Man nannte mich den Seelenpein

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Gofmann

Mitglied
Seit mehr als fünfundsechzig Jahren tu ich zu dicht auffahren, seit circa neuneinhalb Äonen durchstreif ich Klimazonen. Ich war Fußpfleger in Ägypten und Handfeger in den Krypten, und ich putzte wie der Gigolo von Memphis bis nach Jericho.

Dort lebte ich jahraus, jahrein und wurde äußerst spitz. Man nannte mich den Seelenpein, ein Greis im Kindersitz. Auf meiner Plauze klebten noch Schwangerschaftsstreifen wie Abdrücke großer Reifen – und Archimedes hätte sein Ergötzen an meinen schiefen Kreisen. Spielte er einst mit Bauklötzen und liebte die Traumreisen.

Ich sah mit meinem Seherblick des Öfteren den Galgenstrick. Ich lag auch einmal leprakrank mit Trübsal auf der Kirchenbank. Und so leerte ich die Becher für Bundys Triebverbrecher, nahm die Ölfarbe aus der Narbe und malte mit Hingabe.

Katharina die Große beglückte ich mit Cocktailsoße und Hildegard von Bingen tat mein Butterbrot verschlingen. So wisset: Den Rausch, den kann man suchen – in Bierwurst und Haschkuchen. Doch den Sinn, den muss man finden – bei Sehern ... und bei Blinden.

 

Gofmann

Mitglied
Ich nutze lieber andere Stilmittel als Zeilensprünge. Es ist auch weniger ein klassisches Gedicht.

Als Stolperer würde ich es nicht sehen. Wie in Musik, Architektur (und auch im Design) ist ein leichter Bruch ein Bauelement, das den letzten Schliff geben kann. So ein „Glitch“ (kurzes falsches Signal in der Elektronik) ist bei der Visualisierung meiner Texte ein roter Faden, der immer mit dazugehört.
 

mondnein

Mitglied
Seit mehr als fünfundsechzig Jahren
tu ich zu dicht auffahren,
seit circa neuneinhalb Äonen
durchstreif ich Klimazonen.

Ich war Fußpfleger in Ägypten
und Handfeger in den Krypten,
und ich putzte wie der Gigolo
von Memphis bis nach Jericho.

Dort lebte ich jahraus, jahrein
und wurde äußerst spitz.
Man nannte mich den Seelenpein,
ein Greis im Kindersitz.

Auf meiner Plauze klebten noch Schwangerschaftsstreifen
wie Abdrücke großer Reifen –
und Archimedes hätte sein Ergötzen
an meinen schiefen Kreisen. Spielte er einst mit Bauklötzen
und liebte die Traumreisen.

Ich sah mit meinem Seherblick
des Öfteren den Galgenstrick.

Ich lag auch einmal leprakrank
mit Trübsal auf der Kirchenbank.
Und so leerte ich die Becher
für Bundys Triebverbrecher,
nahm die Ölfarbe aus der Narbe
und malte mit Hingabe.

Katharina die Große
beglückte ich mit Cocktailsoße
und Hildegard von Bingen
tat mein Butterbrot verschlingen.

So wisset: Den Rausch, den kann man suchen –
in Bierwurst und Haschkuchen.
Doch den Sinn, den muss man finden –
bei Sehern ... und bei Blinden.
 

sufnus

Mitglied
Hm.
Einige Bilder sind wirklich ergötzlich. Insgesamt wirkt das Gedicht aber ein bisschen sehr huschhusch dahin gerotzt.
Wenn man derartig brüchige Assoziationsfäden bildet, dass sich eigentlich an jedes Einzelbild jedes denkbare Folgebild anschließen kann, dann ist es relativ simpel, passende Reimwörter zu finden.
Insofern ist es beispielsweise nicht besonders eindrücklich, "Hildegard von Bingen" mit "ein Butterbrot verschlingen" reimzuverpaaren.
Was mir aber im Hinblick auf einen mündlichen Vortrag gut gefällt, sind die über den ganzen Text verstreuten Augenreime, die sich "gar nicht wirklich" reimen - da kann man beim Deklamieren schön schräg mit spielen.
Aber etwas sehr viel mehr Liebesmühe hätte den Text noch auf ein ganz anderes Niveau gehoben (und das meint ausdrücklich kein Anständigkeitsniveau sondern den sprachlichen Innovationsgrad des Gedichts).
LG!
S.
 



 
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