04.04.2010
Sanft setzte die Maschine von Air Berlin auf dem Rollfeld auf.
Applaus gab es keinen, aber das schien nicht an mangelnder Leistung des Piloten zu liegen. Zumindest hatte ich schon öfter beobachtet, dass es wohl unter europäischen Fluggästen nicht mehr allzu weit verbreitet war, seiner Freude über eine gelungene Landung Ausdruck zu verleihen.
Ich persönlich war äußerst froh, wieder in Hannover zu sein. Wien ist schön, keine Frage, aber mein Urlaub dort war gegen Ende eher anstrengend geworden. Vielleicht war auch einfach alles etwas viel.
Der Besuch von Nadines Grab hatte mich ganz schön aufgewühlt. Aber auch Claudia hatte ihren Teil dazu beigetragen, dass ich nicht wie eigentlich erwartet gar nicht mehr weg wollte. Im Gegenteil, ich fühlte mich ganz erleichtert, als meine Rückreise anstand.
Dabei hatte ich sogar ziemlich viel gesehen, schöne Ausflüge und Erlebnisse gehabt. Claudia war, das muss man ihr lassen, eine gute Gastgeberin. Uns mangelte es nicht an Unternehmungslust. Nicht nur mit ihren Eltern, die sehr freundlich, nett und Zuvorkommend waren, habe ich mich gut verstanden, auch ihr Freundeskreis war sehr angenehm. Wir waren im Kino, zockten einen Abend lang zusammen Computerspiele, spielten Werwolf und andere Gesellschaftsspiele, feierten ihren Geburtstag, betrieben ein wenig Sightseeing und verbrachten natürlich den ein oder anderen Abend mit Fastfood, DVDs und Sex.
Aber so gut ich mich mit ihrem Umfeld und meistens auch mit ihr verstand, so niederschmetternd waren die wiederkehrenden Momente, in denen sie ihren ganzen Pessimismus und die Perspektivlosigkeit zum Vorschein kommen ließ. Sie war beispielsweise fest davon überzeugt, dass sie irgendwann aufwachen und nicht mehr in mich verliebt sein würde. Ihre Gefühle mir gegenüber kamen für sie so plötzlich, dass sie sicher war, sie würden genauso unerwartet wieder verschwinden.
Der Gedanke an sich schien mir ja auch halbwegs nachvollziehbar, aber es war einfach unpassend, bei jedem lieben Wort und jeder Träumerei von der Zukunft darauf hingewiesen zu werden, dass ich mich lieber auf gar nichts verlassen sollte.
Und dann diese Sache mit dem Studium. Claudia hat außer tollen Freunden, einer Wohnung in atemberaubender Lage und liebenden Eltern auch noch einen Job mit ziemlich solidem Einkommen. Was sie nicht hat ist ein Hochschulabschluss. Sie scheint aber ein Studium für die Basis jedes glücklichen Lebens zu halten und ließ wenige Gelegenheiten aus, mich darauf hin zu weisen, wie gut ich es eigentlich habe, weil ich studiere.
Ihr eigenes Leben betrachtete sie prinzipiell als gescheitert und weder eine Diskussion über diesen Umstand noch alle weiteren Vorschläge, welche Möglichkeiten sie in Betracht ziehen könnte, ließ sie an sich ran. Das Thema war unglaublich anstrengend und belastend wann immer es aufkam. Ich begann zu versuchen, alle Gesprächsansätze die irgendetwas mit Arbeit, Ausbildung, Geld oder der Lebenssituation im Allgemeinen zu tun hatten, abzuwürgen.
Ich stand inzwischen am Gepäckausgabeband und wartete, dass die Koffer fertig ausgeladen waren. Jetzt war ich erst einmal wieder zu Hause, nur für mich verantwortlich, ohne jemanden um dessen Laune ich mich sorgen musste. Ich hätte allerdings nichts dagegen gehabt, wenn mir noch jemand für ein Essen und einen Film Gesellschaft leisten würde. Vielleicht hatte ja im Cindy's Diner die junge Dame Dienst, die mir schon vor meinem Flug nach Wien begegnet war?
