VeraL
Mitglied
Ich mag keine Samstage. Als ich sieben war, gab es einen sonnigen und heißen Samstag. An diesem Tag zog Papa aus. Als ich neun war, gab es einen nassen und kalten Samstag. An diesem Tag zog Tillmann bei Mama und mir ein. Er brachte seine Kinder mit. Mareike und Bastian. Ich hasste die drei vom ersten Moment an.
Ich war immer eine Chaotin, aber nachdem Papa ausgezogen war, räumte ich mein Zimmer auf. Weil sich das so gut anfühlte, machte ich mit dem ganzen Haus weiter. Ich nahm alle Bücher aus dem Regal und sortierte sie nach Farben. Die Sofakissen ordnete ich der Größe nach, ebenso wie meine Stifte. Die Legosteine wurden auch nach Farbe sortiert, genau wie Mamas Blumen. Im Wohnzimmer standen die mit weißen Blüten, in der Küche die mit blauen Blüten und im Esszimmer die ganz ohne Blüten. Mama sagte nichts dazu. In dieser Zeit redete sie sowieso wenig mit mir. Ihre Freundinnen lachten manchmal über mich, aber meist fanden sie es toll, wenn ich nach dem Essen direkt die Spülmaschine einräumte und die Wäsche zusammen legte und gratulierten Mama zu ihrer ordentlichen Tochter.
Früh am Morgen wachte ich auf und war am ganzen Körper kribbelig. Mein Zimmer war ein einziges Chaos. Mama und Tillmann hatten drauf bestanden, dass Mareike und ich uns ein Zimmer teilten. Sie hatte ihren Kram überall verteilt, ohne jede Ordnung. Puppen saßen kreuz und quer vor ihrem Bett, dazwischen Kuscheltiere, Puppengeschirr und Bücher. Vor meinem Schreibtisch lag ein Ball und darauf hatte Mareike ein Mathebuch gelegt. Ich drehte mich um, aber ich spürte die Unordnung in meinem Rücken. Meine Beine und Arme kribbelten und zuckten und das Gefühl stieg in meinen Kopf, bis ich dachte, er würde platzen. Ich krabbelte aus dem Bett. Am liebsten wollte ich aufräumen, aber dann würde Mareike aufwachen und mir mit ihrer schrillen Stimme auf die Nerven gehen.
Ich schlich mich aus dem Zimmer die Treppe hinunter. Überall standen Kisten und Taschen. Gestern hatte Tillmann verkündet: „Jetzt ist es genug mit Auspacken. Morgen ist auch noch ein Tag. Was haltet ihr davon, wenn wir Pizza bestellen und uns einen Film ansehen?“ Der Mann war unmöglich. Was fand Mama nur an dem? Ich machte mich auf die Suche nach meinem einzigen Freund. Er würde mich verstehen. Er war in der Abstellkammer und ich startete ihn mit einem Klick auf seine kleine Fernbedienung. Leise brummend fuhr Saugi, der kleine Staubsaugerroboter, los. Ich schob ein paar Kisten zur Seite, damit er Platz hatte, und genoss das knisternde Geräusch, wenn er etwas aufsaugte.
Saugi konnte ich alles erzählen. „Mama und ich waren doch ein super Team. Alles war geregelt und ordentlich. Was will sie nur mit diesen Chaoten? Alles bringen sie durcheinander.“ Saugi blinkte und schien mich aufmunternd anzulächeln, während meine Tränen auf ihn drauf tropften. „Ich weiß nicht, wie ich mich hier jemals wieder wohlfühlen soll.“ Ich schluchzte und Saugi zog seine Bahnen. Hinter mir hörte ich ein unterdrücktes Niesen. Ich drehte mich um und sah einen Zipfel von Mareikes rosa Schlafanzug um die Ecke verschwinden. Auch das noch. Hatte sie mich etwa die ganze Zeit belauscht? Was würde sie jetzt von mir denken? Bestimmt hielt sie mich für komplett psycho.
