Najitzabeth
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...Feuer, Stein und Luft 2
Ein Vogel schrie. Kim schlug die Augen auf. Einen kurzen Moment blinzelte sie in die neblige Dunkelheit bis sie erkannte das es bereits dämmerte. Irgendetwas hatte sie aufgeweckt und es war nicht der Vogel gewesen. Es war gar kein Geräusch gewesen, sondern eher ein Gefühl. Sie schob vorsichtig Keith’ Arm, der ihr um die Hüfte lag, weg und setzte sich langsam auf. Kim sah sich um und das Erste was ihr auffiel war, das niemand Wache hielt. Oder war jemand, mal wieder, während seiner Schicht eingeschlafen? Bis jetzt war nie etwas in dieser Zeit geschehen aber vielleicht hatte sie das Glück heute verlassen und Kim war aufgewacht, weil sie die Meute, die ihr Lager umzingelte, bemerkte! Sie spähte in den neuen Morgen, zwischen die Bäume, die noch lange Schatten waren. Doch es war nichts zu sehen. Da sie sowieso nicht mehr schlafen konnte, beschloss sie aufzustehen und wenigstens einmal zu der kranken Todie zu gehen. Der Wind wirbelte kleine Nebelwölkchen vor sich her und vertrieb die dicken weißen Wände, die Kim die Sicht versperrten. Der Vogel schrie wieder. Kim sah Todie auf ihrem Platz liegen, genau so wie sie am Vortag eingeschlafen war.
Irgendetwas störte Kim an der Silhouette ihrer Freundin. Kim kniete sich an Todie´s Seite. Ihr Gesicht hatte sich verändert! Wo vorher ihr orange-grauer Schnabel gewesen war, konnte Kim jetzt eine kleine Nase und einen Mund mit menschlichen Lippen erkennen. In dem fahlen Licht sah Kim, dass die Haut des Beakermädchen nun eine blass rosa Farbe angenommen hatte. Statt der Federn flossen Todie lockige, rot-blonde Haare bis zur Taille: „Mein Gott, Todie!... Du bist ein Mensch!“ Kim konnte es nicht fassen. Wie war das geschehen?
Sie rüttelte an der Schulter der Schlafenden aber Todie wachte nicht auf. Kim versuchte es weiter
„Komm schon, wach auf!“ sie bewegte sich nicht. „Todie, hör doch mal... du bist ein Mensch!“ immer noch keine Antwort. Nicht einmal ein Wimpernzucken.
Wieder schrie der Vogel.
Kim lehnte sich zurück. Träumte sie etwa? Aber sie fühlte doch den kalten Windhauch in ihrem Gesicht und den feuchten Moosboden auf dem sie saß.
„Todie?“ vor Kim’ s Gesicht bildeten sich kleine Rauchwölkchen durch die Kälte.
Vor Todie’ s Gesicht nicht. Kim sah genauer hin, sie konnte wirklich nichts erkennen. Das Mädchen nahm die Hand ihrer Freundin und ließ sie vor Schreck wieder fallen. Sie fiel leblos zu Boden.
Todie´s Hand war eiskalt und schlaff gewesen. Erst jetzt fiel Kim auf das sich der Brustkorb des Mädchens nicht bewegte. Todie war unnormal blass, ja, fast schneeweiß.
Kim stand auf und trat einen Schritt zurück.
Was war geschehen?
Kim blickte sich wie ein gehetztes Tier um. Alle lagen friedlich da und schliefen. Niemand hatte etwas bemerkt. Kim wurde schlecht. Die Hand war wie die einer seelenlosen Puppe gewesen.
Das durfte doch nicht war sein! Sie wollte das einfach nicht glauben, sie musste endlich aus diesem schrecklichen Albtraum aufwachen.
Für einen Augenblick hatte sie nur das Bedürfnis zu schreien, alles Leid aus sich heraus zu brüllen. Aber Kim hielt inne. Wenn sie das tat würden die anderen geweckt werden und dann? Sie könnten Todie gemeinsam begraben und ihren Weg fortsetzen. Aber dann müsste Kim wahrscheinlich zusehen wie jeder ihrer Freunde starb.