Vielleicht hatte ich dem Ausflug auch einfach zu viel abverlangt. Stadttour, Urlaub bei der - ja was eigentlich? Freundin? Affäre? - dazu noch die Vorbereitung für den Halbmarathon (auf der Donauinsel kann man sehr schön laufen!) und nicht zuletzt natürlich der Besuch von Nadines Grab. Das war noch so etwas - Claudias Haltung gegenüber Nadine. Sie sah sie, glaube ich, ein Stück weit als Konkurrenz an, die sich dem Kampf entzogen hatte. Und sie schien der festen Überzeugung, Nadine hatte die richtige Entscheidung getroffen, sich das Leben zu nehmen. Sie hatte es jetzt bestimmt viel besser, war diese grausame Welt losgeworden - und hatte demnach auch kein Mitleid und keine Anteilnahme verdient.
Es machte mir ziemlich zu schaffen, dieses Gefühl dass meine Trauer, mein Zorn, meine Melancholie, meine Fragen und Zweifel so wenig respektiert wurden. Ich vermied das Thema und Claudia begleitete mich nie zum Friedhof. Nicht selten fühlte ich mich seltsam alleine in Claudias Armen, obwohl ich gestehen muss dass es trotzdem sehr gut tat, sich an jemanden klammern zu können und nicht alleine schlafen zu müssen.
Inzwischen hatte ich mein Gepäck zurück und mir meinen Weg durch alle Sicherheitstüren und die Mengen wartender Menschen gebahnt. Ich ging auf das Cindy's zu, eine Tasche umgehängt, den Koffer hinter mir her ziehend. Und tatsächlich, an der Theke stand Ariane. Ich stellte grinsend meine Sachen ab und ging zu ihr, um ein Kids Menü zu bestellen. Sie grinste mich an, wir wechselten einige Worte, dann setzte ich mich an den Tisch. Ich konnte sehen, wie sie sich mit einer Kollegin unterhielt und die beiden zu mir hinüber sahen. Vermutlich hatte sie bereits von mir erzählt.
Begegnet war ich ihr kurz vor meinem Abflug nach Wien. Ich hatte noch etwas Zeit gehabt und beschlossen, einen Happen zu essen ehe ich mich in die Fänge des Sicherheitsbereiches begeben wollte. Das Diner war ein auf 50er Jahre gemachter Fastfood-Schuppen und wirkte sehr sympathisch auf mich.
Das Kids-Menü entsprach am ehesten meinen Bedürfnissen und so hatte ich die entsprechende Bestellung aufgegeben. Ariane, die meine Wünsche entgegen genommen hatte, hatte mich gefragt, ob ich auch das Spielzeug und den Cadillac aus Pappe wolle, in dem das ganze üblicherweise serviert wurde. Selbstverständlich hatte ich auf mein Recht bestanden und als mir die Mahlzeit schließlich gebracht worden war wies ich darauf hin, dass ich mir sicher irgendwann einmal einen echten Cadillac kaufen würde.
Als ich schließlich bezahlte schrieb die freundliche Bedienung mir ihre Handynummer hinten auf die Rechnung und forderte, dass ich sie anrufen würde sobald der Caddy da war - sie wollte unbedingt eine Runde mitfahren.
Wir hatten während meines Urlaubs ein paar sms gewechselt, ich hatte gefragt ob sie arbeiten müsse wenn ich zurück käme. Angeblich konnte sie das nicht sagen - wie ich später erfuhr hatte sie dafür Sorge getragen, dass sie den passenden Dienst zugeteilt bekam.
Sie brachte mir mein Essen, fragte wie der Urlaub gewesen sei, und plauderte ein wenig mit mir. Als ich schließlich zum Bezahlen nach vorne ging kamen wir - ich weiß gar nicht mehr wie – auf das Malen zu sprechen. Ich zückte einen Kugelschreiber und verzierte die Rückseite des großen Werbezettels, der vor ihr auf einem leeren Tablett lag.
Ich malte zwei Strichmännchen, eines mit deutlichen weiblichen Haaren, die zusammen erst in ein mit "Roadhouse" beschriftetes Gebäude gingen und von dort anschließend in das dahinter liegende "Cinemaxx". Daneben kam ein großes Fragezeichen. Sie schaute auf das Papier, ich schaute auf sie und dann sagte sie: "Ja, würde ich sehr gerne. Ich muss noch bis halb neun arbeiten, nach Hause, duschen, den Pommesgeruch loswerden und mich etwas fraulicher anziehen, dann können wir uns treffen."
Ich stimmte freudig zu und noch während ich mich auf den Weg machte, kam ein Kollege von ihr herbeigeeilt und fragte, so dass ich ihn noch gut verstehen konnte: "War er das etwa?". Ich grinste zurück, bekam aber vom folgenden Gespräch nicht mehr viel mit.
