12.08.2008
Musik hilft.
Zumindest erschien uns die lange Wartezeit nicht ganz so dramatisch, da wir ja immerhin meinen iPod hatten, um uns die langen Stunden mit angenehmen Klängen zu verkürzen. Jetzt gerade lief Kaiserbase mit dem Stück „Berlin, du bist so wunderbar.“ Dabei stimmte nicht, was sie sangen. Um kurz nach zwei Uhr nachts war der Hauptbahnhof in Berlin vor allem tot und nur ganz wenig wunderbar. Man konnte ihm höchstens zu Gute halten, dass er zwar Hauptbahnhof hieß, aber keiner war. Das änderte allerdings auch nichts daran, dass der einzige offene Laden Burgerking war und wir die einzigen Kunden.
Während alle anderen Teilnehmer des Treffens am Sonntagabend abgereist waren, hatten Michaela und ich schon vorher ausgemacht, auch noch den Montag in der Hauptstadt zu verbringen. Dieses ganze riesige Eifersuchtsdrama hatte sich zwar am Wochenende nicht wirklich aufgeklärt, aber obwohl noch diese grundsätzliche Spannung zwischen uns lag hatten wir einen schönen Tag verlebt. Die letzten Stunden bevor sie zum Flughafen musste und ich in meinen ICE springen würde wollten wir zwar eigentlich im Kino verbringen, aber das hat Berlins Infrastruktur nicht hergegeben. Wie wir es auch drehten und wendeten, nie passte es so dass wir einen Film schauen und trotzdem pünktlich an unseren Abreiseorten ankommen hätten können.
Um nicht das Risiko einzugehen, einen Zug oder womöglich den Flug zu verpassen, warteten wir also am Bahnhof, von wo aus auch ein Bus zum Flughafen fahren würde. Noch gut eine Stunde mussten wir totschlagen, in der Nacht von Montag auf Dienstag keine leichte Aufgabe. Wir waren erschöpft. Die letzten Töne verklangen und das nächste Lied wurde uns serviert: Sign your name. Ich weiß garnicht, von wem das eigentlich stammt, auf meinem iPod war es jedenfalls in einer Version von der Acapella Band „The Magnets“. Wir beide mochten dieses Lied ungemein, und ich konnte sehen wie Michaela lächelte. Eine ganze Zeit lang hatten wir uns den Refrain oft gegenseitig aufgesagt: Unterschreibe auf meinem Herzen.
Kennen gelernt hatte ich die Magneten vor einer gefühlten Ewigkeit. Das war damals am Vatertag. Um vier Uhr morgens des folgenden Freitags sollte ein Flieger mich von Hannover in die Türkei bringen, zu einem grandiosen Firmenausflug. Ich war also am Donnerstag nach Hannover gekommen, ohne einen ernsthaften Plan. Der ergab sich aber spontan quasi von selbst, als ein paar Punks mich vor dem Bahnhof auf einen „antifaschistischen Umtrunk“ einluden. Damals hatte ich durchaus noch häufiger Kontakt zu den vielen illustren Gestalten, die man auf öffentlichen Plätzen so antrifft. Ich stellte also meine Reisetasche ab, begrüßte freudig Tomtom, Falk und Uwe Ochsenknecht und bekam einen Plastikbecher mit Korn und einem Schuss Cola gereicht. Kaum dass der Nachmittag anbrach war ich angetrunken.
Als ich aufschaute sah ich Silke, eine Klassenkameradin von mir, aus dem Bahnhof kommen. Silke kam ursprünglich aus Berlin und war in die Diakonieeinrichtung nahe meinem Schulort gezogen, wenn ich das richtig mitbekommen hatte zur Magersucht-Nachsorge. Ich fand sie eigentlich sehr nett und sprang demnach auf, um sie zu begrüßen. Ein kurzes Gespräch später erfuhr ich, dass sie auf ein Konzert der Magnets im Kapitol wollte, sich aber vorher noch die Zeit vertreiben müsse. Ich lud sie ins Kino ein, wir sahen Van Helsing, anschließend begleitete ich sie auf das Konzert.
