Meine linke Hand

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Mitglied
Herzlich willkommen auf der Lupe, Jane Wels!

Hat mir dein Einstandstext schon sehr gut gefallen, so fügt sich dieser nahtlos freudespendend an. Mein Staunen ins Regengrüne gelegt zu bekommen - was für ein wunderbar poetischer wie bildlich bezaubernder Gedanke! Ja, bitte - ich will!

Die linke Hand des Dichters - logisch, dass sie es sein muss, die all diesen Zauber niederschreibt - ist sie doch mit der rechten Gehirnhälfte verbunden, welche für
Körpersprache, Bildersprache, Intuition, Gefühl, Spontaneität Sprunghaftigkeit, Neugier, Spielen, Risiko, Synthese, Überblick, Kunst, Kreativität, Tanz, Musik, ganzheitliche Zusammenhänge, Raumempfinden.
zuständig ist. (Zitat: Maria Erlebach )

Gefällt mir ausnehmend gut, diese Sinnlichkeit der Buchstaben und ihrer Zwischenräume!

Bloß hier hat sich ein Vertippsler eingeschlichen:

verzapft sich
in Erinnerungen
aus verschluckten Hall.
"verschlucktem Hall" müsste es korrekt lauten.

Auf jeden Fall sehr gerne gelesen. Ich freue mich schon auf mehr!


Liebe Grüße,
fee
 

revilo

Mitglied
Sag’ mir,
was du willst,
meine linke Hand
wird es schreiben.
Sie legt dein Staunen
ins Regengrüne,
verzapft sich
in Erinnerungen
aus verschlucktem Hall.

der einstieg ist gelungen......ich vermute mal, du bist rechtshänderin.......aber dann wird´s zu blumig........"sie legt dein staunen ins regengrüne" ergibt keinen wirklichen sinn........verzapft sich in erinnerungen klingt zu gewollt und der verschluckte hall ist zu sehr drüber......"jeder buchstabe schmeckt nach dir" ist hervorragend.........

Sag’ mir,
was du willst,
meine linke Hand
wird es schreiben.
Jeder Buchstabe schmeckt
nach dir.

das würde völlig ausreichen und wäre aus meiner sicht ein ausgezeichnetes gedicht......hier hat der leser genügend spielraum für eigene gedanekn; die aussage ist auf das wesentliche in einer einfachen und klaren sprache begrenzt.......du musst wirklich aufpassen, dass du nicht überdrehst.......LG
 

surrusus

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Liebe Jane,

eigentlich präsentierst du mit dem Werk zwei Gedichte. Einerseits lese ich ein Gedicht über die Leidenschaft und Liebe zum Schreibprozess, amor scripturae, andererseits wohnt dem Werk eine Kraft inne, die sich auf das Zwischenmenschliche übertragen ließe.

Du verwendest die linke Hand, die symbolisch für Kreativität steht und ein Alleinstellungsmerkmal pflegt. Wir haben also die Kreativität und das herausgelöste besondere "Anderssein", fast wie ein Geschenk an jemanden. Die Personifikation, die die besondere Fähigkeit hat, das Wesen einer anderen Person oder das Wesen eines Moments einzufangen. Hier also mehr die intrinsische Verbindung zwischen der Kreativität, dem Unterbewusstsein oder/und die Verbindung zu einer geliebten Person. Und zwischen all diesen Eigenschaften sucht sie sich einen direkten Zugang zu tieferen, nicht rationalen Schichten. (Die Mehrdeutigkeit steht dem Werk sehr gut, wie ich finde, vielleicht geht mir in der Tiefe aber auch der sauer-Stoff aus.)

Dann haben wir ein Spiel mit dem Konzept der Resonanzen und Widerhalle: Es geht demnach nicht nur um Erinnerung als Rückkehr in die Vergangenheit, sondern um das Gefühl, das in der Gegenwart durch die Erinnerung ausgelöst wird ("verschluckter Hall"). Ein diversifizierter Nachhall, der durch die kreative Handlung des Schreibens (oder einer erinnerung an eine person) eingefangen wird.

Darauf folgt der Buchstabe, der "nach dir" schmeckt. Die Synästhesie schließt das Werk mit einer sehr persönlichen Note ab, die vielleicht sehnsüchtig ist. Das alles Geschriebene von der Präsenz einer anderen Person inspiriert ist oder diese Person in irgendeiner Weise vermisst wird. Oder, dass diese Person das geschriebene Wort ist, also die Poesie, der tiefste Drang, ja, ein Wort aus Tinte zu fassen und daraus Gegenständlichkeit zu erzeugen und es ins (eigene) Leben zu rufen, ex nihilo nihil fit, hmm...

Was habe ich jetzt vergessen? Die Symbolik vielleicht. Die Verarbeitung von Emotion und Erinnerung durch Schrift und Sprache. "Jeder Buchstabe": Eine Verkörperung der angesprochenen Person oder einer Idee, einer Muse oder einer Inspiration. Vielleicht eine "Manifestation" des Unfassbaren durch den Schreibakt oder eine Manifestation des Abwesenden, des Unnahbaren, dieses innerlichen Dursts, seine eigene Sprache zu leben und nur dort liebe finden zu können...

Das lyrische Ich kommt kurz und knapp daher, will nichts überzeugen, will nur atmen. Die Art und Weise, wie es atmet, ist sehr "weiblich", wie ich finde. "Sie legt dein Staunen ins Regengrüne": Da riecht man fast den Petrichor (sehr interessant außerdem als offtopic: "ἰχώρ īchṓr" -> „Blut der Götter“, 1964 CSIRO, Isabel J. Bear) und Respekt, Anziehung und Liebe hinter einer Mauer, die sich in der Angst der Komfortzone verzapft. Durch das Aussprechen von "Jeder Buchstabe schmeckt nach dir", will sie aber ausbrechen, ringt und kämpft. Ich meine, die Zeile ist wie ein Andenken. Geschmack ist ja etwas äußerst Intensives und gerade Erinnerungen die wir durch einen Geschmack im Neokortex gespeichert haben, sind ja oft jene, die man nie vergisst. Man könnte damit Hass aber auch Liebe und all den Mischmasch ausm Leben umschreiben. Hier ist aber, wie ich finde, das Werk schon recht klar.

Im Grunde zwei Gedichte in einem. Wie wundersam und schön und eigen.

surru
 



 
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