Saugi blinkte mitleidig und fuhr immer wieder gegen eine große blaue Tasche aus einem Möbelhaus. Ich schob sie zur Seite, damit er vorbei konnte, und bemerkte nicht, dass ein kleiner Gegenstand heraus fiel, bis Saugi ihn mir direkt vor die Füße schob. Was war das denn? Es war eine Schmuckdose. Sie war aufgegangen und eine silberne Kette mit einem Fischanhänger lag daneben. Vorsichtig legte ich sie zurück in die Schachtel. Merkwürdig, was Leute schön fanden. Ich legte das Kästchen wieder in die Tasche und bekam eine Gänsehaut. Mareike stand wirklich auf Fische. Die ganze Tasche war voll mit Büchern über Aquarien, Stofftierfischen und sogar einem Fotoalbum mit Fischfotos. Ich ekelte mich vor Fischen. Sie schwammen wuselig durcheinander.
„Was genau tust du da? Das sind meine Sachen und die gehen dich nichts an.“ Mareike stand in ihrem rosa Schlafanzug, auf dem ein Glitzerfisch war, im Wohnzimmer und sah mich böse an.
„Dann räum deinen Kram halt ordentlich weg und lass nicht alles im Weg rumstehen. Wie soll man denn hier saugen?“
„Du und dein bescheuerter Ordnungswahn, mit dem du alle tyrannisierst. Nur wegen dir musste ich mein Aquarium verkaufen.“
„Hä? Was hab ich damit zu tun?“
„Na, weil alle Rücksicht auf deine Ticks nehmen müssen. Deine Mama meinte, ein Aquarium könnte man dir nicht zumuten. Zu unordentlich. Und weil es dich an deinen Vater erinnern könnte.“
Das stimmte. Papa hatte ein Aquarium gehabt. Er hatte es geliebt und manchmal durfte ich ihm mit dem Fischen helfen. Damals fand ich Fische auch toll. Papa hatte das Aquarium hiergelassen und jetzt stand es auf dem Dachboden. Ohne die Fische natürlich, die hatte Mama verschenkt.
„Immer geht es nur um dich, du blöde Kuh. Daran, dass meine Fische ein Geschenk von meiner Mama waren und sie mich an sie erinnern, denkt keiner.“
Sie schnappte sich die Tasche und knallte die Tür hinter sich zu.
Der Saugi hielt vor meinen Füßen und schaute mich auffordernd an.
Ich fühlte mich kurz schlecht. Daran, dass Mareike ihre Mama vermisste und überhaupt nicht hier sein wollte, hatte ich nicht gedacht.
Die ganze Woche über sahen Mareike und ich uns kaum. Ich nahm nach der Schule an möglichst vielen AGs teil, um nicht mit den anderen essen zu müssen, und Mareike war ebenfalls selten zuhause. Sie war im Sportverein und trainierte für irgendein Turnier. Außerdem übernachtete sie zweimal bei einer Freundin. Wenn ich sie dann doch mal sah, wirkte sie traurig und redete nicht mit mir. Obwohl sie fast nie da war, hinterließ sie überall Chaos. Am Donnerstag hielt ich es nicht mehr aus. Ich schnappte mir ein paar Boxen vom Dachboden und stopfte ihre Sachen hinein. Alles feinsaubersortiert. Als ich fertig war, konnte ich wieder atmen. Die Kuscheltiere von ihrem Bett waren verschwunden, die Blöcke und Zettel von ihrem Schreibtisch, die Klamotten vom Boden. Alles stand in sorgfältig beschrifteten Kisten im Regal. Ich fühlte mich so gut, dass ich mir zutraute, Tillmanns gute Laune beim Abendessen zu ertragen.