An der Bar fluchte sie, weil sie ihren Ausweis vorzeigen musste um Alkohol zu bekommen. Ich hatte trotz zwei Jahren Rückstand keine Probleme. Nach einem schönen Abend fuhr ich dann mit dem Taxi zu meinem Onkel, schlief noch zwei Stunden auf dem Sofa und dann ging es auf zum Flughafen, ab in die Sonne…
Daher kannte ich also die Magnets, die ich später sogar noch einmal gesehen hatte – wieder zusammen mit Silke. Und jetzt hörte ich sie, zusammen mit Michaela, wie sie davon sangen auf jemandes Herz zu unterschreiben.
Als das Lied verklungen war nahm Michi ihren Kopfhörer runter und schaute mich an. Ich machte die Musik aus und schaute zurück, neugierig darauf was sie wollte. Wir hatten heute nicht viel miteinander gesprochen. „Schreib ihr, sie soll dir die sms nochmal schicken!“ Ich verdrehte die Augen. Ich hatte vor zwei Tagen nicht die Wahrheit gesagt. Im Zelt, nach der Flucht im Regen, da hatte ich eine spontan ausgedachte Geschichte erzählt, von einer guten Freundin die geschrieben hatte. Davon, dass ich gelogen hatte weil ich wusste, dass Michaela mir irgendwas unterstellen würde, auch wenn nichts war. Davon dass es mich ankotzen würde, wie grundlos eifersüchtig sie war. Sie hatte mir ein bisschen geglaubt, so wie sie mir immer ein wenig glaubt und niemals ganz, egal was ich sage.
„Was, soll ich ihr schreiben meine eifersüchtige Freundin möchte wissen, was mir geschrieben wurde, um ihren Kontrollwahn zu befriedigen?“ Ich tat böse, aber ich hatte Angst. Schon wieder das Thema, ich war so lange an der Katastrophe langeschlittert und hatte nicht die Nerven sie jetzt, so kurz vor dem Abschied, noch zu erleben. Sie antwortet sicher, sie hatte wohl eine Weile darüber nachgedacht: „Schreib ihr, sie soll die letzte sms nochmal schicken, dein Handy hat irgendeine Macke. Wenn es stimmt was du gesagt hast, und das völlig harmlos war, dann lasse ich dich danach mit der Sache in Ruhe.“ Sie sah mich erwartungsvoll an.
Das Angebot war äußerst verlockend. Zum Einen stand in der sms tatsächlich nichts allzu schlimmes drin, zum Anderen war es mitten in der Nacht, die Chance dass Maike mir jetzt antworten würde war ziemlich gering. Und dann hätte ich meine Ruhe. Ich nickte, holte mein Handy raus und begann zu tippen. Ich zeigte Michaela die Nachricht kurz zur Kontrolle und schickte sie ab.
Wir holten uns noch einen Satz frische Milchshakes, setzten die Kopfhörer wieder auf und gaben uns der Musik hin. Ich begann, mit meinen Gedanken abzudriften, zu Maike. Was um alles in der Welt ließ mich dieses Theater mit Michi durchziehen, wenn auf mich so eine wundervolle Frau wie Maike wartete? Ich konnte es mir nicht erklären.
Ich hatte Maike auf dem 30sten Geburtstag eines Bekannten kennen gelernt. Das war kurz nachdem ich mit Corina auseinander gezogen war, ich kannte ihn zwar kaum, aber er war frisch zu unserer Magic-Gruppe gestoßen und hatte uns alle eingeladen. Ein Gratisbesäufnis schien mir damals durchaus eine gute Gelegenheit, meinen Trennungsschmerz zu mildern.