Einer nach dem anderen. Keith, Josh, Chico, würden das genauso wenig überleben wie sie. Eigentlich war die gesamte Aktion von vorne herein unerfüllbar gewesen. Kim wollte nicht die Verantwortung für drei weitere Leben haben. Einzig Gwgl hätte eine winzige Chance zu überleben, kam es Kim in den sinn, schließlich verschwand er jedes Mal wenn es brenzlig wurde.
Kim fasste einen Entschluss!
Sie wollte alleine weitergehen um Saphira zu befreien. Keiner sollte mehr sterben.
Es war ihre Aufgaben.
Ein Leben war bereits eines zuviel! Kim sah noch einmal auf ihre Freundin hinab. Sie dachte an Todie´s Großmutter, die blinde, alte Frau, die sich so sehr gefreut hatte ihre Enkelin wieder bei sich zu haben. Sie würden sich nie mehr sehen, nicht in diesem Leben.
Der Nebel verdichtete sich wieder. Kim drehte sich um und ging quer durch das Lager, Richtung Norden. Bevor sie zu weit entfernt war um durch die dichte, graue Wand geblendet zu sein, sah sie sich noch einmal um. Alles schlief. Sogar das tote Mädchen, das Kim in ihrer menschlichen Gestalt so fremd war, schien nur zu schlafen. Sie lief weiter in den dunklen Nadelwald hinein.
Das dichte Unterholz brachte sie immer wieder dazu ihre Richtung zu ändern und nach ein paar Stunden verlor sie die Orientierung völlig. Die Tannennadeln hatten ihr Gesicht zerkratzt und sie war einige male schmerzhaft gestürzt. Die Sonne war mittlerweile im Zenit, soweit man das durch den ewigen Nebel in diesem Tal sagen konnte.
Irgendwann im laufe des Tages, der nur aus Schmerzen, Trauer und Kim´s eisigen Willen weiter zu gehen, bestand, war Gwgl zu ihr gestoßen. Der kleine Goobljn war wohl ihrer Fährte gefolgt. Er saß auf Kim´s Schulter.
Zu zweit trotzten sie der Angst, die ihnen die Laute der fremdartigen Tiere machten, die unsichtbar hinter der Nebelwand warteten. Kim dachte permanent an das Gesicht ihrer Freundin, dem Mädchen, das sie von Anfang an begleitet hatte und jetzt plötzlich nicht mehr da war. Dieses Bild würde sie noch lange in ihren Träumen verfolgen.
Nevytar saß auf seinem Thron, der aus dem Fels der Nettasch - Berge war. Kalter schwarzer Stein in einem riesigen runden Raum in dessen Zentrum eine leuchtende Kugel stand.
Ein Cylaptor saß neben dem steinernen Stuhl auf der Treppe und ließ sich von dem Mann die Schnauze kraulen. Es war ein ausnehmend großes und kräftiges Tier, durch die bleiche Haut konnte man die Venen und Äderchen schimmern sehen. Der schwarze Magier mochte ihn besonders gern, da dieser Cylaptor selbst vor Artgenossen keinen halt machte, wenn diese ihm im Weg standen.
Etwas im inneren der Kugel regte sich. Sie strahlte rötlich auf und es begann sich ein Bild zu formen.
Nevytar lächelte.
So weit war sie also schon gekommen! Das hätte er nicht erwartet, obwohl er es ihnen so leicht machte.
Zwar konnte er die Unsichtbare nur als schemenhafte Gestalt erkennen, aber Nevytar sah wie sie voller Wut und Entschlossenheit pulsierte.
Er freute sich bereits auf ihre Ankunft!
Dunkelheit. Überall war es finstere Nacht geworden.
In ihrer Seele, ihrem Herzen. Sie hatte keine Kraft mehr sich zu bewegen. Mit der Hoffnung gab Saphira auch ihr Leben auf. Niemals mehr würde sie durch das nördliche Flachland galoppieren oder über die schneebedeckten Berge fliegen. Nie mehr die Sonne sehen.
Er würde siegen und sie töten. Es war ihr Fehler gewesen. Hatte sie, die Behüterin dieser Welt, eine Gottheit für die hier lebenden Menschen, sich geirrt und die Prophezeiung falsch gedeutet?
