dass er immer noch nicht ganz glücklich war. Am Tag, bevor Lukas wieder nach Hause musste, nahm sie ihn mit in die Küche und gab ihm einen Teller mit Blumenerde darauf.
„Hier hast du ein paar Steine. Leg ein Kreuz in die Mitte des Tellers.“
Lukas legte die Steine ganz ordentlich zu einem Kreuz. Oma gab ihm ein Tütchen mit Körnern.
„Das sind Kressesamen. Streu sie darüber. Achte darauf, dass die Erde immer schön feucht ist und lass dich überraschen.“

Zuhause schaute Lukas immer wieder den Teller an. Nichts passierte. Doch dann, nach ein paar Tagen, kamen kleine grüne Spitzen aus der Erde. Lukas konnte es nicht fassen. Schon bald war die Kresse so hoch, dass man das kreuz nicht mehr sehen konnte. Jetzt konnte er sich vorstellen, dass der Garten doch wieder schön werden würde.

Trotzdem hatte Lukas ein komisches Gefühl im Bauch, als er in den Osterferien wieder mit seinen Eltern zu Oma und Opa fuhr. Er rannte nicht mehr zur Trassentür sondern ging ganz langsam. Als er in den Garten staute, staunte er. Der Kirschbaum war über und über mit weißen Blüten bedeckt. Osterglocken, Tulpen und Hyazinthen blühten in den Beeten und ein Strauch hatte lauter gelbe Zweige. Daneben kamen sogar schon einige kleine grüne Blätter aus den Ästen. Vor Freude bekam Lukas ein kribbeliges Gefühl im Bauch. Was für ein schöner Ostergarten.
 
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