Außer einigen Freunden aus besagter Magic-Gruppe kannte ich dann auch tatsächlich niemanden auf der Feier. Es waren aber alle äußerst freundlich, und an Alkohol herrschte nicht der geringste Mangel, wodurch nach kurzer Zeit bereits solide angetrunken war. An der Theke auf den nächsten Schnaps wartend kam ich mit einem sympathischen Kerl ins Gespräch, der wie sich herausstellte auch Jan hieß. Wir plauderten nett und als wir mit frischen Getränken versorgt weiter zogen kam uns eine atemberaubende Frau entgegen. Sie hatte Aufnäher auf der Jeans-Jacke, Lederbänder um die Handgelenke, trug Chucks und ihre Haare leicht wirr.
Wir wurden einander vorgestellt, sie war die Freundin von meinem Namensvetter, und als er ihr sagte er hätte noch einen Jan an der Theke kennen gelernt fügte er hinzu: „Ist genau dein Typ!“ Wir setzten uns zusammen, tranken und redeten. Zu uns gesellte sich noch Orzi, ein gemeinsamer Kumpel, der dafür sorgte dass wir auch alle immer genug tranken. Maike und ich waren gleich auf einer Wellenlänge, und das obwohl ich des Alkohols wegen noch mehr Unsinn erzählte als sonst.
Als die Feier sich irgendwann in den frühen Morgenstunden dem Ende neigte beschlossen wir, noch kurz auf einen Whiskey in Orzis Partykeller zu gehen. Kaum vier Stunden später saß er erschöpft vor dem letzten Schluck aus zwei Flaschen Whiskey, Jan schlief auf einem Stuhl und ich massierte Maike die Schultern während sie meinen Liebeskummer-Erzählungen lauschte. Ich bekam noch ihre Handynummer auf einem Bierdeckel ehe ich mich durch den Frühnebel auf den Weg zu meinem Gastgeber machte.
Ich hatte einen Haustürschlüssel bekommen und einen Platz auf dem Sofa, den ich nun auch dringend in Anspruch nehmen wollte. Als ich das Haus betrat schreckte ich zuerst einmal den Herrn des Hauses auf, der sein morgendliches Geschäft bei offener Badezimmertür verrichtete, in der festen Überzeugung ich würde schon lange schlafen. Ich wünschte einen guten Morgen und legte mich hin.
Das Summen meines Handys riss mich aus meinen Erinnerungen. Ungläubig starrte ich auf das Display. Auch Michaela hatte aufgeschaut. Eine neue Kurznachricht. Mein Atem stockte, hatte Maike mir tatsächlich mitten in der Nacht geschrieben? Als Antwort auf eine so seltsame Nachricht? „Zeig her!“ sagte Michaela, und kam um den Tisch herum um sich neben mich zu setzen. Ich öffnete die Nachricht und wir lasen beide gleichzeitig:
„Komisch! Naja, hatte nur gefragt ob du Lust hast, nächstes Wochenende meinen Plattenspieler anzuschließen und ein paar Platten zu hören. Wir können auch nen Film schauen und Bounty essen.“
Kurz war ich erleichtert, die Nachricht war völlig unverfänglich. Aber dann wurde ich von Michi wieder an ihre seltsame Art zu denken erinnert. Es war wirklich unglaublich, die folgende Diskussion kostete mich meine Nerven. Einerseits war sie so unglaublich naiv, dass sie mir schlicht glaubte, alle meine seltsamen Ausflüchte nahm sie hin. Sie stellte nicht in Frage was ich ihr erzählte, akzeptierte einfach, dass Maike angeblich nur eine gute Bekannte war. Aber gleichzeitig konnte sie alles völlig überbewerten und die abstrusesten Szenarien entwerfen, Maike würde mich heimtückisch verführen, ich würde ihr erliegen, überhaupt sei es für mich viel zu gefährlich irgendwelche weiblichen Bekannten zu haben.
