Luna und die Kreuzfahrtleeze

clarat

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Ich bin die Leeze von Lisbeth. Ich bin ihr Prinzessinnenfahrrad, weil sie eine Prinzessin ist oder sich doch so fühlt, wenn sie mit mir unterwegs ist. Ich bin aber seit kurzem noch mehr als das. Ich bin eine Kreuzfahrtleeze.

Eine Kreuzfahrtleeze fährt kreuz und quer herum, und sie hat Passagiere an Bord, die dort auch wohnen. Klar, ich habe Lisbeth an Bord, aber die wohnt hier nicht. Luna dagegen, die wohnt hier.

Luna ist eine Spinne. Sie kam gestern auf mich zu und kletterte an meinem Vorderrad empor. Die Innenseite des Schutzblechs gefiel ihr, dort blieb sie eine Weile. Aber als Lisbeth heute mit mir losfuhr, wurde es Luna sicherlich ungemütlich, so nah bei dem sich drehenden Reifen. Ich dachte schon, ich hätte sie verloren, irgendwo platt gefahren, oder sie wäre einfach abgesprungen. Es gibt schließlich eine Menge besserer Plätze für eine kleine Spinne als das Schutzblech einer Leeze, die gerade fährt und fährt.

Aber jetzt sind wir wieder zuhause und Luna ist noch da. Sie beginnt, auf der Suche nach einem ruhigeren Platz auf mir herumzukrabbeln.

„Das ist kein Ort für dich“, erkläre ich der Spinne, „da bewegt sich zu viel.“ Sie klettert weiter und tastet den Rahmen ab. Sie untersucht die Lampe und die Drähte, die dorthin führen, und auch den Dynamo, der die Lampe zum Leuchten bringt.

Die Zeit vergeht und ich döse vor mich hin. Als Lisbeth wiederkommt und mich aufschließt, bemerke ich, dass Luna es sich bequem gemacht hat. Sie hat jetzt ein Netz, zwischen Scheinwerfer und Lenker. Natürlich zerreißt es in der ersten Kurve, aber meine Spinne ist hartnäckig. Sie bleibt. Sie macht einfach ein neues Netz.

Und wie sie das macht!

Kühn wirft sie sich von meinem Lenker hinunter, und spinnt dabei einen Faden, an dem sie hängt. Sehr praktisch, so ein Faden. Aber wo sie dann landet, wenn sie so hängt, das hängt ein bisschen vom Zufall ab. Diesmal blies der Wind sie bis nach vorne zum Schutzblech. Dort verknotet sie ihren Faden dann und klettert zurück. Auf der Hälfte wirft sie sich wieder in die Tiefe. Je nachdem, wo sie landet, wird das Netz schön oder hässlich, rund, flach, eckig oder manchmal auch ganz blöd. Dann baut sie eben ein neues.

Ja, sie ist schon eine Weile bei mir, spricht leider nicht mit mir, baut aber dauernd Netze. Insekten verfangen sich darin. Ich hatte gar nicht gewusst, dass fliegende Insekten mir überhaupt so nahe kommen. Sie fliegen halt herum, manche landen, krabbeln ein bisschen und fliegen dann weiter. Und sie sind meistens sehr klein, ich bemerke sie kaum. Aber jetzt bleiben ab und zu welche in Lunas Netz kleben. Sie zappeln ein bisschen, dann ein bisschen mehr und dann nicht mehr. Und Luna frisst sie.

Wenn Lisbeth dann kommt und wieder mit mir losfährt, ist Luna dabei. Vielleicht geht ihr Netz kaputt, weil sie es wieder an einer ungünstigen Stelle gebaut hat. Dann baut sie später ein neues. Vielleicht fangen wir auch im Fahren extra viele kleine Insekten, so dass Luna eine ganze Weile keine neuen Netze mehr zu spinnen braucht. Das gefällt ihr dann bestimmt besonders gut.

Ich würde mich nur freuen, wenn sie endlich mal mit mir reden würde. Schließlich bin ich ihre Kreuzfahrtleeze!
 



 
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