Einige Rolltreppenfahrten später stieg ich in den Zug ein, der unter dem Flughafen Langenhagen schon auf mich wartete. Ich saß da und amüsierte mich über die vielen Leute, die die Treppen herunter gerannt kamen und in den Zug sprangen oder noch panisch versuchten ein Ticket zu lösen, obwohl wir ohnehin erst in 20 Minuten abfahren würden. Dies war zwar auch alle 5 Meter an den großen Info-Tafeln zu lesen, jedoch schien niemand zu schauen oder den Hinweisen zu trauen.
Ich fragte mich indes, ob das eigentlich erlaubt war, was ich gerade tat. Auch wenn Claudia und ich uns in den letzten Tagen eher etwas resigniert behandelt hatten und unser leidenschaftlicher Sex nachts auf dem Balkon mit Blick auf den Donauturm (und Blick von 20 gegenüber liegenden Wohnungen auf uns) schon eine Woche zurück lag - wir waren ja schon irgendwie zusammen, auch wenn das keiner von uns so richtig ausgesprochen hatte.
Wir hatten uns gesagt, dass wir uns mögen und es nicht ausschließlich um das Vergnügen ging, wir hatten niemanden korrigiert, der uns als Paar bezeichnet hatte - eine gewisse Verbindlichkeit war nicht zu leugnen. Und doch war das emotionale Strohfeuer schon wieder fast erloschen und die Anstrengung der letzten Gespräche stand nun dem wohltuenden Gefühl von Freiheit gegenüber.
Was tat ich auch schon? Essen gehen und ins Kino, da war ja nun wirklich nichts dabei. Sollte Ariane mehr erwarten? Würde sie einen Kuss theoretisch zulassen? Sogar versuchen, einen zu bekommen?
Ich wusste nicht genau, was ich wollte, ich wusste allerdings dass ich über soetwas nicht nachdenken wollte. Aber es war auch nicht so, dass ich innerlich mit Claudia schon abgeschlossen hätte. Gerade in solchen Momenten kommen dann ja auch gerne all die schönen Erinnerungen und Träumereien wieder hoch, um ein schlechtes Gewissen zu machen.
Ich überstand jedenfalls irgendwie meine Zugfahrtgedanken, hatte noch einige verzweifelte Telefonate bei dem Versuch, mit Ariane eine Einigung für den Film zu erzielen und traf dann schließlich vor dem Kino meine Verabredung. Sie zwang mich einen Film auszusuchen, wie sich herausstellte hauptsächlich deshalb, um mir hinterher Vorwürfe bezüglich meiner schlechten Wahl machen zu können. Ich fand die Vorstellung hingegen klasse und war ein wenig irritiert davon, dass sie nebenbei sms schrieb, Popcorn warf und laute abfällige Bemerkungen machte.
Das Essen vorher war auch sehr gut gewesen und die Unterhaltung währenddessen nur davon überschattet, dass sie mich darauf hinwies wie grässlich sie eigentlich meinen Mantel fand. Der Mantel, von dem Nadine immer gesagt hatte, er würde mir sicher gut stehen, und dessen Kauf ich immer verschoben hatte, bis es zu spät gewesen war um ihn ihr vorzuführen.
Der Abend verlief also äußerst durchwachsen, trotzdem ging es mir gut. Es tat mir gut. Ich ließ mich sogar von Ariane nach Hause fahren, obwohl das Kino höchstens fünf Minuten Fußweg von meiner Wohnung entfernt lag. Meine erste Antwort auf ihre Frage, ob sie mich noch irgendwo hin bringen solle, war "ja, zu dir", aber ich hatte weder erwartet noch gehofft, dass das wirklich funktioniert, und erwartungsgemäß lehnte sie ab.
So fiel ich also mitten in der Nacht erschöpft, verwirrt aber zufrieden in mein riesiges 2 mal 3 Meter Bett, breitete die Arme aus und fühlte mich frei. Allerdings, und dass nahm ich mir fest vor, würde ich die beiden Menschen, denen ich vorbehaltlos alles in meinem Leben erzählen konnte, konsultieren müssen um über meine aktuelle Lage und die nächsten Schritte zu beraten. Mit diesem Vorsatz im Kopf und einem seligen Lächeln auf den Lippen schlief ich ein.