Wir waren beim Nachtisch, als Mareike zurückkam. Tillmann strahlte sie an: „Willst du was essen, Mausi?“
„Nee, ich geh erst duschen.“ Sie verschwand nach oben und mein Bauch fing an zu kribbeln. Würde sie sich freuen, dass ich ihr beim Aufräumen geholfen hatte? Ich hatte etwas Angst davor, dass sie es nicht gut finden würde und sich bei Mama und Tillmann beschwerte. Aber nichts geschah. Bestimmt war sie glücklich. Jetzt konnte sie viel leichter alles finden. Gut gelaunt ging ich zurück in mein Zimmer. Ich konnte nicht glauben, was ich dort sah. Mareike hatte alle Kisten ausgekippt. Nicht nur ihre Sachen auch meine. Alles türmte sich wild durcheinander auf dem Boden. Meine neue Stiefschwester saß seelenruhig auf ihrem Bett.
„Das nennt man Konfrontationstherapie, du bekloppte Irre. Wag es nie wieder, meine Sachen anzufassen.“
Ich flüchtete in die Abstellkammer. Das hier konnte ich nicht aushalten. Ich schrie und weinte. Mama kam, um nachzusehen, was los war. Nach einer Weile, verstand sie, was los war, und versprach, Mareike dazu zu bringen, wenigstens meine Sachen aufzuräumen. Sie machte mir einen Kakao und setzte mich aufs Sofa.
Saugi fuhr langsam hin und her. Das beruhigte mich etwas.
„Die blöde Kuh. Was hat sie sich dabei gedacht? Ich wollte ihr nur helfen.“
Der Staubsaugerroboter hielt an und schien mich eindringlich anzusehen.
„Ok, ok, ich wollte mir helfen. Aber sie hätte auch nicht gleich alles auskippen müssen.“
Saugi fuhr von mir weg unter das Sofa.
„Was, du denkst, ich soll ein Friedensangebot machen?“
Langsam kam Saugi wieder zum Vorschein.
„Und was genau soll das sein?“
Es brummte laut. Saugi hatte das Spotcleaning angestellt und fuhr immer wieder über die Stelle, auf der die blaue Tasche gefunden hatte.
„Nein, das kannst du vergessen. Ich hasse Fische. Sie schwimmen wild durcheinander durch diese wuseligen Schlingpflanzen und so. Mit so einem Ding im Zimmer könnte ich nie wieder schlafen.“
Doch abends im Bett konnte ich nicht einschlafen. Das lag nicht nur daran, dass Mareike nur halbherzig aufgeräumt hatte. Ich dachte an Papa und daran, wie gerne ich ihm immer mit den Fischen geholfen hatte. Könnte ich nicht doch? Nein, das war zu viel, oder?
Am Samstag saßen wir alle beim Frühstück zusammen. Ich stocherte lustlos in meinen Müslischalen herum. Von denen hatte ich mehrere, damit ich Haferflocken, Cornflakes, Nüsse, Rosinen und Joghurt ordentlich voneinander trennen konnte.
Mama verkündete: „Heute fahren wir ins Möbelhaus. Bastian braucht einen neuen Schrank und hier und da fehlen noch Kleinigkeiten.“
„Jeder darf sich was aussuchen“, sagte Tillmann strahlend.
„Au ja. Die haben riesige Plüschdinos.“ Bastian war Feuer und Flamme und Mareike schnappte sich einen Katalog und blätterte darin. Die beiden waren so leicht zu bestechen.
„Ich komme nicht mit. Hab keine Lust.“
„Was? Du liebst den Laden doch. Denk an die ganzen Ordnungsboxen. Außerdem wollen wir da essen. Es wird länger dauern.“
„Ist mir egal. Ich bleibe hier.“
Mama sah mich misstrauisch an und ich stopfte mir den Mund voll mit Haferflocken, damit sie mich nicht weiter ausfragte.
„Wag es nicht, irgendetwas aufzuräumen, was nicht dir gehört, ja?“
Ich nickte nur und sah Mama böse an. Das war es nicht, was ich vorhatte.