Ich war erschöpft, und die Lage zwischen uns immer noch ungeklärt, als wir zur Bushaltestelle aufbrechen mussten. Sie brachte mich zur Verzweiflung, aber gleichzeitig fragte ich mich warum ich mir das antat. Ich hatte mir diese Gedanken schon oft gemacht und würde noch oft darüber nachdenken, ehe es endlich zu Ende ging. Stundenlange fruchtlose Gespräche, Nächte mit viel zu wenig Schlaf – wofür? Ich glaube, es waren hauptsächlich zwei Aspekte, die mich heute immer noch manchmal verfolgen. Zum Einen ertrage ich es nicht, wenn arme Mädchen weinen. Ich möchte sie dann davon überzeugen, dass es keinen Grund dazu gibt. Und zum Anderen ertrage ich es nicht, mich im Recht zu fühlen ohne dass das anerkannt wird. Wenn ich denke, sie kann garnicht ernsthaft an mir zweifeln, sie müsste eigentlich einsehen was ich sage, dann diskutiere ich leicht einige Stunden lang nur in der Hoffnung, irgendwann eine Einsicht zu ernten, Recht zu bekommen.
Bevor sie in den Bus stieg drückte sie mir einen kurzen Kuss auf die Lippen, so blitzschnell dass ich nicht reagieren konnte. Dann stand sie auch schon hinter den sich schließenden Türen und winkte. Ich zog mein Shirt ein Stück herunter, um die Brust frei zu machen, und hielt ihr den Edding entgegen, den ich aus meiner Hosentasche gefischt hatte. Unterschreib auf meinem Herzen. Sie verstand, lachte mich an und hauchte mir noch einen Kuss zu. Dann fuhr der Bus ab. Ich war erleichtert, sie los zu sein, aber auch froh dass sie mit einem Lächeln ihren Flug nach Wien antreten würde. Auch wenn ich nicht wusste, was ich wollte, was ich tun sollte und warum, jemandem ein Lächeln geschenkt zu haben schien mir als etwas, an das man sich vorerst klammern konnte.
Musik hilft.
Zumindest erschien uns die lange Wartezeit nicht ganz so dramatisch, da wir ja immerhin meinen iPod hatten, um uns die langen Stunden mit angenehmen Klängen zu verkürzen. Jetzt gerade lief Kaiserbase mit dem Stück „Berlin, du bist so wunderbar.“ Dabei stimmte nicht, was sie sangen. Um kurz nach zwei Uhr nachts war der Hauptbahnhof in Berlin vor allem tot und nur ganz wenig wunderbar. Man konnte ihm höchstens zu Gute halten, dass er zwar Hauptbahnhof hieß, aber keiner war. Das änderte allerdings auch nichts daran, dass der einzige offene Laden Burgerking war und wir die einzigen Kunden.
Während alle anderen Teilnehmer des Treffens am Sonntagabend abgereist waren, hatten Michaela und ich schon vorher ausgemacht, auch noch den Montag in der Hauptstadt zu verbringen. Dieses ganze riesige Eifersuchtsdrama hatte sich zwar am Wochenende nicht wirklich aufgeklärt, aber obwohl noch diese grundsätzliche Spannung zwischen uns lag hatten wir einen schönen Tag verlebt. Die letzten Stunden bevor sie zum Flughafen musste und ich in meinen ICE springen würde wollten wir zwar eigentlich im Kino verbringen, aber das hat Berlins Infrastruktur nicht hergegeben. Wie wir es auch drehten und wendeten, nie passte es so dass wir einen Film schauen und trotzdem pünktlich an unseren Abreiseorten ankommen hätten können.
