Maliks Saga

Apolonia

Mitglied
Die Schreie hallten durch die hohen, kahlen Räume. Viele Frauen liefen hin und her, schwarz gekleidet und geduckt. Manche von ihnen versteckten ihren Körper ganz unter der Burka, die nur mit einem Sehschlitz versehen war. Leise, wortlos, ausdruckslos. Fast leblos.
Er stand am Fenster der großen Vorhalle und blickte erwartungsvoll in die Richtung, wo am Ende des langen Korridors sich ein Drama abspielte.
„Das vierte Kind. Wenn es diesmal wieder ein Mädchen ist, dann wird sie dafür büßen müssen. So eine Schmach“, dachte er genervt.
Im Gedanken versunken merkte er erst jetzt die ungewöhnliche Ruhe, die totale Stille. Er setzte sich auf die Kissen, die überall um den Opiumtisch auf dem Berberteppich herumlagen und zog an der goldenen Kordel. Der Diener erschien in dem gleichen Augenblick. Wortlos verbeugte er sich tief vor seinem Herrn.
„Abdal (Diener), schau nach, wie lange noch?“ - befahl er schroff.
Der Angesprochene verbeugte sich zum zweiten Mal und lautlos wie ein Schatten entfernte er sich, ohne jedoch den Rücken seinem Herrn zudrehen.
Die Antwort kam prompt. Er wußte es, als er die Frauen schreiend und klagend hörte.
Da kam auch schon sein treuer Diener ihm entgegen. Der werdende Vater machte nur eine Handbewegung, als wollte er alles ihm in dem Weg Stehende zur Seite schieben und eilte durch den langen Flur. Ja, er war verärgert. Kraftvoll öffnete er die schwere, hölzerne Tür.
Sema (Der Himmel) lag auf dem Bett, bewegungslos, ganz blass. Ihr Gemach glich einem Kampffeld. Überall lagen blutgetränkte Tücher. Die erfahrene Hebamme, die schon viele Entbindungen in den namenhaften Familien begleitet hatte, versuchte ihn zurück zu drängen.
„Lass es, Salima (Friedenshelferin)“, wie durch einen Vorhang hörte er sich selber reden.
Er schob sie sanft, aber bestimmt zur Seite.
An das riesige Bett näher zu kommen, wagte er sich nicht. Er mochte seine zweite Frau nicht mehr anfassen, obwohl sie seine Lieblingsfrau war. Nein, jetzt nicht mehr.
„Sie ist mit einem Fluch belegt, wie die ganze Sippe“, dachte er zornig.
„Salima (Friedenshelferin), was ist es?“, fragte er ungeduldig die verängstigte Hebamme.
„Mein Herr, ein Mädchen, sehr schön, aber schwach. Wir mußten eine Wöchnerin aus dem Dorf holen, um das Kind zu stillen. Vielleicht überlebt die Kleine“, klärte ihm die erschöpfte Hebamme auf.
Salima drehte sich schnell um. Das Gesicht ihres Herrn wollte sie nicht sehen. Sie kannte seine Wut- und Gewaltausbrüche. Sie hatte es oft erlebt.
„Kümmere dich um das Kind. Ich will es nicht sehen“, war seine lapidare Antwort.
Er drehte sich um und ging raus, ohne das Kind eines Blickes zu würdigen.