Ihr war kalt doch sie zitterte schon lange nicht mehr.
Heute Nacht war Neumond!
Kim sah um sich. Der Nebel um sie herum wurde immer dunkler. Vor einiger Zeit hatte er sich rot gefärbt und dann blau. Jetzt wurde er schwarz. Die Sonne ging unter. Schon vor ein paar Stunden übernahm Gwgl die Führung und Kim vertraute ihm. Er zog sie immer weiter im Zickzack durch die Bäume, scheinbar sinnlos aber doch stetig in eine Richtung.
Die Finsternis nahm zu bis im kaum noch die Hand vor Augen sehen konnte. Kim hatte noch nie eine solche totale Dunkelheit erlebt. Die Luft war irgendwie geladen. Sie konnte die Spannung regelrecht fühlen, und es bereitete ihr eine Gänsehaut.
Mit der Zeit bemerkte Kim wie sich der Wald lichtete und sie nun ohne über größere Hindernisse zu stolpern weitergehen konnte.
Sie bemerkte einen ihr bekannten Geruch, den Kim aber im ersten Moment nicht einordnen konnte.
Das Meer? Es roch eindeutig nach Salzwasser. Kaum fiel ihr das ein konnte sie auch schon die Wellen gegen unerschütterliche, schwarze Felsen branden hören.
Gwgl hielt inne und auch Kim blieb stehen. Plötzlich zuckte ein greller, weißer Blitz vom Himmel zum Ozean und ließ Kim einen kurzen Blick auf die gefährlich nahen Umrisse der feindlichen Burg Plaisir werfen. Sie griff unbewusst an den Zierdolch an ihrer Seite.
„Wir haben es geschafft, Gwgl! Wir sind am Ziel!“
ein ohrenbetäubender Donner ließ die Beiden zusammen zucken.
Kim atmete tief ein und ging dann weiter den steinigen Weg, der zur Burg führte, entlang.
Die Dunkelheit machte Kim fast verrückt. Nur wenn ein Blitz erneut aufzuckte konnte sie für einen Sekundenbruchteil erkennen, wie nah sie dem steilen Abgrund, in dessen tiefe Wasser und Land aufeinander trafen, schon war. Ein falscher Schritt und es war alles aus.
Sie blickte zum Himmel und wartete auf den nächsten Augenblick des Lichts.
Die Luft zischte als das Wasser von der elektrischen Entladung getroffen wurde. Kim sah in diesem Augenblick zwei weiße Schatten auf sich zukommen. Sie erkannte sie sofort. Noch bevor das Licht erlosch hatte sie sich schon umgedreht und spurtete zurück zum Wald, in den Nebel, der so schnell verschwand, wie er aufgetaucht war. Nur dort erkannte sie ihre einzige Möglichkeit zu entkommen.
Gwgl sprang von ihrer Schulter und flog voraus.
Kim rannte so schnell sie konnte aber die geflügelten Tiere waren fiel schneller. Nur noch wenige Meter und sie war in Sicherheit. Ein paar Schritte noch...Fast...
Dann stolperte sie über einen Stein und fiel hart zu Boden.
Kaum hatte sie ihre Sinne wieder beisammen erhellte ein Blitz die Gegend und sie sah die krallenbewehrten Füße der Cylaptoren auf der Erde, links und rechts von ihr. Kim spürte wie sich ihre Klauen um ihre Arme schlossen und den kalten Wind den die großen Schwingen der drachenähnlichen Wesen beim abheben machten.
Fast zärtlich wurde sie empor gehoben. Da begriff Kim. Die beiden Tiere würden sie nicht töten, sondern sie wurde ins Schloss gebracht! Kim war gefangen, sie wollte lieber sterben als eine Gefangene ihres Feindes zu sein.
Sie wehrte sich mit ihrer letzten Kraft doch der Griff der Cylaptoren wurde nur fester, sodass sich die scharfen Krallen in das Fleisch ihrer Arme bohrte.
Unter ihr sah sie die Burg auftauchen. Sie flogen über die hohe und dicke Wehrmauer in den Innenhof. Sie hoffte einer der Blitze würde sie treffen.