Um nicht das Risiko einzugehen, einen Zug oder womöglich den Flug zu verpassen, warteten wir also am Bahnhof, von wo aus auch ein Bus zum Flughafen fahren würde. Noch gut eine Stunde mussten wir totschlagen, in der Nacht von Montag auf Dienstag keine leichte Aufgabe. Wir waren erschöpft. Die letzten Töne verklangen und das nächste Lied wurde uns serviert: Sign your name. Ich weiß garnicht, von wem das eigentlich stammt, auf meinem iPod war es jedenfalls in einer Version von der Acapella Band „The Magnets“. Wir beide mochten dieses Lied ungemein, und ich konnte sehen wie Michaela lächelte. Eine ganze Zeit lang hatten wir uns den Refrain oft gegenseitig aufgesagt: Unterschreibe auf meinem Herzen.
Kennen gelernt hatte ich die Magneten vor einer gefühlten Ewigkeit. Das war damals am Vatertag. Um vier Uhr morgens des folgenden Freitags sollte ein Flieger mich von Hannover in die Türkei bringen, zu einem grandiosen Firmenausflug. Ich war also am Donnerstag nach Hannover gekommen, ohne einen ernsthaften Plan. Der ergab sich aber spontan quasi von selbst, als ein paar Punks mich vor dem Bahnhof auf einen „antifaschistischen Umtrunk“ einluden. Damals hatte ich durchaus noch häufiger Kontakt zu den vielen illustren Gestalten, die man auf öffentlichen Plätzen so antrifft. Ich stellte also meine Reisetasche ab, begrüßte freudig Tomtom, Falk und Uwe Ochsenknecht und bekam einen Plastikbecher mit Korn und einem Schuss Cola gereicht. Kaum dass der Nachmittag anbrach war ich angetrunken.
Als ich aufschaute sah ich Silke, eine Klassenkameradin von mir, aus dem Bahnhof kommen. Silke kam ursprünglich aus Berlin und war in die Diakonieeinrichtung nahe meinem Schulort gezogen, wenn ich das richtig mitbekommen hatte zur Magersucht-Nachsorge. Ich fand sie eigentlich sehr nett und sprang demnach auf, um sie zu begrüßen. Ein kurzes Gespräch später erfuhr ich, dass sie auf ein Konzert der Magnets im Kapitol wollte, sich aber vorher noch die Zeit vertreiben müsse. Ich lud sie ins Kino ein, wir sahen Van Helsing, anschließend begleitete ich sie auf das Konzert.
An der Bar fluchte sie, weil sie ihren Ausweis vorzeigen musste um Alkohol zu bekommen. Ich hatte trotz zwei Jahren Rückstand keine Probleme. Nach einem schönen Abend fuhr ich dann mit dem Taxi zu meinem Onkel, schlief noch zwei Stunden auf dem Sofa und dann ging es auf zum Flughafen, ab in die Sonne…
Daher kannte ich also die Magnets, die ich später sogar noch einmal gesehen hatte – wieder zusammen mit Silke. Und jetzt hörte ich sie, zusammen mit Michaela, wie sie davon sangen auf jemandes Herz zu unterschreiben.
Als das Lied verklungen war nahm Michi ihren Kopfhörer runter und schaute mich an. Ich machte die Musik aus und schaute zurück, neugierig darauf was sie wollte. Wir hatten heute nicht viel miteinander gesprochen. „Schreib ihr, sie soll dir die sms nochmal schicken!“ Ich verdrehte die Augen. Ich hatte vor zwei Tagen nicht die Wahrheit gesagt. Im Zelt, nach der Flucht im Regen, da hatte ich eine spontan ausgedachte Geschichte erzählt, von einer guten Freundin die geschrieben hatte. Davon, dass ich gelogen hatte weil ich wusste, dass Michaela mir irgendwas unterstellen würde, auch wenn nichts war. Davon dass es mich ankotzen würde, wie grundlos eifersüchtig sie war. Sie hatte mir ein bisschen geglaubt, so wie sie mir immer ein wenig glaubt und niemals ganz, egal was ich sage.