Sanft setzte die Maschine von Air Berlin auf dem Rollfeld auf.
Applaus gab es keinen, aber das schien nicht an mangelnder Leistung des Piloten zu liegen. Zumindest hatte ich schon öfter beobachtet, dass es wohl unter europäischen Fluggästen nicht mehr allzu weit verbreitet war, seiner Freude über eine gelungene Landung Ausdruck zu verleihen.
Ich persönlich war äußerst froh, wieder in Hannover zu sein. Wien ist schön, keine Frage, aber mein Urlaub dort war gegen Ende eher anstrengend geworden. Vielleicht war auch einfach alles etwas viel.
Der Besuch von Nadines Grab hatte mich ganz schön aufgewühlt. Aber auch Claudia hatte ihren Teil dazu beigetragen, dass ich nicht wie eigentlich erwartet gar nicht mehr weg wollte. Im Gegenteil, ich fühlte mich ganz erleichtert, als meine Rückreise anstand.
Dabei hatte ich sogar ziemlich viel gesehen, schöne Ausflüge und Erlebnisse gehabt. Claudia war, das muss man ihr lassen, eine gute Gastgeberin. Uns mangelte es nicht an Unternehmungslust. Nicht nur mit ihren Eltern, die sehr freundlich, nett und Zuvorkommend waren, habe ich mich gut verstanden, auch ihr Freundeskreis war sehr angenehm. Wir waren im Kino, zockten einen Abend lang zusammen Computerspiele, spielten Werwolf und andere Gesellschaftsspiele, feierten ihren Geburtstag, betrieben ein wenig Sightseeing und verbrachten natürlich den ein oder anderen Abend mit Fastfood, DVDs und Sex.
Aber so gut ich mich mit ihrem Umfeld und meistens auch mit ihr verstand, so niederschmetternd waren die wiederkehrenden Momente, in denen sie ihren ganzen Pessimismus und die Perspektivlosigkeit zum Vorschein kommen ließ. Sie war beispielsweise fest davon überzeugt, dass sie irgendwann aufwachen und nicht mehr in mich verliebt sein würde. Ihre Gefühle mir gegenüber kamen für sie so plötzlich, dass sie sicher war, sie würden genauso unerwartet wieder verschwinden.
Der Gedanke an sich schien mir ja auch halbwegs nachvollziehbar, aber es war einfach unpassend, bei jedem lieben Wort und jeder Träumerei von der Zukunft darauf hingewiesen zu werden, dass ich mich lieber auf gar nichts verlassen sollte.
Und dann diese Sache mit dem Studium. Claudia hat außer tollen Freunden, einer Wohnung in atemberaubender Lage und liebenden Eltern auch noch einen Job mit ziemlich solidem Einkommen. Was sie nicht hat ist ein Hochschulabschluss. Sie scheint aber ein Studium für die Basis jedes glücklichen Lebens zu halten und ließ wenige Gelegenheiten aus, mich darauf hin zu weisen, wie gut ich es eigentlich habe, weil ich studiere.
Ihr eigenes Leben betrachtete sie prinzipiell als gescheitert und weder eine Diskussion über diesen Umstand noch alle weiteren Vorschläge, welche Möglichkeiten sie in Betracht ziehen könnte, ließ sie an sich ran. Das Thema war unglaublich anstrengend und belastend wann immer es aufkam. Ich begann zu versuchen, alle Gesprächsansätze die irgendetwas mit Arbeit, Ausbildung, Geld oder der Lebenssituation im Allgemeinen zu tun hatten, abzuwürgen.
Ich stand inzwischen am Gepäckausgabeband und wartete, dass die Koffer fertig ausgeladen waren. Jetzt war ich erst einmal wieder zu Hause, nur für mich verantwortlich, ohne jemanden um dessen Laune ich mich sorgen musste. Ich hätte allerdings nichts dagegen gehabt, wenn mir noch jemand für ein Essen und einen Film Gesellschaft leisten würde. Vielleicht hatte ja im Cindy's Diner die junge Dame Dienst, die mir schon vor meinem Flug nach Wien begegnet war?