Jahre vergingen. Das kleine Mädchen Nur (Licht) wuchs bei Salima (Friedenshelferin) auf. Die alte Frau schenkte ihm alle Liebe der Welt. Salima war nie verheiratet und hatte keine eigenen Kinder. Die kleine Nur (Licht) war ein echter Glücksfall für sie. So konnte die alte Frau die eigenen Schicksalsschläge vergessen. Das Mädchen wuchs zusammen mit den Dorfkindern auf. Salima war so angetan von dem lieblichen Wesen, dass sie ihm keine Bitte abschlagen konnte. Die kluge Frau wusste, dass Nur es (Licht) noch sehr schwer im Leben haben würde, wie fast alle muslimischen Frauen.
So brachte sie ihr das Lesen und auch das Schreiben bei. Sie durfte auch das Reiten lernen und mit den Dorfjungen zusammen spielen. Sie musste auch das lästige Hijab tragen. Ihre seidene schwarze Haare trug sie kurz geschnitten. Die ungezogenen Locken hingen frivol über die sonnengebräunte Stirn. Etwas Wildes sah man manchmal in ihrem Blick. Die alte Hebamme war von Anfang an ihre Mutter und das Mädchen stellte noch keine Fragen.
Am 11. Geburtstag kam die Katastrophe, die niemand voraussehen konnte. Salima, die die letzten Tage schon etwas schwächelte, blieb den ganzen Tag im Bett. In der Nacht schlief sie friedlich ein. Ihr treues sudanisches Hausmädchen Leyla (Nacht) hat nach Anweisung der Verstorbenen gehandelt. Packte den ganzen Kram, was Nur (Licht) noch geblieben war, in ein Tuch, schnürte es zusammen, nahm die Kleine an der Hand und ging in die etwa 10 km entfernte Stadt. Unter dem Leibchen trug sie gut versteckt einen Brief. Den sollte sie dem reichen Kaufman Malik (König, Stammesanführer), aushändigen. In der Stadt angekommen, brauchte sie nicht viel zu fragen. Der Kaufmann Malik war über die Stadtgrenze bekannt. Er bewohnte eine prächtige Villa am Rande der Stadt in dem eleganten Vorort, wo normalerweise eine ärmliche Frau dazu noch mit dem Kind auf der Straße verdächtig aussah. Die Armut sah man den beiden sofort an. Nicht mal einen Esel konnten sie sich leisten. Den langen, beschwerlichen Weg hatten sie zu Fuß geschafft. Die kleine Nur konnte sich vor Anstrengung kaum noch auf den Beinen halten.
Mit Herzklopfen näherten sich die beiden Frauen dem Tor. Hinter der hohen Mauer erschien ihnen eine ganz andere Welt. Das Tor selber, massiv aber sehr kunstvoll verarbeitet, ließ sich nicht öffnen. Auch die kleine Pforte nebenan war verschlossen.
Leyla (Nacht) holte tief Luft, als hätte sie alle Kraft der Welt gebraucht, um die Glocke zu betätigen. Sie hatte Bedenken und Angst. Was passiert jetzt? Werden sie reingelassen oder wie ein Hund weggejagt, möglicherweise noch verprügelt?
Nach Gesetzen des Koran dürfte man die Weisen und Bettler nicht abweisen. Der Allah verlangt Barmherzigkeit. Leyla kannte alle Suren auswendig und wußte genau, was in der Sure 93 Ad-Duha steht. Sie wußte auch, dass nicht alle, auch die streng gläubigen Araber, nach Allah‘s Gesetzen leben.
Voll Zweifel standen sie da, zwei unscheinbare Wesen. Nur (Licht) mußte heute ein Hijab tragen. Das war für sie ungewöhnlich, noch dazu bei dieser Hitze. Sie konnte das nicht verstehen. Sie tat es auf Leylas Bitten. Erschöpf und verstaubt, hungrig und durstig, wie zwei Bettlerinnen standen sie da, nur einen Schritt von dem Paradies entfernt.
Es war Mittagszeit. Man hörte gerade von dem entfernten Minarett die Rufe des Muezzins zum Zuhr-Gebet (Sonne im Zenit).
Es dauerte, bis ein alter Mann im schneeweißem Kaftan und ebensolchem Turban mit dem schweren Schlüsselbund in der Hand sich der kleinen Pforte näherte.
„Salam aleikum (Friede mit euch) in Allahs Namen, Frau, ich schicke einen Diener mit Getränken und Speisen. Warte hier“, sprach der Eunuch und drehte sich um.
„Aleikum as-Salam (Frieden auch mit euch) Effendi (Herr), ich bin Leyla, die Dienerin der Friedenshelferin Salima. Ich habe einen Brief an den Hausherr, den ich ihm persönlich aushändigen soll und eine Antwort ohne Aufschub erwarte. Verzeih mir Herr diese mutige Worte. Es ist was Schlimmes passiert“, sprach sie mit einem Atemzug, als hätte sie die Sätze unterwegs einstudiert und auswendig gelernt.