„Was, soll ich ihr schreiben meine eifersüchtige Freundin möchte wissen, was mir geschrieben wurde, um ihren Kontrollwahn zu befriedigen?“ Ich tat böse, aber ich hatte Angst. Schon wieder das Thema, ich war so lange an der Katastrophe langeschlittert und hatte nicht die Nerven sie jetzt, so kurz vor dem Abschied, noch zu erleben. Sie antwortet sicher, sie hatte wohl eine Weile darüber nachgedacht: „Schreib ihr, sie soll die letzte sms nochmal schicken, dein Handy hat irgendeine Macke. Wenn es stimmt was du gesagt hast, und das völlig harmlos war, dann lasse ich dich danach mit der Sache in Ruhe.“ Sie sah mich erwartungsvoll an.
Das Angebot war äußerst verlockend. Zum Einen stand in der sms tatsächlich nichts allzu schlimmes drin, zum Anderen war es mitten in der Nacht, die Chance dass Maike mir jetzt antworten würde war ziemlich gering. Und dann hätte ich meine Ruhe. Ich nickte, holte mein Handy raus und begann zu tippen. Ich zeigte Michaela die Nachricht kurz zur Kontrolle und schickte sie ab.
Wir holten uns noch einen Satz frische Milchshakes, setzten die Kopfhörer wieder auf und gaben uns der Musik hin. Ich begann, mit meinen Gedanken abzudriften, zu Maike. Was um alles in der Welt ließ mich dieses Theater mit Michi durchziehen, wenn auf mich so eine wundervolle Frau wie Maike wartete? Ich konnte es mir nicht erklären.
Ich hatte Maike auf dem 30sten Geburtstag eines Bekannten kennen gelernt. Das war kurz nachdem ich mit Corina auseinander gezogen war, ich kannte ihn zwar kaum, aber er war frisch zu unserer Magic-Gruppe gestoßen und hatte uns alle eingeladen. Ein Gratisbesäufnis schien mir damals durchaus eine gute Gelegenheit, meinen Trennungsschmerz zu mildern.
Außer einigen Freunden aus besagter Magic-Gruppe kannte ich dann auch tatsächlich niemanden auf der Feier. Es waren aber alle äußerst freundlich, und an Alkohol herrschte nicht der geringste Mangel, wodurch nach kurzer Zeit bereits solide angetrunken war. An der Theke auf den nächsten Schnaps wartend kam ich mit einem sympathischen Kerl ins Gespräch, der wie sich herausstellte auch Jan hieß. Wir plauderten nett und als wir mit frischen Getränken versorgt weiter zogen kam uns eine atemberaubende Frau entgegen. Sie hatte Aufnäher auf der Jeans-Jacke, Lederbänder um die Handgelenke, trug Chucks und ihre Haare leicht wirr.
Wir wurden einander vorgestellt, sie war die Freundin von meinem Namensvetter, und als er ihr sagte er hätte noch einen Jan an der Theke kennen gelernt fügte er hinzu: „Ist genau dein Typ!“ Wir setzten uns zusammen, tranken und redeten. Zu uns gesellte sich noch Orzi, ein gemeinsamer Kumpel, der dafür sorgte dass wir auch alle immer genug tranken. Maike und ich waren gleich auf einer Wellenlänge, und das obwohl ich des Alkohols wegen noch mehr Unsinn erzählte als sonst.
Als die Feier sich irgendwann in den frühen Morgenstunden dem Ende neigte beschlossen wir, noch kurz auf einen Whiskey in Orzis Partykeller zu gehen. Kaum vier Stunden später saß er erschöpft vor dem letzten Schluck aus zwei Flaschen Whiskey, Jan schlief auf einem Stuhl und ich massierte Maike die Schultern während sie meinen Liebeskummer-Erzählungen lauschte. Ich bekam noch ihre Handynummer auf einem Bierdeckel ehe ich mich durch den Frühnebel auf den Weg zu meinem Gastgeber machte.