Vielleicht hatte ich dem Ausflug auch einfach zu viel abverlangt. Stadttour, Urlaub bei der - ja was eigentlich? Freundin? Affäre? - dazu noch die Vorbereitung für den Halbmarathon (auf der Donauinsel kann man sehr schön laufen!) und nicht zuletzt natürlich der Besuch von Nadines Grab. Das war noch so etwas - Claudias Haltung gegenüber Nadine. Sie sah sie, glaube ich, ein Stück weit als Konkurrenz an, die sich dem Kampf entzogen hatte. Und sie schien der festen Überzeugung, Nadine hatte die richtige Entscheidung getroffen, sich das Leben zu nehmen. Sie hatte es jetzt bestimmt viel besser, war diese grausame Welt losgeworden - und hatte demnach auch kein Mitleid und keine Anteilnahme verdient.
Es machte mir ziemlich zu schaffen, dieses Gefühl dass meine Trauer, mein Zorn, meine Melancholie, meine Fragen und Zweifel so wenig respektiert wurden. Ich vermied das Thema und Claudia begleitete mich nie zum Friedhof. Nicht selten fühlte ich mich seltsam alleine in Claudias Armen, obwohl ich gestehen muss dass es trotzdem sehr gut tat, sich an jemanden klammern zu können und nicht alleine schlafen zu müssen.
Inzwischen hatte ich mein Gepäck zurück und mir meinen Weg durch alle Sicherheitstüren und die Mengen wartender Menschen gebahnt. Ich ging auf das Cindy's zu, eine Tasche umgehängt, den Koffer hinter mir her ziehend. Und tatsächlich, an der Theke stand Ariane. Ich stellte grinsend meine Sachen ab und ging zu ihr, um ein Kids Menü zu bestellen. Sie grinste mich an, wir wechselten einige Worte, dann setzte ich mich an den Tisch. Ich konnte sehen, wie sie sich mit einer Kollegin unterhielt und die beiden zu mir hinüber sahen. Vermutlich hatte sie bereits von mir erzählt.
Begegnet war ich ihr kurz vor meinem Abflug nach Wien. Ich hatte noch etwas Zeit gehabt und beschlossen, einen Happen zu essen ehe ich mich in die Fänge des Sicherheitsbereiches begeben wollte. Das Diner war ein auf 50er Jahre gemachter Fastfood-Schuppen und wirkte sehr sympathisch auf mich.
Das Kids-Menü entsprach am ehesten meinen Bedürfnissen und so hatte ich die entsprechende Bestellung aufgegeben. Ariane, die meine Wünsche entgegen genommen hatte, hatte mich gefragt, ob ich auch das Spielzeug und den Cadillac aus Pappe wolle, in dem das ganze üblicherweise serviert wurde. Selbstverständlich hatte ich auf mein Recht bestanden und als mir die Mahlzeit schließlich gebracht worden war wies ich darauf hin, dass ich mir sicher irgendwann einmal einen echten Cadillac kaufen würde.
Als ich schließlich bezahlte schrieb die freundliche Bedienung mir ihre Handynummer hinten auf die Rechnung und forderte, dass ich sie anrufen würde sobald der Caddy da war - sie wollte unbedingt eine Runde mitfahren.
Wir hatten während meines Urlaubs ein paar sms gewechselt, ich hatte gefragt ob sie arbeiten müsse wenn ich zurück käme. Angeblich konnte sie das nicht sagen - wie ich später erfuhr hatte sie dafür Sorge getragen, dass sie den passenden Dienst zugeteilt bekam.
Sie brachte mir mein Essen, fragte wie der Urlaub gewesen sei, und plauderte ein wenig mit mir. Als ich schließlich zum Bezahlen nach vorne ging kamen wir - ich weiß gar nicht mehr wie – auf das Malen zu sprechen. Ich zückte einen Kugelschreiber und verzierte die Rückseite des großen Werbezettels, der vor ihr auf einem leeren Tablett lag.
Ich malte zwei Strichmännchen, eines mit deutlichen weiblichen Haaren, die zusammen erst in ein mit "Roadhouse" beschriftetes Gebäude gingen und von dort anschließend in das dahinter liegende "Cinemaxx". Daneben kam ein großes Fragezeichen. Sie schaute auf das Papier, ich schaute auf sie und dann sagte sie: "Ja, würde ich sehr gerne. Ich muss noch bis halb neun arbeiten, nach Hause, duschen, den Pommesgeruch loswerden und mich etwas fraulicher anziehen, dann können wir uns treffen."
Ich stimmte freudig zu und noch während ich mich auf den Weg machte, kam ein Kollege von ihr herbeigeeilt und fragte, so dass ich ihn noch gut verstehen konnte: "War er das etwa?". Ich grinste zurück, bekam aber vom folgenden Gespräch nicht mehr viel mit.
