Magnetberg

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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Je mehr ihr stolzen Freunde mich beschweigt
Je mehr das kühle Lächeln unentwegt
Erzengelgleich in meine Glieder schlägt
Je mehr ihr die metallnen Kerne zeigt

Je mehr ihr eure Eisen-Iche pflegt
Zerbricht mein Schiff. Es lösen sich die Planken
Die Nägel schießen an die Panzerflanken
Des Berges fern magnetisch unbewegt

Und über mich bricht ohne alle Schranken
Die Flut herein die in die Augen steigt
Das Firmament von Pol zu Pol geneigt
Verzuckt im Blitz der stählernen Gedanken
 

Label

Mitglied
Lieber Mondnein

das ist ein bewegendes Klagelied und wie ich meine ein ausgezeichnetes Gedicht.
Den Schmerz des Protagonisten über sein Ignoriert werden, hast du in eindringliche Bilder gesetzt.

Lediglich bei diesem Vers
Des Berges fern magnetisch unbewegt
bin ich hängen geblieben.

ich glaube, das soll einen fernen magnetischen Berg, der unbewegt ist, ausdrücken.
Vielleicht wäre so etwas klarer:
Des Berges der magnetisch unbewegt
oder
Des fernen Berges der so unbewegt

Dir fällt bestimmt etwas passendes und klangvolleres ein.

Jedenfalls freue ich mich, dass ich dieses Gedicht von dir verstehen/entschlüsseln kann, das gelang mir in der letzten Zeit nicht.


dir einen lieben Gruß
Label
 

buchstab

Mitglied
Hallo Mondnein,

Ich stimme Label zu, ein starkes Gedicht, das mich anfangs ob seiner Ernsthaftigkeit und Klage sogar etwas erschreckt hat.
Nur ein Gedanke : Über die "Iche" der anderen zu klagen, fällt oft leicht - hier eine Grenze zu ziehen, schafft aber auch wieder nur "Ich", anstatt als zu sich gehörig zu betrachten, was als bedrohliches "Außen" daherkommt - auch hier ein Umstülpen von Wahrnehmung möglich.

Grüße

buchstab
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
nachgestellte Attribute

Ein herzliches Dankeschön Dir, Label, und auch Dir, buchstab!
Ich habe die ganzen Tage über die Zeile nachgedacht, und über Deinen Änderungsvorschlag, Label.
Mir fällt es etwas schwer, den Ohrwurm aufzuschneiden. Ich versuchs aber trotzdem, vor allem, um zu sehen, ob er noch genauso flüssig und spannend bleibt.
Eigentlich ist die Nachstellung der Attribute ein seltenes Stilmittel, es sieht aus wie im Französischen, überhaupt in romanischen Sprachen zufolge des lateinischen Satzbaus. Im Deutschen am ehesten bekannt aus dem Rätsel
Saß ein Vogel federlos
auf einem Baum blattlos
kam ein Gesicht mundlos
und fraß den Vogel federlos
Dazu kommt, daß ich die Reihung verselbständigter Wörter im Vers liebe, wo jedes einen eigenen Bildakzent in den Binnenfilm schlägt, mit eigener Sinn-Ausrichtung, so als würde man Gedankenstriche zwischen jeden Ausdruck setzen.
Aber ich ändere das jetzt mal versuchsweise in einen eliptischen Relativsatz (d.h. ohne Kopula):
"Des Bergs der fern magnetisch unbewegt"
Was meine letzten Lieder angeht: Die sind eigentlich nicht so kryptisch wie z.B. das, was ich vorher in die experimentelle Abteilung geschoben habe, und auch nicht wie viele der guten Enigmata im ungereimten Forum. Lies mal "Buchstaben - Nächte in den Tag geprägt"; das hat einen klaren Grundgedanken, und wenn der einleuchtet, ergibt sich dort der Rest von selbst.

Lieber buchstab, bitte beachte, daß Lyri und Autor kongruieren können, aber nicht unbedingt identisch sind.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Je mehr ihr stolzen Freunde mich beschweigt
Je mehr das kühle Lächeln unentwegt
Erzengelgleich in meine Glieder schlägt
Je mehr ihr die metallnen Kerne zeigt

Je mehr ihr eure Eisen-Iche pflegt
Zerbricht mein Schiff. Es lösen sich die Planken
Die Nägel schießen an die Panzerflanken
Des Bergs der fern magnetisch unbewegt

Und über mich bricht ohne alle Schranken
Die Flut herein die in die Augen steigt
Das Firmament von Pol zu Pol geneigt
Verzuckt im Blitz der stählernen Gedanken
 

HerbertH

Mitglied
Lieber mondnein,

für das Gefühl, nicht wirklich wahrgenommen zu werden - was wahrscheinlich eine ganze Reihe von LLianern gut nachvollziehen können - , hast Du sehr eindringliche Bilder gefunden. Die Eisenkerne der stolzen Freunde bringen über den Magnetberg-Effekt (schon aus der Kindheit Lesern wohl bekannt :) ) durch Entnietung das Schiff des LyrI zum Sinken, ja sogar das ganze Firmament vergeht - denn vom Eisen blitzt es ab, womit sich der Kreis wieder schließt. Klar, dass ich hier nur paraphrasiert habe: Falls es nicht ganz zu den Details des Gedichtes passt, hoffe ich, zumindest die Idee getroffen zu haben :)

Liebe Grüße

Herbert
 

buchstab

Mitglied
Lieber Mondnein,

stimmt, das war eine kleine Unterstellung, die aber nur daher rührte, daß der Text mich so bewegt hat. Letzten Endes ist es mir für das Werk auch egal, ob lyrI oder nicht. Trotzdem interessiert mich immer das Verhältnis des Autors zu seinem Werk ... hätte ja auch einfach mal danach fragen können.

Grüße,

buchstab
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Stromschlag

Noch einmal Dankeschön Dir, Label, und Dir buchstab, und HerbertH, Dir ganz besonders für den Kommentar: Er brachte mich noch einmal dazu, darüber nachzudenken, wessen stählerne Gedanken das Firmament "verzucken" lassen. Das ist ja offengehalten, so daß sogar das Firmament selbst als erdumspannender Stromleiter oder Magnet "von Pol zu Pol" sich mit den "stählernen Gedanken" durchblitzen läßt. Mir selbst kommt am ehesten der Froschaugen-Überblendungs-Effekt in den Sinn - ich weiß nicht, wie das fachwissenschaftlich (physikalisch) heißt, wenn ein Lichtimpuls in den Gesamtrand hinübergleitet, so daß alles auf einen Schlag erhellt wird ohne erkennbares Woher und Wohin des Blitzes.
Die Magnetberg-Geschichte ist natürlich die aus dem Alif Laila wa Laila, so wie das Motiv von verstandesmächtigen Salomon, der die Geister in die Messingflaschen gesperrt und "versiegelt" hat (im oben erwähnten "Buchstaben"-Lied) aus dem Märchen vom Fischer und dem Flaschengeist zu Beginn derselben Sammlung stammt.
Noch einmal Danke.
 



 
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