Es dauerte ewig, bis die anderen endlich abfuhren. Wenn sie ihre Sachen vernünftig aufräumen würden, müssten sie nicht solange danach suchen, wenn sie irgendwo hin wollten. Ich hörte, wie sich das Garagentor schloss, ging auf mein Zimmer und schlachtete mein Sparschwein. Mit dem Geld lief ich nach unten und schwang mich auf mein Fahrrad. Ich hatte nicht viel Zeit und sehr viel zu tun.
Nachmittags saß ich nervös auf dem Bett und wartete auf die anderen. Ob Mareike gefallen würde, was ich mir ausgedacht hatte? Draußen klapperte das Garagentor. Ich kaute auf meinen Nägeln herum und beobachtete, wie Saugi in unserem Zimmer seine Bahnen zog. Er blinkte mir aufmunternd zu. Einen kurzen Moment später stürmte Mareike durch die Tür. Sie blieb wie angewurzelt stehen und starrte auf den Tisch, den ich zwischen unsere Betten gequetscht hatte. Dann fing sie an zu lachen.
„Hey, kommt alle her. Das müsst ihr euch ansehen.“
Mama, Tillmann und Bastian polterten ins Zimmer. Auch sie schauten erst ungläubig und fingen dann an zu lachen.
Auf dem Tisch stand Papas Aquarium, das ich vom Dachboden geholt hatte. Ich hatte es sauber gemacht und gefüllt. Die Pflanzen hatte ich nach meiner Art sortiert. Ordentlich in Reihen, nach Größen sortiert, gab es Korallen, kleine Töpfe mit Wasserkelchen, Felsen und in der Mitte eine Schlingpflanze. Ich hatte nur eine Sorte Fische gekauft. Sie waren klein und blau mit einem roten Streifen und schwammen meist im Schwarm in eine Richtung.
„Danke, Süße. Ich bin stolz auf dich.“ Mama wuschelte mir durch die Haare und Saugi drehte sich freudig im Kreis.
Mareike sagte nichts. Aber sie nahm ihre Bücher und stellte sie ordentlich ins Regal. Manche Samstage waren gar nicht so schlecht.
Ich war immer eine Chaotin, aber nachdem Papa ausgezogen war, räumte ich mein Zimmer auf. Weil sich das so gut anfühlte, machte ich mit dem ganzen Haus weiter. Ich nahm alle Bücher aus dem Regal und sortierte sie nach Farben. Die Sofakissen ordnete ich der Größe nach, ebenso wie meine Stifte. Die Legosteine wurden auch nach Farbe sortiert, genau wie Mamas Blumen. Im Wohnzimmer standen die mit weißen Blüten, in der Küche die mit blauen Blüten und im Esszimmer die ganz ohne Blüten. Mama sagte nichts dazu. In dieser Zeit redete sie sowieso wenig mit mir. Ihre Freundinnen lachten manchmal über mich, aber meist fanden sie es toll, wenn ich nach dem Essen direkt die Spülmaschine einräumte und die Wäsche zusammen legte und gratulierten Mama zu ihrer ordentlichen Tochter.
Früh am Morgen wachte ich auf und war am ganzen Körper kribbelig. Mein Zimmer war ein einziges Chaos. Mama und Tillmann hatten drauf bestanden, dass Mareike und ich uns ein Zimmer teilten. Sie hatte ihren Kram überall verteilt, ohne jede Ordnung. Puppen saßen kreuz und quer vor ihrem Bett, dazwischen Kuscheltiere, Puppengeschirr und Bücher. Vor meinem Schreibtisch lag ein Ball und darauf hatte Mareike ein Mathebuch gelegt. Ich drehte mich um, aber ich spürte die Unordnung in meinem Rücken. Meine Beine und Arme kribbelten und zuckten und das Gefühl stieg in meinen Kopf, bis ich dachte, er würde platzen. Ich krabbelte aus dem Bett. Am liebsten wollte ich aufräumen, aber dann würde Mareike aufwachen und mir mit ihrer schrillen Stimme auf die Nerven gehen.
