Meine Ostergeschichte

Hera Klit

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Meine Ostergeschichte

Wie zu jedem Osterfest fuhr ich zu meiner lieben alten alleinlebenden Mutter.
Zunächst aßen wir gemeinsam zu Mittag und um 14 Uhr ging ich schräg über die Straße, ins kaum fünfzig Meter von Mutters Haus entfernte Pflegeheim und holte meine MS kranke, im Rollstuhl sitzende ältere Schwester ab. Wir trinken dann gewöhnlich Kaffee und essen Mutters selbst gebackenen Kuchen. Ich besuche die beiden jedes Wochenende, dieses Osterwochenende war eigentlich keine Ausnahme im üblichen, langgeprobten Ablauf, nur dass eben Ostern war. Das ist schon etwas Besonderes. Man spürt in sich den Wunsch, sich österlich und ordentlich sowie lieb und nett zu verhalten. Ein sechzigjähriger Sohn sollte den Umgang mit einer alten Mutter und einer kranken älteren Schwester nun wirklich beherrschen, hatte er doch bereits mehr als dreißig Jahre Zeit, sich in die Situation einzufinden und regelrecht hineinzuwachsen. Ich muss allerdings zugeben, dass dies nicht nur an Ostern ein gewisser Eiertanz ist, zwischen diesen beiden starken Naturen richtig zu agieren und keine Fehler zu machen. Beide gebührt natürlich ein gehöriger Respekt seitens eines ziemlich jungen Sohnes und eines jüngeren Bruders, der ja ein Mann ist und außerdem noch gesund. Ich muss da immer sehr aufpassen, nicht durch Unüberlegtheiten und närrische Schusseligkeiten meinerseits in den zarten Frauenseelen Schaden anzurichten.
Oft komme ich mir wie ein plumper, tapsender Tanzbär zwischen edlen Königinnen vor, dem man die Klauen feilen muss und einen Maulkorb anziehen muss, damit er niemanden verletzt während seines unbeholfenen, ja fast lächerlichen Tanzes.

Dieses Jahr hatte ich es wieder einmal voll versemmelt. Mutter war die ganze Woche auf meine Schwester sauer gewesen und hatte mir das in allabendlichen Gesprächen
-ich rufe Mutter aus Sicherheitsgründen und Besorgnis jeden Abend an-, ausführlich geschildert.
Meine Schwester, die nicht mehr über ein eigenes Konto verfügen darf -Mutter und ich hatten in vollkommenem Schulterschluss dafür gesorgt- hatte, von dem Wunsch getrieben, für Mutter ein Ostergeschenk zu besorgen, auf eigene Faust das Heim verlassen und für ihre letzten acht Euro im Laden nebenan Blümchen und Süßigkeiten erstanden und diese dann sogar direkt an Mutters Haustür gebracht, um sie Mutter persönlich zu übergeben. Ein starkes Stück für eine ehemalige Sport- und Geschichtslehrerin für Gymnasien, die nun auf den Rollstuhl angewiesen ist. In unseren abendlichen Telefonaten erdreistete ich mich freilich nicht, Mutter zu widersprechen, als sie ihrem Unmut darüber Ausdruck verlieh. Ich muss immer den Gesundheitszustand der nun Zweiundachtzigjährigen beachten und ich kann diesen freilich nicht durch unüberlegtes Parteiergreifen für meine Schwester gefährden. Ich gestehe ein, dass mir im Stillen das Vergehen meiner Schwester gar nicht so schwerwiegend erschien, aber das natürlich nur, weil ich den Fehler machte, den ganzen Sachverhalt nicht durch die Brille meiner Mutter zu betrachten. Meine Mutter leidet nun einmal unter diesen Eigenmächtigkeiten meiner Schwester. Wir wurden von ihr streng erzogen, damit die Menschen nicht denken sollten wir seien Idioten und Nichtsnutze. Das sagt sie mir heute noch fast jedes Wochenende und ich stimme ihr dann lieber mal zu, dass ich ihren Erziehungsansatz noch heute als richtig und gelungen erachte. Die paar Verklemmtheiten und Schäden, die ich selbst deswegen habe, ertrage ich mit Geduld und mit der Hoffnung, im nächsten Leben bessere Karten zu haben. Ich dachte oft an Selbstmord in meinem Leben, konnte dies aber Mutter freilich nicht antun. Heute, mit sechzig, sage ich mir, jetzt habe ich es so lange ausgehalten, den Rest bekomme ich auch noch irgendwie hin. Nichts ist lächerlicher als ein sechzigjähriger Selbstmörder, von dem die Welt ohnehin nichts mehr erwartet. Es wäre eine Anmaßung und blanke Lächerlichkeit, sich jetzt umzubringen.

Ach so, ich schweife ab, ich wollte ja meinen Fehler, den ich am Osterfest beging, gestehen.
Also es kam so: Als wir am Kaffeetisch zusammen saßen, meine alte, noch sichtlich beleidigte und einsilbige Mutter, meine ältere MS-kranke rollstuhlfahrende Schwester und ich, bat mich meine Schwester um etwas Taschengeld. Und was soll ich sagen, ich tumber Tor von einem Sohn, stand auf, ging zu meiner Jacke im Flur und holte 15 Euro aus meiner Geldbörse und gab sie einfach so meiner Schwester. Das war ein gewaltiger Fehler. Den Rest des Nachmittags hagelten Vorwürfe vonseiten meiner Mutter auf mich ein. Ich fiele ihr in den Rücken, ob ich dies nicht merken würde. Meine Schwester sei immer schon hinterlistig gewesen und habe schon immer einen Keil zwischen sie und andere getrieben und und und.
Der Abschied von meiner Mutter fiel dann kühl und kurz aus, sie sagte noch, ich müsse erst mal nicht mehr anrufen. Ich brachte meine Schwester ins Heim und fuhr nach Hause.
Am Ostermontag erwachte ich mit Herzrasen. Ich erinnere mich im Traum, auf langen Reihen von Mutters selbst gebackenem Kuchen mit schweren Stiefeln herumgetrampelt zu haben.
 



 
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