Menschen machen Namen

Anonym

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Menschen machen Namen
Den Namen sucht man sich nicht aus. Manches Kind hat es nicht leicht in der Schule. Einem Paul wird passend und unpassend von allen Seiten zugeworfen: „Halt‘s Maul“. Eine Maia ist verurteilt, die ganze Schulzeit die Biene zu sein. Eine Ute darf sich zwischen Pute und Stute aussuchen. Benice Pfotenhauer¹ haut regemäßig auf die Pfoten den Schulkameraden, die das stimmlose P dem stimmhaften B in ihrem Vornamen bevorzugen. Dem Nachnamen nach zu urteilen, könnten ihre Vorfahren eventuell Sonderschulerzieher für minderjährige Kleptomane oder die Ungeschicktesten im Stamm der Steinhauer gewesen sein.

Der Mädchenname meiner ukrainischen Freundin Lisa Soldatjonok bedeutet auf Deutsch Soldatenjunge oder Soldatchen. Vor der Erstausstellung der Personalausweise in der Ukraine zu der Sowjetzeit ergab sich für Lisas Vorfahren die Gelegenheit, den Namen zu verschönern. Ein Teil der weitgehenden Verwandtschaft wechselte zu den „großen, erwachsenen Soldaten“. Ihre direkten Vorfahren standen zu ihrem Namen und machten ihn zu einem auch wenn nur örtlich bekannten Namen.

Am Häufigsten ändern sich Namen durchs Heiraten. Mancher Familienname riskiert, verloren zu gehen, wenn zum Beispiel die letzte Tochter in der Familie ihren Namen aufgibt. Nicht jedem glückt es mit einer unkomplizierten Wahl wie bei Dörthe und Thomas Schröder. Während der Zeremonie der Trauung ließ sich die Standesamtbeamtin ihre übliche Frage langsam auf der Zunge zergehen: „Wollen Sie, Frau Dörthe Schröder, den hier anwesenden Herrn Thomas Schröder heiraten und seinen Familiennamen nehmen?“ Dörthe wollte das. Sie nahm den Namen ihres Mannes Schröder. Ich hätte an ihrer Stelle ihren eigenen Namen Schröder behalten.

Wer wenig Wert auf Tradition legt, überlässt die Entscheidung dem Zufall. Wenn keine Seite den eigenen Namen freiwillig aufgeben möchte, wird es im Zweifelfall gepokert, gewettet und sonst noch was getan. Manche Paare treffen sich in der Mitte und einigen sich auf einen Doppelnamen. Diejenigen, die ihren weniger wohlklingenden Namen loswerden wollen, nutzen die Gunst der Stunde.

Jedoch nicht um „feige Versager“ geht es, sondern um „tapfere Helden“. Lisa zog den Hut vor dem Namen Dummer ab, der ganz groß an der Hebetechnik stand, von der in der Firma, in der Lisa arbeitete, oft Gebrauch gemacht wurde. Sie telefonierte gern mit Herrn Fleischfresser aus einem Reisebüro in Hamburg, wenn ihr Vorgesetzter ein Visum für Russland benötigte. Ein Herr Unruh brachte nicht immer Unruhe in die Alltagsroutine. Kennenlernen durfte Lisa ihn aber ausgerechnet in dem Moment, als er äußerst beunruhigt war. Lisa dachte gern an den früheren Kollegen ihres Mannes namens Habenicht. Und nachdem sie neulich einen Brief an Herrn Fürchtenicht verschicken musste, überlegte sie sich, eine Namensliste zu führen.

Ihr Vorhaben bekräftigte eine zufällig auf dem Weg zur Arbeit im Radio gehörte lustige Episode, die sich in einer Augenarztpraxis ereignete. Die Sprechstundenhilfe kam in den gut gefüllten Warteraum und las vom Zettel ab, wer sich zu welcher Behandlung begeben durfte. Sie las die Namen der Patienten vor, ohne groß über die Namen als solche nachzudenken. Als nach einem Herrn Meier, einer Frau Schmidt, einer Frau Müller und einem Herrn Schulz ein Herr Engel und ein Herr Teufel an der Reihe waren, vergewisserte die junge Frau sich vorsichthalber, ob alles seine Richtigkeit hatte, und las wiederholt vom Zettel ab: „Herr Engel und Herr Teufel…“. Der Warteraum brach in Lachen aus.

Meine Freundin Lisa wechselte ihren Namen. Sie hatte ihre ganz persönlichen Beweggründe dafür. Ein Doppelname kam für sie nicht in Frage. Der Name wäre unpraktisch lang und kantig in der Aussprache. Lisa Soldatjonok wurde zu Lisa Krüger. Auf den ersten Blick nichts Besonderes, ein gängiger deutscher Name. Einen kleinen Haken gibt es offensichtlich immer. Ausgesprochen mit den deutschen Umlauten konnte Lisa sich nicht anfreunden. Es ist halt so. Es gibt Millionen Menschen auf der Welt, die nicht hinbekommen, die deutschen Umlaute richtig auszusprechen. Aber solange man verstanden wird, nimmt man sich die abweichende Aussprache nicht zu Herzen. Man steht außerdem zu seinen nichtdeutschen Wurzeln.

Ja, solange man verstanden wird… Und wenn nicht? Die kuriosen Episoden häuften sich und wurden zu kleinen Sketches im Alltag. Lisas deutscher Name sorgte öfter für eine lustige Unterhaltung an manchem Abend. Ich hörte Lisa zu und amüsierte mich prächtig. Das Vergnügen möchte ich euch nicht länger vorenthalten. Hier ist die The-Best-Of-Auswahl weitererzählt wie gehört.