Ich schlich mich aus dem Zimmer die Treppe hinunter. Überall standen Kisten und Taschen. Gestern hatte Tillmann verkündet: „Jetzt ist es genug mit Auspacken. Morgen ist auch noch ein Tag. Was haltet ihr davon, wenn wir Pizza bestellen und uns einen Film ansehen?“ Der Mann war unmöglich. Was fand Mama nur an dem? Ich machte mich auf die Suche nach meinem einzigen Freund. Er würde mich verstehen. Er war in der Abstellkammer und ich startete ihn mit einem Klick auf seine kleine Fernbedienung. Leise brummend fuhr Saugi, der kleine Staubsaugerroboter, los. Ich schob ein paar Kisten zur Seite, damit er Platz hatte, und genoss das knisternde Geräusch, wenn er etwas aufsaugte.
Saugi konnte ich alles erzählen. „Mama und ich waren doch ein super Team. Alles war geregelt und ordentlich. Was will sie nur mit diesen Chaoten? Alles bringen sie durcheinander.“ Saugi blinkte und schien mich aufmunternd anzulächeln, während meine Tränen auf ihn drauf tropften. „Ich weiß nicht, wie ich mich hier jemals wieder wohlfühlen soll.“ Ich schluchzte und Saugi zog seine Bahnen. Hinter mir hörte ich ein unterdrücktes Niesen. Ich drehte mich um und sah einen Zipfel von Mareikes rosa Schlafanzug um die Ecke verschwinden. Auch das noch. Hatte sie mich etwa die ganze Zeit belauscht? Was würde sie jetzt von mir denken? Bestimmt hielt sie mich für komplett psycho.
Saugi blinkte mitleidig und fuhr immer wieder gegen eine große blaue Tasche aus einem Möbelhaus. Ich schob sie zur Seite, damit er vorbei konnte, und bemerkte nicht, dass ein kleiner Gegenstand heraus fiel, bis Saugi ihn mir direkt vor die Füße schob. Was war das denn? Es war eine Schmuckdose. Sie war aufgegangen und eine silberne Kette mit einem Fischanhänger lag daneben. Vorsichtig legte ich sie zurück in die Schachtel. Merkwürdig, was Leute schön fanden. Ich legte das Kästchen wieder in die Tasche und bekam eine Gänsehaut. Mareike stand wirklich auf Fische. Die ganze Tasche war voll mit Büchern über Aquarien, Stofftierfischen und sogar einem Fotoalbum mit Fischfotos. Ich ekelte mich vor Fischen. Sie schwammen wuselig durcheinander.
„Was genau tust du da? Das sind meine Sachen und die gehen dich nichts an.“ Mareike stand in ihrem rosa Schlafanzug, auf dem ein Glitzerfisch war, im Wohnzimmer und sah mich böse an.
„Dann räum deinen Kram halt ordentlich weg und lass nicht alles im Weg rumstehen. Wie soll man denn hier saugen?“
„Du und dein bescheuerter Ordnungswahn, mit dem du alle tyrannisierst. Nur wegen dir musste ich mein Aquarium verkaufen.“
„Hä? Was hab ich damit zu tun?“
„Na, weil alle Rücksicht auf deine Ticks nehmen müssen. Deine Mama meinte, ein Aquarium könnte man dir nicht zumuten. Zu unordentlich. Und weil es dich an deinen Vater erinnern könnte.“
Das stimmte. Papa hatte ein Aquarium gehabt. Er hatte es geliebt und manchmal durfte ich ihm mit dem Fischen helfen. Damals fand ich Fische auch toll. Papa hatte das Aquarium hiergelassen und jetzt stand es auf dem Dachboden. Ohne die Fische natürlich, die hatte Mama verschenkt.