Ich hatte einen Haustürschlüssel bekommen und einen Platz auf dem Sofa, den ich nun auch dringend in Anspruch nehmen wollte. Als ich das Haus betrat schreckte ich zuerst einmal den Herrn des Hauses auf, der sein morgendliches Geschäft bei offener Badezimmertür verrichtete, in der festen Überzeugung ich würde schon lange schlafen. Ich wünschte einen guten Morgen und legte mich hin.
Das Summen meines Handys riss mich aus meinen Erinnerungen. Ungläubig starrte ich auf das Display. Auch Michaela hatte aufgeschaut. Eine neue Kurznachricht. Mein Atem stockte, hatte Maike mir tatsächlich mitten in der Nacht geschrieben? Als Antwort auf eine so seltsame Nachricht? „Zeig her!“ sagte Michaela, und kam um den Tisch herum um sich neben mich zu setzen. Ich öffnete die Nachricht und wir lasen beide gleichzeitig:
„Komisch! Naja, hatte nur gefragt ob du Lust hast, nächstes Wochenende meinen Plattenspieler anzuschließen und ein paar Platten zu hören. Wir können auch nen Film schauen und Bounty essen.“
Kurz war ich erleichtert, die Nachricht war völlig unverfänglich. Aber dann wurde ich von Michi wieder an ihre seltsame Art zu denken erinnert. Es war wirklich unglaublich, die folgende Diskussion kostete mich meine Nerven. Einerseits war sie so unglaublich naiv, dass sie mir schlicht glaubte, alle meine seltsamen Ausflüchte nahm sie hin. Sie stellte nicht in Frage was ich ihr erzählte, akzeptierte einfach, dass Maike angeblich nur eine gute Bekannte war. Aber gleichzeitig konnte sie alles völlig überbewerten und die abstrusesten Szenarien entwerfen, Maike würde mich heimtückisch verführen, ich würde ihr erliegen, überhaupt sei es für mich viel zu gefährlich irgendwelche weiblichen Bekannten zu haben.
Ich war erschöpft, und die Lage zwischen uns immer noch ungeklärt, als wir zur Bushaltestelle aufbrechen mussten. Sie brachte mich zur Verzweiflung, aber gleichzeitig fragte ich mich warum ich mir das antat. Ich hatte mir diese Gedanken schon oft gemacht und würde noch oft darüber nachdenken, ehe es endlich zu Ende ging. Stundenlange fruchtlose Gespräche, Nächte mit viel zu wenig Schlaf – wofür? Ich glaube, es waren hauptsächlich zwei Aspekte, die mich heute immer noch manchmal verfolgen. Zum Einen ertrage ich es nicht, wenn arme Mädchen weinen. Ich möchte sie dann davon überzeugen, dass es keinen Grund dazu gibt. Und zum Anderen ertrage ich es nicht, mich im Recht zu fühlen ohne dass das anerkannt wird. Wenn ich denke, sie kann garnicht ernsthaft an mir zweifeln, sie müsste eigentlich einsehen was ich sage, dann diskutiere ich leicht einige Stunden lang nur in der Hoffnung, irgendwann eine Einsicht zu ernten, Recht zu bekommen.
Bevor sie in den Bus stieg drückte sie mir einen kurzen Kuss auf die Lippen, so blitzschnell dass ich nicht reagieren konnte. Dann stand sie auch schon hinter den sich schließenden Türen und winkte. Ich zog mein Shirt ein Stück herunter, um die Brust frei zu machen, und hielt ihr den Edding entgegen, den ich aus meiner Hosentasche gefischt hatte. Unterschreib auf meinem Herzen. Sie verstand, lachte mich an und hauchte mir noch einen Kuss zu. Dann fuhr der Bus ab. Ich war erleichtert, sie los zu sein, aber auch froh dass sie mit einem Lächeln ihren Flug nach Wien antreten würde. Auch wenn ich nicht wusste, was ich wollte, was ich tun sollte und warum, jemandem ein Lächeln geschenkt zu haben schien mir als etwas, an das man sich vorerst klammern konnte.