Einige Rolltreppenfahrten später stieg ich in den Zug ein, der unter dem Flughafen Langenhagen schon auf mich wartete. Ich saß da und amüsierte mich über die vielen Leute, die die Treppen herunter gerannt kamen und in den Zug sprangen oder noch panisch versuchten ein Ticket zu lösen, obwohl wir ohnehin erst in 20 Minuten abfahren würden. Dies war zwar auch alle 5 Meter an den großen Info-Tafeln zu lesen, jedoch schien niemand zu schauen oder den Hinweisen zu trauen.
Ich fragte mich indes, ob das eigentlich erlaubt war, was ich gerade tat. Auch wenn Claudia und ich uns in den letzten Tagen eher etwas resigniert behandelt hatten und unser leidenschaftlicher Sex nachts auf dem Balkon mit Blick auf den Donauturm (und Blick von 20 gegenüber liegenden Wohnungen auf uns) schon eine Woche zurück lag - wir waren ja schon irgendwie zusammen, auch wenn das keiner von uns so richtig ausgesprochen hatte.
Wir hatten uns gesagt, dass wir uns mögen und es nicht ausschließlich um das Vergnügen ging, wir hatten niemanden korrigiert, der uns als Paar bezeichnet hatte - eine gewisse Verbindlichkeit war nicht zu leugnen. Und doch war das emotionale Strohfeuer schon wieder fast erloschen und die Anstrengung der letzten Gespräche stand nun dem wohltuenden Gefühl von Freiheit gegenüber.
Was tat ich auch schon? Essen gehen und ins Kino, da war ja nun wirklich nichts dabei. Sollte Ariane mehr erwarten? Würde sie einen Kuss theoretisch zulassen? Sogar versuchen, einen zu bekommen?
Ich wusste nicht genau, was ich wollte, ich wusste allerdings dass ich über soetwas nicht nachdenken wollte. Aber es war auch nicht so, dass ich innerlich mit Claudia schon abgeschlossen hätte. Gerade in solchen Momenten kommen dann ja auch gerne all die schönen Erinnerungen und Träumereien wieder hoch, um ein schlechtes Gewissen zu machen.
Ich überstand jedenfalls irgendwie meine Zugfahrtgedanken, hatte noch einige verzweifelte Telefonate bei dem Versuch, mit Ariane eine Einigung für den Film zu erzielen und traf dann schließlich vor dem Kino meine Verabredung. Sie zwang mich einen Film auszusuchen, wie sich herausstellte hauptsächlich deshalb, um mir hinterher Vorwürfe bezüglich meiner schlechten Wahl machen zu können. Ich fand die Vorstellung hingegen klasse und war ein wenig irritiert davon, dass sie nebenbei sms schrieb, Popcorn warf und laute abfällige Bemerkungen machte.
Das Essen vorher war auch sehr gut gewesen und die Unterhaltung währenddessen nur davon überschattet, dass sie mich darauf hinwies wie grässlich sie eigentlich meinen Mantel fand. Der Mantel, von dem Nadine immer gesagt hatte, er würde mir sicher gut stehen, und dessen Kauf ich immer verschoben hatte, bis es zu spät gewesen war um ihn ihr vorzuführen.
Der Abend verlief also äußerst durchwachsen, trotzdem ging es mir gut. Es tat mir gut. Ich ließ mich sogar von Ariane nach Hause fahren, obwohl das Kino höchstens fünf Minuten Fußweg von meiner Wohnung entfernt lag. Meine erste Antwort auf ihre Frage, ob sie mich noch irgendwo hin bringen solle, war "ja, zu dir", aber ich hatte weder erwartet noch gehofft, dass das wirklich funktioniert, und erwartungsgemäß lehnte sie ab.
So fiel ich also mitten in der Nacht erschöpft, verwirrt aber zufrieden in mein riesiges 2 mal 3 Meter Bett, breitete die Arme aus und fühlte mich frei. Allerdings, und dass nahm ich mir fest vor, würde ich die beiden Menschen, denen ich vorbehaltlos alles in meinem Leben erzählen konnte, konsultieren müssen um über meine aktuelle Lage und die nächsten Schritte zu beraten. Mit diesem Vorsatz im Kopf und einem seligen Lächeln auf den Lippen schlief ich ein.