„Immer geht es nur um dich, du blöde Kuh. Daran, dass meine Fische ein Geschenk von meiner Mama waren und sie mich an sie erinnern, denkt keiner.“
Sie schnappte sich die Tasche und knallte die Tür hinter sich zu.
Der Saugi hielt vor meinen Füßen und schaute mich auffordernd an.
Ich fühlte mich kurz schlecht. Daran, dass Mareike ihre Mama vermisste und überhaupt nicht hier sein wollte, hatte ich nicht gedacht.
Die ganze Woche über sahen Mareike und ich uns kaum. Ich nahm nach der Schule an möglichst vielen AGs teil, um nicht mit den anderen essen zu müssen, und Mareike war ebenfalls selten zuhause. Sie war im Sportverein und trainierte für irgendein Turnier. Außerdem übernachtete sie zweimal bei einer Freundin. Wenn ich sie dann doch mal sah, wirkte sie traurig und redete nicht mit mir. Obwohl sie fast nie da war, hinterließ sie überall Chaos. Am Donnerstag hielt ich es nicht mehr aus. Ich schnappte mir ein paar Boxen vom Dachboden und stopfte ihre Sachen hinein. Alles feinsaubersortiert. Als ich fertig war, konnte ich wieder atmen. Die Kuscheltiere von ihrem Bett waren verschwunden, die Blöcke und Zettel von ihrem Schreibtisch, die Klamotten vom Boden. Alles stand in sorgfältig beschrifteten Kisten im Regal. Ich fühlte mich so gut, dass ich mir zutraute, Tillmanns gute Laune beim Abendessen zu ertragen.
Wir waren beim Nachtisch, als Mareike zurückkam. Tillmann strahlte sie an: „Willst du was essen, Mausi?“
„Nee, ich geh erst duschen.“ Sie verschwand nach oben und mein Bauch fing an zu kribbeln. Würde sie sich freuen, dass ich ihr beim Aufräumen geholfen hatte? Ich hatte etwas Angst davor, dass sie es nicht gut finden würde und sich bei Mama und Tillmann beschwerte. Aber nichts geschah. Bestimmt war sie glücklich. Jetzt konnte sie viel leichter alles finden. Gut gelaunt ging ich zurück in mein Zimmer. Ich konnte nicht glauben, was ich dort sah. Mareike hatte alle Kisten ausgekippt. Nicht nur ihre Sachen auch meine. Alles türmte sich wild durcheinander auf dem Boden. Meine neue Stiefschwester saß seelenruhig auf ihrem Bett.
„Das nennt man Konfrontationstherapie, du bekloppte Irre. Wag es nie wieder, meine Sachen anzufassen.“
Ich flüchtete in die Abstellkammer. Das hier konnte ich nicht aushalten. Ich schrie und weinte. Mama kam, um nachzusehen, was los war. Nach einer Weile, verstand sie, was los war, und versprach, Mareike dazu zu bringen, wenigstens meine Sachen aufzuräumen. Sie machte mir einen Kakao und setzte mich aufs Sofa.
Saugi fuhr langsam hin und her. Das beruhigte mich etwas.
„Die blöde Kuh. Was hat sie sich dabei gedacht? Ich wollte ihr nur helfen.“
Der Staubsaugerroboter hielt an und schien mich eindringlich anzusehen.
„Ok, ok, ich wollte mir helfen. Aber sie hätte auch nicht gleich alles auskippen müssen.“
Saugi fuhr von mir weg unter das Sofa.
„Was, du denkst, ich soll ein Friedensangebot machen?“
Langsam kam Saugi wieder zum Vorschein.
„Und was genau soll das sein?“
Es brummte laut. Saugi hatte das Spotcleaning angestellt und fuhr immer wieder über die Stelle, auf der die blaue Tasche gefunden hatte.