Die schwierigen ausländischen Namen

Es gibt „Nachwuchs“ in der Firma – zwei junge Männer knapp 20 Jahre. Lisa begrüßt sie das erste Mal und stellt sich nur mit dem Vornamen vor. Das ist eher ungewöhnlich für die jungen Azubis, angesichts der Situation und des Altersunterschiedes. Sie interessieren sich anderweitig: „Sie hat bestimmt einen für uns komplizierten Nachnamen…“. „Ja, sehr kompliziert ist der Name, und zwar Krüger“, antwortet die Kollegin aus der Personalabteilung und ist froh, die Jungs gleich am Anfang mit einer guten Stimmung und einem ungezwungenen Umgang mit einander überraschen zu können.

Den eigenen Namen zu behalten, wäre auch eine Option

Es wurde Stickstoff geliefert. Der Fahrer des Lieferantenfahrzeuges benötigt einen Namen samt Unterschrift, muss aber eine Weile warten, da Lisa noch mit einem anderem Fall beschäftigt ist. Aus der Unterhaltung kann er ihren Namen gerade so richtig heraushören. Jetzt ist er an der Reihe.
Lisa mit ihrer üblichen Undeutlichkeit in der Aussprache: „Krüger“.
Fahrer: „Ich hätte nie gedacht.“
„Den Namen habe ich meinem Mann zu verdanken.“
„Sie hätten auch Ihren Namen behalten können.“
„Den hätte ich Ihnen garantiert buchstabieren müssen“, pariert Lisa zu allgemeiner Belustigung der Anwesenden.

Eselsbrücken

Man überlegt sich Eselsbrücken für eine bessere und schnellere Verständigung. Lisas Kollegin Kristin hat es viel einfacher. Sie sagt einfach: „Grob wie fein“ und schon ist alles allen klar. Ein längeres Austauschen am Telefon gehört zum Lisas Alltag:
„Ö?“
„Ü“
„Also ö.“
„Nein, ü.“
„Ich sage doch ö.“
Diese Laute spricht Lisa offensichtlich identisch aus. Sie greift zu den Vergleichen „wie der Freddy“ oder „wie der Nationalpark“. Das Spannendste dabei ist, die allgemeine Informiertheit des Gegenübers blitzschnell einzuschätzen.

Neulich erzählte Lisa ihrem 20 Jahre jüngeren Kollegen über ihre Eindrücke aus Südafrika. „Wir waren nur im Addo-Elefanten-Nationalpark. Den Krüger-Nationalpark ließen wir aus. Unseren Park müssen wir nicht besuchen.“
Der Witz kam beim Kollegen nicht an.
Lisa: „Krüger-Park… der Unsere…“.
Das half wenig. Lisa konnte es in diesem Fall ihrer Aussprache nicht in die Schuhe schieben. Letztendlich kannte der Kollege ihren Namen. Schleichend kam der Gedanke, dass für die jüngere Generation, die den Fredy schon und den Krüger-Nationalpark noch nicht kennenlernten, eine Eselsbrücke aus ihrer Welt hilfreicher wäre. Diese muss noch gefunden werden.

Postboten haben es nicht einfach

Postboten gehören zu der Kontaktgruppe, die am häufigsten betroffen ist.
„Ihr Name?“
„Krüger.“
„Klüger?“
Lisa im Stillen: „Das haben jetzt Sie gesagt...“ und laut: „Nein, Krüger.“
„Buchstabieren Sie.“
„Ka-Er-U-E…“
Die Postbotin ungläubig: „Krüger? Nee?“
„D-o-o-och!“

Vor Missverständnissen ist niemand abgesichert

Es liegt in der menschlichen Natur, unaufmerksam und unkonzentriert zu sein. Wenn man nicht gerade eine Inbound-Telefonistin ist, kann ein Telefonat bei der Arbeit aus dem Konzept bringen. Man weiß zwar generell, was der Teilnehmer am anderen Ende der Leitung möchte. Man ist aber nicht sofort bei der Sache, weil man in etwas anderem vertieft war. Der eigene Name und der Firmenname werden vorweg viel zu schnell und schön genuschelt zur Begrüßung genannt. Die nochmalige Nachfrage bleibt unerlässlich und sollte gleich am Anfang des Gespräches erfolgen.

Zum wiederholten Mal meldete sich bei Lisa ein gewisser Herr Unruh, den sie, wie es der Zufall wollte, nicht sofort erkennen und dadurch mit einem Erledigt-Wie-Versprochen nicht zufriedenstellen konnte. Oh je! Jetzt war Lisa diejenige, die den Namen eines anderen nicht verstand. Der Himmel öffnete sich, und der Redefluss voller Unmut ergoss sich auf Lisas Haupt: „Sie haben es mir versprochen. Das könnten nur Sie gewesen sein. Niemand anderer bei euch in der Firma hat so ein Akzent.“ Und dies, und das, und Unfug, und was du nicht gehört und nicht gesehen hast.

Endlich erkannte Lisa ihn: „Herr Unruh!!!“ Sie konnte es sich nicht verkneifen: "Sie sind echt Herr UNRUH(E)! Haben Sie Ihre Einganspost gecheckt? Es gibt keinen Grund zur Aufregung. Eine Frau – ein Wort. Alles ist schon längst erledigt.“ Lisa nahm seine Entschuldigung an. Hätten sie nicht am Telefon gesprochen, könnten sie sich freundschaftlich umarmen, Schwamm drüber.

Mit dieser optimistischen Note schließe ich fürs Erste. Eine Fortsetzung ist nicht ausgeschlossen.


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¹ Die Namenskombination und Handlung sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit einer realen Person wäre rein zufällig.
 



 
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