„Sprich Frau, ich werde es meinem Herrn vortragen“, kam die Antwort.
„Effendi (Herr), im Namen des allwissenden Allahs, ich habe geschworen, nur dem erhabenen Herrn Malik diese Nachricht zu überbringen. Verzeih mir, ich darf nicht mit dir darüber sprechen“, sagte sie mutig und staunte selbst über ihre gewagte Antwort.
Einen Moment wußte der Eunuch nicht, was er von der ganzen Situation halten sollte. Lässt er die Frau herein, könnte nachher Ärger geben. Schickt er sie fort, könnte es auch Ärger auslösen. Sein Herr war bekannt dafür, dass er mit Mitmenschen nicht besonders zimperlich umging. Auch, wenn er selbst schon über 60 Jahre in Maliks Diensten stand, fürchtete er sich immer noch vor dem Zorn seines Herren.
Langsam und nachdenklich öffnete der Alte die kleine Pforte.
„Folge mir, Frau“, sagte er mürrisch.
Er führte sie in eine herrliche Hofhalle. Sie war in Form eines Oktagons. Die spiegelklare Glasdecke lehnte auf riesigen, reich verzierten Säulen. Der mit Carrara Marmor ausgelegter Boden glänzte und schimmerte in hellem Sonnenlicht. Der ganze Raum hell, übersichtlich und herrlich kühl. In der Mitte der Halle befand sich ein prächtiger die Feuchtigkeit spendender Springbrunnen. Ein Marmorbecken in Form eines halben Apfels zum Fünfeck (Pentagramm) verarbeitet und auf fünf Jadesäulen (fünf Säulen des Islam) angelehnt. Die fünfstrahligen Kerngehäuse versprühten herrliche feuchte Frische, vermischt mit Rosenduft, in die ganze Umgebung.
Solche Herrlichkeit war den Frauen fremd. Sie staunten, waren auch stark verunsichert.
Der Eunuch führte sie zu einer Nische, wo ein Opiumtisch auf einem traumhaften Berberteppich stand. Überall lagen verstreut bauschige Sitzkissen. Sie mochten nicht barfuss und verstaubt darauf treten, um keine Spuren zu hinterlassen. So blieben sie also abseits stehen.
„Frau, ihr könnt vor meinem Herrn so verschmutz nicht eintreten. Ich werde eine Bedienstete schicken, die sich um euch kümmert. Ihr habt ungefähr 1,5 Stunden Zeit. Nach dem Zuhr-Gebet und der Mahlzeit werdet ihr von Baba (Vater) Malik empfangen“, sprach der Eunuch monoton und verschwand.
Man konnte eine gewisse Erleichterung in seiner Stimme hören. Er hatte das Problem für sich gelöscht.
Nur, sehr blass und zitternd vor Erschöpfung und Aufregung, lehnte sie sich an eine der riesigen Säulen, ihre glühenden Wangen an die kühle Oberfläche drückend.
„Leyla, ich kann nicht mehr“, flüsterte sie.
Ohne eine Antwort abzuwarten rutschte der zierliche Körper die Säule runter und sie blieb auf dem kühlen Steinboden so sitzen.
Wie gerufen kam schon eilend eine junge Frau, fast ein Kind noch, höchstens 15 Jahre alt. Das Mädchen war dunkel gekleidet und trug ein Kopftuch. Sie lächelte. Ihre großen dunklen Augen blinzelten lustig und neugierig. Ohne viele Worte zu verlieren hob sie den kleinen Körper hoch, liebevoll schloss sie die kleine Nur in ihre Arme und nickte in Leylas Richtung mit dem Kopf, ihr zu folgen.
So begann eine tiefe Freundschaft. Eine Freundschaft für‘s Leben.
 
Wir es denn weiter gehen oder müssen wir uns mit diesem Appetithappen begnügen?
Ich habe immer gern die "Märchen aus 1001 Nacht" gelesen, folglich spricht mich auch dieser Text an.

Was Du, Apolonia, m.E. besser machen könntest:
Etwas mehr stilistische Dynamik und Differenzierung insgesamt könnte dem Text sehr zugute kommen.
Besonders lästig finde ich die Klammern (Erläuterungen), und ein fragwürdiges Stilmittel (sprachliches Mittel der Textgestaltung) obendrein. Am besten auflösen und in den Text einbauen, oder, wo unwesentlich, ganz weglassen.
Wer etwa nicht weiß, was ein Pentagramm ist, möge es selber nachschauen; der Übersetzung eines Namens wie z.B. "Nur (Licht)" könntest Du, falls Du sie für notwendig erachtest, die Aufdringlichkeit nehmen, indem du einen Nebensatz bildest: "... Nur, was soviel heißt wie Licht, ..."

In Erwartung der Fortsetzung,
mfG,
Binsenbrecher
 



 
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