Die Cylaptoren setzten sie sanft auf dem gepflasterten Boden ab und begannen zu knurren. sie wich zurück. Was wollten sie?
Erst als sie nach ihr schnappte begriff Kim das sie durch die Tür, neben der sie stand, gehen sollte. Kim fühlte sich wie Vieh, das von einem grausamen Bauern zum Schlachter geführt wurde.
Während ihres Weges, der ständig abwärts führte, konnte sie sich keine Anhaltspunkte, die ihr bei einer eventuellen Flucht helfen könnten, merken. Für sie sah alles gleich aus. Kim hatte die Hoffnung fast aufgegeben. Sie gab zu, das es ein Fehler gewesen war auf eigene Faust loszuziehen. Ihre Welt bestand im Moment nur noch aus dem was sie durch die Tränen hindurch erkennen konnte und den Geräuschen, die die Cylaptoren hinter ihr von sich gaben. Sogar Gwgl hatte sie verlassen!
Kim wurde erst wieder aufmerksam als sie begann etwas seltsames zu fühlen. Es war wie ein Gedanke nur ohne Worte, unendlich traurig und hoffnungslos.
Genauso alleingelassen wie sie es war.
Eines der beiden Tiere schlug sie mit seiner Pranke ins Gesicht und hinterließ einen blutigen Kratzer auf Kim´s Wange. Bevor Kim irgendwie reagieren konnte warf sie der Cylaptor in einen finsteren Raum und stieß die Tür zu.
Kim hörte wie der Riegel einrastete. Durch das kleine vergitterte Fenster in der schweren Eisentür fiel ein wenig Licht von einer Fackel, die draußen an der Wand hing.
Kim sah sich um. Der kleine Raum war spärlich mit Stroh ausgelegt und bis auf ein paar Ketten an der Wand völlig leer. Sie blickte in eine Ecke, die durch den Schatten der Tür dunkel blieb. Dort saß jemand!
„Hallo?“ flüsterte das Mädchen in die Dunkelheit aber sie bekam keine Antwort. Kim trat eine Schritt näher und erkannte mit Schrecken was dort wirklich war.
Ein grinsendes Skelett saß an die Wand angelehnt da. Bekleidet mit gammelnden Kleidern und ewig ins Leere starrend.
Kim wich angeekelt zurück und blieb in der gegenüber liegenden Ecke stehen. Langsam ließ sie sich auf den strohbedeckten Boden gleiten. Der Tote, der dort einsam und unbekannt gestorben war, sah Kim vorwurfsvoll an.
Er erinnerte sie an Todie, die jetzt genauso enden musste wie dieser arme Kerl. Vergessen! An einem fremden Ort wird sie beerdigt werden und niemand wird sich jemals an sie erinnern. Zum ersten mal seit dem Morgen, an dem sie den leblosen Körper ihrer Freundin gefunden hatte, konnte Kim weinen und sie versuchte nicht die Tränen zurück zu halten. Todie verdiente so ein Ende nicht!
Gefangen in der Welt ihrer Gedanken wartete Saphira auf ihr Ende. Sie sah nichts Gutes mehr an diesem Leben. Das einst so mächtige Einhorn schien verloren in ihrem Selbstmitleid.
Ganz unvermittelt fühlte sie einen Funken aufglimmen. Ein Gefühl, das ihr Mut machte.
Ein Feuer entfachte in ihren Gedanken. Saphira hob den Kopf und lauschte.
Dort war es, Schritte! Sie war hier. Sie war endlich gekommen um sie zu befreien. Saphira fühlte ganz urplötzlich, als sie wieder begann auf ihre Umgebung zu achten, die Gegenwart der Unsichtbaren. Sie fühlte ihre Macht!
Das Mädchen kam näher. Draußen auf dem Gang wurde eine einzelne Fackel entzündet. Einige Minuten später war sie da!
Das Einhorn hörte ein Türschloss am anderen Ende des Ganges.
Die schweren Ketten, die sie seit Jahren banden zerrten an ihren feinen Gliedern. Saphira stand auf und ein Leuchten wie seit langen nicht mehr erfüllte die Zelle.
Es war noch nicht vorbei!