„Nein, das kannst du vergessen. Ich hasse Fische. Sie schwimmen wild durcheinander durch diese wuseligen Schlingpflanzen und so. Mit so einem Ding im Zimmer könnte ich nie wieder schlafen.“
Doch abends im Bett konnte ich nicht einschlafen. Das lag nicht nur daran, dass Mareike nur halbherzig aufgeräumt hatte. Ich dachte an Papa und daran, wie gerne ich ihm immer mit den Fischen geholfen hatte. Könnte ich nicht doch? Nein, das war zu viel, oder?
Am Samstag saßen wir alle beim Frühstück zusammen. Ich stocherte lustlos in meinen Müslischalen herum. Von denen hatte ich mehrere, damit ich Haferflocken, Cornflakes, Nüsse, Rosinen und Joghurt ordentlich voneinander trennen konnte.
Mama verkündete: „Heute fahren wir ins Möbelhaus. Bastian braucht einen neuen Schrank und hier und da fehlen noch Kleinigkeiten.“
„Jeder darf sich was aussuchen“, sagte Tillmann strahlend.
„Au ja. Die haben riesige Plüschdinos.“ Bastian war Feuer und Flamme und Mareike schnappte sich einen Katalog und blätterte darin. Die beiden waren so leicht zu bestechen.
„Ich komme nicht mit. Hab keine Lust.“
„Was? Du liebst den Laden doch. Denk an die ganzen Ordnungsboxen. Außerdem wollen wir da essen. Es wird länger dauern.“
„Ist mir egal. Ich bleibe hier.“
Mama sah mich misstrauisch an und ich stopfte mir den Mund voll mit Haferflocken, damit sie mich nicht weiter ausfragte.
„Wag es nicht, irgendetwas aufzuräumen, was nicht dir gehört, ja?“
Ich nickte nur und sah Mama böse an. Das war es nicht, was ich vorhatte.
Es dauerte ewig, bis die anderen endlich abfuhren. Wenn sie ihre Sachen vernünftig aufräumen würden, müssten sie nicht solange danach suchen, wenn sie irgendwo hin wollten. Ich hörte, wie sich das Garagentor schloss, ging auf mein Zimmer und schlachtete mein Sparschwein. Mit dem Geld lief ich nach unten und schwang mich auf mein Fahrrad. Ich hatte nicht viel Zeit und sehr viel zu tun.
Nachmittags saß ich nervös auf dem Bett und wartete auf die anderen. Ob Mareike gefallen würde, was ich mir ausgedacht hatte? Draußen klapperte das Garagentor. Ich kaute auf meinen Nägeln herum und beobachtete, wie Saugi in unserem Zimmer seine Bahnen zog. Er blinkte mir aufmunternd zu. Einen kurzen Moment später stürmte Mareike durch die Tür. Sie blieb wie angewurzelt stehen und starrte auf den Tisch, den ich zwischen unsere Betten gequetscht hatte. Dann fing sie an zu lachen.
„Hey, kommt alle her. Das müsst ihr euch ansehen.“
Mama, Tillmann und Bastian polterten ins Zimmer. Auch sie schauten erst ungläubig und fingen dann an zu lachen.
Auf dem Tisch stand Papas Aquarium, das ich vom Dachboden geholt hatte. Ich hatte es sauber gemacht und gefüllt. Die Pflanzen hatte ich nach meiner Art sortiert. Ordentlich in Reihen, nach Größen sortiert, gab es Korallen, kleine Töpfe mit Wasserkelchen, Felsen und in der Mitte eine Schlingpflanze. Ich hatte nur eine Sorte Fische gekauft. Sie waren klein und blau mit einem roten Streifen und schwammen meist im Schwarm in eine Richtung.
„Danke, Süße. Ich bin stolz auf dich.“ Mama wuschelte mir durch die Haare und Saugi drehte sich freudig im Kreis.
Mareike sagte nichts. Aber sie nahm ihre Bücher und stellte sie ordentlich ins Regal. Manche Samstage waren gar nicht so schlecht.